„Google-Steuer“

Die internationale Steuerpolitik ist kein gutes Pflaster für politisches Heldentum

Ein internes Schreiben des Finanzministeriums deutet darauf hin, dass Deutschland seine Unterstützung für die sogenannte „Google-Steuer“ bald zurückziehen könnte – was zu begrüßen wäre, denn die Digital Services Tax verfehlt ihre selbstgesteckten Ziele und schafft eine Reihe neuer Probleme. Ein Kommentar von Johannes Becker.

Die digitale Ökonomie braucht keine Betriebstätten im herkömmlichen Sinne mehr, um innerhalb eines Staates erhebliche Umsätze zu generieren. Bild: Pixabay

War es das für die „Google-Steuer“? Ein am Mittwoch publik gewordenes internes Schreiben aus dem Bundesfinanzministerium distanziert sich deutlich von der sogenannten Ausgleichsteuer auf den Umsatz digitaler Unternehmen („Digital Services Tax“, DST). In dem geleakten Schreiben heißt es, die „fiskalische Dämonisierung“ der großen Digitalunternehmen sei nicht zielführend und die Behauptung, diese Unternehmen würden keine Steuern auf ihre Gewinne zahlen, nicht mehr haltbar. Der Fokus der deutschen Politik solle stattdessen in Zukunft auf der „Eindämmung internationaler und innereuropäischer Gewinnverlagerung“ liegen.

Allerdings ist zurzeit noch unklar, ob das interne Schreiben tatsächlich die Meinung des Ministeriums widerspiegelt oder lediglich einen Diskussionsbeitrag innerhalb des Hauses darstellt. Das Ministerium distanzierte sich umgehend von dem internen Schreiben und betonte, Finanzminister Olaf Scholz (SPD) habe noch keine Entscheidung getroffen. Erst am Tag zuvor hatten Frankreich und Spanien ihre Unterstützung für das Projekt signalisiert. Unabhängig davon wäre es zu begrüßen, wenn Deutschland seine Unterstützung für die DST zurückzieht – denn sie verfehlt die selbstgesteckten Ziele und schafft eine Reihe neuer Probleme.

Vorschlaghammer statt Skalpell

Die Digital Services Tax war von der EU-Kommission im März dieses Jahres als eine Zwischenlösung zur Besteuerung digitaler Unternehmen vorgeschlagen worden. Die DST sollte drei Prozent des Umsatzes bestimmter Unternehmen betragen. Sie zielte insbesondere auf Unternehmen mit Geschäftsmodellen ab, bei denen Nutzer nach Einschätzung der Kommission in erheblichem Maße zur Wertschöpfung beitragen („user value creation“, mehr dazu hier).

Grundsätzlich gibt es in Politik und Wissenschaft zumindest in der Tendenz einen breiten Konsens, dass die Regeln des internationalen Steuersystems an die neuen digitalen Realitäten angepasst werden müssen. Denn ein Staat wie Deutschland sieht sich bei der Besteuerung der Tech-Multis zwei Problemen gegenüber: Zum einen erlauben es die international geltenden Steuerregeln, dass der Gewinn einer in Deutschland ansässigen Tochterfirma so klein gerechnet wird, dass das Steueraufkommen minimal oder gar Null wird. Zum anderen lassen es die digitalen Geschäftsmodelle in manchen Fällen zu, dass dem Staat erst gar kein Besteuerungsrecht zufällt. Dies ist der Fall, wenn das Unternehmen dort keine Betriebstätte (also eine dauerhafte physische Präsenz) hat. Beispielsweise bräuchte Facebook prinzipiell weder Gebäude, Maschinen oder Mitarbeiter in Deutschland, um das ganze Land mit seinen Plattform-Services zu versorgen.

So ist ein fiskalischer Dämon entstanden: omnipräsent, hochprofitabel, aber steuerlich nicht zu fassen. Hier setzt die Digital Services Tax an – allerdings auf problematische Art und Weise: Ohne überhaupt den Versuch zu starten, die standortspezifischen Gewinne der Tech-Unternehmen zu berechnen, soll eine 3%-Steuer auf den Umsatz aufgeschlagen werden – Vorschlaghammer statt Skalpell.

Diese Steuer, so die Kommission, würde endlich die Wettbewerbsnachteile der im Inland besteuerten Unternehmen nivellieren (ein „level playing field“ schaffen) und zu einer fairen Besteuerung der Internetgiganten beitragen. Aber genau das tut sie nicht. Denn die Steuer würde nicht nur ausländische Unternehmen belasten, die in Steueroasen ihre Gewinne horten, sondern auch diejenigen, die bereits ihre Gewinne in Europa voll versteuern. Und die Besteuerung des Umsatzes ist kaum geeignet, die fehlende Gewinnbesteuerung zu kompensieren. Denn steuerpflichtig wären natürlich auch Unternehmen, die Verluste machen.

Darüber hinaus entsteht eine Reihe neuer Probleme. Die Steuer sieht Schwellenwerte vor, so dass die Zahl der betroffenen europäischen Firmen relativ klein wäre. In Zeiten des Handelskonflikts mit den USA würde dies vermutlich als Provokation und Strafsteuer gegen US-Unternehmen interpretiert – man denke nur an Donald Trumps Reaktion auf die jüngste Kartellstrafe der EU gegen Google.  Zudem wäre die Steuereintreibung auf die Mithilfe des amerikanischen Fiskus angewiesen. Denn wie sonst treibt man eine Steuer ein, deren Schuldner im Inland nicht dingfest zu machen sind?

