Aller Voraussicht nach werden im Jahr 2018 die Schweizer Wähler in einer Volksabstimmung über die sogenannte Vollgeld-Initiative abstimmen. Diese will erreichen, dass nicht mehr die Banken das elektronische Buchgeld erzeugen, sondern nur noch die Nationalbank.
In einem kürzlich im Makronom erschienenen Artikel kritisiert Stephan Schulmeister die Vollgeld-Initiative als „ein gut gemeintes Fiasko“. Schulmeister vertritt die Meinung: „Nicht das Kreditgeldsystem an sich stellt ein Fundamentalproblem dar, sondern die Art der Verwendung von Geld.“ Vielmehr habe die durch die neoliberale Wirtschaftstheorie legitimierte „Entfesselung der Finanzmärkte“ über einen Zeitraum von 45 Jahren in eine Depression geführt.
Konsequenterweise schlägt Schulmeister daher in seinem dem Makronom-Beitrag zugrundeliegenden Working Paper direkte Eingriffe in die Finanzmärkte vor (Finanztransaktionssteuer, feste Wechselkurse zwischen wichtigen Währungen, Europäischer Währungsfonds usw.) vor. Auf diese sehr weitreichenden Vorschläge soll an dieser Stelle nicht eingegangen werden – wir beschränken uns auf einen Kommentar zu den Aussagen, welche Schulmeister zur Idee des Vollgeldes macht. Dabei halten wir uns gerne an das von Schulmeister verwendete Hegel-Zitat: „Die Wahrheit ist konkret“.
Geringe Bedeutung der Geldmenge?
Es wird selbstverständlich nicht bestritten, dass die Liberalisierung der Finanzmärkte in erheblichem Mass für die aktuelle Krise des Finanzsystems mitverantwortlich ist. Wenn aber Schulmeister die Auffassung vertritt, dass die Kreditgeldschöpfung der Geschäftsbanken nicht ursächlich zu den verschiedensten Finanzkrisen beigetragen hat, so widerspricht er damit nicht nur den Vollgeld-Reformern, sondern auch aktuellen Analysen der Bank of England oder der Bank für Internationalen Zahlungsausgleich (BIZ). Auch der keynesianische Ökonom und Nobelpreisträger Maurice Allais kam schon vor Jahrzehnten zu der Erkenntnis, dass zwischen der Kreditausweitung der Banken und den immer wieder auftretenden Finanzkrisen ein starker Zusammenhang besteht.
Schulmeister versucht, mit der aktuellen Politik der EZB die Irrelevanz der Geldpolitik für die realwirtschaftliche Entwicklung aufzuzeigen: „Die EZB erhöht die Geldmenge durch „Quantitative Easing“, um zumindest die Inflation zu erhöhen und eventuell auch die Konjunktur zu beleben… Doch die Inflationsraten sind gefallen, die Konjunktur hat sich verschlechtert, nur die Aktienkurse sind gestiegen… Das Vollgeld-System kann für diese Problematik keine Abhilfe schaffen.“
Die Möglichkeiten der Geldpolitik sind zweifellos begrenzt – mit Vollgeld würden sie allerdings deutlich verbessert werden. Denn Schulmeister übersieht, dass die EZB heute zwar die monetäre Basis vergrössern kann, aber auf die im Publikum umlaufende Geldmenge M1 keinen direkten Einfluss hat: Denn die Banken können nur dann Kredite vergeben – und damit Geld schaffen -, wenn auch Kredite nachgefragt werden. Im Vollgeld-System wird jedoch ein großer Teil des neuen Geldes nicht über Kredite, sondern über Ausgaben (des Staates oder der Bürger) in Umlauf gebracht. Damit können Investitionen finanziert oder Konsumausgaben getätigt werden.
Wie nachhaltig die damit verbundenen Auswirkungen sind, mag schwierig zu beurteilen sein – aber auf jeden Fall fließt im Vollgeld-System neues Geld immer zuerst in die Realwirtschaft. Auch eine „Bürgerdividende“ würde aufgrund der hohen Konsumneigung breiter Bevölkerungsschichten zum größten Teil in den Konsum fließen – und nicht wie Schulmeister vermutet in die Finanzmärkte.
