Schuldenschnitt

Wolfgang Schäuble und die Griechenland-Rechnung

Die öffentlichen Gläubiger Griechenlands haben sich erneut nicht auf die Freigabe weiterer Gelder einigen können. Hintergrund ist der offensichtliche Versuch Wolfgang Schäubles, bis zur Bundestagswahl keine Diskussion über die Kosten der Griechenland-Rettung aufkommen zu lassen. Damit wäre aber außer dem Finanzminister und seiner Regierung niemandem geholfen.

Wie lassen sich die griechischen Staatsschulden entsorgen? Foto: Bill G. via Flickr (CC BY-SA 2.0)

Acht Stunden waren nicht genug: Am späten Montagabend beendete die Eurogruppe ihre Sitzung, ohne in der Causa Griechenland zu einer Einigung zu kommen. Es ist also weiterhin offen, ob Griechenland trotz der in der Vorwoche verabschiedeten zusätzlichen Sparmaßnahmen die nächste Tranche aus dem derzeit laufenden dritten Rettungspaket erhält. Laut Angaben von Eurogruppen-Chef Jeroen Dijsselbloem wird es frühestens beim nächsten Eurogruppen-Treffen am 15. Juni eine Entscheidung geben.

Trotz des Scheiterns der gestrigen Gespräche ist das Risiko eines griechischen Zahlungsausfalls kurzfristig eher gering. Das liegt zum einen daran, dass es sich dieses Mal nicht um einen Konflikt zwischen den Gläubigern und der Tsipras-Regierung handelt, sondern um Streitigkeiten innerhalb der Gläubiger-Gruppe. Die Euro-Finanzminister um Wolfgang Schäuble wollen den Internationalen Währungsfonds unbedingt an Bord haben, der seine Beteiligung aber von einem signifikanten Schuldenerlass abhängig macht (dazu weiter unten mehr).

Zweitens handelt es sich bei den kurzfristig zu bedienenden griechischen Verbindlichkeiten zu einem großen Teil um Gelder, die indirekt sowieso wieder an die europäischen Gläubiger zurückfließen, wie ein Blick auf die Fälligkeiten der griechischen Schulden zeigt.

Insgesamt muss Griechenland in diesem Jahr noch gut 21 Milliarden Euro zurückzahlen. Knapp 15 Milliarden davon sind allerdings sogenannte T-Bills, also Anleihen mit einer Laufzeit von maximal 26 Wochen. Diese Papiere sind seit geraumer Zeit Griechenlands einzige Möglichkeit, sich Geld von privaten Investoren zu leihen. Zu den Käufern zählen vor allem griechische Banken, die bisher auch immer bereit waren, die T-Bills bei Fälligkeit zu refinanzieren (immerhin gibt es für die Kurzläufer stattliche Renditen von 2 bis 3%).

Quellen: Wall Street Journal, PDMA

Wie die Grafik zeigt, wird es für Griechenland also vor allem Mitte Juli spannend. Dann müssen von privaten Investoren gehaltene Anleihen im Volumen von 2 Milliarden Euro umgeschuldet werden. Die mit 3,9 Milliarden Euro größte Rückzahlung muss aber an die EZB geleistet werden.

Zwar sind die politisch Verantwortlichen in Sachen Griechenland nicht gerade durch rationale ökonomische Entscheidungen verhaltensauffällig geworden. Aber Griechenland Gelder zu verweigern, die zu einem nicht unerheblichen Teil dafür verwendet würden, um sofort wieder an die eigene Zentralbank transferiert zu werden, wäre selbst für europäische Verhältnisse etwas extrem.

Außerdem ist es keinesfalls auszuschließen, dass die griechische Regierung nicht doch in der Lage ist, den Juli ohne weitere Hilfsgelder zu überstehen: Sie könnte beispielsweise zusätzliche T-Bills ausgeben, besitzt möglicherweise auch noch Reserven in der Staatskasse oder könnte ihre Rechnungen später begleichen. Von diesen Mitteln hatte die Tsipras-Regierung bereits während der Eskalation im Sommer 2015 Gebrauch gemacht.

Schäuble im Wahlkampfmodus

Dass man sich überhaupt wieder mit einem drohenden griechischen Zahlungsausfall beschäftigen muss, ist maßgeblich dem deutschen Bundestagswahlkampf und dem Seelenfrieden der Unionsparteien geschuldet.

Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble besteht darauf, dass sich der IWF auch finanziell am laufenden dritten Rettungspaket beteiligt. Dies wäre laut Schäuble notwendig, da die Teilnahme des IWF eine Bedingung gewesen sei, unter der der Bundestag 2015 dem Paket zugestimmt habe – was der Wissenschaftliche Dienst des Bundestages aber offenbar anders sieht: In einer Mail an den Linken-Abgeordneten Axel Troost stellte der WD bereits im Februar klar, dass „unter beteiligungsrechtlichen Gesichtspunkten nach dem [ESM-Finanzierungsgesetz] (…) die Nichtteilnahme des IWF jedoch für den Bundestag unmittelbar keine Plenarbefassung erforderlich“ mache. Im Klartext: Der Bundestag muss nicht noch einmal befragt werden, wenn der IWF kein eigenes Geld dazugibt. Aus rechtlicher Sicht würde das Programm zunächst einfach weiterlaufen.

Abgesehen von der Frage, ob die Europäer nach fast zehn Jahren Krisenerfahrung tatsächlich noch auf die (in Sachen Griechenland zweifelhafte) IWF-Expertise angewiesen sind, besteht Schäuble mit der IWF-Beteiligung auf einem Deal, der auch für die deutschen Steuerzahler nicht der beste ist: Der IWF verlangt für seine Kredite Zinsen, die deutlich über den Sätzen liegen, die Griechenland bei den europäischen Gläubigern bezahlen muss. Weil Griechenland aber nicht in der Lage ist, seinen Schuldendienst alleine zu stemmen, würden einige der Gelder, die das Land von den anderen Eurostaaten erhält, dafür verwendet werden, den IWF auszubezahlen, obwohl der selbst eigentlich gar nicht mehr mitmachen will.

Natürlich soll man die Sache nicht größer machen als sie ist: Ein paar Millionen Euro an komplett überflüssigen Zinszahlungen mehr oder weniger sind für Griechenland auch nicht entscheidend. Aber wenn man bedenkt, mit welcher Präzision die Troika in Griechenland die Staatsausgaben gerade im Sozialbereich zusammengestrichen hat, ist dies doch ein sehr zynisches Signal.

Denn im Endeffekt bedeutet Schäubles IWF-Fetisch, dass er den Währungsfonds für seine Dienste unter zweifelhaften juristischen Argumenten mit dem Geld europäischer Steuerzahler entlohnen will, obwohl der deutsche Finanzminister die angeblich so hoch geschätzte IWF-Expertise in wichtigen Fragen (Schuldenschnitt) dann wiederum ablehnt, was auch künftig wieder Streit zwischen den Gläubigern provozieren könnte – und das alles deshalb, um ein paar Hinterbänkler in den Unionsfraktionen ruhigzustellen und den eigenen Parteifrieden nicht zu gefährden. Was wohl in Deutschland los wäre, wenn die Griechen so was machen würden?

Schuldenschnitt oder viertes Rettungsprogramm

Wie erwähnt ist es eher unwahrscheinlich, dass diese Absurditäten in den nächsten Monaten zu einem GAU namens Zahlungsausfall führen. Das ändert jedoch nichts daran, dass die bisherige Strategie zur Griechenland-Rettung weiterhin höchst fragwürdig ist und einer Korrektur bedarf.

Primärziel der europäischen Gläubiger ist es, dass Griechenland wieder „Marktzugang“ erhält, also von privaten Investoren wieder Geld für die Refinanzierung seiner Verbindlichkeiten bekommt. Auch die griechische Regierung strebt diesen Schritt an, wobei ihre Motivation daraus resultiert, dann wieder etwas mehr politische Autonomie zu gewinnen.

Für Griechenland macht es keinen Sinn, sich bei privaten Investoren zu Konditionen zu verschulden, die deutlich schlechter sind als die Kredite der öffentlichen Gläubiger

Das ist angesichts der kontraproduktiven und harten Forderungen der Gläubiger durchaus nachvollziehbar, aber ökonomisch fragwürdig. Für Griechenland macht es einfach keinen Sinn, sich bei privaten Investoren zu Konditionen zu verschulden, die (finanziell) deutlich schlechter als die der öffentlichen Gläubiger sind. Zur Einordung: Für die Darlehen der Rettungsschirme ESM und EFSF zahlt Griechenland Zinsen in Höhe von etwa 0,7 bis 1,2% pro Jahr. Dagegen rentieren beispielsweise 10-jährige griechische Staatsanleihen auf den privaten Kapitalmärkten mit über 5%. Außerdem ist der griechische Staatsanleihen-Markt sehr illiquide, was die Emission von Schuldtiteln schwer kalkulierbar und anfällig für Angriffe von Spekulanten macht.

