Mindeststeuer

Wie Deutschland versucht, Druck aus dem Steuerreform-Kessel zu lassen

In einem bislang nicht öffentlich gemachten Konzeptpapier wirbt die Bundesregierung für eine international koordinierte Reform der Unternehmensbesteuerung. Zukünftig soll es möglich sein, eine Mindestbesteuerung auf die Gewinne von multinationalen Unternehmen durchzusetzen – selbst wenn einige Standorte niedrigere Steuerzahlungen verlangen. Ein Beitrag von Johannes Becker und Joachim Englisch.

Das internationale Steuerrecht ist sanierungsbedürftig. Bild: Pixabay

Komplex, gestaltungsanfällig und unfair – die Kritik am internationalen System der Unternehmensbesteuerung reißt nicht ab. Die zunehmende Digitalisierung der Wirtschaft erhöht den Reformdruck sogar noch, indem sie den Unternehmen weitere Möglichkeiten verschafft, Buchgewinne oder reale Wertschöpfung in Niedrigsteuerländer zu verlagern.

Die OECD hat deshalb eine Task Force eingesetzt, in deren Rahmen gegenwärtig 124 Staaten über mögliche Reaktionen auf diese Herausforderungen beraten. Während einige Länder zunächst die Ergebnisse der bisherigen Maßnahmen im Rahmen der BEPS-Initiative gegen missbräuchliche Steuergestaltungen abwarten wollen und sich gegen weitergehende Veränderungen aussprechen, erwägt eine Mehrheit von Staaten eine Neuausrichtung der Zuweisung von Besteuerungsrechten.

Über Richtung und Umfang einer solchen Reform herrscht aber keineswegs Einigkeit. Der jüngste Bericht der OECD an die G20 von Anfang Dezember benennt vor allem zwei Konkurrenzmodelle. Eine Gruppe von Staaten, angeführt von Großbritannien, fokussiert lediglich auf die klassischen Internet-Firmen und moniert vor allem die mangelnde Besteuerung der Wertschöpfung von Nutzern digitaler Plattformen. Die EU-Mitgliedstaaten unter diesen Ländern unterstützen tendenziell die Vorschläge der EU-Kommission, u.a. eine Digitalsteuer (Digital Services Tax) von 3% auf den Umsatz bestimmter digitaler Unternehmen. Eine andere Gruppe, darunter die USA, favorisiert ein Modell, in dem Besteuerungsrechte deutlich weitergehender in die Absatzmarkstaaten verlagert werden.

Die Mindeststeuer

Deutschland sitzt dabei zwischen den Stühlen. Zwar übt die deutsche Öffentlichkeit Druck aus, endlich etwas gegen die Steuersparmodelle der großen Tech-Unternehmen und anderer Multis zu tun. Bei der primär auf die amerikanischen Internetkonzerne zielenden Digitalsteuer aber bremst Berlin: zu ungünstig erscheint das Verhältnis von Aufwand und Ertrag und zu riskant die absehbaren internationalen Reaktionen – etwa in Form amerikanischer Strafzölle. Einer generellen Verlagerung der Besteuerung in die Markjurisdiktion steht hingegen das deutsche Eigeninteresse entgegen, das durch den riesigen und persistenten Exportüberschuss begründet wird. Denn wer mehr produziert als konsumiert und investiert, würde mit einer solchen Reform voraussichtlich verlieren.

Der Mindeststeueransatz soll sicherstellen, dass sich die Steuerlast nicht unter ein bestimmtes Niveau drücken lässt

Das deutsche Finanzministerium hat nun in Abstimmung mit Frankreich die Initiative ergriffen und in einem bisher nicht öffentlich zugänglichen Konzeptpapier einen dritten Weg vorgeschlagen: eine effektive Mindeststeuer auf Unternehmensgewinne. Dieses Instrument zielt nicht auf eine (definitive) Neuordnung der Besteuerungsrechte ab, sondern stellt die traditionellen Zuweisungsregeln unter eine Art Generalvorbehalt: Üben die eigentlich zur Besteuerung berufenen Staaten ihre Steuerhoheit angemessen aus, bleibt alles beim Alten – Hochsteuerländer wie Deutschland müssten also keine Schmälerung ihres Steuersubstrats fürchten. Fällt die Steuerlast auf Unternehmensgewinne aber in anderen Staaten zu niedrig aus, kommt es zu einer ergänzenden Besteuerung entweder im Sitzstaat des Unternehmens bzw. der Konzern(zwischen)holding oder in dem Staat, in dem sich der Absatzmarkt befindet.

