Um den Fachkräftemangel abzumildern, werden verschiedene politische Handlungsoptionen diskutiert. Neben der Migration von Fachkräften aus dem Ausland spielt die stärkere Mobilisierung der Erwerbspotentiale im Inland eine wichtige Rolle. Im Fokus steht dabei die Erhöhung der Arbeitszeit von Frauen. Denn im Schnitt arbeiten sie immer noch deutlich weniger als Männer. In diesem Beitrag werden einzelne politische Instrumente vorgestellt, mit denen das Ziel der Erhöhung des Arbeitsvolumens von Frauen erreicht werden könnte.
Entwicklung der Erwerbsbeteiligung von Frauen
Die Frauenerwerbsquote ist in den letzten 30 Jahren stark gestiegen. Mitte der 1990er Jahre betrug sie gut 55% – mittlerweile sind es 72%. Damit zählt sie im internationalen Vergleich zu den höchsten und ist nur noch 7 Prozentpunkte geringer als die Quote der Männer (79%).
Allerdings arbeiten etwa die Hälfte aller abhängig beschäftigten Frauen in Teilzeit – unter den Männern sind dies nur 12%. Der Teilzeitanteil ist in den letzten 30 Jahren dabei stetig gestiegen – Mitte der 1990er Jahre arbeiteten nur etwa ein Drittel aller abhängig Beschäftigten Frauen in Teilzeit.
Betrachtet man nur Frauen mit Kindern, sind diese beiden gegenläufigen Trends noch stärker sichtbar: Mütter mit Kindern unter zwölf Jahren haben in Deutschland eine im internationalen Vergleich überdurchschnittlich hohe Erwerbsquote von fast 75%. Jedoch ist in dieser Gruppe auch die Teilzeitquote überdurchschnittlich hoch – sie liegt bei 70%.
Parallel zur tatsächlichen Erwerbsbeteiligung und Erwerbsarbeitszeit von Müttern haben sich auch die sozialen Normen bzw. Einstellungen zur Erwerbstätigkeit von Müttern entwickelt. Standen insbesondere in Westdeutschland Mitte der 1990er Jahre etwa 60% der Befragten einer Erwerbsbeteiligung von Müttern im Allgemeinen ablehnend gegenüber, gibt es mittlerweile hohe Zustimmungswerte zur Erwerbstätigkeit von Müttern – im Allgemeinen. Schränkt man dies aber auf die Vollzeit-Erwerbstätigkeit von Müttern mit Kleinkindern ein, so sind die Zustimmungswerte dazu deutlich niedriger.
Wesentliche Reformen: Kita-Ausbau und Elterngeld
Die Entwicklungen der tatsächlichen Erwerbsquoten und der Arbeitszeit sowie der gesellschaftlichen Normen in den letzten zwei Jahrzehnten hängen mit zwei wesentlichen familienpolitischen Reformen dieser Zeit zusammen:
- Seit 2005 hat Deutschland – ausgehend von zumindest in Westdeutschland sehr niedrigem Niveau – das Angebot an Kinderbetreuungsplätzen stark ausgeweitet. Im Jahr 2002 standen in Westdeutschland nur 2,5 Tagesbetreuungsplätze für 100 Kinder in der Altersgruppe unter drei Jahren zur Verfügung. 20 Jahre später waren es bereits über 35%. Empirische Studien haben gezeigt, dass die Erwerbsquote von Müttern mit Kindern in dieser Altersgruppe aufgrund des Kita-Ausbaus tatsächlich gestiegen ist.
- Zweitens hat das Elterngeld, das 2007 eingeführt wurde, ebenfalls dazu beigetragen, dass die Erwerbsbeteiligung von Müttern ab dem ersten Geburtstags ihres Kindes gestiegen ist (Geyer, P. Haan, K. Wrohlich, 2015; J. Kluve, S. Schmitz, 2018; C. Fordermann, K. Wrohlich, A. Zucco, 2023). Eltern haben seitdem einen Anspruch auf eine Lohnersatzleistung in Höhe von 65% ihres Nettoerwerbseinkommens für maximal 14 Monate nach Geburt des Kindes, wobei zwei Monate jeweils individuell jedem Elternteil zustehen und nicht auf den anderen Elternteil übertragen werden können („Partnermonate“).
