Es ist in diesen Tagen bestimmt kein Spaß, US-Republikaner zu sein. Die Grand Old Party hat eine Mehrheit in beiden Kammern des Kongresses und stellt den Präsidenten. Trotzdem will ihr nichts gelingen. Und das liegt nur vordergründig an dem schwer zu kontrollierenden Twitter-Troll im Weißen Haus. Wie ungeschickt die Parteiführung vorgeht, lässt sich an den am Donnerstag vorgelegten Plänen für eine Steuerreform ablesen.
Der nun publizierte Entwurf ist schon die dritte Version einer möglichen Steuerreform, obwohl der Gesetzgebungsprozess noch gar nicht angefangen hat. Im Sommer 2016 hatten der Sprecher der Republikaner im US-Repräsentantenhaus, Paul Ryan, und der Vorsitzende des Finanzausschusses, Kevin Brady, eine radikale Vision eines Steuersystems präsentiert, die aber offensichtlich mehr dem Marketing konservativer Ideen diente als einen ernstzunehmenden Plan darzustellen – schließlich rechnete zu diesem Zeitpunkt auch bei den Republikanern niemand ernsthaft damit, dass sich Trump tatsächlich gegen Hillary Clinton durchsetzen werden könnte.
Im Frühjahr 2017, unter dem tweet-befeuerten Erwartungsdruck, die „größte Reform aller Zeiten“ zu schaffen, legten Finanzminister Steven Mnuchin und Wirtschaftsberater Gary Cohn ihre Pläne vor. Die visionären Aspekte, etwa der Umbau des Steuersystems in Richtung einer Bestimmungslandorientierung, waren entfernt, die Steuersatzsenkungen – gerade für die oberen Einkommen – hingegen noch einmal vergrößert worden. Drängende Fragen, allen voran jene nach der Gegenfinanzierung, blieben unbeantwortet. In Kürze, spätestens aber im Sommer, so hieß es damals, werde man detaillierte Pläne vorlegen. Dass es nun doch bis Anfang November gedauert hat, ist nicht überraschend, denn durch ihr desaströses Erwartungsmanagement sehen sich Republikaner und Präsident mittlerweile kaum zu erfüllenden Ansprüchen ausgesetzt.
Die Reform muss die größte aller Zeiten werden, mindestens aber mit der Reagan’schen Reform von 1986 vergleichbar sein: Sie soll alle Amerikaner entlasten, aber nicht die Reichen. Sie muss die Einnahmeausfälle auf 1.500 Milliarden US-Dollar beschränken, weil den Demokraten im Kongress sonst ein effektives Vetorecht zuwachsen würde. Die Reform soll fundamental, aber möglichst bis Weihnachten verabschiedet sein – schließlich soll sie das erste erfolgreiche legislative Projekt der Trump-Administration werden.
Die wichtigsten Eckpunkte der Steuerreform
Was also ist im nun angekündigten „Tax Cuts and Jobs Act“ geplant? Das Steuersystem soll einfacher werden, die Zahl der Steuerklassen („tax brackets“) von sieben auf vier sinken. Die Freibeträge sollen stark angehoben, sogar verdoppelt werden, sodass ein gemeinsam veranlagtes Ehepaar erst ab einem Jahreseinkommen von 24.000 US-Dollar Steuern zahlen würde. Die Alternative Minimum Tax sowie die Estate Tax (eine Erbschaftsteuer auf große Vermögen) werden abgeschafft. Die Belastung von inhabergeführten Unternehmen, sogenannter „pass-throughs“, soll stark abgesenkt werden.
Anders als noch im Frühjahr vorgesehen verbleibt der Spitzensteuersatz bei 39,6% (ab einem Einkommen von 500.000 US-Dollar für Einzelpersonen bzw. 1 Million für Paare). Dies löst pro forma das Versprechen ein, dass die Reichen nicht entlastet werden. Dass dies durch die Erhöhung der Freibeträge natürlich nicht stimmt und viele Reiche (wie auch Trump selbst und die größten Teile seiner Regierungsmannschaft) durch die Abschaffung der Alternative Minimum Tax und der Estate Tax sowie der Absenkung der Steuer auf Pass-Throughs sogar enorm profitieren, wird zu diesem Zeitpunkt wohl niemanden mehr überraschen. Aus diesem Grund ist es auch fraglich, ob dieser Schritt die mittlerweile stark gesunkene Zustimmung der Amerikaner zu den Steuerplänen zurückholen kann.
