Investitionsoffensive

Wo und wieviel die nächste Regierung konkret investieren sollte

Für viele Ökonomen sind öffentliche Investitionen das Gebot der Stunde. Aber was heißt das genau und welche Auswirkungen hätte eine solche Investitionsoffensive? Eine aktuelle Studie liefert Antworten.

Die Ankündigung einer Investitionsoffensive des Bundes würde Planungssicherheit für Kommunen und Bauunternehmen bieten, sodass der notwendige Personalausbau erfolgen könnte. Foto: Pixabay

Nicht zuletzt die geplatzten Sondierungsgespräche zur Bildung einer Jamaika-Koalition haben gezeigt, dass auch in Zeiten sprudelnder Steuerquellen ein fundamentales ökonomisches Prinzip greift: Die Summe der Begehrlichkeiten übersteigt in der Regel die vorhandenen Möglichkeiten. Somit stellt sich trotz erheblicher Haushaltsüberschüsse die Frage, wie die begrenzten öffentlichen Mittel am besten einzusetzen sind. Möglichkeiten gibt es viele. Sollen Steuern gesenkt oder die Militärausgaben erhöht werden? Gebietet eine solide Finanzpolitik die sofortige Schuldentilgung? Oder ist es an der Zeit, eine Investitionsoffensive zu starten?

Vorrang für öffentliche Investitionen

Für viele Ökonomen sind öffentliche Investitionen das Gebot der Stunde. Dies erscheint naheliegend, denn öffentliche Investitionen stärken Wachstumspotenziale und schaffen dauerhaften Wohlstand, wie zahlreiche wissenschaftliche Studien bereits zur Genüge belegt haben. So steigern Bildungsinvestitionen beispielsweise das Humankapital der Erwerbspersonen und stärken so das Produktionspotenzial einer Volkswirtschaft. Zudem führen öffentliche Bildungsinvestitionen zu mehr Chancengleichheit und sichern den Zusammenhalt der Gesellschaft. Der Ausbau qualitativ hochwertiger Ganztagschulen hat den weiteren Vorteil, dass er Eltern – und insbesondere Frauen – eine Ausweitung der Erwerbstätigkeit ermöglicht. Und schließlich ist eine Bildungsoffensive die beste Antwort auf die mit der erhöhten Zuwanderung nach Deutschland verbundenen gesellschaftspolitischen Herausforderungen.

Bleibt die Frage: Wo genau soll wie viel investiert werden und welche quantitativen Effekte sind zu erwarten? In einer aktuellen Studie haben wir eine Investitionsagenda entwickelt, in der wir konkrete Zahlen auf den Tisch legen.

Die Investitionsagenda: Bildung, Infrastruktur, Wohnungsbau

Dabei zeigen wir, dass in den Bereichen Bildung, Wohnungsbau und digitale Infrastruktur besonders großer Handlungsbedarf besteht.  Entsprechend schlagen wir vor, eine öffentliche Investitionsoffensive in diesen Bereichen zu starten. Konkret könnte die kommende Bundesregierung in der Legislaturperiode 2018–2021 eine Investitionsagenda implementieren, um die öffentlichen Investitionsausgaben schrittweise auf ein deutlich höheres Niveau zu heben. Die vorgeschlagene Investitionsagenda ist wie folgt definiert:

1

Dauerhafte Steigerung der öffentlichen Bildungsausgaben um jährlich ca. zehn Milliarden Euro, um das Bildungs- und Betreuungsangebot in Kitas zu verbessern und den Ausbau qualitativ hochwertiger Ganztagsschulen voranzutreiben.

2

Dauerhafte Steigerung der öffentlichen Infrastrukturausgaben um jährlich fünf Milliarden Euro, um den zukünftigen Investitionsbedarf im Verkehrsbereich zu erfüllen und eine moderne digitale Infrastruktur zu schaffen.

3

Dauerhafte Steigerung der öffentlichen Ausgaben für den Wohnungsbau um jährlich fünf Milliarden Euro, um mehr bezahlbaren Wohnraum in städtischen Ballungsräumen für Familien mit geringen und mittleren Einkommen bereitzustellen.

