Eine Reihe von Studien des Forschungsinstituts für gesellschaftliche Weiterentwicklung (FGW) hat in den letzten dreieinhalb Jahren systematisch den Zustand der Ökonomik in Deutschland untersucht. Dabei wurde unter anderem folgenden Fragen nachgegangen: Welche Lehrbücher werden an deutschen Hochschulen verwendet? Wie plural sind sie? Wie sind Lehrstühle besetzt? Und was denkt eigentlich der wissenschaftliche Nachwuchs über sein Fach?
Die Ergebnisse dieser Studien werden in einer Beitragsserie im Makronom veröffentlicht. Insgesamt gibt es zwölf Beiträge, von denen pro Woche immer einer montags erscheinen wird. In dieser Woche stellen Christian Grimm und Stephan Pühringer die Ergebnisse einer Erhebung aller Universitätsprofessor*innen in Deutschland vor.
Wie ist es gegenwärtig um die Vielfalt der deutschen VWL-Professor*innenschaft bestellt? Um diese Frage zu beantworten, haben wir eine Vollerhebung aller Universitätsprofessor*innen vorgenommen, die im Untersuchungszeitraum (Januar bis April 2016) an einem volkwirtschaftlichen Department in Deutschland tätig waren. Dies sind insgesamt 568 Personen. Mittels einer empirischen Analyse haben wir rund 20 verschiedene Variablen (z. B. Geschlecht, akademisches Alter, Forschungsinteressen, paradigmatische Zuordnung, wirtschaftspolitische Einflussnahme, etc.) ermittelt. Im Folgenden stellen wir die wichtigsten fünf Befunde unserer Analyse vor.
Befund 1: Männliche Dominanz
Führungspositionen werden in nahezu allen Berufsgruppen, auch im Bereich der Wissenschaft, nach wie vor mehrheitlich von Männern gehalten. Führende Frauen sind in der VWL oftmals nur eine Randerscheinung, was sich u. a. daran zeigt, dass es in der bald 50-jährigen Geschichte des Alfred-Nobel-Gedächtnispreises für Wirtschaftswissenschaften mit Elinor Ostrom (2009) bislang nur eine Preisträgerin gibt. Wie etwa Victoria Bateman argumentiert, hat diese Schieflage auch negativen Einfluss auf die Qualität der ökonomischen Forschung.
Die Untersuchung des Geschlechterverhältnisses in unserer Analyse ergab, dass der Anteil von Professorinnen in Deutschland gegenwärtig bei nur 13,4% liegt. Teilt man die Professorinnen abhängig von ihrem Promotionsjahr in verschiedene Altersgruppen ein, so ist aber immerhin ein stetig anwachsender Prozentsatz von Professorinnen erkennbar. In der jüngsten Gruppe (Promotion zwischen 2006 und 2012) beträgt dieser etwa 20%.
Befund 2: Mikro statt Makro
Die Ökonomik – so der Vorwurf mancher Kritiker*innen – orientiert sich zu sehr an mikroökonomischer Forschung, also an der Analyse des Verhaltens einzelner Akteure, anstelle sich stärker mit ganzheitlichen Zusammenhängen zu befassen. Dies sei ein Grund, warum die Finanz- und Wirtschaftskrise nur unzureichend erkannt wurde.
Für die Zuordnung der Professor*innen zu einem volkswirtschaftlichen Teilgebiet wurden ihre selbstangegebenen Forschungsinteressen gesammelt und ausgewertet. Die Forschungslandschaft offenbart eine starke mikroökonomische Ausrichtung, der rund die Hälfte der Professor*innen zugeordnet werden konnte. Im Gegensatz dazu ist nur etwa jede fünfte Person als Makroökonom*in einzustufen.