Die Neuregelung würde damit die im Zuge von BEPS beschlossenen Maßnahmen zur Abwehr von Steuergestaltung ergänzen und zugleich deren Bedeutung relativieren. Die BEPS-Maßnahmen sind inputorientiert und setzen an Transferpreisen, Unternehmens- und Finanzierungsstrukturen an, um eine Besteuerung am „richtigen“ Ort zu gewährleisten: nämlich dem Ort der tatsächlichen Wertschöpfung, so wie ihn die bisherigen Regeln definieren.

Der Mindeststeueransatz ist ergebnisorientiert und soll sicherstellen, dass eine Besteuerung im (politisch festgelegten) „richtigen“ Umfang erfolgt – das „Wo“ steht dabei nicht im Vordergrund. Auf diese Weise würden die Möglichkeiten zur Steuergestaltung begrenzt werden: Unter das Mindestniveau lässt sich die Steuerlast nicht hinunterdrücken, auch nicht durch Gestaltungen zur Verlagerung von Steuersubstrat in Niedrigsteuerländer.

Konkret sieht das Konzept einen subsidiären Steuerzugriff von zwei Seiten vor: Im Sitzstaat von Unternehmen bzw. Holding soll die Mindestbesteuerung greifen, wenn die ausländischen Niederlassungen zu gering besteuert werden. Im Absatzmarktstaat soll nachbesteuert werden, wenn ins Ausland fließende Zahlungen dort keiner angemessenen Besteuerung unterliegen.

Im ersten Fall wirkt die Mindeststeuer wie ein Sondersteuersatz für Auslandsgewinne mit Anrechnungssystem (tax credit system). Die Gewinne würden dabei laufend nachbesteuert und nicht erst dann, wenn sie zurück ins Inland überwiesen werden. Im zweiten Fall wirkt die Mindeststeuer im Ergebnis wie eine Quellensteuer, die aber erstattet wird, soweit der Empfängerstaat eine ausreichende steuerliche Belastung sicherstellt. Durch Vorrangregeln soll außerdem eine internationale „Doppel-Mindestbesteuerung“ vermieden werden. Konzeptionelles Vorbild hierfür sollen dem Vernehmen nach die gestuften Verantwortungszuweisungen für die Vermeidung von Hybridgestaltungen in BEPS Action 2 sein.

Die vorgeschlagene Technik zur Umsetzung einer Mindeststeuer ist dem deutschen Steuerrecht nicht fremd. In den deutschen CFC-Regeln (§§ 7 ff., 20 II Außensteuergesetz) ist eine ergänzende Besteuerung in Deutschland vorgesehen, wenn passives Einkommen ausländischer Zwischengesellschaften oder Betriebsstätten dort zu niedrig besteuert wird. In diesem Fall wird das ausländische Einkommen der deutschen Bemessungsgrundlage hinzugerechnet und die ausländische Steuer angerechnet. Die Lizenzschranke des § 4j EStG wiederum macht den Abzug von Lizenzzahlungen ins Ausland davon abhängig, dass die Lizenzeinnahmen dort nicht in den Genuss eines schädlichen Präferenzregimes im Sinne der BEPS Action 5 kommen. Anderenfalls kommt es in Abhängigkeit von der dortigen (Niedrig-)Steuerbelastung zur völligen oder teilweisen Versagung des Abzugs.

Die Chancen auf einen internationalen Kompromiss stehen gut

Es gibt also schon eine gewisse Erfahrung im Umgang mit Mindeststeuern. Der wesentliche Unterschied bestünde darin, dass einerseits der Anwendungsbereich der Mindeststeuerregelungen nicht auf als missbräuchlich bewertete Gestaltungen begrenzt wäre, dafür aber andererseits die Steuerlast nicht auf das deutsche, sondern nur auf ein „angemessenes“ Mindestniveau heraufgeschleust würde.

Auch sonst hat der Mindeststeuervorschlag einige Vorteile. Mit Blick auf die Chancen, Bestandteil eines künftigen OECD-Kompromisses zu werden, ist der wichtigste vermutlich, dass es unmittelbare Anknüpfungspunkte im neuen Steuersystem der USA gibt. Seit Beginn des Jahres besteuern die USA das sogenannte Global Intangible Low-Taxed Income (GILTI) – d.h. übernormale Gewinne, die mit weniger als 10,5 Prozent versteuert werden – in den USA pauschal nach, sodass eine effektive Belastung von ca. 13 Prozent erreicht wird.

