Am vergangenen Mittwoch traten US-Finanzminister Steven Mnuchin und Trumps oberster Wirtschaftsberater Gary Cohn in Washington vor die Presse, um die Steuerpläne des US-Präsidenten zu präsentieren. Mit einer Mischung aus Irritation und Verwunderung empfingen die versammelten Medienvertreter eine einzige DIN-A4-Seite mit in Bulletpoints angeordneten Schlagworten – wie die Financial Times schrieb, „more a mechanism for signalling the direction the administration wants to take rather than a detailed set of proposals“. Zudem ist der Entwurf nicht nur extrem vage und unvollständig, sondern auch so ehrgeizig, dass mit Sicherheit angenommen werden kann, dass der Gesetzgebungsprozess viele Änderungen mit sich bringen wird.
Man kann also zurecht die Frage stellen, ob eine Beschäftigung mit dem Steuerentwurf in diesem Frühstadium lohnt – gerade wenn man berücksichtigt, was aus anderen Trump’schen Ankündigungen geworden ist. Doch die aus den Reihen der Demokraten als „Wunschliste“ geschmähten Ankündigungen sind genau in dieser Eigenschaft interessant: Sie lassen sich als Trumps Idealvorstellung interpretieren.
Am Ende von langen Verhandlungen mit Interessengruppen und Kongressabgeordeten wird es einen Kompromiss geben (wenn die Reform nicht völlig scheitert), doch die am Mittwoch präsentierte Liste ist das, was sich der Präsident von der Reform erhofft, also seine Prioritäten. In diesem Zusammenhang ist auch interessant, was im Vergleich zu früheren Äußerungen Trumps nicht mehr auf der Liste auftaucht – für diese Aspekte werden der Präsident und seine Gefolgsleute wohl auch in Zukunft kein politisches Kapital aufwenden wollen, um sie durchzusetzen.
Von den ursprünglichen Plänen ist kaum etwas übriggeblieben
Während des Wahlkampfs warb das Trump-Team mit der Ankündigung, die Steuern zu senken und die Mittelschicht zu entlasten. Gleichzeitig sollten die amerikanischen Staatsschulden vollständig abgebaut werden (in einem berühmten Interview kündigte Trump an, er werde das in nur acht Jahren schaffen). Eine clevere Umstellung der Bemessungsgrundlage (von der Quellenbesteuerung auf die sogenannte destination-based corporate cash flow tax) sollte zudem die Möglichkeiten der Steuervermeidung drastisch einschränken.
Zudem versprachen sich einige Vertreter aus dem Trump-Lager, dass die damit einhergehende Border Tax, also die Besteuerung von Importen und die Freistellung von Exporten, das Handelsdefizit reduzieren würde – wenngleich dies aus theoretischer Sicht nicht unbedingt zu erwarten ist. Die Einführung von Sofortabschreibungen für Investitionsgüter (in Verbindung mit der Streichung der Absetzbarkeit von Fremdkapitalzinsen) sollte die steuerliche Bevorteilung von Fremdkapital beenden und die Normalverzinsung des Kapitals steuerfrei stellen.
Entlastung, Schuldenabbau, Bekämpfung der Steuervermeidung, Reduktion des Handelsdefizits, Finanzierungsneutralität – von all diesen Zielen ist nur die Entlastung übriggeblieben. Und diese soll für Unternehmen noch üppiger ausfallen als zunächst angenommen. Der Steuersatz (der Körperschaftsteuer auf Bundesebene) soll von heute 35% auf 15% (ursprünglich angekündigt waren 20%) sinken. Die damit einhergehenden Aufkommensverluste sind dramatisch und machen einen Schuldenabbau unmöglich, zumindest wenn es keine plausible Gegenfinanzierung gibt – die tatsächlich weit und breit nicht in Sicht ist: Die Border Tax ist nicht mehr im Programm, die Umstellung von weltweiter auf territoriale Besteuerung wird hingegen tendenziell zu einer Ausweitung des Handelsdefizits führen. Zur Gleichbehandlung von Fremd- und Eigenkapital findet sich nichts in den Plänen.
Die Pläne lassen also erkennen, welche Ziele der Präsident als vorrangig anerkennt und welche er für vernachlässigbar hält. Auch innerhalb der geplanten Entlastungen lassen sich Schwerpunkte erkennen: Unternehmen werden, wie oben erwähnt, stärker entlastet als zunächst angekündigt. Zudem sollen eigentümergeführte Unternehmen zukünftig von dem niedrigen Körperschaftsteuersatz profitieren können, was vor allem reichen Individuen (wie Trump) nutzen würde, ebenso wie die geplante Abschaffung der ObamaCare-Steuer. Hingegen wurde die ursprünglich angekündigte Vervierfachung des Freibetrags in der Einkommensteuer auf eine Verdoppelung reduziert – die Entlastung, von der anteilsmäßig vor allem Geringverdiener profitieren würden, fällt also geringer aus.