Befund 3: Paradigmatische Konzentration
Der mitunter wohl am häufigsten genannte Kritikpunkt an der Ökonomik adressiert ihre paradigmatische Zusammensetzung, konkret die Vormachtstellung eines neoklassisch geprägten Mainstreams und die Vernachlässigung alternativer, heterodoxer Forschungsansätze. Andere wiederum sehen diese Kritik als Fehldarstellung, da die VWL seit der Krise vielschichtiger geworden sei.
Der paradigmatischen Klassifizierung liegt eine Auswertung der Journalpublikationen sowie der selbstangegebenen Forschungsinteressen zugrunde. Personen, die sich schwerpunktmäßig an heterodoxen, wissenschaftlichen Diskursen beteiligen, sind stark marginalisiert (3%) und hauptsächlich an kleineren VWL-Instituten (z. B. Bremen, Darmstadt) tätig. Im Gegensatz dazu stammt die große Mehrheit der Professor*innen, die fast ausschließlich in Mainstream-orientierten Journalen publizieren (75,8%), von den großen, renommierten Universitäten. Dazwischen gibt es eine kleine Gruppe von Ökonom*innen („Pluraler Mainstream“), die sowohl an Mainstream-Diskursen als auch in heterodoxen Forschungszusammenhängen partizipiert (5,4%). Schlussendlich wurde eine Gruppe von Ökonom*innen (das sogenannte „Colander´s Edge“) identifiziert, die eine größere innere Vielfalt der Mainstreamökonomik abbildet (15,7%), wobei die Erweiterungen v. a. die beiden Felder Verhaltens- und Experimentelle Ökonomie betreffen.
Befund 4: Geringer Krisenbezug in der Forschung
Die Finanz- und Wirtschaftskrise des letzten Jahrzehnts hat die optimistische Einschätzung, dass die ökonomische Disziplin gelernt hätte, Wirtschaftskrisen zu vermeiden (z. B. Robert Lucas auf der AEA-Tagung 2003) grundlegend infrage gestellt. Im Gegenteil, die prägnante Frage Queen Elisabeths – „Why did no one see this coming?“ – brachte die ökonomische Disziplin in eine selten gesehene Erklärungsnot.
In diesem Kontext lag unser Fokus auf der Frage, wie groß der Anteil der Professor*innen ist, die sich im Rahmen ihrer Forschungstätigkeit im Nachgang mit Krisen beschäftigt haben. Die Festsetzung eines Bezugs erfolgte mittels Schlagwörtern in den Publikationstiteln. In Summe konnte bei knapp jeder/m Fünften ein Krisenbezug identifiziert werden. Es gibt jedoch große Unterschiede im Hinblick auf die zugrundeliegende Teilgebiets- oder paradigmatische Orientierung: Beispielweise haben Professor*innen aus dem Gebiet der Makroökonomie einen achtmal so hohen Krisenbezug wie Mikroökonom*innen; innerhalb der heterodoxen Forschungsgemeinschaft ist er wiederum dreimal höher als im Durchschnitt des Mainstreams.
Befund 5: Ungleiche wirtschaftspolitische Einflussnahme
Mit einem weiteren Indikator wurde das außeruniversitäre Wirkungsspektrum der Professor*innen auf drei Ebenen erfasst: „policy support“ (öffentlich finanzierte Wirtschaftsforschungsinstitute), „policy engagement“ (Think Tanks, Organisationen und Petitionen mit einer ideologischen Ausrichtung), „policy advice“ (institutionalisierte Politikberatung: Sachverständigenrat, Bundesministerien für Finanzen bzw. Wirtschaft und Energie). Die erste dieser Kategorien zielt auf „klassische“ wirtschaftspolitische Auftrags- und Beratungstätigkeiten, die zweite fokussiert auf politischen Aktivismus, während die dritte Kategorie die direkte Beteiligung am politischen Prozess erfasst.