Man mag es immer noch unfair finden, dass Google, Facebook und Co. in den USA und nicht in Deutschland Steuern zahlen – aber immerhin zahlen sie dann Steuern

Gleichzeitig bewirkt die sogenannte Base Erosion Anti-Abuse Tax (BEAT) eine Art Mindestbesteuerung bei „exzessivem“ Abzug bestimmter Zahlungen an verbundene Unternehmen im Ausland. Die BEAT wird allerdings dafür kritisiert, dass ausländische Steuerzahlungen nicht angerechnet werden und eine Reihe von Ausnahmen vorgesehen sind, die das Steuersystem unnötig komplex machen. Dies sollte eine deutsche bzw. europäische Mindeststeuer besser machen.

Attraktiv dürfte der Vorschlag darüber hinaus auch für viele andere Staaten deshalb sein, weil er einen zentralen Kritikpunkt der öffentlichen Steuergerechtigkeitsdebatte aufgreift: die niedrigen Steuerzahlungen einiger multinationaler Unternehmen. Wenn die Mindestbesteuerung erfolgreich ist und alle Unternehmen jedenfalls irgendwo auf der Welt in angemessenem Umfang Steuern zahlen, reduziert sich die Gerechtigkeitsfrage auf die Aufkommensverteilung zwischen den Staaten. Dann mag man es zwar immer noch unfair finden, dass Google, Facebook und Co. in den USA und nicht in Deutschland Steuern zahlen – aber immerhin zahlen sie dann Steuern.

Eine Untergrenze für den internationalen Steuerwettbewerb

Zugleich zöge eine effektive Mindestbesteuerung dem internationalen Steuerwettbewerb eine Untergrenze ein. Es wäre für Unternehmen nicht länger attraktiv, Produktion oder Buchgewinne in Steueroasen oder Staaten mit Niedrigsteuerregimen zu verlagern. Das macht Unternehmensstrukturen voraussichtlich effizienter. Niedrigsteuer-Standorte wiederum hätten keinen Anreiz mehr, Steuersätze zu setzen, die unterhalb der Untergrenzen liegen. In anderen Worten: Eine Steuererhöhung in diesen Ländern ist möglich, ohne die Steuerzahlungen der Unternehmen zu erhöhen (das klassische „treasury transfer argument“). Diese Länder müssten im internationalen Wettbewerb künftig andere Strategien finden, die beispielsweise auf Finanzdienstleistungen und Ähnliches fokussieren und so deutlich wachstumsfreundlicher sind, als es der momentane Wettbewerb um Buchgewinne ist.

Ein faires und effizientes internationales Steuersystem sollte selbst dann erstrebenswert sein, wenn sich die staatlichen Einnahmen nicht substanziell erhöhen

Wenn die heutigen Steueroasen ihre Sätze erhöhen, könnte das freilich bedeuten, dass Deutschland, Frankreich und andere Hochsteuerstandorte kaum höheres Aufkommen durch Mindeststeuern erzielen. Doch das sollte kein Argument gegen dieses Instrument sein. Ein faires und effizientes internationales Steuersystem sollte selbst dann erstrebenswert sein, wenn sich die staatlichen Einnahmen nicht substanziell erhöhen.

Offene Fragen

Ohne Komplexität geht es jedoch auch bei der Mindeststeuer nicht zu. Die zentrale Frage lautet, ob es dem besteuernden Staat möglich ist, die effektive Steuerlast des Unternehmens überhaupt zu erfassen. Das ist schon aufgrund der von Land zu Land unterschiedlichen  Gewinnermittlungsvorschriften keine triviale Aufgabe.

Die Schwierigkeiten nehmen absehbar noch zu, wenn mehrere Zwischenstationen nachgeschaltet (aus Sicht des Staates, in dem die Zahlung stattfindet) oder vorgeschaltet sind (aus Sicht des Ansässigkeitsstaates). Ein Ausbau des Country-by-Country Reportings und des (automatischen) Informationsaustauschs wären in diesem Kontext erforderlich. Denkbar ist auch, dass vor allem die Mindestbesteuerung im Absatzmarktstaat mit widerlegbaren Vermutungen bzw. einer Beweislastumkehr arbeitet, dass also das steuerzahlende Unternehmen nachweisen muss, dass es im Ausland Steuern mindestens in Höhe des Mindestniveaus entrichtet hat.

