In den vergangenen Wochen haben viele Ökonomen ihre Wachstumsprognosen für die Eurozone leicht angehoben. Dies bestätigt die Tendenz, die wir seit Monaten im Auftragseingang für deutsche Investitionsgüter (Maschinen, Ausrüstung, Geräte usw.) aus dem Rest des Euroraums ablesen können. Und noch scheint Europas Aufschwung nicht vorbei, wobei es auch skeptischere Stimmen gibt: So überschreibt beispielsweise Frederik Ducrozet von Pictet Wealth Management seinen Ausblick mit „Besser geht’s nicht“.
Der IWF fasst den Tenor vieler Ausblicke so zusammen: Wir erleben gerade den breitesten synchronisierten Aufschwung der Weltwirtschaft seit einem Jahrzehnt. Kein Wunder also, dass zuletzt die deutschen, die Schweizer und die österreichischen Exportfirmen wahrscheinlich bis in den Sommer hinein wichtige Stützen ihrer Volkswirtschaft waren. Selbst in Deutschland sind die Investitionen seit Beginn des Jahres wieder gestiegen, nachdem sie zur Jahreswende noch auf der Kippe standen.
Wie wir im State of Swing-Blog (z.B. hier) schon öfter gesehen haben, lehrt uns die Erfahrung: Einen Aufschwung können wir immer daran erkennen, dass die Investitionen sich schneller beschleunigen als die Konsumausgaben eines Landes, ob uns das nun aus ideologischen Gründen passt oder nicht. Daran ändert auch nichts, dass gerade die Schweiz, Deutschland und Österreich oft wichtige Impulse aus dem Außenhandel bekommen – am Ende läuft es immer darauf hinaus, dass die Unternehmen verstärkt investieren und neue Jobs schaffen.
Daher ist es so wichtig, dass wir vor allem die Produktion von Investitionsgütern beobachten, die für den Inlandsmarkt bestimmt sind. Für Deutschland dürfte es ab dem dem Herbst spannend werden, vielleicht auch schon im Sommer. Der ifo-Geschäftsklimaindex, Deutschlands prominentester Konjunkturindikator, ist auch im Juli wieder auf ein neues Rekordhoch geklettert – wie allerdings schon an anderer Stelle gezeigt, sollte man den ifo-Index aber weniger anhand seines Niveaus, sondern vielmehr hinsichtlich seiner Veränderungsraten bewerten (dazu weiter unten mehr). Der folgende Chart verdeutlicht dies:
Für Deutschland kann man sich – die richtige Interpretation vorausgesetzt – also durchaus auf den ifo-Index stützen. In anderen Ländern haben es die Konjunkturauguren deutlich schwerer. Ein spannendes Beispiel dafür ist die Schweiz.
Leider veröffentlichen die Statistiker in der Schweiz die Industriedaten noch immer stark verzögert. Aktuell liegen der Auftragseingang, die Produktionsdaten und die Umsatzzahlen gerade einmal bis März vor, die nächste Aktualisierung folgt Ende August – immerhin dann auch gleich für die Monate April bis Juni. Neubestellungen aus dem Inland werden derzeit aber gar nicht ausgewiesen, außer vom Verband der Maschinen-, Elektro- und Metallindustrie (bei der Notenbank SNB abrufbar).
Wohl oder übel müssen wir uns für die Schweiz also noch stärker auf Umfragen und Vorlaufindikatoren verlassen als in Deutschland. Allgemein gilt in der Schweiz das Barometer der Konjunkturforschungsstelle KOF der ETH Zürich als wichtigster Gradmesser für den Verlauf des Wirtschaftsgeschehens. Es basiert auf rund 200 Indikatoren, die jedes Jahr angepasst werden. Wenn wir aber die sehr simple Korrelationsfunktion von Excel zurate ziehen, erkennen wir, dass das KOF-Konjunkturbarometer doch eher miserable Ergebnisse liefert.
Umfragen besser als Sammelindikatoren
Wie sehr wir das KOF-Konjunkturbarometer drehen und wenden mögen (Mehrmonatsdurchschnitte, Wachstumsraten, Verschiebungen auf Zeitachse nach vorne), es liefert einfach keinen guten Gleichlauf – weder mit den Investitionen noch mit dem Bruttoinlandsprodukt der Schweiz. Zum Teil zeigt es sogar gegenläufige Tendenzen (also negative Korrelationen) an. Viel besser schneidet da schon der Einkaufsmanagerindex ab, der wie der deutsche ifo-Index auf Umfragen beruht.
Wer sucht, der findet bei den Forschern von der KOF allerdings einen schönen Indikator, der zumindest seit 2009 einfache und sehr gute Zusammenhänge liefert. Und zwar dann, wenn wir nicht das viel beachtete Konjunkturbarometer anschauen, sondern den Geschäftslageindikator, der ebenfalls auf Befragungen beruht. Verantwortlich für diesen Indikator ist übrigens Klaus Abberger, der jahrelang die Umfrageabteilung im Münchner ifo-Institut geleitet hat. Und auf der ifo-Webseite finden wir auch die Formel, mit der sich Umfragesalden (positive minus negative Antworten) in einen Index umwandeln lassen.
