Es wird oft behauptet, die Geldpolitik der EZB habe „nichts gebracht“. Diese Kritik ignoriert aber, in welcher Situation sich Mario Draghi und Co. in den letzten Jahren befunden haben. Denn die Zentralbank musste erst einmal wieder ihre Grundfunktionen wiederbeleben – was ihr auch gelungen ist.
Einer der am häufigsten geäußerten Vorwürfe gegen Mario Draghi und die EZB lautet, dass ihre Geldpolitik „nichts bringen“ bzw. „mehr Schaden als Nutzen“ anrichten würde. Die Inflation sei trotz der massiven geldpolitischen Maßnahmen immer noch nicht spürbar gestiegen und von einem kräftigen Aufschwung könne in der Eurozone auch nicht die Rede sein.
Diese Argumente sind aber viel zu pauschal: Die Eurozone ist sicherlich nach wie vor keine Boom-Region, aber die Arbeitslosigkeit ist seit einiger Zeit immerhin rückläufig und das Wachstum konstant. Außerdem hat es die EZB geschafft, mit ihrem QE-Programm die Inflationserwartungen, die für die Geldpolitik mindestens genauso wichtig wie die aktuelle Inflationsrate sind, etwas nach oben zu schieben.
Den aber mit Abstand wichtigsten Erfolg der EZB-Geldpolitik zeigt der folgende Chart:
Die Grafik zeigt die Korrelation zwischen den Übernacht-Zinsen am Interbankenmarkt und den Zinsen, die die Banken für neue Unternehmenskredite verlangten. Es wird unterschieden zwischen den Peripherie-Staaten (rote Kurve) und den Euro-„Kern“-Staaten (blaue Kurve). Je höher die Kurven, desto stärker ist die Korrelation zwischen dem kurzfristigen und dem langfristigen Zins.*
Zwischen 2012 und 2014 gab es in den Peripheriestaaten so gut wie keine Korrelation. In dieser Zeit muss sich Mario Draghi wie ein Autofahrer gefühlt haben, dessen Gefährt einfach nicht reagiert, egal wie stark er das Gaspedal durchdrückt: Die dringend benötigten stimulierenden Maßnahmen kamen in der Peripherie nicht an – der sogenannte „Transmissionsmechanismus“, die Übertragung der von der EZB gesteuerten kurzfristigen Zinsen auf die makroökonomisch wichtigeren langfristigen Marktzinsen, war gestört. Die im Chart dargestellten Korrelationen sind also so etwas wie ein Gradmesser für die Funktionsfähigkeit der Geldpolitik.
Und seit Mitte 2014 ist es der EZB gelungen, diese Funktionsfähigkeit schrittweise wiederherzustellen. Der entscheidende Wendepunkt war die Einführung des negativen Einlagesatzes und die Bereitstellung „gezielter langfristiger Refinanzierungsoperationen“ (TLTROs) im Juni 2014, mit denen sich die Banken billige Zentralbankgelder für die Bereitstellung von Krediten an die Realwirtschaft leihen können.
Vor allem die Peripherie hat profitiert
Diese Maßnahmen nützten wie auch später das QE-Programm überdurchschnittlich stark den Banken in der Peripherie, die ihre Finanzierungskosten senken und ihre mit schwachen Wertpapieren und faulen Krediten gefüllten Bilanzen dank der steigenden Vermögenswertpreise etwas stärken konnten. Das half den Peripherie-Banken dabei, ihre Kreditvergabe an die Realwirtschaft wieder auszuweiten (oder zumindest weniger stark zurückzufahren) und die billige Zentralbankliquidität an Unternehmen und Privathaushalte weiterzureichen, wie der kleinere Chart in der linken unteren Ecke zeigt – der EZB-Transmissionsmechanismus war wiederhergestellt.
Man sollte nicht unerwähnt lassen, dass die Banken in den Kern-Ländern vor allem die Kehrseite der Medaille – nämlich die schrumpfende Marge zwischen kurzfristigen Einlagezinsen und langfristigen Kreditzinsen – zu spüren bekamen (eine tiefergehende Analyse dazu finden Sie hier). Es ist sicherlich auch richtig, dass eine ultralockere Geldpolitik gefährliche Nebenwirkungen haben kann (Druck auf die Altersvorsorge, Gefahr von Finanzmarktblasen) und in ihrer Wirkung beeinträchtigt wird, wenn die Fiskalpolitik nicht mitspielt.