Ab 2022 würde die öffentliche Investitionstätigkeit auf ca. 20 Milliarden Euro pro Jahr gesteigert werden. Aufgrund der schrittweisen Implementierung belaufen sich die zusätzlichen Ausgaben auf rund 40 Milliarden Euro in den kommenden vier Jahren.

Stärkeres Wachstum, mehr Chancengerechtigkeit, solidere öffentliche Finanzen

Die Auswirkungen der vorgeschlagenen Investitionsoffensive haben wir auf Basis eines mikroökonomisch fundierten makroökonomischen Modells der deutschen Volkswirtschaft evaluiert (hier finden Sie eine ausführliche methodische Darstellung).

Die folgende Tabelle zeigt die wesentlichen Ergebnisse unserer Analyse. Dabei wurde die Annahme getroffen, dass anfängliche Nettomehrkosten der öffentlichen Investitionen aus vorhandenen Steuereinnahmen (Haushaltsüberschüssen) finanziert und zukünftige Nettomehreinnahmen der öffentlichen Hand zur Tilgung vorhandener Staatsschulden verwendet werden – die vorgeschlagenen Investitionsprogramme könnten also auch ohne eine Neuverschuldung der öffentlichen Hand und ohne größere Einschnitte in anderen Bundesprogrammen implementiert werden.

Tabelle 1: Auswirkungen einer öffentlichen Investitionsagenda für Deutschland

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Hier finden Sie Erläuterungen zur Tabelle.

Die wesentlichen Auswirkungen unserer Investitionsagenda lassen sich in folgende drei Punkte zusammenfassen:

1

Die öffentliche Investitionsoffensive schafft gute Arbeit und steigert den Wohlstand: Würde der Staat die öffentlichen Investitionen aus den vorhandenen Überschüssen finanzieren und nicht zur Steigerung konsumtiver Ausgaben oder für eine sofortige Schuldentilgung nutzen, prognostizieren die Modellrechnungen mehr als 600.000 zusätzliche Arbeitsplätze und ein um knapp 100 Milliarden Euro höheres BIP bis zum Jahr 2050. Gleichzeitig würde die Zahl der Erwerbspersonen im Niedriglohnsektor um über 400.000 schrumpfen und die Zahl Arbeitslosen um annähernd 450.000 Personen sinken.

2

Die öffentliche Investitionsoffensive stärkt die Chancengerechtigkeit und senkt die Armut: Insbesondere die Ausweitung der Bildungsinvestitionen hätte nicht nur positive Wachstums- und Beschäftigungseffekte, sondern würde auch wichtige verteilungspolitische Auswirkungen mit sich bringen. So ließe sich die Vereinbarkeit von Familie und Beruf verbessern. Insbesondere Frauen mit Kindern und Kinder aus Nicht-Akademiker-Familien könnten ihre Einkommenslücke im Vergleich zu Männern mit Kindern bzw. Kindern aus Akademiker-Familien langfristig um 3,5 bzw. knapp 6 Prozentpunkte verringern. Darüber hinaus würde die Zahl der Erwerbspersonen in Grundsicherung um annähernd 500.000 schrumpfen.

3

Die öffentliche Investitionsoffensive verbessert die Tragfähigkeit der öffentlichen Finanzen: Anders als häufig behauptet stehen stabile Staatsfinanzen und öffentliche Investitionen nicht im Widerspruch – im Gegenteil. Die Modellrechnung zeigt, dass die untersuchten Investitionsprogramme fiskalisch nachhaltig sind. Über höheres Wachstum, mehr Beschäftigung und erhöhte Staatseinnahmen finanzieren sie sich mittel- bis langfristig selbst. Mehr noch: Bereits nach neun Jahren würden die Bildungsinvestitionen sogar fiskalische Überschüsse erzielen, die zur Schuldentilgung beitragen könnten. Investitionen in Wohnungsbau und Infrastruktur würden nach 12 bzw. 14 Jahren Überschüsse erzeugen. Mit knapp 12% pro Jahr würden Investitionen in Kitas und Ganztagsschulen im Vergleich zum Wohnungsbau (7,1%) und zur Infrastruktur (8,2%) die höchste fiskalische Rendite erzielen.

