Die Klimakrise schafft politische Gemeinsamkeiten. Zwar musste das am 20. September beschlossene Klimapaket viel und teilweise berechtigte Kritik einstecken, aber klar ist doch, dass es im Grundsatz die wesentlichen Elemente einer erfolgreichen Klimapolitik enthält: CO2-Bepreisung, öffentliche Investitionen in klimafreundliche Infrastruktur, grüne Forschungsförderung und Industriepolitik, angemessene Regulierungen und einen Kontrollmechanismus.
Natürlich gibt es auch Unterschiede. Die SPD möchte mehr Soziales, die CDU bremst bei der Umsetzung und die Grünen fordern überall mehr. Doch die grundsätzlichen Gemeinsamkeiten überwiegen bei der Klimapolitik, wenn selbst eine eher konservative Partei wie die CSU neuerdings mit weitgehenden klimapolitischen Forderungen von sich reden macht und die prinzipielle Notwendigkeit eines umfassenden Vorgehens gegen den Klimawandel Konsens bei allen Parteien (außer der AfD) ist.
Es stellt sich mit neuer Dringlichkeit die Frage: Was ist eigentlich progressive Politik, wenn traditionell konservative Parteien vermeintlich fortschrittliche Politik vertreten?
Eine mögliche Trennlinie bietet die Finanzpolitik. So lautet ein gängiges Argument in der öffentlichen Debatte, dass eine progressive Politik schuldenfinanzierte Investitionen in den Klimaschutz fordern muss. Und tatsächlich vergeht derzeit kaum eine Regionalkonferenz der SPD, auf dem sich nicht ein Kandidat oder eine Kandidatin zur Überwindung der „Schwarzen Null“ oder zur Abschaffung der Schuldenbremse bekennt. Hingegen ist konservative Finanzpolitik traditionell durch ein klares Verbot der Neuverschuldung definiert: Die finanzpolitische Schwarze Null und die klimaneutrale „Grüne Null“ gehörten zusammen, lautet die Devise im konservativen Lager.
Meiner Meinung nach ist diese Diskussion eine Scheindebatte, denn sie zieht politische Grenzen, wo keine sind. Eine Schuldenbremse kann Ausdruck sowohl konservativer als auch progressiver Wirtschaftspolitik sein. Zudem ist der Unterschied zwischen Schuldenbremse und Schwarzer Null marginal. Die entscheidende Trennlinie zwischen progressiver und konservativer Wirtschaftspolitik wird durch eine andere Frage gezogen: Brauchen wir eine Erbschafts- und Vermögenssteuer, die nicht trivial ist und ihrem Namen auch gerecht wird?
Wie sich die Idee der „Schwarzen Null“ durchsetzte
Es gibt eine dominante Erzählung zur Genesis der deutschen Schuldenbremse, die hauptsächlich dafür verantwortlich ist, dass die Schuldenbremse bzw. Schwarze Null üblicherweise mit konservativer Wirtschaftspolitik gleichgesetzt wird. Diese Erzählung hat zwei Teile.
Der erste Teil ist ein historisches Ereignis. Die Staatsschuldenquote – das Verhältnis von Staatsschulden zur Wirtschaftsleistung – war seit den 1970er Jahren stetig angestiegen. Bedingt durch die globale Wirtschaftskrise 2008/09 sprang sie von etwa 60% in 2007 auf über 80% in 2010. Für viele Beobachter war damit die langfristige Tragfähigkeit der öffentlichen Finanzen in Deutschland gefährdet. Um die Solidität der deutschen Staatsfinanzen zu gewährleisten, musste es eine glaubwürdige, langfristige Bindung der Ausgaben an die Einnahmen geben. Dieses Ziel wurde dann 2009 durch die Aufnahme der Schuldenbremse ins Grundgesetz verwirklicht.
Dieser erste Teil der gängigen Erzählung ist korrekt, aber unvollständig ohne den zweiten Teil: Es fehlt der Bezug auf die zugrundeliegende strukturelle Veränderung der Gesellschaft, die es der Politik erst ermöglichte, auf ein historisches Ereignis – den schnellen Anstieg der Staatsschuldenquote – mit der Aufnahme der Schuldenbremse ins Grundgesetz zu reagieren. Diese eher drastische Reaktion wäre nicht möglich gewesen ohne die damals vorherrschende Skepsis gegenüber dem Staat im Allgemeinen und der öffentlichen Finanzpolitik im Speziellen. Diese Haltung war das Ergebnis einer in den 1980er Jahren einsetzenden gesellschaftlichen Bewegung, die eine gemeinwohlorientierte Bundespolitik grundsätzlich in Frage stellte. Das theoretische Fundament dazu entwickelten akademische Studien, die sich mit der ökonomischen Analyse von politischen Prozessen in repräsentativen Demokratien beschäftigen – die sogenannte polit-ökonomische Literatur.