Keine Auswirkungen der Vollgeld-Initiative auf die Finanzspekulation?
Als zweites Argument führt Schulmeister an, dass Vollgeld die Finanzspekulation nicht eindämmen würde. Dieses Argument trifft teilweise sicher zu – auch die Vollgeld-Initiative löst nicht alle Probleme. Aber es gibt zahlreiche Faktoren, welche dazu führen, dass mehr Geld in die Realwirtschaft und weniger in die Finanzmärkte fließen wird. Hier die fünf wichtigsten:
Schuldfrei in Umlauf gebrachtes Geld kommt über Staats- oder Bürgerausgaben immer zuerst in die Realwirtschaft. Dagegen dient das heute über Bankkredite in Umlauf gebrachte Geld mehrheitlich der Finanzspekulation. Denn kreditwürdig sind in erster Linie reiche Menschen, die das zusätzliche Geld nicht für den Konsum brauchen. Aus diesem Grund bringen niedrige Leitzinsen der Zentralbanken meist nur wenig für die Realwirtschaft, sondern füttern Spekulationsblasen.
Die Zentralbank kann die Kreditvergabe durch entsprechende Angebote steuern: Wenn die Zentralbank Kredite an das Bankensystem gibt, so kann sie das mit der Auflage verbinden, dass diese Gelder nur für Investitionen in der Realwirtschaft verliehen werden dürfen. Am 5. Juni 2014 beschloss beispielsweise die Europäische Zentralbank das sogenannte „TLTRO“-Programm. Dabei handelte es sich um bis zu 400 Milliarden Euro an Zentralbankkrediten, die nur zur Finanzierung von Krediten an Unternehmen verwendet werden durften. Das TLTRO-Programm wurde im März 2016 erneut gestartet.
Banken können ihre Spekulationen nicht mehr selbst finanzieren: Banken brauchen im Vollgeld-System Spargelder oder Investoren und können kein Geld mehr für den Eigenhandel oder für Spekulationskredite erzeugen. Damit entfällt ein wichtiger Treiber von Finanzblasen.
Banken kommen unter Druck, die Realwirtschaft nicht zu vernachlässigen: Heute wird das Problem eines zu starken Abflusses von Geld aus der Realwirtschaft in die Finanzwirtschaft dadurch verschleiert, dass die Geldmenge insgesamt rasant wächst. Damit die Realwirtschaft funktionieren kann und ihr „beiläufig“ auch Gelder zufließen, werden Finanzblasen hingenommen. Mit Vollgeld wird die Geldmenge durch die Nationalbank beschränkt. Deshalb würde es auffallen, wenn Banken zu viel Geld in spekulative Finanzanlagen stecken und es deshalb zu wenig Kredite in der Realwirtschaft für Unternehmen und Konsumenten gäbe. Entsprechend würden öffentliche Diskussionen entstehen.
Weniger Zinszahlungen für Staatsschulden bedeuten auch einen geringeren Abfluss von Geld in die Finanzwirtschaft: Wenn die Staaten durch die Vollgeld-Reform ihre Staatsschulden zurückzahlen, sparen sie beträchtliche Zinskosten – die Schweiz jährlich ca. 5 Milliarden Franken. Diese Zinsen auf Kosten der Steuerzahler gehen im Wesentlichen an die Reichen. Diese kontinuierliche Umverteilung wird durch die Vollgeld-Reform beendet.