Dies wiederum bedeutet, dass sich Griechenland auch nach Ende des aktuellen Programms im kommenden Jahr – wenn überhaupt – dann nur zu sehr schlechten Konditionen an den Finanzmärkten refinanzieren kann, was die Schuldentragfähigkeit langfristig nur verschlechtern würde. Ob der griechische Primärüberschuss, über dessen Höhe IWF und Eurogruppe ebenfalls streiten, nun 3,5% der Wirtschaftsleistung oder weniger beträgt, ist für diese Frage eher zweitrangig.

Die Eurogruppe muss sich also zwischen zwei Möglichkeiten entscheiden: Sie kann Griechenland die bereits mehrfach in Aussicht gestellten Schuldenerleichterungen gewähren – oder sie kann bereits jetzt damit anfangen, ein viertes Rettungspaket zu planen.

Auch eine Schuldenerleichterung ist ein Schuldenschnitt

Diese Erkenntnis scheint es inzwischen sogar durch die dicken Mauern des Bundesfinanzministeriums geschafft zu haben. Auch Wolfgang Schäuble hat bereits zugesichert, über Schuldenerleichterungen zu reden, aber eben erst 2018. Einen Schuldenschnitt schließt Schäuble aber weiterhin aus.

Zunächst gilt es festzuhalten, dass diese Aussage im Prinzip unsinnig ist. Auch eine Schuldenerleichterung ist eine Form des Schuldenschnitts. Der Schuldenschnitt-Begriff („Haircut“) meint für gewöhnlich, dass sich Gläubiger und Schuldner auf die Reduzierung des Nominalbetrags einigen. Schuldenerleichterungen könnten wiederum darin bestehen, dass z. B. Zinsen gesenkt oder Rückzahlungsfristen verlängert werden. Nach diesem Muster wurde Griechenland bereits mehrfach ein Forderungserlass gewährt. Unterm Strich laufen beide Varianten aber aufs Gleiche hinaus: Der Gläubiger erhält weniger Geld zurück als ursprünglich vereinbart worden war. Und je nach Gestaltung der Schuldenerleichterung könnte diese auf lange Sicht sogar umfassender sein als der klassische Haircut.

Im Falle Griechenlands ist die Unterscheidung deshalb wichtig, weil ein harter Schuldenschnitt in Konflikt mit dem deutschen und europäischen Haushaltsrecht stehen würde. Dagegen wäre ein „weicher Haircut“ juristisch unproblematisch – und könnte genauso zielführend sein: So kommt beispielsweise eine Analyse des Peterson Institutes zu dem Ergebnis, dass die von der Eurogruppe bereits vorgeschlagenen Erleichterungen durchaus ausreichend sein könnten, die Schuldentragfähigkeit Griechenlands wiederherzustellen – aber nur wenn sie in einem „extremen“ Ausmaß erfolgen würden. Daher sollten zusätzliche Maßnahmen ergriffen werden, die beispielsweise aus dem Versuch bestehen könnten, die Finanzierungskosten des EFSF zu senken und diese Ersparnisse an Griechenland weiterzugeben.

Die Rechnung, bitte!

Der Streit zwischen den Gläubigern schwelt nun seit bereits über einem Jahr, und es ist nicht ersichtlich, warum es bisher noch keine Lösung gegeben hat. An den Rahmenbedingungen hat sich schließlich nicht viel verändert, abgesehen davon, dass der Bundestagswahlkampf so langsam in die heiße Phase geht. Wolfgang Schäuble wird sicherlich versuchen, einen Formelkompromiss zu finden, der bis zum Wahltermin reicht. Damit wäre aber außer Schäuble und seiner Regierung niemandem geholfen.

Egal ob nun durch einen weichen oder einen harten Schuldenschnitt – die Griechenland-Rettung wird früher oder später Geld kosten. Man kann es richtig oder falsch finden, dass deutsche Steuergelder zur Abwendung des griechischen Staatsbankrotts verwendet wurden und werden, und erfreulicherweise gibt es bald eine Bundestagswahl, die auch eine Gelegenheit ist, um über den Griechenland-Kurs der Bundesregierung abzustimmen.

Für eine vernünftige Entscheidungsfindung wäre es allerdings wichtig, dass zum Wahltag dann auch klar ist, wie hoch die Rechnung denn eigentlich ausfallen wird – zumal ein gut gemachter Haircut durch eine vernünftige zeitliche Streckung und Lastenverteilung womöglich weitaus weniger heftig sein könnte, als viele Kritiker derzeit vermuten.