Das Internet ist nicht zu fassen. Es sprengt etablierte Märkte auseinander und untergräbt das Informationsmonopol autoritärer Staaten genau wie den Datenschutz in Demokratien. Es hat eine Reihe starker und schneller Unternehmen hervorgebracht, die nicht nur hochinnovativ und hochprofitabel sind, sondern sich erfolgreich dem Zugriff der Besteuerung entziehen – Angela Merkels Satz vom „Neuland“ ist vielerorts belächelt worden, aber aus steuerpolitischer Sicht eher eine Untertreibung: Das System der internationalen Besteuerung ist auf die Industriegiganten des 20. Jahrhunderts ausgerichtet, nicht auf das Hipster-Tech-Business der digitalen Ära.
Der Steuerstaat und das World Wide Web
Während das Internet vollständig globalisiert ist, verharrt die Besteuerung in nationalen Grenzen. Der Nationalstaat hält stur an seinem souveränen Recht der Steuererhebung fest, obwohl ihm im zunehmenden Maße die Mittel fehlen, dieses Recht auch durchzusetzen. Dies offenbart sich vor allem in der Unternehmensbesteuerung, wo fast überall auf der Welt das Prinzip der Quellenbesteuerung gilt. Im Wesentlichen heißt das, dass Gewinne verbucht und besteuert werden sollen, wo sie erzeugt werden, d.h. dort wo Produktion und Wertschöpfung verortet sind. Dieses Prinzip ist schon interpretationsanfällig, wenn Produktion der Betrieb von Maschinen, Arbeitern in Blaumann und großen Fabrikhallen heißt. Doch bei Unternehmen der digitalen Ökonomie zerrinnt das Quellenprinzip wie Sand in den Händen am Strand einer Steueroase.
Nach anfänglichen Schwierigkeiten haben die Internetunternehmen mittlerweile den Dreh raus, aus dem Datenfluss Gewinne zu schöpfen – und zwar in riesigem Ausmaß. Auf den ersten fünf Plätzen der Unternehmen mit den weltweit höchsten Börsenbewertungen stehen vier Tech-Unternehmen: Apple, Alphabet (Google), Microsoft und Amazon. Auf Platz 6 steht Facebook. Dass diese Unternehmen in den europäischen Staaten omnipräsent sind, aber kaum Steuern zahlen, macht die Finanzminister der Mitgliedstaaten nervös. Eine Reihe von EU-Staaten haben unilaterale Versuche unternommen, eine sogenannte „Google-Steuer“ einzuführen – meist erfolglos. Zuletzt haben französische Gerichte einen unter dem damaligen Präsident Hollande begonnenen Versuch gestoppt, Googles Gewinne in Frankreich zu besteuern.
Dem zunehmenden politischen Druck nachgebend, endlich Erfolge vorzuweisen, hat der französische Finanzminister Bruno Le Maire am 16. September beim inoffiziellen Treffen des ECOFIN-Rates in Tallinn die Einführung einer sogenannten Ausgleichsteuer (equalization tax) auf Unternehmen der digitalen Ökonomie vorgeschlagen. Die Steuer soll den Umsatz derjenigen Unternehmen belasten, die sich bislang der Unternehmensbesteuerung in Europa entziehen können, weil sie über keine physische Präsenz in der EU verfügen. Der Vorschlag ist mittlerweile von neun seiner Kollegen unterzeichnet worden, darunter die Finanzminister Deutschlands, Italiens und Spaniens.
Einige kleinere Länder wie Luxemburg und Irland haben hingegen Bedenken und warnen vor möglichen Kollateralschäden. Doch der Status Quo ist nicht zufriedenstellend. Ein Diskussionspapier der estnischen EU-Präsidentschaft beschreibt die Lage so:
“Every year that we spend analysing and discussing the ultimate best solution to the challenges of digital economy, businesses are suffering from unequal competition, countries are losing valuable tax revenues, and unilateral measures are undermining the Internal Market.”
Zwei für die Besteuerung wesentliche Konzepte erweisen sich in der digitalen Ökonomie als Schwachpunkte: der Fremdvergleichsmaßstab bei den Verrechnungspreisen und der Begriff der Betriebstätte.