Über diese direkt mit dem Vollgeld verbundenen Effekte hinaus sind in der schweizerischen Vollgeld-Initiative zusätzliche Bestimmungen enthalten, welche für weitergehende Eingriffe in die Finanzmärkte die notwendigen rechtlichen Grundlagen schaffen. Der Initiativtext würde den Artikel 99 Absatz 4 der Schweizer Bundesverfassung wie folgt umschreiben:
„Das Gesetz ordnet den Finanzmarkt im Gesamtinteresse des Landes. Es regelt insbesondere:
a. die Treuhandpflichten der Finanzdienstleister;
b. die Aufsicht über die Geschäftsbedingungen der Finanzdienstleister;
c. die Bewilligung und die Beaufsichtigung von Finanzprodukten;
d. die Anforderungen an die Eigenmittel;
e. die Begrenzung des Eigenhandels.“
Mit diesen Bestimmungen wird die verfassungsrechtliche Grundlage für Gesetze geschaffen, die notwendig sind, um schädliche Auswüchse des Finanzmarktes zu verhindern. Bislang konnte der Bund zwar „polizeiliche Regeln“ beschließen, hatte ansonsten aber wenig Einfluss auf die Finanzmärkte. Doch die Sicherheit des Geldes muss in jedem Falle gewährleistet sein. Das Geldwesen ist genauso wie etwa das Straßen- und Bahnnetz eine Grundlage der gesamten Wirtschaft. Bis heute beriefen sich die Banken auf die „Wirtschaftsfreiheit“ und gingen in der Vergangenheit große Risiken ein, in der Erwartung, zur Not vom Steuerzahler gerettet zu werden. Solches Verhalten kann in Zukunft per Gesetz verhindert werden.
Wird die Kreditversorgung erschwert?
Ein weiterer zentraler Einwand von Schulmeister geht dahin, dass Vollgeld die Kreditversorgung der Realwirtschaft erschwere. Dabei geht Schulmeister von einer vollständig zentralisierten Geldschöpfung aus. Allein die Notenbank bestimmt nach seiner Auffassung die Geldmenge – sozusagen ohne Rückkopplung mit den Banken und der Realwirtschaft.
Diese Annahme entspricht aber nicht den Absichten und Formulierungen der schweizerischen Vollgeld-Initiative. Der Initiativtext der Vollgeld-Initiative verpflichtet die Nationalbank, „die Versorgung der Wirtschaft mit Krediten durch die Finanzdienstleister“ zu gewährleisten (Art. 99a Abs. 1). Darüber hinaus wird in Absatz 3 festgehalten: „Sie (die Nationalbank) kann den Banken befristete Darlehen gewähren“. Und in den Übergangsbestimmungen wird weiter ausgeführt: „Insbesondere in der Übergangsphase sorgt die Schweizerische Nationalbank dafür, dass weder Geldknappheit noch Geldschwemme entsteht. Während dieser Zeit kann sie den Finanzdienstleistern erleichterten Zugang zu Darlehen gewähren.“
Mit diesen Formulierungen wird es der Nationalbank ermöglicht, Geld nicht nur über Ausgaben (also über den Staat oder die Bürger) in Umlauf zu bringen. Sondern die Nationalbank kann auch – mit den schon jetzt verfügbaren Instrumenten – den Banken weiterhin Darlehen gewähren. Es ist anzunehmen, dass die Steuerung dieser Teilmenge des Geldes – wie bisher – vor allem über die Zinsbedingungen erfolgen wird.
In welchem Umfang Geld über Ausgaben und in welchem Umfang über Kredite an die Banken in Umlauf kommt, wird sich in der Praxis zeigen. Es ist durchaus denkbar, dass vor allem in der Umstellungsphase ein beachtlicher Teil weiterhin über die Kredite an Banken in Umlauf gebracht wird. Dieser Weg hat viele Vorteile: Einerseits wird damit auf die Bedürfnisse der Wirtschaft unmittelbar Rücksicht genommen, das Wissen der Märkte fließt so in die Entscheide der Nationalbank ein. Auch kann die Nationalbank das nominale Zinsniveau nach wie vor beeinflussen.
Neben der Steuerung über den Zins könnte die Nationalbank für die Verwendung der Kredite wie bisher auch ergänzende Auflagen machen (wie heute z. B. über die konjunkturabhängigen Eigenkapitalvorschriften für Hypothekarkredite). Ob dies erforderlich sein wird, wird sich zeigen – auf jeden Fall ist es nicht so, dass die Nationalbank einzelne Investitionsvorhaben beurteilen müsste. Es geht beim Vollgeld um eine Zentralisierung des Geldes, nicht der Kredite.
Auch Schulmeisters Argument, dass unter Vollgeld eine gesamtwirtschaftliche Nachfragelücke entstehen könnte, wenn ein zu großer Anteil des Geldes auf den Zahlungskonten gehalten und nicht über Sparkonten den Investoren zur Verfügung gestellt wird, wirkt vor dem Hintergrund der aktuellen Erfahrungen seltsam: Bereits heute werden sehr hohe Bestände in liquider Form gehalten – und die Wirtschaft funktioniert trotzdem.
