Update: Am 21. März hat die EU-Kommission ihre Pläne für die Besteuerung digitaler Unternehmen vorgestellt. Die offiziellen Pläne weichen in einigen wenigen Punkten von dem in diesem Beitrag diskutierten Entwurf ab (eine Zusammenfassung der Änderungen finden Sie hier). Diese Änderungen tangieren allerdings nicht die grundsätzlichen Charakteristika der Steuer, weshalb wir keine Veranlassung sehen, unsere Schlussfolgerungen zu revidieren. Die folgende Analyse ist also weiterhin aktuell.
Im letzten Herbst haben die EU-Finanzminister ein Thema ganz weit oben auf die politische Agenda gesetzt, das nicht nur den internationalen Steuerdiskurs über Jahre hinweg prägen dürfte: die Besteuerung digitaler Unternehmen. Die Problematik dahinter dürfte inzwischen allseits bekannt sein: Das System der internationalen Besteuerung ist auf die Industriegiganten des 20. Jahrhunderts ausgerichtet, nicht auf das Hipster-Tech-Business der digitalen Ära – und vor allem US-Konzerne wie Facebook, Apple oder Google wissen das zu ihren Gunsten zu nutzen.
Am 21. März wird die EU-Kommission nun eine Doppelstrategie zur Besteuerung digitaler Unternehmen verkünden. Bereits seit Ende Februar kursiert der Entwurf für ein entsprechendes Positionspapier.
Die Ausgleichsteuer als Interimslösung
Langfristig angestrebt wird eine Reform des internationalen Rahmenwerks der Unternehmensbesteuerung, das insbesondere um eine „virtuelle Betriebstätte“ erweitert werden soll. In der kurzen Frist sollen gezielte, temporäre Maßnahmen ergriffen werden, namentlich eine Sondersteuer auf ausgewählte digitale Dienste, die sogenannte Ausgleichsteuer („Equalization Tax“). Diese Interims-Steuer soll nach den Vorstellungen der Kommission in allen EU-Staaten eingeführt werden und den Umsatz auf Bruttobasis mit einem einheitlichen europäischen Satz belasten. Gegenüber Nicht-EU-Staaten ist die Steuer ein unilaterales Instrument – das heißt, die Zustimmung anderer Staaten (insbesondere der USA) wird nicht vorausgesetzt.
Betroffen wären Unternehmen mit Geschäftsmodellen, bei denen Nutzer nach Einschätzung der Kommission in erheblichem Maße zur Wertschöpfung beitragen („user value creation“), also beispielsweise Plattformen wie Youtube. Konkret erfasst werden sollen Anbieter, die Nutzerdaten systematisch erheben und auswerten und dann entweder verkaufen oder für Werbedienstleistungen nutzen (Google, Facebook etc.) sowie digitale Marktplätze in der sogenannten Sharing Economy (wie Airbnb und Uber), deren Nutzung für mindestens eine Marktseite kostenpflichtig ist. Nicht von der Steuer betroffen wären digitale Unternehmen, die lediglich Medien oder digitale Dienstleistungen über das Internet anbieten (wie Netflix, Spotify etc.).
Erfasst würden ausländische wie inländische Unternehmen – die Kommission verweist hier auf die Nichtdiskriminierungsgebote der gemeinsamen Binnenmarktregeln und der WTO. Erhoben werden soll die Steuer nur von großen Konzernen, deren weltweiter Gruppenumsatz 750 Millionen Euro überschreitet und die auch signifikante Umsätze aus digitalen Dienstleistungen in der EU generieren (der finale Vorschlag sieht einen Schwellenwert von 50 Millionen Euro vor im Gespräch ist ein Schwellenwert von 10 bis 20 Millionen Euro).
Wie aus dem Entwurfstext der Kommission hervorgeht, hätte man sich auch eine Beschränkung auf noch größere Unternehmen vorstellen können – dann wären aber keinerlei europäische Anbieter mehr erfasst worden, womit die Regelung anfällig für (welthandelsrechtliche) Diskriminierungsvorwürfe wäre. Doch auch von den derzeit favorisierten Größenordnungen dürften überwiegend US-Unternehmen betroffen sein – die Zahl der in der EU ansässigen potenziellen Steuerpflichtigen beschränkt sich wohl auf nicht viel mehr als eine Handvoll von Unternehmen, überwiegend aus der Medienbranche wie etwa die Axel Springer SE.