Einwände

In der öffentlichen Debatte werden zusätzliche Bundesmittel für öffentliche Investitionen häufig mit dem Argument abgelehnt, dass diese Mittel nicht sinnvoll eingesetzt werden können – mehr Geld werde schlichtweg nicht gebraucht. Im Hinblick auf die Finanzierung der Infrastrukturinvestitionen wird zum Beispiel darauf hingewiesen, dass aufgrund unzulänglicher Planungskapazitäten die bereits vorhandenen Bundesmittel nicht abgerufen werden. Im Bildungsbereich ist zudem der Einwand zu hören, dass der gegenwärtige Mangel an Lehrkräften eine Ausweitung der Lehrkapazitäten an den Schulen unmöglich macht.

Diese Einwände greifen jedoch im vorliegenden Fall zu kurz, weil die hier vorgeschlagene Investitionsagenda eine dauerhafte Veränderung der staatlichen Investitionspolitik darstellt. Ein solcher Politikwechsel hätte eine Signalwirkung und würde zu entsprechenden Verhaltensanpassungen der betroffenen Akteure führen. Beispielsweise würde die Ankündigung einer Investitionsoffensive des Bundes Planungssicherheit für Kommunen und Bauunternehmen bieten, sodass der zur Ausweitung der Planungskapazitäten notwendige Personalausbau erfolgen könnte. Ebenso würde ein dauerhafter Politikwechsel im Bildungsbereich mittel- und langfristig zu einer Steigerung des Angebots an ausgebildeten Lehrkräften führen.  Schließlich können eventuelle kurzfristige Engpässe mit Maßnahmen wie zum Beispiel Erleichterung des Quereinstiegs und Möglichkeiten der Mehrarbeit überwunden werden.

Im Gegensatz zu konsumtiven Staatsausgaben erhöhen öffentliche Investitionen das gesamtwirtschaftliche Angebot

Als weiteres Argument gegen eine Steigerung der öffentlichen Ausgaben wird häufig angeführt, dass die Produktionskapazitäten der deutschen Wirtschaft derzeit stark ausgelastet sind und die positiven Konjunkturimpulse zusätzlicher Staatsausgaben daher verpuffen würden. Dieser Einwand ist im Prinzip berechtigt, trifft jedoch nicht auf die hier vorgeschlagene Investitionsagenda zu – im Gegensatz zu konsumtiven Staatsausgaben erhöhen öffentliche Investitionen das gesamtwirtschaftliche Angebot.  Die damit verbundene Stärkung des Produktionspotenzials führt unabhängig von der aktuellen Konjunkturlage zu einer Ausweitung der Produktion und kann zudem ein probates Mittel sein, um einer eventuellen Überhitzung der deutschen Wirtschaft entgegenzuwirken.

Mit Blick auf öffentliche Bildungsinvestitionen ist zudem der Einwand zu hören, dass empirische Studien keinen Zusammenhang zwischen Bildungsausgaben und Lernerfolg der Schulkinder gefunden hätten. Dieser Einwand beruht jedoch auf einer unangemessenen Vereinfachung der empirischen Befunde.

Fazit

Unsere Forschungsergebnisse zeigen, dass öffentliche Investitionen in Bildung, Wohnungsbau und Infrastruktur unter den derzeit vorherrschenden Rahmenbedingungen das Gebot der Stunde sind. Eine dauerhafte Steigerung der staatlichen Ausgaben in diesen Bereichen lohnt sich aus gesamtwirtschaftlicher und gesellschaftspolitischer Sicht.  Zudem gibt es derzeit keine alternative Verwendung der Haushaltsüberschüsse mit vergleichbar positiven Effekten. Die nächste Bundesregierung sollte daher eine Investitionsoffensive starten, die diesen Namen auch verdient.

 

Zu den AutorInnen:

Manuela Barišić ist Projektmanagerin des Programms „Nachhaltig Wirtschaften“ der Bertelsmann-Stiftung.

Tom Krebs ist Professor für Makroökonomie und Wirtschaftspolitik an der Universität Mannheim.

Martin Scheffel ist Professor am Center for Macroeconomic Research der Universität zu Köln.

 

Hinweis:

Die diesem Beitrag zugrundeliegende Studie der Bertelsmann-Stiftung finden Sie hier.