Schulmeisters Befürchtung liegt vermutlich die Auffassung zu Grunde, dass unter einem Vollgeld-System Investitionen nur durch vorangehendes Sparen ermöglicht werden. Dies trifft aber nicht zu, wie die Geldschöpfung der Banken eindrücklich belegt. Es ist auch nicht so, dass für die Finanzierung der notwendigen Investitionen neu geschaffenes Geld nur von den Banken kommen kann. Auch eine Geldschöpfung über die Nationalbank kann diese Aufgabe erfüllen – indirekt über die Finanzierung von Ausgaben bzw. das Ermöglichen von Ersparnissen und direkt über die erwähnten Darlehen an die Banken.
Kein Geld ohne Kredit?
Aus Schulmeisters Sicht können Geld und Kredit nicht getrennt betrachtet werden, weil es nach seiner Auffassung unmöglich ist, „Geld als Transaktionsmittel von Kredit als Finanzierungsmittel klar zu unterscheiden und in der Praxis zu trennen. Denn Geld und Kredit (letztlich alle Finanztitel einschliesslich Aktien) verwenden notwendigerweise das gleiche Zeichen/Symbol zur Quantifizierung ihres Nominalwertes (Euro, Dollars etc.) und deshalb kann man nicht verhindern, dass Zahlungen mit Guthaben/Forderungen/Finanzwerten aller Art erfolgen“. (S. 16)
Diese Begründung vermag nicht zu überzeugen: Auch die Länge von Straßen, die Höhe von Bäumen usw. werden alle in Metern gemessen – und niemand würde deshalb argumentieren, Bäume und Straßen seien deshalb miteinander identisch. Nicht alle Guthaben/Forderungen/Finanzwerte sind schon Geld, nur weil sie in bestimmten, sehr begrenzten Fällen in Zahlung gegeben oder in Geld umgewandelt werden können. Unter Geld sollte nur ein Zahlungsmittel verstanden werden, welches von der Gegenpartei zur Begleichung von Schulden akzeptiert werden muss (aufgrund von Gesetzen oder allgemeinen Geschäftspraktiken) und/oder welches zur Bezahlung von Steuern verwendet werden kann. Mit Aktien können weder Steuern bezahlt werden, noch muss man sie in Zahlung nehmen.
Eine wirkliche Begründung, weshalb Kredit und Geld zwingend zusammengehören und Geld nur auf der Basis von Krediten geschaffen werden kann, findet man bei Schulmeister nicht. Es wird allein auf die mit einem „Kreditgeldsystem“ verbundene hohe Flexibilität bei der Finanzierung von Investitionen hingewiesen.
Diese notwendige Flexibilität in der Geldversorgung setzt jedoch nicht zwangsläufig ein „Schuldgeld“ voraus, sondern kann – wie oben dargelegt – auch mit Vollgeld erreicht werden, welches durch die Notenbank herausgegeben wird. Darüber hinaus werden die mit einem Kreditgeld verbundenen Nachteile von Schulmeister leider vollständig ausgeklammert. Geld sollte aber – dies ist ein zentrales Anliegen der Vollgeld-Initiative – schuldfrei in Umlauf kommen, um damit einen Beitrag zur Entschuldung der Gesellschaft zu leisten.
Somit fällt Schulmeisters Kritik, der sich nicht an der konkreten Formulierung der schweizerischen Vollgeld-Initiative orientiert, daher in wesentlichen Punkten ins Leere. Was seine eigenen Vorschläge (Finanztransaktionssteuer, feste Wechselkurse zwischen wichtigen Währungen, etc.) betrifft, so greifen diese viel stärker ins Wirtschaftsgeschehen ein – verglichen mit diesen Vorschlägen ist die Vollgeld-Initiative ein bescheidener, überschaubarer und dennoch wirksamer Schritt in die richtige Richtung.
Zum Autor:
Reinhold Harringer ist Mitglied des Initiativkomitees für die schweizerische Vollgeld-Initiative.