Die Probleme bei der Besteuerung digitaler Unternehmen
Wie eingangs erwähnt ist die Equalization Tax als temporäres Instrument konzipiert. Mit ihr soll eine (vermeintliche) Lücke im derzeit geltenden System der internationalen Unternehmensbesteuerung geschlossen werden. Dieses System identifiziert die besteuerbare Wertschöpfung in einem Staat in einem zweistufigen Verfahren: Zunächst muss ein anerkannter territorialer Anknüpfungspunkt für die Ausübung der Steuerhoheit vorliegen. Bei Unternehmensgewinnen ist dies neben dem Unternehmenssitz regelmäßig eine physische Präsenz in Form einer Betriebstätte. Wo letztere gegeben ist, wird sodann über unternehmensinterne und am Fremdvergleichsgrundsatz („arm’s length principle“) orientierte Verrechnungspreise die Wertschöpfung in dieser Betriebstätte festgestellt. Diese unterliegt dann der Unternehmensbesteuerung in dem entsprechenden Staat (mehr dazu hier).
Die Besteuerung digitaler Unternehmen scheitert häufig schon an der ersten Stufe, weil die Bereitstellung digitaler Dienstleistungen (wie z.B. das Angebot eines digitalen Marktplatzes) keine physische Präsenz erfordert und sich ohne Betriebstätte kein Anknüpfungspunkt für die Ertragsteuer ergibt.
Dies wäre aus Wettbewerbssicht vielleicht zu verschmerzen, wenn in diesen Fällen der Heimatstaat des Unternehmens (bzw. der Staat, in dem eine Betriebstätte des Unternehmens für die fragliche Geschäftstätigkeit verantwortlich ist) sein Besteuerungsrecht in vollem Umfang wahrnehmen würde. Im Fall der von der Sondersteuer ins Visier genommenen digitalen Unternehmen wären das ganz überwiegend die USA. Die aber lassen sich das entsprechende Aufkommen größtenteils entgehen, weil sie den Unternehmen erlauben, durch Konzerngesellschaften in Niedrigsteuerländern (z.B. als Google Ireland) die höheren US-Steuern zu vermeiden. Diese Steuerarbitrage wird auch unter der zu Jahresbeginn in Kraft getretenen US-Steuerreform weiterhin möglich sein, wenn auch nicht mehr so exzessiv wie zuvor.
Aus Sicht der Kommission stellt sich die Situation also wie folgt dar: Die hier in Rede stehenden Plattformen können nur deswegen Umsatz im jeweiligen EU-Mitgliedstaat erzielen, weil sie von den dort ansässigen Nutzern frequentiert werden, die dadurch wiederum zur Wertschöpfung beitragen – und damit im Prinzip den Steuerzugriff rechtfertigen, der aber aufgrund fehlender physischer Präsenz des Unternehmens nicht zustande kommt. Durch den effektiven Verzicht auf die Besteuerung im Heimatstaat (sprich: in den USA) kommt es darüber hinaus zu Wettbewerbsnachteilen für höherbesteuerte europäische Unternehmen gegenüber ihren US-amerikanischen Konkurrenten. Die Steuer soll also zum einen das Besteuerungsrecht mit dem Ort der Wertschöpfung in Einklang bringen und zum anderen die Wettbewerbschancen angleichen – letzteres hat (vermutlich) die Namensgebung („Equalization Tax“) motiviert.
Schlecht begründet und am Ziel vorbei
Es gibt zumindest in der Tendenz einen breiten Konsens in Wissenschaft und Politik, dass die Regeln des internationalen Steuersystems an die neuen digitalen Realitäten angepasst werden müssen. Ökonomisch spricht nichts gegen die koordinierte Einführung einer „virtuellen Betriebstätte“, weil die Zuweisung von Besteuerungsrechten ohnehin eher Konvention ist als theoretisch fundiertes Postulat. Eine solche Neuregelung, wie sie nun langfristig in Kooperation mit den anderen OECD-Staaten angestrebt wird, wäre daher unbedenklich. Unter der Prämisse adäquater Anknüpfungspunkte und Gewinnzuweisungsregeln dürfte ein solches Konzept ferner auch mit den juristischen Fundamentalprinzipien sachgerechter und praktikabler Zuweisung von Besteuerungshoheiten („inter-nations‘ equity“) zu vereinbaren sein.
