Debattenmonitor Fachkräftemangel

In einer Makronom-Serie haben Forscherinnen und Forscher die diversen Aspekte des Fachkräftemangels aus verschiedenen Perspektiven betrachtet. Ein neuer Debattenmonitor bündelt diese und weitere Erkenntnisse zu einem der größten Probleme der deutschen Wirtschaftspolitik. Ein Beitrag von Susanne Erbe.

Die Zahl der Erwerbstätigen in Deutschland hat zuletzt Rekordstände erreicht, auch die Frauenerwerbsquote und die Beschäftigten über 60 Jahren haben deutlich zugenommen. Dennoch klagen die Unternehmen über einen Fachkräftemangel, der sich vor allem nach 2030, wenn die Babyboomer in Rente sind, zu einem gravierenden Problem auswachsen kann.

In einer Makronom-Serie haben Forscherinnen und Forscher die diversen Aspekte des Fachkräftemangels aus verschiedenen Perspektiven betrachtet. Hier eine Zusammenfassung der wichtigsten Erkenntnisse.

Holger Schäfer vom Institut der deutschen Wirtschaft stellte eine Prognose vor, nach der bis zum Jahr 2030 10 Millionen Arbeitskräfte fehlen werden. Diese Lücke könnte durch vier Maßnahmen gefüllt werden: durch Zuwanderung, eine höhere Erwerbsbeteiligung von Frauen und Rentnern, eine Ausweitung der durchschnittlichen Arbeitszeit und eine Erhöhung des Produktivitätswachstums. Letzteres hält Schäfer für sehr schwer beeinflussbar, vor allem kurzfristig.

Aber auch eine höhere Frauen- und Rentner-Erwerbsbeteiligung sei wohl kurzfristig kaum erreichbar, zumal im internationalen Vergleich die deutsche Erwerbsquote dieser Personengruppen mittlerweile Spitzenrang erreicht hat. Die Präferenzen der aktuell Vollzeit-Beschäftigten für eine kürzere Arbeitszeit lässt auch hier keine kurzfristige Lösung erwarten.

Schäfer setzt seine Hoffnung auf die Zuwanderung. Erforderlich wäre eine Nettozuwanderung von 400.000 Personen pro Jahr, die zwar im Durchschnitt der Jahre 2010 bis 2021 erreicht wurde, dies aber vor allem aufgrund der exorbitanten Zuwanderung 2015. Gemessen an den beruflichen Anforderungen an fehlende Arbeitskräfte hält er eine Anwerbung in Indien, den Philippinen und Indonesien für eine gute Strategie.

Ein Autorenteam um Johanna Garnitz vom ifo-Institut berichtet auf Basis der Ergebnisse der ifo-Konjunkturbefragung von Unternehmen, dass auch schon aktuell ein erheblicher Arbeitskräftemangel beklagt wird. So sahen sich im Januar 2023 44% der Unternehmen durch den Mangel an Fachkräften beeinträchtigt – vor allem Dienstleister und größere Betriebe. Durch die Zuwanderung aus dem europäischen Ausland lässt sich dieses Problem wohl nicht lösen, weil auch andere europäische Länder unter dem demografischen Wandel leiden.

Grundsätzlich erwarten die Unternehmen von der Politik, dass die Zuwanderung allgemein erleichtert wird, beispielsweise durch eine unbürokratische Anerkennung von Abschlüssen, was in der Fachkräftestrategie der Bundesregierung bereits vorgesehen ist. Selbst können die Unternehmen bestehendes Personal fort- und weiterbilden sowie Quereinsteiger*innen umschulen. Darüber hinaus sollen die Flexibilisierung der Arbeitszeit sowie die Zahlung höherer Gehälter das Arbeiten attraktiver machen. Um die Mobilität von potenziellen Arbeitskräften zu erhöhen, erwarten die Unternehmen von der Politik, dafür zu sorgen, dass auch in Ballungsräumen bezahlbare Wohnungen verfügbar werden. Als eine wesentliche Maßnahme wird die Ausweitung sowohl der betrieblichen als auch der schulischen Bildung angesehen.

Friedhelm Pfeiffer vom ZEW-Institut fragt sich, wie es sein kann, dass angesichts des Allzeithochs bei der Zahl der Erwerbstätigen und der Konstanz der realen mittleren Lohnstückkosten während der vergangenen elf Jahre, von einem Fachkräfteengpass gesprochen wird. Die Bundesagentur für Arbeit (BA) weist zwar eine große Zahl offener Stellen aus. Diese Kenngröße hält Pfeiffer aber für keinen guten Indikator für eine zunehmende Nachfrage nach Arbeitskräften, da ein Großteil der Einstellungen von den Unternehmen selbst organisiert wird, ohne die BA einzuschalten.

