EU-Gipfel

Der Teufelskreis aus Staats- und Bankenkrise muss durchbrochen werden

Die deutsche Innenpolitik hat den Schwerpunkt des jüngsten EU-Gipfels verändert – aus dem Eurogipfel ist ein Flüchtlingsgipfel geworden, und entsprechend dünn waren die wenigen Beschlüsse zur Zukunft der Währungsunion. Die Vertagung bietet aber auch eine Chance, erneut über etwas vorschnell ad acta gelegte Reformideen zu diskutieren. Dazu zählt vor allem das Konzept eines Europäischen Anleihefonds. Ein Kommentar von Alexander Kriwoluzky.

Bankenviertel in Frankfurt: Der europäische Bankensektor ist so eng verwoben, dass eine Banken- und Staatsschuldenkrise in Italien auch die deutschen Banken stark beeinträchtigen würde. Foto: Pixabay

Lange galt der jüngste EU-Gipfel als so etwas wie ein „Schicksalsgipfel“ für die Reform der Eurozone. Doch dann veränderte die deutsche Innenpolitik den Schwerpunkt des Treffens – aus dem Eurogipfel ist ein Flüchtlingsgipfel geworden. Entsprechend dünn waren die wenigen Beschlüsse zur Zukunft der Währungsunion.

Bekräftigt wurden lediglich die bereits zuvor von den Euro-Finanzministern ausgehandelten Pläne zur Stärkung der Bankenunion. Zudem wurde der Eurogruppe ein Arbeitsauftrag zur Vorbereitung von Gesprächen über die gemeinsame europäische Einlagensicherung (EDIS) erteilt und eine grundsätzliche Stärkung des Euro-Rettungsschirms ESM vereinbart. Die Vorschläge der deutschen und der französischen Regierung für weitergehende Reformen und einen eigenen Eurozonen-Haushalt wurden lediglich debattiert und sollen erst bei einem Gipfel im Dezember wieder aufgegriffen werden.

Einerseits ist dieses Ergebnis sicherlich für alle jene enttäuschend, die sich weitergehende Impulse für die Eurozone erhofft hatten, deren grundlegende strukturelle Probleme immer noch nicht gelöst sind. Andererseits bietet die Vertagung auf Dezember auch die Chance, etwas vorschnell ad acta gelegte Reformideen erneut zu diskutieren.

So hatten die Euro-Finanzminister bereits im Vorfeld des Gipfels eine von der EU-Kommission vorgeschlagene Reform verworfen, die die Stabilität der Währungsunion mit Hilfe von sicheren Anleihen enorm erhöht hätte, ohne dass wirtschaftlich stabile Staaten bei Zahlungsausfällen in Mithaftung genommen würden. Bei der Reform ging es um die Einführung von mit Staatsanleihen besicherten Wertpapieren (SBBS).

Der Staaten-Banken-Nexus

Wie dringend nötig Reformen in diese Richtung sind, hatten die Ereignisse rund um die neue italienische Regierung gezeigt. Mit ihren Ausgabenplänen treibt die Koalition aus Fünf-Sterne-Bewegung und Lega die Finanzmärkte in Europa um, die mit Zinsaufschlägen auf italienische Staatsanleihen auf ein Auseinanderbrechen der Währungsunion spekulieren und für Turbulenzen weit über Italiens Grenzen hinaus sorgen. Dass die Haushaltspolitik eines einzelnen Landes gleich zu solchen Verwerfungen im gesamten Euroraum führt, sollte europäischen PolitikerInnen schwer zu denken geben – und eine Orientierung für einen möglichen Lösungsansatz liefern.