Allerdings muss man bei der Bewertung der EZB-Geldpolitik die Situation der Jahre 2012 bis 2014 unbedingt berücksichtigen. Denn Draghi und Co. haben Negativzinsen, TLTROs und QE-Programm nicht eingeführt, weil sie sonst gerade nichts anderes zu tun hatten. Vielmehr ging es für die Zentralbanker darum, sich selbst aus dem geldpolitischen Koma zu holen und wieder in eine Position zu kommen, von der aus die Geldpolitik überhaupt wieder eine gewisse Wirkung entfalten konnte. Und das ist ihnen glücklicherweise gelungen.
Die Bezeichnung QE-Programm (Quantitative Easing) ist nicht die offizielle Bezeichnung des Programms der EZB, sondern bezeichnet lediglich eine geldpolitische Methode, bei der die Zentralbank Schuldtitel kauft, um das Niveau der Marktzinsen nach unten zu drücken. Das QE-Programm heißt im offiziellen EZB-Sprachgebrauch Programm zum Ankauf von Vermögenswerten (Asset Purchase Programme, APP) und wurde Anfang 2015 beschlossen. Das APP bestand zunächst aus drei Einzelprogrammen zum Ankauf
gedeckter Schuldverschreibungen (CBPP 3, Start Oktober 2014),
forderungsbesicherter Wertpapiere (ABSPP, Start November 2014) und
von Wertpapieren des öffentlichen Sektors (PSPP, Start März 2015).
Im Juni 2016 kam das Programm zum Ankauf von Wertpapieren des Unternehmenssektors (CSPP) hinzu.
Eine genauere Beschreibung der einzelnen Programme finden Sie am Ende dieses Beitrags.
Die EZB hat für die einzelnen Programme keine konkreten Kaufvolumina, sondern lediglich monatliche Zielmarken für das gesamte APP festgelegt.
März 2015 bis März 2016: 60 Milliarden Euro
April 2016 bis März 2017: 80 Milliarden Euro
April 2017 bis Dezember 2017: 60 Milliarden Euro
Januar 2018 bis September 2018: 30 Milliarden Euro
Was kauft die EZB genau?
Der Blick auf die pro Monat aufgekauften Wertpapiere zeigt, dass die EZB durchaus die Zusammensetzung ihrer Käufe variiert hat und im Rahmen der einzelnen Programme unterschiedlich aktiv war. Auch lag das monatliche Kaufvolumen nicht immer präzise bei den angekündigten 60 bzw. 80 Milliarden Euro – allerdings hat die EZB während der jeweiligen Phasen im Durchschnitt doch ziemlich exakt das angekündigte Volumen gekauft.
Die unterschiedliche Gewichtung der Unterprogramme wird im folgenden Chart noch etwas deutlicher. Dieser zeigt, wie hoch der Anteil der jeweiligen Programme während der einzelnen Monate seit Start des APP im März 2015 war. Daraus wird ersichtlich, dass die EZB den Anteil der gekauften Staatsanleihen zuletzt wieder etwas reduziert hat (von in der Spitze über 90% auf zuletzt etwa 80%).
Worauf es zu achten gilt: Konkrete Umsetzung und Reinvestitionen fälliger Anleihen
In den kommenden Monaten gilt es also vor allem zu beobachten, wie die EZB die angekündigte Reduzierung ihres Aufkaufvolumens konkret umsetzt, weil sich dies auf die betroffenen Marktsegmente unterschiedlich auswirken wird. So hat die EZB wie oben gezeigt seit Start ihrer Aufkaufprogramme demonstriert, dass sie in der Lage und gewillt ist, die angekündigten Kaufvolumina auch tatsächlich umzusetzen. Das heißt, dass die gesamten APP-Bestände in ihrer Bilanz ungefähr dem im folgenden Chart skizzierten Verlauf (rote gestrichelte Linie) folgen und Ende September 2018 ein Gesamtvolumen von ca. 2,6 Billionen Euro erreichen dürften – die Frage ist eben lediglich, durch welche Wertpapiere die große weiße Lücke im Chart konkret gefüllt wird.
Es muss auch berücksichtigt werden, dass das APP noch lange über sein eigentliches Ende hinaus Wirkung entfalten wird. So hat die EZB bereits im Dezember 2015 angekündigt, die Einkünfte aus bis zur Fälligkeit gehaltenen Anleihen wieder zu reinvestieren und dieses Versprechen auf der Oktober-Ratssitzung noch einmal erneuert und präzisiert. Sollte also beispielsweise eine deutsche Staatsanleihe 2019 fällig und die EZB vom deutschen Staat ausbezahlt werden, wird sie – Stand heute – dieses Geld für den erneuten Erwerb einer (deutschen) Staatsanleihe nutzen. Ihre Bestände an Staatsanleihen werden sich somit nicht zwangsläufig verringern und ihre Präsenz auf den Märkten auch nicht sehr viel kleiner werden – sie schafft nur kein neues Geld, um Staatsanleihen zu erwerben.