Der wahre ifo-Index für die Schweiz
Und wenn wir das getan haben, werden wir feststellen, dass sich zumindest seit 2009 (was natürlich kein langer Zeitraum für seriöse Kaffeesatzleserei ist) hinter dem KOF-Geschäftslageindex der wahre ifo-Index für die Schweiz versteckt. Wie bereits erwähnt liefern uns die reinen Stimmungsindikatoren derzeit viel zu optimistische Ergebnisse. Das dürfte an der Länge des Konjunkturzyklus liegen – der in der Schweiz durch den Frankenschock zwar heftig, aber nur kurz unterbrochen wurde.
Dieses Dilemma, dass harte und weiche Konjunkturdaten so stark auseinanderdriften, habe ich in der Grafik oben zur ifo-Geschäftslage so zu lösen versucht: Statt des absoluten Niveaus, das derzeit von Rekord zu Rekord schreitet, sehen wir dort die Veränderungen, also das Wachstum – und darauf kommt es schließlich auch in der Wirtschaft an. Für Deutschland zeigt dies bis zuletzt doch recht realistische Ergebnisse. Und in der Schweiz sieht das wie folgt aus, wobei ich hier die Inlandsbestellungen um ein Quartal nach vorne verschoben habe:
Um zu erkennen, in welche Richtung es mit den Investitionen in der Schweiz geht, scheint die KOF-Geschäftslage also wunderbare Ergebnisse zu liefern. Wichtig ist aber, dass wir uns die Bestellungen aus dem Inland anschauen, denn die Schweizer Maschinen-, Elektro- und Metallindustrie exportiert Quartal für Quartal zwischen 75 und 80% ihrer Produktion. Die gesamten Investitionsgüterbestellungen liefern daher kein gutes Bild von der Binnenkonjunktur der Schweiz, sondern wohl eher von der Exportdynamik.
Im Prinzip sagen uns die Neubestellungen aus dem Inland aber nur, wie die KOF-Geschäftslage ein Quartal später ausfallen wird (denn ich habe die Neubestellungen um ein Quartal nach vorne verschoben, und Excel hat dabei die beste Korrelation gemessen). So können wir mit der KOF-Geschäftslage also nicht so gut in die Zukunft schauen wie in Deutschland, wo wir zumindest eine Grundtendenz für die jeweils nächsten drei Monate erahnen können.
Gleichwohl kommt dem Indikator eine wichtige Funktion zu. Lange bevor das Staatssekretariat für Wirtschaft (Seco) die Zahlen zum Schweizer Bruttoinlandsprodukt veröffentlicht, zeigt uns die KOF-Geschäftslage zumindest die Tendenz oft richtig an. Allerdings auch nicht immer perfekt, aber immerhin besser als der Schweizer Einkaufsmanagerindex und das KOF-Konjunkturbarometer. Der folgende Chart lässt für diesen kurzen Zeitraum einen starken Gleichlauf erkennen:
Am Ende habe ich angenommen, dass die Schweizer Wirtschaftsleistung im zweiten Quartal zum Vorquartal relativ stark, nämlich um 0,8%, gewachsen ist. Allerdings würde sich das dann auch nur minimal in der Jahresrate ausdrücken. Grund dafür sind aber vor allem die schwächeren Zuwachsraten in den Vorquartalen – nicht das Frühjahrsquartal. Jedenfalls sind mehr als 2% Wachstum auf Jahressicht im zweiten Quartal so ziemlich außer Reichweite.
Kurios wird es, wenn wir uns nicht die Quartalswerte anschauen, sondern jeweils immer die Durchschnitte der vorangegangenen vier Quartale (z.B. vom dritten Quartal 2016 bis zum zweiten Quartal 2017). Dann erkennen wir zwar eine noch stärkere Korrelation zwischen beiden Zeitreihen, aber auch mit 0,8% Quartalswachstum im vergangenen Frühjahr würde die Jahresrate sogar sinken. Das heißt: wenn die Volkswirte ihre Schweiz-Prognosen für dieses Jahr senken, hat dies weniger mit aktuellen Konjunkturtendenzen zu tun, sondern vor allem mit Nachwirkungen längst vergangener Quartale.
Die Kaffeesatzleserei bleibt in der Schweiz also weiterhin schwierig. Gleichwohl denke ich, dass die KOF-Geschäftslage derzeit das beste Konjunkturbarometer für das Land ist. Wir werden sie hier im Blog jedenfalls künftig sehr genau beobachten. Zumindest signalisiert sie derzeit ein starkes zweites Quartal. Ob der Aufschwung im Sommer angehalten hat, werden wir allerdings erst mit den künftigen Werten des KOF-Geschäftslageindikators erkennen können. Die KOF sollte auf jeden Fall mehr PR für diesen Indikator machen.
Zum Autor:
André Kühnlenz ist Redakteur bei der Finanz und Wirtschaft. Außerdem bloggt er auf weitwinkelsubjektiv.com.
Hinweis:
Dieser Beitrag ist ebenfalls im The State of Swing-Blog der Finanz und Wirtschaft erschienen. In Kooperation mit der FuW veröffentlichen wir die Blog-Beiträge auch im Makronom.