Das – zunächst nationale – Problem ist folgendes: Wenn Staatsanleihen an Wert verlieren, geraten auch die Banken, die diese Anleihen in ihren Büchern haben, in Schwierigkeiten. Schon die erhöhte Wahrscheinlichkeit eines Ausfalls der Staatsschulden Italiens führt dazu, dass der Wert dieser Anleihen stark fällt. Dadurch verlieren die Banken (zumindest temporär) einen Teil ihres Vermögens und können in Konkursnähe geraten. Rettet der italienische Staat die Banken vor dem Konkurs, wie er es etwa im Fall der Banca Monte dei Paschi di Siena getan hat, muss er dafür Milliarden Euro aufwenden. Dadurch steigen seine Zahlungsverpflichtungen zusätzlich. Die Erwartungen darüber, dass der Staat die Banken retten muss, erhöht deshalb wiederum die Wahrscheinlichkeit, dass der Staat einen Zahlungsausfall erklärt, was wiederum den Wert der Anleihen auf der Habenseite der Banken verringert – ein Teufelskreis, der auch als Staaten-Banken-Nexus bekannt ist. Der europäische Bankensektor ist so eng verwoben, dass eine Banken- und Staatsschuldenkrise in Italien auch die deutschen Banken und damit die hiesige Wirtschaft stark beeinträchtigen würde.

Eine europäische Fleischfabrik für Staatsanleihen

Um den Teufelskreis zu durchbrechen ist es notwendig, die Staatsanleihen aus den Büchern der Banken zu bekommen. Und es gibt Vorschläge, wie dies gelingen könnte. Renommierte Ökonomen, zu denen auch der deutsche Volkswirt Markus Brunnermeier aus Princeton gehört, haben bereits 2011 ein neues Wertpapier entworfen, das auf dem finanztechnischen Vorgang der Verbriefung basiert. Diese Wertpapiere firmierten zunächst unter der Bezeichnung ESBies („European Safe Bonds“), inzwischen werden sie meist unter der eingangs erwähnten Abkürzung SBBS (Sovereign Bond Backed Securities) diskutiert. Sie haben nichts mit den berühmt-berüchtigten Eurobonds zu tun, bei denen zum Beispiel Deutschland im Falle eines Zahlungsausfalles von Italien in Mithaftung treten würde.

ESBies basieren auf dem Prinzip, dass die Ausfallwahrscheinlichkeit von zwei Anleihen aus unterschiedlichen Ländern im Euroraum jeweils zehn Prozent betragen kann, die Wahrscheinlichkeit, dass beide Anleihen gleichzeitig ausfallen, dann aber nur ein Prozent beträgt. Ein Europäischer Anleihefonds könnte die beiden Staatsanleihen, die jeweils die Zahlung von 100 Euro versprechen, kaufen und daraus zwei neue Wertpapiere erstellen: ein Wertpapier, das solange 100 Euro auszahlt, solange nicht beide Staatsanleihen ausfallen. Dieses Wertpapier wird als „senior tranche“ bezeichnet und hat nur eine sehr geringe Ausfallwahrscheinlichkeit. Des Weiteren erstellt der Fonds ein riskanteres Wertpapier, das nur dann 100 Euro verspricht, solange beide Länder ihre Schulden zurückzahlen. Dieses Wertpapier heißt „junior tranche“ und hat eine höhere Ausfallwahrscheinlichkeit.

Man kann sich den Europäischen Anleihefonds wie eine Fleischfabrik vorstellen: aus dem gelieferten Fleisch wird einerseits ein Filetstück, andererseits aber auch Bratwurst hergestellt. Da die Wertpapiere der „senior tranche“ sehr sicher sind, kann es die Europäische Zentralbank den Geschäftsbanken im Euroraum zur Auflage machen, diese Wertpapiere statt der Staatsanleihen zu halten. Investmentfonds und Institutionen mit einem Interesse an riskanteren Wertpapieren würden die „junior tranche“-Wertpapiere kaufen können, die zwar eine höhere Ausfallwahrscheinlichkeit haben, aber auch mehr Rendite versprechen.

Was wäre unter diesen Umständen die Folge des Zahlungsausfalles eines der beiden Länder? Da die Banken das sichere Wertpapier halten, sind sie von einem Zahlungsausfall nicht betroffen: Die „senior tranche“ zahlt die versprochenen 100 Euro, solange nicht beide Länder insolvent sind. Der oben beschriebene Teufelskreis wäre also durchbrochen: Die Krise eines einzelnen Landes hätte keine Auswirkungen auf den Bankensektor anderer Länder.