Unstrittiger Kern der Reform ist eine Senkung der Körperschaftsteuer von 35 auf 20%. Wie die folgende Abbildung zeigt, haben die USA momentan zumindest formal von allen Industrienationen den höchsten Unternehmenssteuersatz und würden sich durch die abrupte Absenkung quasi über Nacht im unteren Drittel einsortieren. Dieser Schritt allein wird Schockwellen um den Globus senden, die aller Voraussicht nach zu einer neuen Runde von Steuersenkungen in der Unternehmensbesteuerung führen werden. Auch für die designierten deutschen Jamaika-Koalitionäre ist der Steuersenkungsspielraum damit enger geworden.
Die Gegenfinanzierung
Im Unterschied zu den Ankündigungen im April werden nun auch konkrete Gegenfinanzierungsmaßnahmen genannt. Und die haben es in sich. Der Steuersatz auf Einkommen zwischen 200.000 und 400.000 US-Dollar soll von 33 auf 35% steigen – ein Affront gegen die republikanische Philosophie der „tax cuts across the board“. Die Absetzbarkeit von Kreditkosten für das eigene Haus soll auf Kredite bis 500.000 US-Dollar beschränkt werden – schon warnt der amerikanische Maklerverband vor einem dramatischen Absturz der Immobilienpreise, eine kaum verhohlene Anspielung auf das Platzen der Hauspreisblase vor zehn Jahren. Auf ungute Art aussagekräftig ist auch die Abschaffung der Absetzbarkeit von Medikamenten, die Aufschluss darüber zulässt, welch geringen Stellenwert die Opioid-Krise für die republikanische Kongressmehrheit hat.
Einen Beitrag sollen auch die US-Multis wie Apple und Google leisten, die zurzeit Hunderte Milliarden US-Dollar im Ausland parken, um sie vor der bei Repatriierung fälligen US-Steuer zu schützen. Wie schon lange angekündigt soll das Unternehmensteuersystem auf ein Territorialsystem umgestellt, d.h. Gewinne nur noch dann besteuert werden, wenn sie innerhalb des US-Staatsgebiets entstanden sind. Die bislang im Ausland angesammelten Gewinne sollen, sofern sie nicht wieder reinvestiert wurden, mit einer Einmalsteuer von 12% belastet werden – und zwar unabhängig davon, ob sie repatriiert werden oder nicht. Im Reformentwurf werden dadurch mehr als 220 Milliarden US-Dollar an Mehreinnahmen erwartet. Dementsprechend hoch wird der Widerstand der US-Unternehmen gegen diesen Teil der Reform sein.
Die Umstellung auf das Territorialsystem impliziert, dass US-Steuern künftig umgangen werden könnten, wenn die Gewinne außerhalb des amerikanischen Staatsgebiets verbucht werden. Die Entwurfsautoren sind sich dessen bewusst und planen daher eine radikale Schutzmaßnahme, die enormes Konfliktpotenzial birgt. Geplant ist eine 20%ige Steuer auf alle Zahlungen an verbundene Unternehmensteile im Ausland:
„Under the provision, payments (other than interest) made by a U.S. corporation to a related foreign corporation (…) would be subject to a 20 percent excise tax (…)“ (Tax Cuts and Jobs Act, Sec. 4303)
Sofern diese Steuer nicht abzugsfähig ist, wäre eine solche Regelung steuerlich äquivalent zu einer Verweigerung der Abzugsfähigkeit von Zahlungen innerhalb des Unternehmens. Damit würde eine zentrale Regel des international geltenden Quellensteuerprinzips verletzt. Diese sieht vor, dass über interne Verrechnungspreise der Gewinn auf die einzelnen Standorte eines Konzerns verteilt wird. Durch die Abzugsfähigkeit an einem Standort und die Hinzurechnung am anderen Standort wird sichergestellt, dass der Gewinn nur einmal verbucht wird.
Eine effektive Verweigerung der Abzugsfähigkeit verletzt dieses Prinzip und führt damit faktisch zu einer doppelten Verbuchung und in der Folge zu einer doppelten Besteuerung. Da die „excise tax“ zunächst nicht die Verrechnung mit den am ausländischen Standort entstehenden Kosten vorsieht, kommt es sogar zu einer noch stärkeren Belastung, und das selbst dann, wenn betriebswirtschaftlich gar keine Gewinne entstanden sind.
