Volkswirtschaftslehre

Mehr Ökonominnen braucht das Land!

Mit einem Frauenanteil von nur 24% sind Deutschlands ökonomische Forschungseinrichtungen das Schlusslicht in Europa. Dabei wäre eine höhere Chancengleichheit kein reiner Selbstzweck, sondern auch wichtig, um den wissenschaftlichen Output zu erhöhen.

Knapp die Hälfte von rund 9.000 internationalen Ökonominnen gab bei einer im März veröffentlichten Umfrage der American Economic Association (AEA) zum Klima im Wissenschaftsbetrieb an, schon einmal in ihrem Arbeitsumfeld aufgrund ihres Geschlechts unfair behandelt worden zu sein. Die Umfrageergebnisse machen deutlich, dass strukturelle geschlechtsbedingte Benachteiligungen bei Stellenbesetzungen, Publikationsentscheidungen, oder beim Einwerben von Forschungsgeldern in der Volkswirtschaftslehre (VWL) bestehen. Diese Einschätzung deckt sich auch mit empirischen Befunden, dass Frauen von gemeinsam erstellten wissenschaftlichen Arbeiten weniger für ihre Karriere profitieren als ihre männlichen Ko-Autoren. Eine weitere Studie, die Onlinebeiträge in einem Forum zum ökonomischen Stellenmarkt auswertet, zeigt zudem, dass Forscherinnen verstärkt anhand ihres physischen Erscheinungsbilds und ihrer Persönlichkeit beurteilt und weniger auf akademischer und professioneller Ebene wahrgenommen werden.

Ähnlich wie in den MINT-Fächern sind in der Volkswirtschaftslehre deutlich mehr Männer als Frauen tätig. So besetzen Frauen zurzeit lediglich ein Drittel aller akademischen Stellen im Bereich VWL an europäischen Forschungseinrichtungen. Allerdings variiert der Frauenanteil erheblich von Land zu Land. Führend in puncto Gleichstellung sind Rumänien, Polen, Irland und Spanien mit Frauenanteilen zwischen 61 und 39 Prozent. Deutschland bildet mit einem Anteil von 24 Prozent zusammen mit Tschechien das Schlusslicht im europäischen Vergleich.

Akademische Spitzenpositionen sind dabei noch ungleicher verteilt. Im EU-Durchschnitt besetzen Frauen knapp ein Viertel der VWL-Professuren, in Deutschland sind es lediglich 18 Prozent. Im Bereich Makroökonomie und Finanzwissenschaften dürfte der Frauenanteil an den wissenschaftlichen Leitungspositionen noch geringer sein.  Vergleicht man dies mit dem Anteil der Bachelorabsolventinnen in Deutschland von rund 35 Prozent, fällt auf, dass der Frauenanteil entlang der wissenschaftlichen Karriereleiter stetig sinkt.

Ein höherer Anteil an Ökonominnen würde den Blickwinkel der VWL weiten

Der geringe Anteil von leitenden Wissenschaftlerinnen ist eine fachübergreifende Herausforderung. Aber welche Aspekte der Gleichstellung und Chancengleichheit spielen für die VWL eine besondere Rolle? Neben der strukturellen Benachteiligung von Frauen könnte zum Teil auch das Imageproblem der Volkswirtschaftslehre als Männerdomäne verbunden mit einer oft aggressiven Diskussionskultur diese sogenannte „undichte Pipeline“ und damit das sich verstärkende Mann-Frau-Gefälle über die Karrierestufen hinweg erklären. Jedoch gehen beide Aspekte Hand in Hand: Erst eine chancengerechte Volkswirtschafts­lehre wird mehr Frauen davon überzeugen, eine langfristige akademische Karriere im Fach anzustreben und die Kultur im Wissenschaftsbetrieb nachhaltig verändern.

Diese Chancengleichheit dient aber nicht nur dem Selbstzweck. Viel wichtiger ist der damit verbundene Nutzen für den wissenschaftlichen Output. Die Wirtschaftswissenschaften stehen vor der komplexen Aufgabe, Lösungsansätze für eine stabile wirtschaftliche Entwicklung und letztlich für nachhaltigen Wohlstand zu liefern. Dies kann nur durch eine Vielfalt an Perspektiven und durch die Nutzung des gesamten wissenschaftlichen Potenzials gelingen, so dass Diversität auch aus dieser Sicht eine entscheidende Rolle spielt. Da persönliche Interessen und Erfahrungen ausschlaggebend die eigene Forschungsagenda bestimmen, würde ein höherer Anteil an Ökonominnen den Blickwinkel des Faches weiten. Dies käme nicht nur Forschung und Lehre zugute, sondern würde auch zu neuen Perspektiven in der Politikberatung führen.