Besteuerung der digitalen Ökonomie
Um ein multinationales Unternehmen an der Quelle besteuern zu können, muss die Frage beantwortet werden, wo welcher Teil des Gewinns „entstanden“ ist. Das „wo“ setzt einen hinreichenden wirtschaftlichen Nexus zur betreffenden Steuerjurisdiktion voraus. Im internationalen Steuerrecht gilt hier traditionell das Betriebstättenprinzip. Damit wird als hinreichender Anknüpfungspunkt eine zeitlich wie physisch hinreichend verfestigte unternehmerische Präsenz im Quellenstaat vorausgesetzt – allerdings benötigt die digitale Ökonomie teilweise keine solchen Betriebstätten im herkömmlichen Sinne mehr, um innerhalb eines Staates erhebliche Umsätze zu generieren. So haben Streamingdienste wie Netflix oder Amazon Prime in den vergangenen Jahren einen Großteil des früheren Marktes für Videotheken übernommen. Abgesehen von Serverkapazitäten verfügen diese Unternehmen jedoch über keinerlei physische Präsenz in der jeweiligen Marktjurisdiktion.
Doch selbst soweit bei manchen ausländischen Internetunternehmen eine inländische Betriebstätte angenommen werden kann – etwa ein Auslieferungslager, ein ständiger Vertreter oder eventuell künftig eine „digitale Präsenz“ – zieht das nicht notwendigerweise die Besteuerung eines signifikanten Anteils am Unternehmensgewinn nach sich. Denn der einer inländischen Besteuerung unterliegende Gewinn wird den Betriebstätten über interne Verrechnungspreise zugewiesen. Für Besteuerungszwecke müssen diese Verrechnungspreise dem Fremdvergleich standhalten, das heißt: sie müssen sich innerhalb einer Preisspanne bewegen, die zwei Unternehmen setzen würden, die nicht durch einen gemeinsamen Eigentümer miteinander verbunden sind.
Dieser Fremdvergleichsmaßstab (der sogenannte Arm’s Length Standard) hat sich gerade in der digitalen Wirtschaft als stumpfe Waffe herausgestellt. Hohen Entwicklungskosten stehen hier üblicherweise sehr geringe variable Kosten gegenüber. Dementsprechend hoch ist der Wertschöpfungsanteil geistigen Eigentums (intangible assets), das sich ohne reale Kosten grenzüberschreitend verlagern lässt. Die Verrechnungspreise für die Nutzung dieses Eigentums (etwa in Form von Lizenzgebühren) lassen sich nur schwer kontrollieren. So gibt es beispielsweise zu Google eben keinen adäquaten Vergleichsmaßstab. Ein Google-Patent ist einzigartig – dementsprechend groß ist der Spielraum, den das Unternehmen bei der Verlagerung von Gewinnen und damit bei der Gestaltung seiner Steuerlast hat. Der inländischen Betriebstätte ist bzw. wäre nach diesen herkömmlichen Maßstäben damit nur ein vergleichsweise geringer, ihrer bloßen Hilfsfunktion entsprechender Gewinn zuzuweisen.
OECD-Initiativen wie BEPS (für Base Erosion and Profit Shifting) und darauf aufbauende Koordinierungsmaßnahmen innerhalb der EU haben zum Ziel, die steuermotivierte Manipulation von Verrechnungspreisen zu begrenzen sowie Doppelbesteuerung zu vermeiden. Seit einiger Zeit ist jedoch klar, dass dieser Ansatz zu kurz greift, um die effektive Besteuerung der Internetunternehmen in der EU substanziell zu erhöhen. Denn zum einen hat er den Betriebstättenbegriff nur ganz behutsam ausgedehnt und erfasst damit nach wie vor keine Internetunternehmen ohne physische Präsenz. Zum anderen verhindern auch die Anti-BEPS-Maßnahmen nicht, dass der in der EU verortete Wertschöpfungsanteil teilweise sehr klein gerechnet werden kann und wird.