Ebenso käme auch der Europäische Anleihefonds nicht in Schwierigkeiten. Eine der gekauften Staatsanleihen würde zwar nicht 100 Euro zahlen, der Anleihefonds muss nun aber auch nur noch die „senior tranche“ und nicht mehr die „junior tranche“ bedienen. Die 100 Euro, die der Fonds für die „senior tranche“ zahlen muss, ist durch die Zahlung des Landes, das keinen Zahlungsausfall erklärt, abgesichert. Die Verluste tragen die Käufer der „junior tranche“ – also die risikofreudigen AnlegerInnen, die wissen, worauf sie sich einlassen, wenn sie ein Wertpapier mit einem hohen Risikoaufschlag billig kaufen.

Die Kritik an den ESBies

Es soll hier nicht unerwähnt bleiben, dass dieses Konzept seit seiner ersten Vorstellung durchaus auch auf ernstzunehmende Kritik gestoßen ist. Meiner Meinung nach sind die Einwände gegen die ESBies aber nicht so schwerwiegend, als dass man die Idee verwerfen sollte.

So bezweifeln die KritikerInnen unter anderem, dass es für diese Papiere ausreichend KäuferInnen geben wird. Allerdings zeigt der internationale Kapitalmarkt, auf dem weitaus riskantere Wertpapiere verkauft werden, dass diese Sorge unberechtigt ist.

Ein weiterer Kritikpunkt zielt auf die Methode der Verbriefung ab. Der Kern jeder Verbriefung ist die Berechnung von möglichen Ausfallwahrscheinlichkeiten. Vor der Finanzkrise im US-Immobilienmarkt wurden diese durch die erhöhte Kreditvergabe unterschätzt. Zugrunde gelegt wurden damals ältere, zu geringe Ausfallwahrscheinlichkeiten, die dann zu einer falschen Bepreisung führten. Übertragen auf die Staatsanleihen würde dieses Argument aber nur zutreffen, wenn der Europäische Anleihefonds den Großteil der Anleihen aus den Krisenländern aufkaufen und mit fixen Ausfallwahrscheinlichkeiten rechnen würde. Da aber sicherlich mindestens die Hälfte der Staatsanleihen noch von weiteren Investoren gehalten würde, bildet sich immer noch ein Marktpreis für die Anleihen, so dass der Fonds auch stets die aktuellen Ausfallwahrscheinlichkeiten abbilden würde.

Ein weiteres Argument, das Kritiker ins Feld führen, richtet sich gegen die Bevorzugung dieser Anleihen durch die EZB bei geldpolitischen Geschäften. Befürchtet wird, dass dadurch Staatsanleihen aus Krisenländern noch höhere Zinsen zahlen müssten, wenn die Nachfrage nach diesen Papieren sinkt. Entsprechend würde sich die Zinslast für die Länder erhöhen und die möglichen Finanzierungsprobleme des Staates verschärfen.

Dagegenhalten lässt sich, dass ein Europäischer Anleihefonds den Teufelskreis von Staats- und Bankenpleiten durchbrechen würde. Er kann zudem „Ansteckungseffekte“ auf andere Euroländer verhindern. Dies führt dazu, dass die Staatsanleihen von Eurostaaten grundsätzlich sicherer werden und die Zinslast für die Länder sinkt. Welcher Effekt überwiegt, ist letztendlich von der Finanzpolitik des jeweiligen Landes abhängig.

Leider wurde auf dem EU-Gipfel die Chance vertan, über konkrete Reformen wie den von der EU-Kommission unterstützten Vorschlag für einen Europäischen Anleihefonds zu reden. Dabei böte er trotz aller Vorbehalte die Chance, eines der drängendsten Probleme auf einen Schlag zu lösen. Einen Versuch wäre es allemal wert gewesen, zumal es bisher keine politisch halbwegs realistischen Gegenvorschläge gibt. Daher sollte die Politik die Vertagung bis Dezember nutzen, um noch einmal ernsthaft über dieses Konzept nachzudenken oder zumindest Alternativen zu entwickeln, die den Staaten-Banken-Nexus aufbrechen können.

 

Zum Autor:

Alexander Kriwoluzky ist Leiter der Abteilung Makroökonomie am DIW Berlin.