Steuerpolitische Hauruck-Aktionen mögen opportun weil wählerwirksam erscheinen, sind aber alles andere als kluge Politik

Sollte Deutschland nun seine Unterstützung entziehen, gehen die Chancen auf eine EU-weite Lösung gegen Null. Das wird einige Staaten jedoch nicht davon abhalten, nationale Ansätze zu versuchen. Die Kommission hat wiederholt vor solchen Alleingängen und ihren Konsequenzen für den Binnenmarkt gewarnt. Doch die Aussicht neuer ergiebiger Geldquellen ist zu attraktiv: Großbritannien und Ungarn erheben bereits unilaterale Steuern, Italien plant sie, Spanien und Frankreich spielen mit dem Gedanken. Für die Unternehmen könnte ein solcher Flickenteppich nachteiliger werden als eine EU-weite Einführung der DST, denn mehrere nationalstaatliche Einzelregelungen nebeneinander bedeuten einen erheblichen Compliance-Aufwand und werden, auf die ein oder andere Weise, Berater, Rechtsanwälte und Richter jahrelang beschäftigen.

Es rächt sich nun, dass die Politik lange untätig zugesehen hat und daher mit dafür verantwortlich ist, dass ihre Wähler frustriert sind und endlich sehen wollen, wie Zuckerberg und Co. fiskalisch einen auf die Mütze bekommen. Doch internationale Besteuerung ist kompliziert, hoch interdependent – und ein politisches Geduldsspiel. Steuerpolitische Hauruck-Aktionen mögen opportun weil wählerwirksam erscheinen, sind aber – wenn sie nicht wie Frankreichs Google-Steuer im letzten Jahr ohnehin von den Gerichten kassiert werden – alles andere als kluge Politik. Neue Steuerregeln schaffen enorme Unsicherheit, brauchen Jahre bis sie etabliert sind und haben in der Regel unbeabsichtigte Nebenwirkungen.

Koordinierte Lösungen sind gefragt

Doch was tun? Das nun bekannt gewordene Schreiben legt nahe, dass sich Deutschland stärker auf die Reform der existierenden Regeln konzentrieren wolle. Die Lösung, so lässt sich schließen, wird offenbar in der Koordination mit den anderen Staaten der OECD gesucht. Und das wäre auch die richtige Stoßrichtung.

Wer meint, Google und Co. sollten in Europa mehr Gewinnsteuern zahlen, muss zeigen, dass sie hier wirtschaftlich aktiv sind

Das aktuell geltende System verortet die zu versteuernden Gewinne an der Quelle, also dort, wo sie erwirtschaftet werden. Nach dieser Logik ist nicht einmal klar, ob es überhaupt – aus deutscher Sicht – ein steuerpolitisches Problem gibt. Denn wenn ein Internetunternehmen hierzulande weder Gebäude noch Mitarbeiter oder Produktionskapital in Betrieb hat, kann demzufolge auch keine Aktivität stattfinden. Und tatsächlich muss man sich fragen, ob das Problem wirklich so groß wäre, wenn die amerikanische Regierung erfolgreich die Verlagerung von Lizenzen, Patenten etc. von den USA auf die Bermudas o.ä. verhindern würde, so dass die in Europa erzielten Gewinne voll in den USA versteuert würden – so wie deutsche Exporteure ihre in den USA erzielten Gewinne hierzulande versteuern. In diesem Fall würde die Empörung über die Big Four der Tech-Welt (Google, Apple, Facebook und Amazon) wohl deutlich abnehmen.

Wer trotzdem meint, Google und Co. sollten in Europa mehr Gewinnsteuern zahlen, muss zeigen, dass sie hier wirtschaftlich aktiv sind. In der Tat lässt sich argumentieren, dass die oben erwähnte Sichtweise im digitalen Zeitalter nicht mehr zeitgemäß ist. So könnte zum Beispiel die auf deutsche Kunden gerichtete Werbetätigkeit Googles in Deutschland verortet werden – auch wenn sie aus Dublin oder sonstwo gesteuert wird. Denn hierzulande erscheint die Werbung auf Bildschirmen und Smartphone-Screens – und jeder davon ist wie eine kleine Litfaßsäule.

Zudem lassen sich große stabile Netzwerke wie etwa bei Facebook durchaus als produktives Asset interpretieren, das aufgebaut und gepflegt werden muss. Auch hier lässt sich vorbringen, dass dieses Asset dort anzusiedeln ist, wo die Netzwerkknoten, also bspw. die Facebook-Nutzer, physisch angesiedelt sind. Werbetätigkeit und Netzwerk-Assets könnten in einer sogenannten „virtuellen Betriebstätte“ angesiedelt werden, die Einnahmen (aus Werbung) und Ausgaben (bspw. für die Nutzung von Algorithmen des Mutterunternehmens) ausweist und den Gewinn im Inland versteuern müsste.

Solche Ansätze sind prinzipiell kompatibel mit dem aktuell geltenden System und könnten im Rahmen der OECD koordiniert eingeführt werden. Die Operationalisierung einer solchen virtuellen Betriebstätte ist kompliziert und der ausstehende politische Prozess langwierig und frustrierend. Die internationale Steuerpolitik ist eben kein gutes Pflaster für politisches Heldentum.

 

Zum Autor:

Johannes Becker ist Direktor des Instituts für Finanzwissenschaft der Universität Münster. Auf Twitter: @YohannesBecker