Kommentar

Vier Vorschläge für eine europäische Fiskalunion

Die immer verzweifelteren Versuche der EZB, die Wirtschaft wiederzubeleben, zeigen: Die EU braucht eine handlungskräftige Fiskalunion. Vier Vorschläge, wie diese aussehen könnte.

Europas Haushaltspolitiker ziehen nicht gerade an einem Strang. Foto: Pixabay

Die Europäische Zentralbank (EZB) hat kräftige Maßnahmen ergriffen, um ihr Inflationsziel zu erreichen, aber ihre Politik beginnt langsam nach Verzweiflung auszusehen. Die Eurozone und die EZB leiden unter demselben Problem: Die Haushalts- und Strukturpolitik spielen beide nicht ihre Rolle und die Geldpolitik alleine reicht nicht aus, um den Kickstart für die wirtschaftliche Erholung zu liefern.

Das ist keine Überraschung. Wenn die Inflationserwartungen einmal niedrig sind und die Zinsen bei null oder im negativen Bereich liegen, ist es sehr schwer für die Geldpolitik, die Inflationserwartungen zu verändern – außer durch die Einführung von Helikopter-Transfers im Auftrag der Regierungen, die involviert werden könnten, um das von der EZB geschaffene Geld direkt auf den Konten der Bürger zu platzieren.

Die makroökonomische Standard-Theorie erklärt, dass in einem von niedriger Inflation und durch eine Liquiditätsfalle geprägtem Umfeld die Absenkung der Zinsen nur bis zu einem sehr geringen Grad hilft. Die Erfahrungen mit den japanischen Abenomics bestätigen diese Erkenntnis: die massiven Aufkaufprogramme haben die Inflationserwartungen etwas verändert, aber zu langsame Fortschritte der Haushalts- und Strukturpolitik haben verhindert, dass Inflation und Wachstum ernsthaft anzogen.

Die Fiskalpolitik in der Eurozone unterstützt die wirtschaftliche Erholung und die EZB kaum. Die Eurozone braucht ein Framework, dass die Rolle der nationalen Haushaltspolitik dahingehend definiert, dass sie die ökonomische Stabilität der Eurozone unterstützt. Wir sehen vier Wege, um solch ein funktionsfähiges haushaltspolitisches Framework zu errichten.

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Die Eurozone muss in der Lage sein, die Schuldenlast zu reduzieren, wenn die Schuldenstände untragbar werden. Wir schlagen vor, dass unter einem neuen Programm des Europäischen Stabilitätsmechanismus (European Stability Mechanism, ESM) die Laufzeit der öffentlichen Schulden um die Länge der Laufzeit des ESM-Programms verlängert wird. Dies könnte in die existierenden Collective Action Clauses (CAC) für alle Staatsanleihen eingearbeitet werden. Die Maßnahme würde als kraftvoller Stabilisator im Falle von Haushaltsproblemen wirken, weil sie allen Ländern die notwendige Luft zum Atmen gibt, indem sie eine langsamere und weniger schmerzvolle Haushaltskonsolidierung ermöglicht.

Allerdings ist ein solcher Schritt nur möglich, wenn das Finanzsystem in der Lage ist, eine solche softe Restrukturierung zu verkraften. Dafür muss das Bankensystem weniger abhängig von den nationalen Regierungen gemacht werden. Dies könnte durch die gleichzeitige Einführung einer gemeinsamen europäischen Einlagensicherung und die Verabschiedung von „exposure limits“ für Staatsschulden (mit Ausnahme definierter Körbe von Staatsanleihen, die durch ihre Zusammenstellung bereits diversifiziert sind) erreicht werden.

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In außergewöhnlichen Zeiten wie den jetzigen müssen die Regierungen ihre nationale Haushalspolitik koordinieren, um ein gemeinsames Eurozonen-weites Fiskalziel zu erreichen. Letztendlich würde dies mehr bindende Regeln und eine stärke demokratische Entscheidungsfindung erfordern, für die eine Änderung der Europäischen Verträge notwendig wäre.

Kurzfristig schlagen wir vor, dass das European Fiscal Board ein ausdrückliches Mandat haben sollte, um zwischen guten und schlechten Zeiten zu unterscheiden und Empfehlungen für die Ausgabenpolitik in der Eurozone zu machen. 98% der Ausgaben werden auf der nationalen Ebene getätigt – somit ist es essentiell, dass die nationalen Regierungen ihre Politik koordinieren, um die wirtschaftliche Stabilität zu sichern.

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Die nationalen Haushaltspolitiken müssen stabilisierender und nachhaltiger werden. Das aktuelle Regelwerk ist sehr komplex. Anstatt einen „flexiblen“ Ansatz auf Basis komplizierter Regeln und mit großem Ermessensspielraum einzuführen, schlagen wir vor, zunehmende Investitionsausgaben und zyklisch-bedingte Ausgaben wegen der Arbeitslosigkeit separat zu behandeln. Diese sollten auf ein Anpassungskonto gepackt werden, dass über die Zeit eines Konjunkturzyklus ausgeglichen werden muss, aber das Ausmaß pro-zyklischer Haushaltskonsolidierung während eines Abschwungs reduziert.

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Die Eurozone muss einen zusätzlichen Mechanismus für die Verteilung von Risiken bei großen Schocks aufbauen. Ein solcher Mechanismus sollte nicht den Politikern überlassen bleiben. Eine politisch motivierte, anti-zyklische Haushaltspolitik war in der Vergangenheit oft schlecht getimed und hat das Gegenteil von dem bewirkt, was eigentlich bezweckt worden war. Im Kontext einer europäischen Entscheidungsfindung würde sich dieses Problem wohl noch verschärfen. Ein europäischer Mechanismus zur Verteilung von Risiken sollte automatisiert funktionieren und so entworfen sein, dass er Ländern hilft, die in sehr schweren Rezessionen stecken, wie es beispielsweise in Spanien der Fall war.

Wir glauben, dass die Einführung einer gemeinsamen europäischen Arbeitslosenversicherung die bestehenden Strukturen zur Verteilung von Risiken ergänzen und bei der Bewältigung von Rezessionen helfen würde. Sie könnte auch ein guter Ausgangspunkt für die weitere strukturelle Anpassung der Arbeitsmärkte sein.

Die zunehmend verzweifelten Versuche der EZB, Wirtschaft und die Inflation zu stabilisieren, zeigen, dass andere Politikfelder nicht liefern. Der Grund dafür liegt weitestgehend im Fehlen einer Fiskalunion.

Unsere Vorschläge, für die kurzfristig keine Änderung der Europäischen Verträge erforderlich wäre, würden die Fähigkeit der Regierungen stärken, unsere Volkswirtschaften mithilfe der Fiskalpolitik zu stabilisieren und die Belastung für die EZB reduzieren. Strukturreformen könnten wiederum eine entscheidende Rolle spielen, um die Erwartungen an das künftige Produktivitätswachstum zu verändern und so der Auslöser für eine höhere Inflation und mehr Investitionen sein.

 

Zu den AutorInnen:

Agnès Bénassy-Quéré ist Wirtschaftsprofessorin an der Universität Paris 1 Panthéon Sorbonne und Vorsitzende des Conseil d’Analyse Economique (CAE). Guntram B. Wolff ist Direktor des Thinktank Bruegel.

 

Hinweis:

Dieser Beitrag wurde zuerst vom Thinktank Bruegel in englischer Sprache veröffentlicht und mit Zustimmung von Bruegel ins Deutsche übersetzt.