Die Ungleichheit in den USA dürfte sich weiter erhöhen
Überhaupt scheint die Bekämpfung der Ungleichheit für Trump kein zentrales Thema zu sein. Zwar bekräftigte Finanzminister Mnuchin ein ums andere Mal, dass es sich um eine Steuerreform für die Mittelklasse handelt und nicht für die Reichen („There will be no absolute tax cut for the upper class“). Die angekündigten Maßnahmen stellen dies aber in Zweifel und enttäuschen aufs Neue all diejenigen, die sich erhofft haben, dass Trump seiner auf die weiße Mittelschicht gerichteten Kampagne Taten folgen lassen würde. „The rich will pay their fair share“ übersetzt der Präsident zur Zeit mit der Abschaffung der Mindestbesteuerung und der Erbschaftsteuer sowie der Möglichkeit, die persönliche Einkommensteuer zu umgehen, indem man ein Unternehmen gründet. All dies wird der Ungleichverteilung der Nettoeinkommen in den USA weiteren Vorschub leisten.
Auch das nach Wachstum und Entlastung dritte Ziel der Steuerreform, nämlich die Vereinfachung des Steuerrechts, wird voraussichtlich weit verfehlt. Zwar sollen aus sieben Einkommensintervallen (income brackets) drei werden und einige Abzugsmöglichkeiten wegfallen, doch Details fehlen bislang. Zudem sollen wesentliche Abzugsmöglichkeiten (für Hypothekenzinsen, Spenden etc.) bestehen bleiben. Dass Unternehmenseigner ihr Einkommen unter der Körperschaftsteuer versteuern können, erschafft zudem eine attraktive Steuervermeidungsmöglichkeit, die umfangreiche Detailregelungen erfordern wird, wenn es nicht zu einer Welle an Unternehmensneugründungen kommen soll, die einzig und allein der Steuervermeidung dienen.
Die Folgen für Europa
Aus europäischer Sicht ist vor allem die Ankündigung von Bedeutung, das Steuersystem in den USA von Welteinkommens- auf Territorialbesteuerung umzustellen. Bislang sind die weltweiten Einkommen von US-Unternehmen in den USA zu versteuern, nicht nur – wie in Europa üblich – das Einkommen, das auf dem eigenen Territorium erzielt wurde. Weil die US-Besteuerung ausländischer Einkommen erst fällig wird, wenn das Einkommen in die USA (beispielsweise als Dividende) zurücküberwiesen wird, haben US-Unternehmen in vielen Fällen die Rücküberweisung in den USA vermieden und teilweise riesige Auslandsvermögen angehäuft.
Dieses bislang unversteuerte Einkommen soll nun durch eine – vermutlich kleine – einmalige Pauschalsteuer belastet werden. Zukünftig muss dann im Ausland erzieltes Einkommen nicht mehr in den USA versteuert werden. Damit entfällt nicht nur die Notwendigkeit, Einkommen im Ausland zu parken. Es werden auch all jene Steuervermeidungsmodelle hinfällig, mit denen bislang Einkommen ohne zusätzliche Besteuerung repatriiert werden konnte. Es ist zu erwarten, dass es damit zu substanziellen Umstrukturierungen in US-Unternehmen im Ausland kommen wird. Gerade für diejenigen europäischen Staaten, die bislang als Standort legaler Vermeidungsvehikel dienten, wie beispielsweise Irland, könnte die Reform erhebliche Konsequenzen haben.
Dass die Trump-Administration die Idee der Border Adjustment Tax im Rahmen einer destination-based corporate cash flow tax offenbar ad acta gelegt hat, ist aus europäischer Sicht zwiespältig zu bewerten. Erfreulich ist, dass die EU nun nicht in einen Handelskrieg mit den USA gezogen wird; zumindest nicht auf diese Weise, denn das Thema Zölle scheint für Trump noch immer aktuell zu sein. Bedauerlich hingegen ist, dass es nun nicht zu einem Pilotversuch zur Anwendung dieses (zumindest aus theoretischer Sicht) brillanten Konzepts kommt. Denn bei globaler Anwendung bietet ein solches System die Chance, den Steuervermeidungspraktiken von internationalen Großkonzernen dauerhaft einen Riegel vorzuschieben und den Steuerwettbewerb effektiv auszuschalten (eine ausführliche Analyse dazu finden Sie hier).