QE-Käufe nach Ländern
Die EZB hat beim Start des PSPP (also des Staatsanleihen-Programms) angekündigt, dass sich das Kaufvolumen am Kapitalschlüssel der beteiligten Länder orientieren soll. Jedoch ist die EZB von diesem Ziel deutlich abgewichen: Sie hat mehr Staatsanleihen der großen Eurostaaten gekauft, als dies eigentlich nach dem Kapitalschlüssel angemessen gewesen wäre. So machen beispielsweise deutsche Staatsanleihen mittlerweile knapp 27% des aufgekauften Staatsanleihen-Portfolios aus, obwohl der deutsche Kapitalschlüssel nur bei knapp 18% liegt.
Diese „Bevorzugung“ der großen Staaten könnte unter anderem darauf zurückzuführen sein, dass es bei den kleineren Ländern schlicht nicht genug Anleihen gibt, damit die EZB ihr angepeiltes Kaufvolumen erreichen kann. Es wird sich zeigen, ob die EZB somit ihr Kaufverhalten ändern wird, wenn sie nur noch eine kleinere Summe an Staatsanleihen aufkaufen muss.
Bilanzsumme
Die im Rahmen des QE-Programms getätigten Käufe machen inzwischen fast die Hälfte der insgesamt knapp 4,4 Billionen Euro großen EZB-Bilanz aus. Wenn die EZB die Summe der monatlichen Anleihekäufe ab Januar senkt, ist in der kurzen Frist zu erwarten ist, dass sich die EZB-Bilanz zunächst etwas langsamer ausweiten wird. Um die tatsächliche expansive Wirkung der Geldpolitik zu beurteilen ist es aber auch notwendig zu beobachten, wie sich die übrigen Posten der Bilanz verändern, was aus heutiger Sicht aber nicht abschätzbar ist.
Glossar: Die Programme im Detail
Das erste Programm zum Ankauf gedeckter Schuldverschreibungen (Covered Bond Purchase Programme, CBPP) wurde bereits 2009 von der EZB beschlossen, um nach der Finanzkrise den Markt für diese Papiere (z. B. Pfandbriefe) zu stabilisieren und Refinanzierungsproblemen der Banken entgegenzuwirken. Innerhalb eines Jahres wurden Wertpapiere im Gesamtvolumen von 60 Milliarden Euro angekauft. Ein zweites CBPP mit folgte dann von November 2011 bis Oktober 2012. Das aktuell laufende dritte CBPP wurde im Oktober 2014 verabschiedet.
Das Programm zum Ankauf forderungsbesicherter Wertpapiere (Asset Backed Securities Purchase Programme, ABSPP) wurde im September 2014 in Verbindung mit dem Programm zum Ankauf gedeckter Schuldverschreibungen (CBPP 3) beschlossen. Dabei werden ABS-Papiere am Primär- und Sekundärmarkt aufgekauft.
Im Rahmen des Programms zum Ankauf von Wertpapieren des öffentlichen Sektors (Public Sector Purchase Programme, PSPP) werden seit März 2015 Wertpapiere des öffentlichen Sektors wie Staatsanleihen sowie Schuldtitel europäischer Institutionen und Agenturen gekauft. Für die Ankäufe im Rahmen des PSPP gibt es detaillierte Regeln. So dürfen Staatsanleihen beispielsweise wegen des Verbots der monetären Staatsfinanzierung nur am Sekundärmarkt erworben werden. Es dürfen nur Papiere mit einer Laufzeit von mehr als einem Jahr aufgekauft werden. Zudem will die EZB nicht mehr als 33% aller auf den Sekundärmärkten befindlichen Papiere aufkaufen.
Mit dem Programm zum Ankauf von Wertpapieren des Unternehmenssektors (Corporate Sector Purchase Programme, CSPP) werden seit Juni 2016 auch Anleihen von Unternehmen in der Eurozone erworben. Ausgeschlossen sind Kreditinstitute und Unternehmen, deren Anleihen von den Ratingagenturen nicht mindestens als „Investment Grade“ bewertet werden. Die Anleihen müssen Laufzeiten zwischen sechs Monaten und 30 Jahren haben und können sowohl am Primärmarkt als auch am Sekundärmarkt gekauft werden.