Hier aber endet das Wohlwollen. Die von der Kommission als Interimslösung vorgeschlagene Equalization Tax ist schlecht begründet und erfüllt keines der von der Kommission genannten Ziele. Sie ist ein Albtraum an Komplexität und Streitanfälligkeit und stellt die ohnehin prekäre internationale Koordination nationaler Steuerhoheiten erneut – und unnötig – auf die Probe.
Begründet wird die Steuer mit einem „mismatch“ zwischen Wertschöpfung und Besteuerung. Doch scheint die Kommission hier einen deutlich breiteren Begriff der Wertschöpfung zu vertreten als gemeinhin üblich. Aus den im Entwurf genannten Beispielen Facebook und Twitter geht hervor, dass schon die Nutzung dieser Plattformen zur Wertschöpfung beiträgt, weil sie die dort ebenfalls vertriebenen Werbeplätze damit wertvoller macht und das Einkommen der Plattform-Anbieter steigert. Diese Netzwerkeffekte (in anderem Kontext auch Spillovers oder Agglomerationseffekte genannt) treten allerdings in einer modernen Wirtschaft überall auf, ohne gleich steuerliche Konsequenzen zu zeitigen.
Die Kommission vermengt so Netzwerkeffekte und Wertschöpfung im herkömmlichen Sinne und schlussfolgert, dass ein Teil der Wertschöpfung am Ort des Konsums anzusiedeln ist. Die Unterstellung, die Nutzer trügen erheblich zur Wertschöpfung bei („essential input“), verleugnet, dass es vielfach (etwa bei Suchmaschinen) gerade nur die reine Nutzung von Online-Angeboten ist, die für eine Datenerhebung und die nachfolgende „Big Data Analytics“ zwecks Monetarisierung auf der anderen Marktseite genutzt werden kann. Hätte die Kommission dies zugestanden, hätten freilich auch weitere digitale Geschäftsmodelle und insbesondere E-Commerce-Anbieter erfasst werden müssen. Man kann sich daher des Eindrucks nicht erwehren, dass hier die Begründung an den von vornherein angestrebten Anwendungsbereich angepasst wurde.
Das Ziel der Angleichung der Wettbewerbschancen verfehlt die Equalization Tax weitestgehend. Denn obwohl die Steuer ursprünglich offenbar ausländische Anbieter in den Fokus genommen hatte, die aufgrund unzureichender Gewinnbesteuerung im Ausland einen Wettbewerbsvorteil genießen, werden nun aus Gründen der Nichtdiskriminierung auch die einheimischen Konkurrenten mit der Steuer belastet. Etwaige Belastungsunterschiede werden durch die Steuer also eben nicht ausgeglichen. Die betroffenen in der EU ansässigen Unternehmen müssen sie zusätzlich zu ihrer bestehenden Steuerlast entrichten; angedacht ist allenfalls ein Abzug von der Körperschaftsteuer-Bemessungsgrundlage. Der Vorsprung der US-Wettbewerber wird dadurch kaum reduziert.
Vor allem aber ist es fragwürdig, dass ein Verzicht auf Gewinnbesteuerung im Ausland mit einer speziellen Umsatzsteuer ausgeglichen werden soll. Angesichts der Heterogenität der Geschäftsmodelle und Umsatzrenditen, die von der Equalization Tax nicht berücksichtigt werden, ist nicht zu erwarten, dass dieses Steuerinstrument für gleiche Wettbewerbschancen sorgen kann. Auch hier hat sich die EU-Kommission in einem Zielkonflikt verheddert – von der ursprünglich einmal angedachten Variante einer Soll-Ertragsbesteuerung auf Umsatzbasis wurde wohl ausweislich des Entwurfs vor allem deshalb abgewichen, um keine Konflikte mit bestehenden Doppelbesteuerungsabkommen zu provozieren. Als genuine Steuer auf den Umsatz fällt die Sondersteuer nämlich von vornherein nicht unter den Anwendungsbereich dieser Abkommen.