Die Familienpolitik der 2000er Jahre hat somit einige wichtige Weichen gestellt, die die Erwerbsquote von Frauen, insbesondere die von Müttern mit Kindern, erhöht hat. Hier sind aber die politischen Handlungsmöglichkeiten bei weitem noch nicht ausgeschöpft. Das Ausmaß des Kita-Ausbaus war zwar durchaus bemerkenswert, aber die Nachfrage nach Kindertagesbetreuung ist noch stärker gestiegen als das Angebot – daher gilt es, den Ausbau qualitativ hochwertiger Kinderbetreuungsplätze mit adäquaten Öffnungszeiten weiter voranzutreiben.
Auch das Elterngeld, mittlerweile bereits 16 Jahre alt, sollte weiterentwickelt werden. Die empirische Forschung zeigt, dass eine gleichmäßigere Aufteilung von Erwerbs- und Sorgearbeit während der Phase der Familiengründung dazu führt, dass viele geschlechtsspezifische Ungleichheiten am Arbeitsmarkt später geringer ausfallen. Beispielsweise hat eine aktuelle Studie des IAB gezeigt, dass Mütter schneller auf den Arbeitsmarkt zurückkehren, wenn ihre Ehepartner Elternzeit nehmen. Die Elemente des Elterngeldes, die die gleichmäßigere Aufteilung der Kinderbetreuung fördern, sollten daher ausgebaut werden. Beispielsweise könnten die zwei der 14 Partnermonate, die individuell jedem Elternteil zustehen und nicht übertragbar sind, sukzessive erhöht werden (Familienbericht des BMFSFJ, 2021).
Weitere Reformen erforderlich!
Neben diesen beiden familienpolitischen Instrumenten der Kinderbetreuung und des Elterngeldes gibt es weitere politische Handlungsfelder, in denen verschiedene Akteure seit Jahren Reformen anmahnen, die die Politik aber nach wie vor nicht angeht.
Das prominenteste Beispiel in diesem Zusammenhang ist das Ehegattensplitting. Bei der gemeinsamen Einkommensbesteuerung mit Ehegattensplitting haben Erst- und Zweitverdienende den gleichen Grenzsteuersatz. Da Frauen in Ehepaaren meist diejenigen sind, die pro Stunde weniger verdienen, werden sie mit einem höheren Grenzsteuersatz belastet als sie es unter Individualbesteuerung würden – Männer hingegen werden mit einem geringeren Grenzsteuersatz belastet. Verstärkt wird dieser Effekt durch die Lohnsteuer, wenn die Lohnsteuerklassen-Kombination III/V gewählt wird. Diese Lohnsteuerklassen-Kombination soll vermeiden, dass bei Paaren mit Alleinverdienenden oder Paaren mit deutlichen Lohnunterschieden übers Jahr laufend zu viel Lohnsteuerbeträge gezahlt werden. Wird das gemeinsame Haushalts-Netto-Einkommen maximiert, ist diese Wahl der Lohnsteuerklassen also sinnvoll. Das individuelle Netto-Einkommen der Zweitverdienenden mit der Lohnsteuerklasse V ist aber deutlich geringer als es in Lohnsteuerklasse I (für Unverheiratete) oder IV (für Verheiratete Partner mit ähnlich hohem Lohneinkommen) wäre. Es muss aber festgehalten werden, dass die Steuerklassenwahl die jährliche Besteuerung von Paaren nicht verändert, sondern nur die Liquiditätsverteilung innerhalb eines Jahres betrifft.
Die negativen Anreize des Ehegattensplittings für Zweitverdienende werden durch weitere Elemente des Steuer- und Transfersystems verstärkt. Das betrifft zum einen Minijobs, zum anderen die beitragsfreie Mitversicherung in der gesetzlichen Krankenversicherung für Ehepartner. Aufgrund der weitgehenden Steuer- und Abgabenfreiheit der Einkünfte aus Minijobs ist eine Ausweitung der Arbeitszeit über die Minijob-Grenze hinaus für viele Zweitverdienende (die einen Partner mit durchschnittlichem Erwerbseinkommen haben) mit einer Verringerung des Haushaltsnettoeinkommens verbunden. Erst bei einer Wochenarbeitszeit, die deutlich über der des Minijobs liegt, können sie das gleiche Nettoeinkommen wie mit einem Minijob erreichen. Diese negativen Arbeitsanreize werden durch die beitragsfreie Mitversicherung von Ehepartnern in der Gesetzlichen Krankenversicherung noch verstärkt.
