Wenn allem Anschein nach alles gut läuft in der Weltwirtschaft, könnte es für Konjunkturbeobachter fast schon langweilig werden. Die erfreulichen Wirtschaftsdaten der vergangenen Monate – besonders aus Europa – fangen an, mich einzulullen. Worüber ich mir noch vor einem Jahr Sorgen gemacht habe, daran kann ich mich heute kaum noch erinnern. Aber das soll hier keine Rolle spielen und gehört vielleicht zu einem globalen Aufschwung dazu, genau wie die überbewerteten Aktienmärkte oder andere lustige Blasen.
Der letzte synchrone Aufschwung der Weltwirtschaft liegt nun auch schon rund zehn Jahre zurück. Wer kann sich daran noch erinnern? Auf jeden Fall eine gute Gelegenheit, dass wir uns in einer Miniserie die Anatomie der amerikanischen Aufschwünge etwas genauer anschauen.
Ein Grund, warum wir uns heute alle vielleicht etwas weniger Sorgen zu machen brauchen: Die USA haben die Wachstumsdelle, die 2015 begonnen hatte, überwunden. Doch so richtig mag das schöne Szenario einer Rückkehr zur Normalität noch nicht überzeugen. Ein Szenario, in dem die Zinsen wieder steigen und die Amerikaner noch einen schönen und langen Aufschwung erleben werden. Schauen wir uns zunächst die jüngsten Wachstumsraten an:
Ich betrachte die Wachstumsraten sehr gerne im längerfristigen Trend, also für jedes Quartal den jeweiligen Durchschnitt oder die Summe der vergangenen vier Quartale. Das ist das, was die offiziellen Statistiker gewöhnlich immer erst zum Jahresende veröffentlichen. Aktuell wachsen diese Vier-Quartals-Summen des US-Bruttoinlandprodukts mit einer Jahresrate von 2,1% (hellblaue Linie). Für das Gesamtjahr dürfte es daher etwas mehr werden, da die Quartalswerte (dunkelblaue Linie) derzeit stärker, nämlich mit 2,3%, expandieren.
Zur Jahreswende hat die US-Volkswirtschaft damit einen komfortablen Abstand zu einer potenziellen Rezession erreicht. Denn seit der Jahrtausendwende war es eigentlich üblich, dass die dunkelblaue Linie (die Jahresrate in jedem Quartal gemessen) zumindest in den Aufschwungsphasen immer über der Schwelle von rund 1% blieb. Sank sie darunter, war so gut wie klar, dass diese Zeiten später einmal als Rezessionsphasen datiert werden (bis zur Rezession des Jahres 2001 lag die Schwelle übrigens eher bei 2%, aber das nur nebenbei).
Haben die USA ihren aktuellen Wachstumszenit erreicht?
Möglichweise hat das Wachstum in dieser laufenden Aufschwungswelle längst seinen Zenit erreicht, wie die dunkelblaue Linie signalisiert. Immerhin hat sich die Jahresrate des Sommerquartals nur noch kaum wahrnehmbar beschleunigt: von 2,21% im zweiten Quartal auf 2,26%. Ob damit aber der Wachstumszenit tatsächlich erreicht ist, kann heute noch nicht wirklich beantwortet werden. Die Jetzt-Schätzung („GDP now“) der Federal Reserve von Atlanta zeigt aktuell ein BIP-Wachstum von 0,81% (3,3% auf das Jahr hochgerechnet) zum Vorquartal an. Das würde bedeuten, dass die Jahresrate sich von 2,26 auf 2,64% doch erheblich beschleunigt hat. Aber auch das bleibt abzuwarten, denn so viele Daten liegen für das 4. Quartal noch nicht vor.
Damit kommen wir zu der Frage, was die Delle ausgelöst hat, die Anfang 2016 mit der Korrektur an den globalen Aktienmärkten ihren Tiefpunkt fand. Was wir zumindest immer wieder beobachten können: Ein Aufschwung ist in der Regel dadurch charakterisiert, dass die Nettoinvestitionen, also die Ausgaben für Maschinen, Geräte oder Wirtschaftsgebäude, schneller wachsen als die Wirtschaftsleistung selbst. Genau diese Entwicklung lässt sich an einer steigenden Investitionsquote ablesen (positive Werte in der folgenden Grafik). Sinkt die Quote, führt dies in der Regel in eine Rezession.
Jedoch war die wichtigste Erkenntnis, die wir aus den jüngsten Daten zum 3. Quartal in den USA ablesen konnten: Die Investitionsquote steigt seit diesem Sommer wieder. In der Grafik sehen wir genau wie in der ersten Grafik die Summen der jeweils letzten vier Quartale (Trailing 4 Quarters Sums) im Vorjahrsvergleich sowie die Jahresraten der einzelnen Quartale (Quarterly). Auf kurze Sicht, also in den Quartalswerten, könnte sich allerdings auch hier bereits ein Wachstumszenit abzeichnen.
Warum aber die sinkende Investitionsquote seit 2015 doch nicht zu einer Rezession geführt hat, möchte ich mir im nächsten Teil dieser Miniserie genauer anschauen. So weit dürfte aber bereits feststehen: Die Investitionen in neuen Kapitalstock schwächten sich ab 2015 vor allem in der Schieferöl- und Gasbranche ab, ausgelöst durch den damals stark sinkenden Ölpreis. Diese Investitionsschwäche war aber nicht so umfassend, dass sie die gesamte Volkswirtschaft mit nach unten gezogen hätte.
Mit dem steigenden Ölpreis gingen 2016 auch die Investitionen im Ölsektor entsprechend wieder rauf. Was schlussendlich zu dieser Erholung geführt hat, die wir seit vorigem Jahr erleben und die so ihren Beitrag zum globalen synchronen Aufschwung auch heute noch immer leistet. Mit Sicherheit hat diese Erholung aber nichts damit zu tun, dass die Unternehmen in Erwartung von Donald Trumps Steuersenkungen oder anderen noch nicht realisierten Maßnahmen verstärkt investiert hätten. Der US-Präsident hat im ersten Jahr nach seinem Wahlsieg einfach verdammt viel konjunkturelles Glück gehabt.
Zum Autor:
André Kühnlenz ist Redakteur bei der Finanz und Wirtschaft. Außerdem bloggt er auf weitwinkelsubjektiv.com. Auf Twitter: @keineWunder
Hinweis:
Dieser Beitrag ist ebenfalls im The State of Swing-Blog der Finanz und Wirtschaft erschienen. In Kooperation mit der FuW veröffentlichen wir die Blog-Beiträge auch im Makronom.