Allerdings ergeben sich aus der nunmehr präferierten Variante eine Vielzahl anderer Probleme: Solche, im Sinne der einschlägigen Kompetenzvorschriften indirekte, Steuern darf die EU nämlich nur harmonisieren, soweit dies für die Vermeidung von Wettbewerbsverzerrungen im Binnenmarkt notwendig ist. Die EU-Kommission verweist zwar auf die – durchaus reale – Gefahr nationaler Alleingänge. Es ist jedoch nicht ohne weiteres ersichtlich, weshalb aus nationalen Insellösungen bei einer am Verbrauchsortprinzip ausgerichteten indirekten Steuer binnenmarktrelevante Wettbewerbsverzerrungen resultieren sollten. Speziell in Deutschland stellt sich zudem die Frage, nach welchem Schlüssel das Steueraufkommen auf die Bundesländer verteilt werden soll, da sie finanzverfassungsrechtlich als spezielle Verkehrsteuer mit Länderertragshoheit zu qualifizieren sein dürfte.
„Suboptimal, mit einer Reihe von Mängeln“
Sicher ist jedenfalls: Die Steuer wird – sofern sie denn kommt – ein Albtraum an Komplexität und Rechtsunsicherheit. Das gilt einerseits für die Feststellung der relevanten Größenmerkmale und Anknüpfungspunkte, andererseits aber auch für die Aufkommensverteilung unter den Mitgliedstaaten, die sich nach Einschätzung der Kommission u.a. nach „geographischen Nutzer-Statistiken“ richten soll.
Die Problematik wird noch dadurch gesteigert, dass es im jetzt vorliegenden Entwurf heißt, die Erhebung der Equalization Tax könne in einzelnen EU-Staaten ausgesetzt werden, wenn sich der betreffende EU-Staat mit dem Drittstaat auf eine umfassende Neuregelung der Besteuerung digitaler Unternehmen inkl. einer virtuellen Betriebstätte einigt. Ob und inwiefern dann noch einheimische Unternehmen mit dieser Steuer belegt werden müssen, ist nicht die einzige Frage, die sich hier aufdrängt. Nicht zuletzt drohen erhebliche Verifikationsdefizite: Die allermeisten Steuerpflichtigen werden in den USA ansässig sein, die sich zu internationaler Amtshilfe regelmäßig nur für Ertragsteuern verpflichtet haben. Dass die Steuer vorwiegend amerikanische Unternehmen belastet, ist welthandelsrechtlich mindestens bedenklich und dürfte in den USA in einem ohnehin schon aufgeheizten handelspolitischen Klima als Kampfansage verstanden werden. Es scheint unwahrscheinlich, dass die Kommission so ihrem selbstgesteckten Ziel einer weltweit koordinierten Anpassung des internationalen Regelwerks in Hinblick auf eine „virtuelle Betriebstätte“ näherkommt.
Doch sieht sich die Kommission selbst als Getriebene und dazu gedrängt, gegenüber ihren Mitgliedstaaten Handlungsfähigkeit zu demonstrieren und Druck auf die OECD aufzubauen, die Beratungen zu einer langfristigen Lösung voranzutreiben. So heißt es denn auch recht unverblümt im Kommissionsentwurf:
„There is a high political pressure for Member States to adopt short-term measures with a more targeted scope (…). (The proposal is about) reducing the political pressure and providing a clear signal that the EU is determined to pursue the agenda on the fair taxation of the digital economy”.
Zugleich räumt die Kommission ein:
„We are nonetheless aware that such a short-term measure is sub-optimal and has a series of drawbacks and limitations.“
„Suboptimal, mit einer Reihe von Mängeln“ – die Latte für die europäische Steuerpolitik könnte ruhig etwas höher hängen.
Zu den Autoren:
Johannes Becker ist Direktor des Instituts für Finanzwissenschaft der Universität Münster. Auf Twitter: @YohannesBecker
Joachim Englisch ist geschäftsführender Direktor des Instituts für Steuerrecht der Universität Münster.