Der nun lancierte Vorschlag einer Ausgleichsteuer zielt vor allem auf Unternehmen, die bislang in der EU aktiv sind, aber unterhalb der Betriebstättenschwelle agieren. Unter diesen Umständen haben die Mitgliedstaaten bislang keinerlei Zugriff auf die Gewinne.
Der Vorschlag einer Ausgleichsteuer
Zum jetzigen Zeitpunkt liegen noch keine Details zur vorgeschlagenen Ausgleichsteuer vor, über die genaue Ausgestaltung lässt sich also nur spekulieren. Ansatzpunkt für die Besteuerung soll der Umsatz des Unternehmens im jeweiligen Staat sein. So heißt es in dem von Le Maire initiierten Positionspapier der Finanzminister:
The amounts raised would aim to reflect some of what these companies should be paying in terms of corporate tax.
Auf Grundlage des Umsatzes soll also eine Art Soll-Gewinn errechnet werden, den ein Unternehmen mit einem solchen Umsatz üblicherweise hat. Auf diesen fiktiven Gewinn zahlt das Unternehmen dann den normalen Unternehmensteuersatz. In Deutschland wäre dies die Körperschaftsteuer. Ob und in welcher Höhe in Deutschland auch Gewerbesteuer zu zahlen wäre, lässt sich zurzeit nicht bestimmen. Zu klären wäre hier insbesondere die Frage, welcher Kommune der fiktive Gewinn zugerechnet wird.
Die Ausgleichsteuer wirft zunächst erhebliche Probleme bei der Abgrenzung des sachlichen und evtl. auch des persönlichen Anwendungsbereichs auf. So dürfte die Definition eines die Steuerpflicht begründenden digitalen Dienstes schwierig und streitanfällig sein, wie ein Blick ins EU-Mehrwertsteuerrecht und auf das dortige Konzept der „elektronischen Dienstleistung“ zeigt. Dem Vernehmen nach ist außerdem angedacht, Unternehmen erst bei Überschreiten eines hohen Schwellenwerts – in Rede stehen 750 Millionen Euro in Anlehnung an den Schwellenwert für das Country-by-Country-Reporting – zur Kasse zu bitten. Getroffen würden damit absehbar ganz überwiegend US-amerikanische Unternehmen, womit die Regelung in Konflikt mit den Regeln der Welthandelsorganisation WTO geraten könnte (Vorwurf der „mittelbaren Diskriminierung“).
Auch hinsichtlich der Belastungskonzeption weist dieser Vorschlag eine Reihe von gravierenden Nachteilen und Risiken auf. Indem nicht der reale Gewinn, sondern ein ausgehend vom Bruttoumsatz berechneter fiktiver Gewinn die Bemessungsgrundlage bildet, wird ein Element der Soll-Besteuerung eingeführt. Daraus kann Substanzbesteuerung resultieren, da einige Unternehmen wie etwa Twitter trotz hoher Umsätze Verluste machen.
Vor allem aber fügt sich das Konzept nicht friktionslos in das fortbestehende System des internationalen Unternehmenssteuerrechts ein. Das im Inland versteuerte Einkommen wäre nach herkömmlichen Prinzipien erneut steuerpflichtig in der Betriebstätte, wo es ordentlich verbucht wird. Die daraus potenziell resultierende Doppelbesteuerung steht in deutlichem Widerspruch zu den etablierten Grundsätzen der internationalen Besteuerung. Je nach der konkreten Ausgestaltung der Ausgleichsteuer kann das im Widerspruch zu bestehenden Doppelbesteuerungsabkommen zwischen den EU-Mitgliedstaaten und dritten Staaten (namentlich den USA) stehen. Vor allem aber würden damit auch die laufenden Versuche, das herkömmliche System zu reformieren, in Frage gestellt werden.
Man kann sich des Eindrucks nicht erwehren, dass hier in einem Ad-hoc-Verfahren ein politisches Signal gesendet wird, und dies gleich in dreifacher Weise:
- Der internationalen Gemeinschaft, vor allem den USA, wird mit diesem Vorstoß deutlich gemacht, dass die EU (sofern sich denn alle Mitgliedstaaten hinter die Ausgleichsteuer stellen) den aktuellen Zustand nicht tolerieren wollen.