Die einfachste Version der politökonomischen Theorie ist mit den Arbeiten des Ökonomen und Nobelpreisträgeres James Buchanan verbunden. Sie basiert auf der Hypothese, dass Regierende immer wieder versuchen, Wahlerfolge durch „Wahlgeschenke“ für einzelne Gruppen zu erkaufen. Doch diese Wahlgeschenke sind teuer und belasten den öffentlichen Haushalt, so dass die Politik zu übermäßigen Staatsausgaben und ausufernder Staatsverschuldung neige. Der Staat ist in dieser Lesart also ein willensschwacher Leviathan, der von kurzfristig denkenden Politiker*innen gelenkt wird, die durch „Verschwendung“ staatlicher Mittel den Wohlstand kommender Generationen gefährden. Deshalb brauche es strikte Regeln, um den Leviathan zu bändigen – und die Schuldenbremse sei eine solche Regel, die die gewünschte Bindung des Leviathans einfach und transparent implementiert.
Diese Erzählung der Schuldenbremse bzw. der Schwarzen Null dominierte über Jahre die gesellschaftspolitische Diskussion zur Staatsverschuldung. Dies erklärt auch, warum progressive Kräfte häufig – aber nicht immer – der Schuldenbremse kritisch gegenüberstehen. Denn in dieser Erzählung stehen Schuldenbremse und Schwarze Null nicht nur für eine Politik des Schuldenverbots, sondern auch für eine Politik der Austerität und der Kürzungen bei den Staatsausgaben. Somit wird aus der Schuldenbremse ein Instrument, mit dem der Staat zurückgedrängt werden kann, und in diesem Sinne ein Teil konservativer Wirtschaftspolitik.
Die Schuldenbremse als Teil einer progressiven Agenda
Die populäre Erzählung konstruiert einen Widerspruch zwischen progressiver Wirtschaftspolitik und Schuldenbremse. Doch die Realität ist komplexer, und so ist die wissenschaftliche Literatur. Denn es gibt eine weitere Erzählung, die ein anderes Licht auf die Schuldenbremse wirft. Deren theoretische Grundlage bietet eine einflussreiche Arbeit der Ökonomen Thorsten Persson und Lars Svensson, die im Jahr 1989 veröffentlicht wurde. Unter dem Titel Why a Stubborn Conservative would Run a Deficit zeigten die Autoren, dass in repräsentativen Demokratien zwar in der Tat eine Tendenz zu übermäßiger Staatsverschuldung besteht, sich zugleich aber auch eine Neigung zum „kleinen Staat“ wiederfinden kann.
Um diesen Sachverhalt zu verstehen, stelle man sich eine Situation mit zwei Parteien vor: Eine konservative Partei, die Steuersenkungen für Wohlhabende und einen kleinen bzw. schlanken Staat bevorzugt, und eine progressive Partei, die eine Vorliebe für einen großen bzw. starken Staat hat. In einer Demokratie kann es nun dazu kommen, dass die konservative Partei der progressiven Partei ihre politischen Vorstellungen aufzwingen kann, auch wenn beide Parteien abwechselnd regieren. Dies ist immer dann der Fall, wenn die konservative Partei ihre jeweilige Regierungszeit für defizit-finanzierte Steuersenkungen nutzt und der daraus resultierende Anstieg der Staatsverschuldung die nachfolgende, progressive Regierung dazu zwingt, den öffentlichen Haushalt durch Kürzung der Staatsausgaben zu konsolidieren. In diesem Sinne kann auch eine Demokratie ohne verfassungsrechtliche Eigenbindung des Parlaments zu einem kleinen bzw. schwachen Staat führen.