Die quantitativ bedeutendsten Institutionen auf der Ebene des policy supports sind das CESifo München, das IZA Bonn sowie das Centre for Economic Policy Research. Im Vergleich zur Grundgesamtheit ist der Anteil heterodoxer Professor*innen, die eine wissenschaftlich zuarbeitende Tätigkeit ausüben, nur etwa halb so groß. Auf der Ebene des policy engagement konnten deutlich stärkere Verbindungen der untersuchten Professor*innen zu neoliberalen/ordliberalen Think Tanks (z.B. Initiative neue soziale Marktwirtschaft, Kronberger Kreis) festgestellt werden als zu „keynesianischen/interventionistischen“ Think Tanks (z. B. Keynes-Gesellschaft).
In den institutionalisierten Beratungsaktivitäten sind ausschließlich Professor*innen vertreten, die dem Mainstream oder dem erweiterten Kreis (Colander´s Edge) angehören. Innerhalb dieser Gruppe nimmt wiederum der Ordoliberalismus eine zentrale Stellung ein: Rund 40% der im Bereich des „policy advice“ tätigen Professor*innen weisen einen Bezug zu ordoliberalen Ideen auf. Diese Ausprägung ist nicht nur deshalb von Interesse, weil der Ordoliberalismus ein Spezifikum der deutschen VWL darstellt, sondern auch, weil der Anteil mit 40% wesentlich höher ist als in der Grundgesamtheit, wo der entsprechende Wert bei etwa 8% liegt.
Fazit
Die deutsche VWL ist – zumindest was die Ebene der Lehrstuhlinhaber*innen betrifft – in vielen Bereichen von einer mangelnden Vielfalt gekennzeichnet. Neben dem geringen Frauenanteil fällt insbesondere die Marginalisierung heterodoxer Ansätze ins Auge. Gleichwohl konnten innerhalb der Heterodoxie verschiedene Ansätze identifiziert und den Professor*innen zugeordnet werden (v. a. Postkeynesianismus und Evolutionäre Ökonomie). Das Problem der gegenwärtigen Struktur der VWL ist daher nicht ein Mangel an unterschiedlichen Theorien per se, sondern eine unzureichende Präsenz heterodoxer Ansätze an den Universitäten. Weiterentwicklungen, vor allem in den beiden zusammenhängenden Feldern Verhaltens- und Experimentelle Ökonomie, sind jedoch als Entwicklungsschritt anzuerkennen.
Die fehlende Offenheit zeigt sich noch stärker auf der wirtschaftspolitischen Ebene, wo mit zunehmender Institutionalisierung Professor*innen, die offen für alternative/heterodoxe Theorieansätze sind, ausgeschlossen werden. Im Gegenzug konnte gerade in dieser Gruppe ein starker Bezug zu ordoliberalen Ideen identifiziert werden.
Um dieser mangelnden Gleichberechtigung entgegenzuwirken, ist aus unserer Sicht insbesondere eine verstärkte universitäre Institutionalisierung heterodoxer und pluraler Ökonom*innen unabdingbar. Die Schaffung derartiger Lehrstühle würde nicht nur eine breitere Forschungs- und Lehrausrichtung mit sich bringen, sondern letztendlich auch zu mehr Vielfalt in den politischen Beratungsgremien beitragen.
Zu den Autoren:
Christian Grimm arbeitet als wissenschaftlicher Mitarbeiter (Prae-Doc) am Institut für die Gesamtanalyse der Wirtschaft (ICAE) an der Johannes Kepler Universität Linz. Seine Forschungsschwerpunkte umfassen Ökonomik als Wissenschaftsdisziplin sowie politische und ökonomische Ideengeschichte.
Stephan Pühringer ist Post-doc Researcher am Institut für die Gesamtanalyse der Wirtschaft (ICAE) an der Johannes Kepler Universität Linz. Er interessiert sich insbesondere für Politische Ökonomie, Sozioökonomie, die diskursive Wirkmächtigkeit der Ökonomie sowie die Ideengeschichte neoliberalen und ordoliberalen Denkens.
Hinweis:
Eine Übersicht aller bisher veröffentlichten Beiträge finden Sie hier.