Erst eine chancengerechte VWL wird mehr Frauen davon überzeugen, eine langfristige akademische Karriere im Fach anzustreben und die Kultur im Wissenschaftsbetrieb nachhaltig verändern

Auch die wichtigsten wissenschaftlichen Ökonomenverbände, wie die amerikanische AEA oder die European Economic Association (EEA), haben dies schon vor einiger Zeit erkannt und sich die Frauenförderung auf die Fahnen geschrieben. In speziell eingerichteten Komitees oder Unterverbänden haben Ökonominnen die Möglichkeit, sich zu Karriereplanung, Publikationsstrategie und zum Einwerben von Forschungsgeldern weiterzubilden und zu vernetzen und so aktiv gegen die strukturelle Benachteiligung im Fach vorzugehen. Auch wenn diese Initiativen ein wichtiger Schritt in die richtige Richtung sind, fördern sie den für die wissenschaftliche Karriere so elementaren fachlichen Austausch nur am Rande. Bei solchen Förder-Veranstaltungen potenzielle Koautorinnen zu treffen oder die eigene Forschung zu diskutieren, ist eher schwierig.

Dass Fachkonferenzen, an denen ausschließlich Frauen teilnehmen, den Forschungsaustausch, die Vernetzung und die Sichtbarkeit der Ökonominnen aktiver unterstützen könnten, haben jüngst renommierte US-Universitäten wie die University of Chicago mit Erfolg getestet. So entstanden aus diesen Pilot-Veranstaltungen zum Teil regelmäßige Veranstaltungen.

Auch wir, vier Ökonominnen in unterschiedlichen Stufen der akademischen Laufbahn, sind davon überzeugt, dass die Förderung fachspezifischer Netzwerke ein wichtiger Faktor für die Chancengleichheit von Frauen in der VWL ist und die Wissenschaft perspektivisch voranbringen wird. Deshalb haben wir den ersten „Workshop for Women in Macroeconomics, Finance, and Economic History“ (WIMFEH) ins Leben gerufen. Am 17. und 18. Juni diskutierten rund 30 Ökonominnen ihre aktuelle Forschung am DIW Berlin und haben sich fachlich vernetzt. Vor allem die Keynote-Sprecherinnen Claudia M. Buch von der Deutschen Bundesbank, Nicola Fuchs-Schündeln von der Goethe-Universität Frankfurt und Raffaella Giacomini vom University College London machten den anwesenden Ökonominnen Mut, ihren eingeschlagenen Weg trotz aller Widrigkeiten in der Wissenschaftswelt konsequent weiterzuverfolgen. Aufgrund der großen Nachfrage soll der Workshop von nun an jährlich stattfinden. Mit dem WIMFEH möchten wir insbesondere den fachlichen Austausch zwischen Ökonominnen und ihre Sichtbarkeit stärken.

Damit gliedert sich die Veranstaltungsreihe in einige andere Initiativen für Frauen in der VWL ein. Die European Economic Association bietet Ökonominnen an, dem Unterverband „Women in Economics“ (EEA-WiE) beizutreten, der eine eigene jährliche Mentoring-Tagung mit Plenarvorträgen, aber auch kleinere Diskussionsrunden zu den Themen Publikationsprozesse, Karriereplanung, Netzwerken und dem Einwerben von Drittmittel organisiert. Ein „Mentoring-Workshop für Frauen“ und ein „Frauen-Netzwerk-Treffen“ finden auch im Rahmen der Jahrestagung des Vereins für Socialpolitik statt. Dessen Vorsitzende ist seit diesem Jahr Nicola Fuchs-Schündeln, die sich für Wissenschaftlerinnen stark macht und eine Arbeitsgruppe zur Förderung von Frauen in der Wirtschaftswissenschaft gegründet hat. Auch die Leibniz Gemeinschaft hat bereits einige Initiativen ergriffen, beispielsweise ein individuelles Mentoring-Programm für Wissenschaftlerinnen ihrer Institutionen.

Diese Initiativen tragen einen wichtigen Teil zur Vernetzung, Beratung und Sichtbarkeit von VWLerinnen bei und bestärken so vor allem den wissenschaftlichen Nachwuchs in der Ansicht, dass die VWL auch für Frauen vielfältige und interessante Karrieremöglichkeiten bietet. Damit dieses Land mehr Ökonominnen bekommt!

 

Zu den Autorinnen:

Kerstin Bernoth ist stellvertretende Abteilungsleiterin in der Abteilung Makroökonomie am DIW Berlin. Franziska Bremus, Geraldine Dany-Knedlik und Stephanie Ettmeier sind in der Abteilung Makroökonomie als wissenschaftliche Mitarbeiterinnen tätig.