Auch die genaue Reichweite müsste noch konkretisiert werden. Es stellt sich beispielsweise die Frage, ob es sachgerecht ist, wenn der Ansässigkeitsstaat eines Unternehmens die Gewinne von Tochtergesellschaften in Niedrigsteuerstandorten selbst dann mindestbesteuert, wenn diese (ausschließlich) für den lokalen Markt dort produzieren. Zu klären wäre auch, ob für die Mindeststeuer die Steuerzahlungen über alle Auslandsstandorte gemittelt zählen (wie es beim amerikanischen GILTI der Fall ist) oder – wohl vorzugswürdig – für jeden Auslandsstandort einzeln.  Für den Absatzmarktstaat ist bei der Mindestbesteuerung von Zahlungen ins Ausland eine zentrale Frage, ob sie sich auf Transaktionen zwischen verbundenen Unternehmen beschränkt.

Außerdem muss klar sein, dass eine Mindeststeuer allein nicht das Problem löst, das etwa die Digitalsteuer motiviert hat: dass insbesondere digitale Unternehmen in einem Land wirtschaftlich aktiv sein können, ohne dort physisch präsent zu sein. Eine begleitende Reform in diese Richtung dürfte also absehbar ebenso Bestandteil eines etwaigen OECD-Kompromisses sein. Im Idealfall würde sich diese Neuordnung der Steuerhoheiten am SURE-Konzept („sustained user relationship“) ausrichten.

Speziell für EU-Mitgliedstaaten stellt sich außerdem die Frage, ob eine Mindeststeuer unionsrechtlich akzeptabel wäre. Nationale Alleingänge könnten hier am Europäischen Gerichtshof (EuGH) scheitern. Sofern dieser weiter an seiner Rechtsprechung festhält, wonach die Ausnutzung einer geringeren ausländischen Steuerlast nicht zu grundfreiheitsbeschränkenden Maßnahmen berechtigt, sehen sich erweiterte CFC-Regelungen oder Abzugsbeschränkungen erheblichen Bedenken ausgesetzt, weil sie im Wesentlichen nur bei grenzüberschreitenden Vorgängen greifen.

Quellensteuerabzüge mit nachfolgender Veranlagungsmöglichkeit für das (im Ausland zu niedrig besteuerte) Einkommen von beschränkt steuerpflichtigen Zahlungsempfängern wiederum wären zwar nicht diskriminierungsverdächtig, weil auch inländische Zahlungsempfänger der Besteuerung unterliegen. Sie ließen sich aber schon wegen der Vorgaben der Zins- und Lizenzgebührenrichtlinie nur partiell verwirklichen. Einen Ausweg böte daher wohl nur eine Harmonisierung auf Unionsebene („ATAD III“), weil der EuGH gegenüber europäischem Sekundärrecht meist größere Milde walten lässt. Sollten einzelne Staaten blockieren, könnte dies Anlass zu einer Verstärkten Zusammenarbeit der übrigen Mitgliedstaaten nach Art. 20 EUV geben.

Fazit

Insgesamt ist der deutsche Vorstoß gar nicht ungeschickt und sehr wohl dazu geeignet, andere im Raum stehende Vorschläge auszubremsen. Das betrifft nicht nur die in der deutschen Regierung ungeliebte Digitalsteuer, sondern auch die Bestrebungen, die Bestimmungsländer (d.h. die Absatzmarktstaaten) an der Gewinnbesteuerung (stärker) zu beteiligen. Mit der nun vorgeschlagenen Mindeststeuer kann der deutsche Finanzminister argumentieren, künftig werde ja subsidiär im Bestimmungsland besteuert, also immer dann, wenn der Empfängerstaat die Mindeststeuer nicht erheben will. Die Mindeststeuer lässt in dieser Hinsicht also Druck aus dem Reformkessel – im Sinne der deutschen Exportwirtschaft und des deutschen Fiskus.

 

Zu den Autoren:

Johannes Becker ist Direktor des Instituts für Finanzwissenschaft der Universität Münster. Auf Twitter: @YohannesBecker

Joachim Englisch ist geschäftsführender Direktor des Instituts für Steuerrecht der Universität Münster.