Die politische Theorie der Schulden und Staatsausgaben von Persson und Svensson hat die Evidenz auf ihrer Seite, denn sie bietet eine überzeugende Erklärung der Entwicklung der US-amerikanischen Fiskalpolitik der vergangenen 40 Jahre (mit einer Ausnahme: die Steuererhöhung von George H. W. Bush im Jahr 1990). Darüber hinaus kann sie auch zahlreiche wirtschaftspolitische Konflikte in Deutschland erklären. Beispielsweise ermöglichte es die Schuldenbremse dem damaligen Finanzminister Wolfgang Schäuble in der Legislaturperiode 2009-2013, die Forderung der FDP nach Steuersenkungen abzuwehren – mit dem Verweis auf die gesetzlich verankerte Anforderung des ausgeglichenen Haushalts. Ebenso fordern heute einige Arbeitgebervertreter eine Änderung der Schuldenbremse, um zusätzliche finanzielle Spielräume für öffentliche Investitionen und Steuersenkungen für Unternehmen bzw. Wohlhabende zu ermöglichen.
Eine verfassungsrechtlich verankerte Fiskalregel, die wie die deutsche Schuldenbremse einen strukturell ausgeglichenen Haushalt erfordert, kann somit sehr wohl auch Teil einer progressiven Agenda sein, die einen starken Staat mit hohen Investitionsausgaben anstrebt. Die Schuldenbremse selbst ist weder Ausdruck konservativer noch progressiver Politik. Vielmehr hängt es stark von den institutionellen Gegebenheiten und der aktuellen politischen Situation ab, welche politische Richtung von der Schuldenbremse bzw. ihrer Abschaffung profitiert.
Schuldenbremse versus Schwarze Null
Häufig wird in progressiven Kreisen darauf hingewiesen, dass die Schuldenbremse nicht mit der Schwarzen Null gleichzusetzen ist und die Große Koalition nicht die vorhandenen Handlungsspielräume für öffentliche Investitionen voll ausnutze. Dieser Hinweis ist richtig und scheint notwendig zu sein, wenn selbst Spitzenpolitiker wie die CDU-Chefin Annegret Kramp Karrenbauer behaupten, dass die Schwarze Null (und nicht die Schuldenbremse) „geltendes Recht“ sei.
Auch ist die Unterscheidung auf den ersten Blick ökonomisch wichtig, denn die Schuldenbremse erlaubt ein strukturelles Defizit im Bundeshaushalt, während die Schwarze Null für die Vermeidung jeglicher Neuverschuldung (Nettokreditaufnahme) des Bundes steht. Ein zweiter Blick zeigt jedoch, dass der Unterschied eher klein und daher von begrenzter praktischer Relevanz ist. Dies wird deutlich, wenn man die aktuelle Planung für den Bundeshaushalt 2020 genauer betrachtet.
Die Schuldenbremse erlaubt nach Artikel 109 des Grundgesetzes ein strukturelles Defizit des Bundes von 0,35% des BIP – für 2020 sind das etwa 12 Milliarden Euro. Dieser bescheidene finanzielle Spielraum wird durch zwei gesetzlich vorgeschriebene Korrekturen weiter eingeengt. Erstens wird eine Konjunkturbereinigung vorgenommen, die nach aktuellem Stand die genannten 12 Milliarden um circa 2 Milliarden auf 10 Milliarden reduziert. Diese Korrektur nach unten ist hauptsächlich das Ergebnis einer aktuell noch optimistischen Konjunkturprognose für 2020 und einer statistischen Methode zur Potenzialschätzung, die den Abschwung in 2019 größtenteils auf einen Rückgang des Produktionspotenzials zurückführt.
Zweitens müssen die Einnahmen und Ausgaben der sogenannten Sondervermögen wie z.B. der Kommunalinvestitionsfonds oder der Energie- und Klimafonds berücksichtigt werden. Diese Sondervermögen werden separat im Bundeshaushalt aufgeführt, weil die damit verbundenen Finanzmittel nur für vorab bestimmte Zwecke verwendet werden dürfen (z.B. zur Förderung von kommunalen Infrastrukturinvestitionen oder Investitionsprojekten zur Umsetzung der Energiewende). Wenn die Mittel aus diesen Fonds verwendet werden und somit abfließen, dann wird dieser Vorgang im Bundeshaushalt als ein negativer Eintrag gebucht, der den durch die Schuldenbremse vorgegebenen Spielraum weiter verengt. Nach aktuellen Berechnungen des Bundesfinanzministeriums wird für das Jahr 2020 ein Defizit von ca. 5 Milliarden Euro erwartet. Nach Abzug dieses Betrags von dem konjunkturbereinigten Handlungsspielraum von 10 Milliarden in 2020 (siehe oben) erhält man für das Jahr 2020 den zusätzlichen finanziellen Spielraum von 5 Milliarden (circa 0,15% des BIPs), den die Bundesregierung im Prinzip durch eine Abkehr von der Schwarzen Null nutzen könnte.