- Den EU-Mitgliedstaaten wird signalisiert, dass unilaterale Maßnahmen nicht notwendig sind, weil Brüssel handlungsfähig ist.
- Und schließlich wird den französischen Wählern demonstriert, dass die Macron-Präsidentschaft Erfolge verbuchen kann.
Ein kürzlich veröffentlichtes Kommuniqué der EU-Kommission bezeichnet die Ausgleichsteuer ebenfalls als eine mögliche Zwischenlösung (nämlich als eine von „more immediate, supplementary and short term measures that should be considered to protect the direct and indirect tax bases of Member States“).
Wenn diese Interpretation zutrifft und das Vorpreschen der Finanzminister nur ein Zwischenschritt zu einer Verhandlungslösung ist, die sich behutsamer als der aktuelle Vorschlag in die Systematik des internationalen Steuerregimes einfügt, lässt sich nicht viel einwenden. Interessanter ist vielleicht, dass sich hinter diesem Vorschlag zwei grundlegende, konzeptionelle Herausforderungen abzeichnen, die die europäische Steuerpolitik noch länger beschäftigen werden: eine zeitgemäße Betriebstättendefinition und die Berücksichtigung des Konsumentenstandorts bei der Zuweisung der Bemessungsgrundlage.
Virtuelle Betriebstätte
Der Anspruch, die meist US-basierten Internetunternehmen zu besteuern, wird in den einschlägigen Kommissionsdokumenten meist vage damit begründet, dass sie hohes Einkommen in der EU erzielen. Doch dass Güter ausländischer Anbieter ohne Betriebstätte im Inland in größerem Ausmaß konsumiert werden, ist kein spezifisches Merkmal der digitalen Ökonomie. Es handelt sich dabei schlicht um Importe, die in der EU der Mehrwertsteuer unterliegen, aber nicht der Körperschaft-, Gewerbe- oder Einkommensteuer.
Und natürlich haben kostengünstige und technologisch raffinierte Importe seit jeher den einheimischen Unternehmen Probleme bereitet – das ist nicht erst seit der Verdrängung lokaler Videotheken durch Netflix so. Der Wettbewerb mit Importgütern ist auch nie vollkommen fair in dem Sinne, dass es gleiche Lohnkosten und Steuern gibt – auch dies ist kein Spezifikum der Digitalwirtschaft. Und wenn Importe die heimische Industrie verdrängen, führt das ceteris paribus natürlich zu Aufkommensverlusten, die aber durch eine Ausweitung der Exportindustrie prinzipiell aufgefangen werden können.
Zunächst ist also zu klären, inwiefern sich das Angebot der digitalen Unternehmen aus dem Ausland von Warenimporten unterscheidet. Gelingt dies nicht, lässt sich kaum argumentieren, warum dem Inland gerade (nur) bei digitalen Diensten ein Besteuerungsrecht auf Gewinne zufällt – auch wenn es noch so erstrebenswert erscheint, ein Stück vom riesigen Gewinnkuchen der Internetriesen zu ergattern.
Der Wunsch, die Gewinne von Google, Amazon etc. zu besteuern, muss also damit begründet werden, dass im Inland in substanziellem Umfang Wertschöpfung („value creation“) stattfindet – auch wenn die üblichen Voraussetzungen für eine physische Präsenz, wie sie die Betriebstättendefinition vorgibt, nicht erfüllt sind. Was Wertschöpfung ist, ist dabei nicht einfach zu bestimmen. Wenn Netflix-Videos auf allen Bildschirmen in Deutschland laufen, ist Netflix präsent. Doch ähnliche Präsenz hatten schon vor dem Internetzeitalter Filme aus Hollywood und Popmusik aus England, ohne dass dies einen Steuernexus begründet hätte. Es muss zum bloßen Absatz von Waren oder Dienstleistungen also noch ein zusätzliches Element hinzutreten, das eine besondere Verbindung der produktionsseitigen Wertschöpfung mit dem Inland begründet.