Diese negativen Anreizwirkungen sind seit langem bekannt und empirisch in zahlreichen Studien untersucht und belegt (Überblick bei F. Lembcke, L. Nöh, M. Schwarz, 2021). Reformen in diesen Bereichen hätten das Potential, sowohl die Erwerbsbeteiligung als auch die durchschnittliche Arbeitszeit verheirateter Frauen zu erhöhen. Viele wirtschaftspolitische Akteure wie z.B. die EU-Kommission, die OECD, die Weltbank, aber auch der Sachverständigenrat-Wirtschaftund der wissenschaftliche Beirat im BMF haben sich zu Reformoptionen des Ehegattensplittings geäußert bzw. Reformen angemahnt.
Wie könnten solche Reformen im Einzelnen aussehen? Im Koalitionsvertrag haben sich die Parteien der Ampel-Koalition vorgenommen, die Lohnsteuerklassen-Kombination III/V abzuschaffen. Alle Ehepaare müssten dann Lohnsteuerklassen-Kombination IV/IV wählen. Was von so einer Reform zu erwarten ist, ist ex ante schwer zu beurteilen. Am Ehegattensplitting per se ändert diese Reform nichts, denn die Einkommensteuer bleibt davon zunächst unberührt. Wie sehr die Lohnsteuerklasse, die für abhängig Beschäftigte das monatliche Netto-Erwerbseinkommen bestimmt, eine wesentliche Einflussgröße bei der Arbeitsangebotsentscheidung ist, ist von vornherein schwer abzuschätzen.
Die zentrale empirische Frage ist, ob das Arbeitsangebot vom individuellen monatlichen Nettoeinkommen abhängt oder ob sich die EhepartnerInnen eher am gemeinsamen Netto-Jahreseinkommen orientieren, das über die Steuerklärung durch die Einkommensteuer bestimmt wird und von der Wahl der Lohnsteuerklassen unabhängig ist. Es ist plausibel anzunehmen, dass für manche Frauen nicht nur das gemeinsame Netto-Jahreseinkommen, sondern auch das individuelle Netto-Monatseinkommen eine Rolle spielt und sie daher ihr Arbeitsangebot etwas ausweiten werden.
Noch besser wäre allerdings, das Ehegattensplitting als solches zu reformieren, beispielsweise in Form eines Realsplittings mit Übertragungsbetrag in Höhe des Grundfreibetrags. In so einem System ist die steuerliche Freistellung des Existenzminimums beider EhepartnerInnen gegeben, die Arbeitsanreize für Zweitverdienende werden aber spürbar erhöht. Daher wäre eine solche Reform mit einer (moderaten) Erhöhung sowohl der Erwerbsquote als auch der wöchentlichen Arbeitszeit von Frauen verbunden (B. Fischer, S. Bach, P. Haan, K. Wrohlich, 2020).
Die positiven Arbeitsangebotseffekte einer Reform des Ehegattensplittings könnten mit einer zusätzlichen Abschaffung der Minijobs deutlich verstärkt werden. Für SchülerInnen, Studierende und RentnerInnen könnten Minijobs beibehalten werden. Es ist aber nicht verständlich, dass für Personen im Haupterwerbsalter eine niedrige wöchentliche Arbeitszeit in Form der geringfügigen Beschäftigung staatlicherseits gefördert werden sollte – und das in Zeiten des Arbeitskräftemangels (M. Blömer, P. Brandt, A. Peichl, 2021).
Eine höhere Arbeitszeit von Frauen könnte den Fachkräftemangel abmildern – sie würde außerdem die bestehenden Ungleichheiten zwischen Männern und Frauen am Arbeitsmarkt und bei der unbezahlten Sorgearbeit verkleinern. Politische Instrumente, um diese Ziele zu erreichen, sind seit Jahren bekannt. Die Politik muss den Kita-Ausbau und den Ausbau von Ganztagsschulen mit hochwertiger Betreuung weiter forcieren. Eine Reform des Elterngeldes könnte verhindern, dass sich eine ungleiche Aufteilung von Erwerbs- und Sorgearbeit schon zu Beginn der Familiengründung manifestiert. Zu den notwendigen Reformen gehört auch eine Reform des Ehegattensplittings, die seit Jahren überfällig ist. Und statt die Verdienstobergrenze für Minijobs zu erhöhen, wie es die Bundesregierung im vergangenen Jahr tat, sollten diese abgeschafft werden.
Zur Autorin:
Katharina Wrohlich ist Leiterin der Forschungsgruppe Gender Economics am DIW Berlin und Professorin für Öffentliche Finanzen, Gender- und Familienökonomie an der Universität Potsdam.