Der Bund könnte den Spielraum noch erweitern, indem er zusätzliche Ausgaben zur Erhöhung des Eigenkapitals von öffentlichen Unternehmen – z.B. der Deutschen Bahn – verwendet. Diese Ausgaben werden im Bundeshaushalt gemäß deutschem Recht als finanzielle Transaktionen gebucht und nicht auf die von der Schuldengrenze vorgegebene Defizitgrenze angerechnet. Doch hier setzt wiederum der europäischen Fiskalpakt enge Grenzen, denn nach europäischer Regelung werden auch die finanziellen Transaktionen dem Staatssektor zugerechnet und es gilt somit die Obergrenze von 0,5% des BIPs für die strukturelle Neuverschuldung (bzw. 1% des BIPs, sobald die Staatsschuldenquote deutlich unter 60% gesunken ist). Das gelegentlich diskutierte Kontrollkonto ist kein Mittel, eine zusätzliche Neuverschuldung zu ermöglichen. Ein positiver Saldo auf diesem Kontrollkonto, wie es aktuell der Fall ist, verhindert nur eine zusätzliche Einengung der finanziellen Spielräume, die über die festgelegte Obergrenze von 0,35% des BIPs hinausgeht.
Diese Überlegungen zeigen, dass die Schuldenbremse einer Neuverschuldung sehr enge Grenzen setzt und sich in der aktuellen Lage die Einhaltung der verfassungsrechtlich verankerten Schuldenbremse nur unmerklich – um etwa 5 Milliarden Euro – von einer Politik der Schwarzen Null unterscheidet. Zudem zeigt die Entwicklung der Salden der Sonderfonds der letzten Jahre, dass die Politik die vorhandenen Spielräume für eine expansive Fiskalpolitik mit Fokus auf öffentliche Investitionen im Wesentlichen genutzt hat. Im Lichte dieser Zahlen erscheint es etwas überzogen, die Bundesregierung für das Festhalten an dem Prinzip des ausgeglichenen Haushalts vehement zu kritisieren.
Warum wir eine Vermögenssteuer brauchen
Eine Schuldenbremse kann also sowohl Ausdruck konservativer als auch progressiver Politik sein, und der Unterschied zwischen Schuldenbremse und Schwarzer Null ist eher klein. Aus politischer Sicht ist die Diskussion um die Schuldenbremse bzw. Schwarze Null daher eine Scheindebatte.
Diese grundsätzliche Einsicht bedeutet jedoch nicht, dass die deutsche Schuldenbremse in ihrer jetzigen Form beibehalten werden sollte. Ganz im Gegenteil: Eine Reform der Schuldenbremse ist ökonomisch sinnvoll, auch wenn aus den besprochenen, politik-ökonomischen Gründen eine Neigung zur übermäßigen Staatsverschuldung existiert. Die Grundzüge einer solchen Reform habe ich an anderer Stelle ausgeführt.
Eine reformierte Schuldenbremse würde mehr Handlungsspielräume schaffen, doch politische Mehrheiten für eine Grundgesetzänderung sind (noch) nicht in Sicht und selbst eine reformierte Schuldenbremse würde nicht den notwendigen finanziellen Bedarf decken, um die sozial-ökologische Transformation der Gesellschaft zu bewältigen. Diese Jahrhunderaufgabe erfordert mittel- und langfristig eine massive Steigerung der öffentlichen Investitionen in Erneuerbare Energien, Verkehrsinfrastruktur, digitale Infrastruktur und Wohnungsbau. Darüber hinaus muss der Sozialstaat – besonders die gesetzliche Rente – gestärkt werden, damit der unvermeidliche Wandel den Zusammenhalt der Gesellschaft nicht gefährdet. Wie soll das bezahlt werden?
Die Antwort lautet: Mit einer stärkeren steuerlichen Belastung des Produktionsfaktors Kapital. Konkret bedeutet dies für Deutschland verbesserte Ausnahmeregeln bei der Vererbung von Betriebsvermögen und die Reaktivierung der Vermögenssteuer. Denn mögliche steuerliche Mehreinnahmen aus einer Erhöhung der Kapitalertragssteuer (Abgeltungssteuer) sind aufgrund der anhaltenden Niedrigzinsphase eher gering. Die Mehreinnahmen aus einer verbesserten Erbschaftssteuer und reaktivierten Vermögenssteuer können hingegen eine wichtige Finanzierungsquelle darstellen.
