Kommentar

Schäubles Draghi-Bashing ist für die EZB auch eine Chance

Makroökonomischer Analphabetismus meets AfD-Ängste: Angeführt von Wolfgang Schäuble hat die EZB-Kritik der Unionsparteien einen neuen Höhe- bzw. Tiefpunkt erreicht. Allerdings könnte so auch das Verständnis für die Geldpolitik verbessert werden.

Wolfgang Schäuble hat ein Herz für Sparer. Foto: Metropolico via Flickr (CC BY-SA 2.0)

Die Kritik an der Geldpolitik der EZB hat mal wieder einen neuen Höhepunkt – manche würden auch sagen: Tiefpunkt erreicht. Einem Medienbericht zufolge soll Finanzminister Wolfgang Schäuble bei einer Preisverleihung am Wochenende erklärt haben, dass Mario Draghi mit seiner Niedrigzinspolitik zu „50 Prozent“ für den Aufstieg der AfD verantwortlich sei. Außerdem wünschte sich Schäuble von der EZB eine Zins-Anhebung und wolle beim G20-Gipfel am kommenden Wochenende mit Draghi ein Gespräch dazu führen.

Für den gelernten Juristen Schäuble, der ansonsten so sehr auf die Einhaltung von Regeln pocht, ist das schon eine ziemlich heftige Aussage. Hier nur zur Erinnerung, was im Lissabon-Vertrag in Artikel 130 über die Unabhängigkeit der Zentralbank steht:

„Bei der Wahrnehmung der ihnen durch die Verträge und die Satzung des ESZB und der EZB übertragenen Befugnisse, Aufgaben und Pflichten darf weder die Europäische Zentralbank noch eine nationale Zentralbank noch ein Mitglied ihrer Beschlussorgane Weisungen von Organen, Einrichtungen oder sonstigen Stellen der Union, Regierungen der Mitgliedstaaten oder anderen Stellen einholen oder entgegennehmen.

Die Organe, Einrichtungen oder sonstigen Stellen der Union sowie die Regierungen der Mitgliedstaaten verpflichten sich, diesen Grundsatz zu beachten und nicht zu versuchen, die Mitglieder der Beschlussorgane der Europäischen Zentralbank oder der nationalen Zentralbanken bei der Wahrnehmung ihrer Aufgaben zu beeinflussen.“

Das Ignorieren dieses Unabhängigkeitsgebots gehört bei CDU und CSU inzwischen schon zum guten Ton. Es vergeht kaum ein Tag, an dem nicht irgendein Unionspolitiker es mit der Forderung in die Presse schafft, man müsse den „Druck auf die EZB erhöhen“.

Makroökonomischer Analphabetismus meets AfD-Ängste

Wie kommt es zu dieser massiven Kritik? Ich persönlich glaube, dass die Vehemenz dieser Kritik das Resultat einer Mixtur aus einem in der Union und im Finanzministerium traditionell ausgeprägtem makroökonomischen Analphabetismus und dem Erstarken der AfD ist, der mit einem kräftigen Schuss plattem Populismus nun ein paar Stimmen abgejagt werden sollen. Es wird wohl auf ewig Schäubles Geheimnis bleiben, ob er die Ursachen der Niedrigzinsen (hier gut zusammengefasst im Herdentrieb-Blog) einfach nicht kapiert oder er sie aus politischen Gründen ignoriert.

In jedem Fall ist das von Schäuble angeführte Draghi-Bashing brandgefährlich – schließlich wird das Anheizen der Anti-Euro-und-EZB-Stimmung nicht dazu führen, dass die für den Fortbestand der Eurozone existenziell notwendige Vertiefung der Währungsunion (Vollendung der Bankenunion, Schaffung der Fiskalunion) wahrscheinlicher wird. Und ohne die Behebung dieser Defizite wird es früher oder später zur einer erneuten unkontrollierten Kriseneskalation kommen, deren Folgen man heute gar nicht absehen kann.

Wenn Schäuble und seine Gefolgsleute inzwischen der Meinung sind, dass die Nachteile der gemeinsamen Währung und Geldpolitik größer sind als die Vorteile der Währungsunion, dann sollten sie es auch so sagen und aktiv auf eine geordnete Auflösung hinarbeiten.

Die Kritik-Lawine ist für die EZB auch eine Chance

Aber vielleicht bieten ja gerade die jüngsten Attacken auf die EZB auch die Chance, in der breiten Öffentlichkeit ein etwas besseres Verständnis für die Wirkungsweise von Geldpolitik zu erreichen und die Union so von ihrem destruktiven Kurs abzubringen. Denn die Kritik-Lawine treibt immerhin die nicht gerade als Transparenz-Bestie bekannte Zentralbank dazu, ihre Politik etwas besser zu erklären. So haben beispielsweise die vehementen Vorwürfe wegen des ANFA-Abkommens dazu geführt, dass die EZB das Abkommen offengelegt hat und sich die teils arg verschwörungstheoretischen Berichte zu dem Thema größtenteils als Sturm im Wasserglas entpuppten.

Auch von externer Seite gibt es einige Versuche, der weitestgehend faktenfreien Anti-EZB-Polemik mit empirischen Argumenten zu begegnen. So veröffentlichte etwa der Internationale Währungsfonds am Sonntag über seinen IMFdirect-Blog einen Beitrag, der die „positiven Auswirkungen negativer Nominalzinssätze“ erläutert. Der Beitrag ist übrigens bezeichnenderweise auch auf Deutsch erschienen – diesen Übersetzungsaufwand betreibt der IWF-Blog nur bei sehr wenigen Texten.

Ebenfalls am Sonntag hatte der Thinktank Bruegel eine prominent besetzte Siebener-Abwehrkette gegen das EZB-Bashing aufgestellt. Eine gekürzte deutschsprachige und ohne Charts ausgestatte Version des unter anderem von Marcel Fratzscher, Christian Odendahl, Beatrice Weder di Mauro und Guntram Wolff verfassten Beitrags ist auch in der FAZ erschienen (viele der vorgetragenen Argumente finden sich auch in Makronom-Artikeln, z. B. hier, hier und hier).

Man darf also immer noch hoffen, dass auch die Unionsparteien irgendwann wieder eine konstruktive Rolle bei der Bewältigung der europäischen Probleme spielen werden – jedenfalls dann, wenn man vielleicht etwas blauäugig von einer Welt ausgeht, in der sachliche Argumente und empirische Fakten eine gewisse Überzeugungskraft haben. Ob bei Schäuble und seinen Parteifreunden überhaupt ein Interesse daran besteht, sich in dieser Welt zu bewegen, ist seit dem letzten Wochenende allerdings unklarer denn je.