Einen Ansatz könnte im Fall von Suchmaschinenanbietern, sozialen Netzwerken und ähnlichen Internetdienstleistern die Generierung und Verwertung von personenbezogenen Informationen bieten. Derartige Internetunternehmen verfügen im Inland über ein Netzwerk von Nutzern ihrer meist kostenlosen Services, das es ihnen erlaubt, personen- und nutzungsbezogene Daten zu erheben und daraus mittels künstlicher Intelligenz Nutzerprofile sowie weitere Erkenntnisse von wirtschaftlichem Wert zu gewinnen („data mining“). Diese können dann durch individualisierte Werbung oder durch anderweitige informationsbasierte Dienstleistungen monetarisiert werden.
Jedenfalls wenn nicht nur die Informationsgewinnung, sondern auch deren Verwertung notwendig standortgebunden ist, lässt sich argumentieren, dass in signifikantem Maß Wertschöpfung im Inland stattfindet. Das hätte namentlich für die Generierung von Einkommen mit individualisierter Werbung zu gelten – diese Werbung hat ja gerade deshalb einen wirtschaftlichen Wert, weil sie individualisiert auf den Bildschirmen der jeweiligen Nutzer angezeigt wird. Eine solche zielgerichtete Ansprache wiederum ist nur möglich auf Basis der zuvor im Inland gewonnenen Nutzerdaten.
Gewinnung wie Verwertung dieses „Rohstoffs“ sind also an den inländischen Standort geknüpft. Handelt es sich also beispielsweise um in Deutschland ansässige Nutzer, deren Nutzerverhalten bzw. persönliche Daten zuvor analysiert und ausgewertet wurden, so können deren Nutzer- bzw. Persönlichkeitsprofile gerade nur in Deutschland wirtschaftlich sinnvoll zu Werbezwecken verwertet werden. Dies könnte ein Besteuerungsrecht durch den deutschen Staat begründen. Das Einkommen aus der in Deutschland geschalteten Werbung müsste also nach Abzug aller Kosten (beispielsweise einer Lizenzzahlung an das Google-Mutterunternehmen für die Nutzung des Suchalgorithmus) in Deutschland versteuert werden.
Eine dahingehende Weiterentwicklung der Quellensteuerregeln in Richtung einer virtuellen bzw. digitalen Betriebstätte erscheint sinnvoll und das Ansinnen der estnischen EU-Präsidentschaft, die Betriebstättendefinition im Rahmen der OECD weiterzuentwickeln, nachvollziehbar und gerechtfertigt. Bei anderen Geschäftsmodellen und insbesondere beim E-Commerce (Amazon etc.) lässt sich hingegen auf Grundlage der vorstehenden Überlegungen die Erfassung gerade nur von online operierenden Unternehmen nicht begründen.
Insbesondere ist nicht ersichtlich, warum die Schaffung und Unterhaltung eines inländischen Vertriebsnetzwerks nur im Online-Handel einen ausreichenden Anknüpfungspunkt für die Geltendmachung von Besteuerungsrechten bilden sollte. Eine allgemeine dahingehende Reform wiederum dürfte nicht unbedingt im Interesse der Exportnation Deutschland liegen. Eine Ausgleichsteuer schließlich, die selbst dann zugreifen würde, wenn der reformierte Betriebstättenbegriff keine Anwendung findet, ist jedenfalls in hohem Maße fragwürdig – zumindest dann, wenn das allgemeine Prinzip der Quellenbesteuerung weiterhin Geltung haben soll.
Bestimmungsland-Orientierung der Unternehmensbesteuerung
Unter die Definition einer virtuellen Betriebstätte würde wie dargelegt nur ein Teil der Aktivitäten fallen, die in den nun veröffentlichten Kommissionspapieren als Beispiel für die nicht hinzunehmende Nichtbesteuerung von Tech-Unternehmen genannt werden. Die dort angestellten Überlegungen lassen sich auch so lesen, dass es allgemein als inakzeptabel angesehen wird, dass Unternehmen, die hohes Einkommen in der EU erzielen, hier nicht der Unternehmensbesteuerung unterliegen. Letztere sollte sich in diesem Fall stärker am Ort des Konsums orientieren und weniger am Ort der Produktion.