Ein direkter Vergleich von schuldenfinanzierten öffentlichen Investitionen und steuerfinanzierten öffentlichen Investitionen zeigt nochmals deutlich, warum die Schuldenbremse kein geeignetes Mittel ist, um progressive von konservativer Wirtschaftspolitik zu unterscheiden. Im ersten Fall versucht der Staat, sich gegen Zinszahlungen Geld von den vermögenden Haushalten zu leihen, um eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe zu finanzieren. Dieser Fall wird durch die Schuldenbremse ausgeschlossen. Im zweiten Fall zwingt der Staat die Vermögenden, sich an der Finanzierung eines gesamtgesellschaftlichen Projekts angemessen zu beteiligen. Welcher Fall entspricht eher einer progressiven Finanzpolitik?
Erbschaftssteuer und Vermögenssteuer sind gerecht – und wachstumsfreundlich
Erbschafts- oder Vermögenssteuer sind also eine wichtige Einnahmequelle, um die Mehrausgaben einer sozial-ökologischen Transformation der Gesellschaft zu finanzieren. Diese Steuerarten haben den weiteren Vorteil, dass sie die Verteilungsgerechtigkeit stärken. Darüber hinaus können sie leistungsgerecht und wachstumsfreundlich ausgestaltet werden.
Die Vermögenssteuer ist deswegen verteilungsgerecht, weil sie diejenigen besteuert, die am meisten geben können. Dies ist das gängige Argument für eine Vermögenssteuer – sie stärkt die soziale Gerechtigkeit. Aus ökonomischer Sicht kann eine Finanzierung der öffentlichen Investitionen durch eine Vermögenssteuer (mit Freibetrag) wohlfahrtssteigernd sein, weil sie Einkommen bzw. Konsum von Menschen mit (großem) Vermögen und niedrigen Grenznutzen zu Menschen ohne Vermögen und entsprechend hohen Grenznutzen umverteilt.
Eine Vermögenssteuer kann zudem die Leistungsgerechtigkeit stärken. Das ist immer dann der Fall, wenn große Vermögen dazu genutzt werden, um durch Lobby-Arbeit oder aggressive Medien-Kampagnen den Wettbewerb in einem Sektor der Wirtschaft oder Gesellschaft zu beschränken. Dieses grundsätzliche Problem der Vermögenskonzentration ist in den USA stärker ausgeprägt als in Deutschland, wo durch die Einflussnahme starker Gewerkschaften ein Gegengewicht zu den Interessenvertretern des Kapitals existiert. Doch auch in Deutschland ist die Einflussnahme ein nicht zu vernachlässigendes Problem – der Diesel-Skandal ist nur eines von vielen Beispielen.
Der in der Wissenschaft strittigste Punkt ist der Effekt einer Vermögenssteuer auf Wirtschaftswachstum und Beschäftigung. Einerseits senkt die Steuer die Rendite auf neue Investitionen, so dass Unternehmen weniger investieren und die Kapitalakkumulation zurückgeht. Darüber hinaus werden sich einige Unternehmen aufgrund der erhöhten Steuerbelastung gegen Deutschland als Produktionsstandort entscheiden und Produktionsstätten ins Ausland verlagern. Dies reduziert Wachstum und wirkt sich zudem negativ auf Arbeitsnachfrage und Beschäftigung aus. Dieser Wirkmechanismus ist nicht von der Hand zu weisen und muss ernst genommen werden.
Andererseits gibt es drei Wirkungskanäle, die für einen positiven Effekt der Vermögenssteuer auf Wachstum und Beschäftigung sprechen:
Die Vermögenssteuer führt zu einem Anstieg der durchschnittlichen Unternehmensproduktivität. Und zwar deshalb, weil sie Unternehmen einen zusätzlichen Anreiz bietet, unproduktive Produktionsmethoden aufzugeben und unproduktive Betriebe zu schließen – das ist die sogenannte „Produktionspeitsche“. Guvenen et al. haben diesen Effekt für die USA näher analysiert und sind zu dem Schluss gekommen, dass er den negativen Effekt aufgrund von gesunken Investitionsrenditen dominiert – die Vermögenssteuer führt zu Wachstumsgewinnen. Die Produktivitätsgewinne können also erheblich sein, auch wenn es voreilig erscheint, daraus einfache wirtschaftspolitische Empfehlungen abzuleiten.