Weil die US-Steuer unabhängig von der Gewinnaufteilung anfällt, gibt es starke Anreize für das Unternehmen, einen möglichst großen Teil seines Einkommens in den USA zu verbuchen, d.h. die Zahlungen an die verbundenen Unternehmen im Ausland möglichst kleinzuhalten. Die Steuer eliminiert also nicht die Anreize zur Gewinnverschiebung, sie dreht nur ihre Richtung: Gewinnverschiebung würde künftig also nur noch ausländische Steuern vermeiden helfen, unabhängig von deren Höhe, und zwar dann, wenn die Gewinne in die USA verschoben werden.
Deutsche Autobauer hätten also ein Interesse daran, unternehmensinterne Verkäufe an ihre US-Tochterunternehmen möglichst gering zu bepreisen, was die Bemessungsgrundlage in Deutschland und damit das deutsche Körperschaftsteueraufkommen verringern würde. In diesem Aspekt ähnelt die Steuer dem Grenzsteuerausgleich, der im ursprünglichen Steuerkonzept der Republikaner aus dem Sommer 2016 zu finden war, ohne jedoch auch nur in Ansätzen die resultierenden Verzerrungen des internationalen Handels in den Blick zu nehmen.
Der Entwurf deutet Ausnahmen an, u.a. für Transaktionen mit einem Gesamtwert von unter 100 Millionen US-Dollar, und auch die Möglichkeit, im Ausland anfallende Kosten gegenzurechnen. In welcher Form und in welchem Umfang dies möglich ist, ist jedoch offen. Unerwähnt bleibt auch, dass die Kostenverrechnung zumindest mit den in Europa geltenden Steuerregeln unvereinbar ist. Und auch die Tatsache, dass im Gegenzug in die USA überwiesene Zahlungen selbstverständlich Teil der amerikanischen Bemessungsgrundlage wären, das System also inhärent asymmetrisch wäre, wird ignoriert.
Es scheint sogar möglich, dass die amerikanischen Unternehmen selbst erhebliche Nachteile erleiden würden. Denn die Zahlungen für Vorprodukte, die beispielsweise in mexikanischen Tochterunternehmen produziert werden, wären ebenfalls nicht mehr abzugsfähig. Dies impliziert höhere Kosten und geringere Wettbewerbsfähigkeit beispielsweise gegenüber Unternehmen, die ihre Vorprodukte von unverbundenen Unternehmen beziehen. Es kann also nicht verwundern, dass sich auch in den USA erster Widerstand regt. Und der kommt augenscheinlich nicht ganz unerwartet. Der Finanzausschuss-Vorsitzende Kevin Brady wird jedenfalls mit den Worten zitiert, die Sondersteuer auf Importe zwischen verbundenen Unternehmen sei „one of the areas we invite the most feedback in“.
„Excise Tax“ gegen Ausgleichsteuer?
Wie bei allen bisherigen Projekten der Trump-Administration gilt: Es ist zum jetzigen Zeitpunkt noch vollkommen unklar, welche Aspekte der Reform es tatsächlich in das finale Gesetzespaket schaffen. In Berlin und Brüssel sollte man sich nichtsdestotrotz für einen längeren Konflikt mit den USA wappnen. Dabei könnte es sich im Nachhinein noch als glücklich erweisen, dass die Finanzminister Frankreichs, Italiens, Spaniens und Deutschlands Mitte September einen Vorstoß für die Erhebung einer – ebenfalls regelwidrigen – Ausgleichsteuer auf die Umsätze von US-Tech-Unternehmen unternommen haben. Dieses Instrument könnte man im Tausch auf einen Verzicht der Amerikaner auf die oben beschriebene „excise tax“ opfern und somit möglicherweise schwere Verwerfungen im globalen Steuersystem verhindern.
Denn von einer Aushöhlung internationaler Steuerprinzipien kann langfristig kein Land profitieren. Doch kampflos werden die Amerikaner nicht von dieser Steuer lassen. Die von ihr erwarteten Mehreinnahmen belaufen sich auf über 150 Milliarden US-Dollar, also etwa ein Zehntel der insgesamt prognostizierten Einnahmeausfälle. Fällt die Steuer weg, müsste woanders gekürzt oder versprochene Steuersenkungen widerrufen werden. Beides kann die ohnehin prekäre politische Unterstützung für die Reform endgültig zusammenbrechen lassen – es macht wirklich keinen Spaß, in diesen Tagen US-Republikaner zu sein.
Zum Autor:
Johannes Becker ist Direktor des Instituts für Finanzwissenschaft der Universität Münster. Auf Twitter: @YohannesBecker