Pfeiffer sieht aber durchaus, dass es in Zukunft einen Wandel der Belegschaftsstrukturen geben wird und erklärt den Verhandlungsprozess bei der Lohnfindung als wesentlichen Faktor dafür, dass es Probleme bei der Einstellung von neuen Mitarbeitern geben könnte: Der Anspruchslohn der Arbeitsuchenden sei gestiegen, während der betrieblich Reservationslohn gesunken sei. Die Verhandlungsspielräume bei Neueinstellungen sind zurückgegangen. Der Politik empfiehlt er, „die Besteuerung der Erwerbstätigkeit zu verringern und Abschreibungsmöglichkeiten für Einstellungsinvestitionen zu verbessern“. Beide Maßnahmen könnten die Spielräume bei den Einstellungsverhandlungen wieder vergrößern und auch Fachkräfteengpässen entgegenwirken, so Pfeiffer.

Katharina Wrohlich vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) bezieht sich in ihrem Beitrag auf Maßnahmen, die die Beteiligung von Frauen am Arbeitsleben erhöhen können. Wie schon oben erwähnt gehört die Frauenerwerbsquote in Deutschland mittlerweile im internationalen Vergleich zu den höchsten. Dies ist nicht zuletzt dem seit 2005 deutlich angestiegenen Angebot an Kinderbetreuungsplätzen und dem Elterngeld, das 2007 eingeführt wurde, zu verdanken.

Wrohlich sieht aber trotz dieser Verbesserungen angesichts der sehr hohen Teilzeitquote bei Frauen noch erhebliches Potenzial für eine Erhöhung der Arbeitszeit. Neben dem weiteren Ausbau der Kita-Plätze und der Ausweitung der Elterngeld-Monate, die nur individuell von einem Partner genutzt werden können, hält sie eine Reform des Ehegattensplittings und die Abschaffung der Minijobs für wirkungsvolle Maßnahmen. Sie spricht sich für ein „Realsplitting“ aus, ein Besteuerungsverfahren, das derzeit bei Geschiedenen angewandt wird.

In einem Gespräch zum Fachkräftemangel benennt auch Simon Jäger vom Institut zur Zukunft der Arbeit (IZA) diese Maßnahmen zur besseren Arbeitsmarktpartizipation von Frauen: Ausweitung der Kinderbetreuungsangebote, Abschaffung des Ehegattenplittings und keine Begünstigung von Minijobs.

Tatsächlich ist ein Arbeitskräftemangel aber nicht generell festzustellen, vielmehr käme es durch Friktionen auf dem Arbeitsmarkt zu regionalen, qualifikatorischen und sektoralen Mismatches, so Jäger. Arbeitgeber können durch gute Arbeitsbedingungen und Löhne, aber auch durch Qualifizierungsmaßnahmen Engpässe abbauen. Arbeitnehmern fehlt bei der Suche nach neuen Jobs aber häufig ein Überblick über die Möglichkeiten. Hier müsste eine Entgelttransparenz zwischen Arbeitgebern geschaffen werden.

Steigende Reallöhne geben aus Jägers Sicht keinen Anlass zur Sorge vor einer Inflationsspirale, vielmehr führen sie zu strukturellen Änderungen, die die gesamtwirtschaftliche Effizienz erhöhen. Fachkräfte von außerhalb Europas anzuwerben, hält Jäger für eine Chance, kurzfristig die Engpässe zu beseitigen. Mit anderen IZA-WissenschaftlerInnen hat er einen Vorschlag formuliert, wie die Einwanderungsangebote verbessert werden könnten: Bisher seien die Verfahren zu kompliziert und die Anerkennung von Abschlüssen zu bürokratisch. Hier müsste es Erleichterungen geben. Sie schlagen aber vor, die befristete Arbeitserlaubnis für Drittstaatsangehörige an ein vorliegendes Ausbildungs- oder Arbeitsangebot in einem tarifgebundenen Unternehmen zu koppeln.

Fazit

Eins ist sicher: Der Fachkräftemangel wird noch auf längere Zeit zu den drängendsten Großbaustellen der deutschen Wirtschaftspolitik gehören, die einer Kombination aus verschiedenen Reparaturarbeiten bedarf. Doch wie beispielsweise die Debatte um die Notwendigkeit höherer Löhne zeigt, sind auch diese Einzelmaßnahmen und ihre Wirksamkeit alles andere als unumstritten.

Aus diesem Grund haben wir einen „Debattenmonitor Fachkräftemangel“ angelegt, der in bekannter Weise die wichtigsten Argumente gegenüber und in Beziehung zu einander stellt. Basis des Monitors sind die Beiträge unserer Serie, zudem haben wir zahlreiche Texte aus anderen Publikationen verwendet. Wie bei früheren Debattenmonitoren gilt auch im Fachkräftemangel-Monitor kein Anspruch auf Vollständigkeit: Wir werden in Zukunft weitere Argumente und Aspekte hinzufügen.

 

Zur Autorin:

Susanne Erbe ist Redakteurin beim Makronom. Bis Ende 2020 war sie stellvertretende Chefredakteurin der Zeitschrift Wirtschaftsdienst. Auf Twitter: @SusanneErbe