Dieser Ansatz findet sich auch in dem bis vor kurzem von den US-Republikanern favorisierten Vorschlag einer Unternehmensbesteuerung nach dem Bestimmungslandprinzip. Es ist zumindest bemerkenswert, dass die nun vorgeschlagene Ausgleichsteuer eine gewisse Ähnlichkeit mit dieser sogenannten Destination Based Corporate Tax hat. Bei letzterer unterliegen Importe der vollen Besteuerung, während Exporte vollständig freigestellt werden. Die Ausgleichsteuer lässt sich ebenfalls als Importsteuer unter Freistellung des Exports verstehen – freilich nur auf spezifische Unternehmen begrenzt, ohne Abstimmung auf das übrige System von Unternehmens- und Konsumsteuern, und ohne den Anspruch, allgemein handelsneutral zu sein.
Die Destination Tax bietet Schutz vor Gewinnverlagerung ins Ausland und ist auch nicht in gleichem Maße auf die physische Präsenz in Form einer Betriebstätte angewiesen. Zwar stellen sich auch hier bedeutende handelsrechtliche Fragen, jedoch ist dazu bereits ausgiebig argumentiert worden, dass – anders als bei der nun vorgeschlagenen Ausgleichsteuer – zumindest auf mittlere Sicht keine allgemeine Doppelbesteuerung oder sonstige Handelsnachteile zu befürchten sind. Doch wer die Destination Tax als möglichen Endpunkt einer Entwicklung sieht, die nun mit einer Ausgleichsteuer begonnen wird, sollte sich nicht täuschen: Das Ziel, am Gewinneinkommen der Internetgiganten zu partizipieren, verfehlt auch die Destination Tax. Sie erzielt letztlich nur Aufkommen aus der Besteuerung des Reingewinns einheimischer Investoren – und die sitzen nur zu einem kleinen Teil in Deutschland.
Es mag sein, dass eine stärkere Betonung des Bestimmungslandprinzips auch in der Unternehmensbesteuerung zukunftsträchtig ist. Doch handelt es sich hier um eine grundlegende Umorientierung des internationalen Steuersystems, die auf OECD-Ebene verhandelt und koordiniert werden sollte. Die USA scheinen mittlerweile von einer unilateralen Einführung einer Destination Tax Abstand zu nehmen – zur Erleichterung der Europäer, die nun allerdings mit der Ausgleichsteuer einen ähnlichen Vorstoß wagen.
Zukunftsperspektiven
Der Vorschlag für eine Ausgleichsteuer ist vermutlich als ein Akt politischer Symbolik zu verstehen bzw. als Versuch, die Verhandlungen über eine Reform des Betriebstättenbegriffs in Gang zu bringen. Hier soll ein Pflock eingetrieben werden, um die Entschiedenheit der EU zu signalisieren, sich nicht mit der geringen europäischen Steuerlast der Internetgiganten abzufinden. Am Ende des Prozesses könnte, so lässt sich hoffen, eine allgemeine Reform der Quellenbesteuerung stehen, die sich in die aktuelle Steuersystematik einfügt.
Alles andere würde die die aktuellen Bemühungen der internationalen Gemeinschaft auf OECD-Ebene (BEPS) und in der EU konterkarieren, die Quellenbesteuerung auf ein einheitliches, der Rechtssicherheit verpflichtetes Fundament zu stellen. Doch wirft der Vorschlag auch ein Schlaglicht auf zwei bedeutende Baustellen im internationalen Steuersystem, die den internationalen Steuerdiskurs auf Jahre prägen wird: die virtuelle Betriebstätte und die “Konsumentenorientierung“ der Unternehmensbesteuerung. Hier stellen sich politische, rechtliche und ökonomische Fragen, die bislang unbeantwortet sind: echtes Neuland eben.
Zu den Autoren:
Johannes Becker ist Direktor des Instituts für Finanzwissenschaft der Universität Münster. Auf Twitter: @YohannesBecker
Joachim Englisch ist geschäftsführender Direktor des Instituts für Steuerrecht der Universität Münster.