Ist die Reform umsetzbar? Da in nahezu allen Bereichen Steuersätze gekürzt werden, gibt es auf den ersten Blick nur Gewinner, was freilich die verschiedenen Lobbygruppen nicht davon abhalten wird, ihren Anteil des Kuchens vergrößern zu wollen. Weil aber die Reform ein riesiges Loch in den amerikanischen Haushalt reißen wird, werden vor allem diejenigen zu den Verlierern gehören, die auf einen starken Staat angewiesen sind.
Die ersten Kürzungen, die die Trump-Administration bei der Vorstellung ihrer Haushaltspläne im März ankündigte, deuten sehr stark daraufhin, dass es vor allem sozial Schwache und Minderheiten (sowie Wissenschaft und Kultur) sind, die mit weiteren negativen Konsequenzen rechnen müssen. Weil die Reform von ObamaCare vorläufig gescheitert ist und auf eine Besteuerung von Importen mittels einer Border Tax verzichtet werden soll, ist die Finanzierung der Steuerreform tatsächlich nahezu unmöglich.
Das Committee for a Responsible Federal Budget schätzt, dass die Reform über zehn Jahre 5.500 Milliarden Euro kostet. Zwar soll das Stopfen von Schlupflöchern hier entgegenwirken, aber selbst Finanzminister Mnuchin scheint nicht zu erwarten, dass das Programm aufkommensneutral sein wird. Dann aber ist die Reform aufgrund einer besonderen Gesetzgebungsregel automatisch auf zehn Jahre befristet – oder auf einen überparteilichen Konsens angewiesen, der in der jetzigen Situation aber illusorisch ist. Mnuchin hat dieses Problem übrigens mit den Worten kommentiert: „If we have them for 10 years that is better than nothing.“
Fazit
Ein erstes (und aufgrund der Knappheit der Ankündigungen notwendigerweise vorläufiges) Fazit fällt also enttäuschend aus. Die Reformpläne zielen stumpf auf eine Entlastung der amerikanischen Steuerzahler und legen besonderen Fokus auf eine Steuersenkung für reiche Individuen, die als Unternehmer tätig sind. Sie verzichten in ihrer aktuellen Form auf weitergehende Änderungen im steuerlichen Anreizsystem.
Das in der Präambel genannte vorrangige Ziel Wachstum kann auf diese Weise also nur auf zwei Arten erreicht werden: über einen keynesianischen Nachfrageimpuls und über die Verbesserung der Leistungsanreize von Individuen. Ersteres ist kaum zu erwarten, weil die amerikanische Zentralbank jeden fiskalischen Impuls vermutlich über Zinserhöhungen konterkarieren würde (und die relative Umverteilung von unten nach oben die aggregierte Konsumneigung tendenziell verringert).
Die Frage, ob steuerliche Leistungsanreize für wohlhabende Individuen Wachstum erzeugen, ist vielfach untersucht und empirisch widerlegt worden (anders gesagt: Hedgefonds-Manager leiden zurzeit nicht an zu geringen finanziellen Anreizen). Wenn überhaupt bräuchte es finanzielle Anreize für diejenigen, die sich im Verlauf der Finanzkrise in die Erwerbslosigkeit (häufig in die attestierte Arbeitsunfähigkeit) verabschiedet haben. Doch hier bietet die Reform kaum Ansätze. Die Erwartung, dass Steuersenkungen für die Reichen Wachstum erzeugt, erinnert an die Reagan-Ära und das falsche Versprechen der Laffer-Kurve (Steuersenkungen finanzieren sich selbst, weil sie zu einer Erhöhung der besteuerbaren Einkommen führen). Die empirische Literatur ist zu dieser Frage eindeutig: Solche Erwartungen haben sich in der Vergangenheit immer als trügerisch erwiesen.
So ist es schwer, gegen diejenigen zu argumentieren, die behaupten, Trump und seine Leute würden die „once-in-a-generation opportunity to do something really big” (Gary Cohn am Mittwoch) vor allem als Chance verstehen, sich selbst steuerlich zu entlasten. In der Tat werden Trump und seine Familie, nach allem was bekannt ist, zu den größten Gewinnern dieser Reform gehören.
Cohn hat vermutlich Recht, dass Trump nur einen Schuss frei hat. Die anstehende Steuerreform bietet also eine Chance, die die vorliegenden Pläne, wenn sie umgesetzt werden, aber fahrlässig ungenutzt lassen. Sie lösen keines der drängenden Probleme der USA, sondern bauen ganz auf die überholte Hoffnung aus den frühen 80er Jahren, dass Steuersenkungen für die Reichen das ganze Land wohlhabender machen.
Zum Autor:
Johannes Becker ist Direktor des Instituts für Finanzwissenschaft der Universität Münster und Co-Autor des Buches „Der Odysseus-Komplex – ein pragmatischer Vorschlag zur Lösung der Eurokrise“.