Eine Vermögenssteuer macht es attraktiver für private Haushalte, ihr Arbeitsangebot auszuweiten und durch Weiterbildung in das eigene Humankaptal zu investieren. Auch Unternehmen erhalten einen zusätzlichen Anreiz, mehr in Humankapital zu investieren. Beispiele für solche Humankapital-Investitionen sind Weiterbildungskurse und ein größerer Fokus auf arbeitsintensive Produktionsmethoden. Dieser „Portfolio-Effekt“ hat positive Auswirkungen auf Arbeitsproduktivität, Beschäftigung und Wachstum und wird in jedem makroökonomischen Modell mit Humankapitalinvestitionen abgebildet.
Die bereits angesprochene Verbesserung der Leistungsgerechtigkeit wird langfristig den Wettbewerb stärken und dadurch positive Wachstumsimpulse setzen. Studien hinsichtlich der quantitativen Stärke dieser zwei Effekte einer Vermögenssteuer liegen für Deutschland jedoch bisher nicht vor.
Zusammengefasst: Die Auswirkungen einer Vermögenssteuer auf das wirtschaftliche Wachstum sind nicht eindeutig bestimmt – es gibt einen negativen Effekt, aber auch drei mögliche positive Effekte. Zudem ergeben sich positive Wachstums- und Beschäftigungsimpulse, wenn die Steuermehreinnahmen für Investitionen in die öffentliche Infrastruktur genutzt werden würden. Letztendlich wird der wirtschaftliche Nettoeffekt also stark von der konkreten Ausgestaltung einer Vermögenssteuer abhängen.
Eine Erbschaftssteuer wirkt ähnlich wie eine Vermögenssteuer – beide besteuern den Kapitalbestand. Die beiden Steuerarten sind äquivalent, wenn die Steuersätze entsprechend gewählt werden, das Todesrisiko vollständig versichert ist und Chancengleichheit für alle Kinder kein unabhängiges gesellschaftliches Ziel ist (keine direkte Gewichtung der Interessen zukünftiger Generationen durch die Gesellschaft).
In der Praxis ist das Todesrisiko in der Regel aber nicht annährend vollständig versichert, so dass die Erbschaftssteuer durch ihre hohe steuerliche Belastung im Todesfall die Existenz von Betrieben mit geringen Gewinnspannen gefährden kann. Das erhöhte Risiko kann durch Tilgungspläne mit langen Laufzeiten reduziert werden, aber ein Restrisiko wird immer bleiben. Dies spricht für die Vermögenssteuer im Vergleich zur Erbschaftssteuer. Andererseits ist die Erbschaftssteuer der Vermögenssteuer vorzuziehen, wenn Chancengerechtigkeit für alle Kinder das erklärte Ziel ist. Letztlich wird mittel- und langfristig beides notwendig sein, um die sozial-ökologische Transformation der Gesellschaft zu finanzieren: Eine Verschärfung der Ausnahmeregeln für die Erbschaftssteuer und eine Reaktivierung der Vermögenssteuer.
Fazit
Die Klimakrise hat die traditionellen Unterschiede zwischen progressivem und konservativem Lager verwischt: Es besteht Einigkeit hinsichtlich des Ziels des Klimaschutzes und auch bei den Mitteln sind die Unterschiede eher oberflächlicher Natur. Ebenso sind Schuldenbremse bzw. Schwarze Null nicht geeignet, eine Trennlinie zwischen progressiver und konservativer Wirtschaftspolitik zu ziehen: Eine Schuldenbremse kann sowohl konservative als auch progressive Wirtschaftspolitik widerspiegeln und der Unterschied zwischen Schuldenbremse und Schwarzer Null ist eher klein – aus gesellschaftspolitischer Sicht sind die öffentlichen Diskussionen über Schuldenbremse und Klimaschutz im Wesentlichen Scheindebatten.
Es ist somit nicht die ökologische, sondern die soziale Frage, die in der zukünftigen politischen Auseinandersetzung die entscheidende Grenze zwischen progressiven und konservativen Kräften ziehen wird. Die ökologische Transformation der Gesellschaft muss Hand in Hand gehen mit einer Stärkung der sozialen Gerechtigkeit, wenn sie ein Erfolg für alle Mitglieder dieser Gesellschaft sein soll. Und diese Jahrhundertaufgabe ist nur mit einer verbesserten Erbschaftssteuer und einer reaktivierten Vermögenssteuer zu bewältigen.
Zum Autor:
Tom Krebs ist Professor für Makroökonomie und Wirtschaftspolitik an der Universität Mannheim. Derzeit ist er zudem als Visiting Professor im Bundesfinanzministerium tätig. Auf Twitter: @tom_krebs_