Fiscal Dominance

Wie gefährdet ist die Unabhängigkeit der EZB?

Zumindest in einem Punkt sind sich die meisten EZB-Kritiker und -Befürworter einig: Die Geldpolitik wird durch die Fiskalpolitik der Eurostaaten getrieben – offen ist aber, in welchem Ausmaß dies geschieht. Davon hängt letztlich auch ab, ob die Geldpolitik irgendwann wieder normalisiert werden kann, ohne die nächste Krise zu verursachen.

All together now: Geld- und Fiskalpolitik müssen sich künftig besser koordinieren, um die nächste Krise wirksam bekämpfen zu können. Foto: Pixabay

Seit mittlerweile 14 Monaten kauft die Europäische Zentralbank (EZB) im Rahmen ihres QE-Programms Anleihen europäischer Staaten und Institutionen auf. Die Kritik an der EZB ist seitdem nicht weniger geworden. Immer wieder dreht sich die Debatte auch um die Unabhängigkeit der Zentralbank.

Diese Debatte sollte man zunächst etwas differenzieren. Denn sie wird aus zwei verschiedenen Blickwinkel geführt. Der erste beschäftigt sich damit, ob das Mandat der EZB grundsätzlich umgebaut, die Zentralbank also durch die (deutsche) Politik in ihrer Unabhängigkeit eingeschränkt werden sollte. Der zweite Debattenzweig dreht sich um die Frage, ob die EZB durch die Folgen der aktuellen Fiskalpolitik ihre Unabhängigkeit de facto schon verloren hat bzw. gerade dabei ist, sie zu verlieren, ohne dass ihr Mandat überhaupt grundsätzlich verändert wird.

An dieser Stelle soll es um den letzteren Punkt gehen. In der ökonomischen Theorie gibt es dazu ein passendes Konzept, das bisher eher mit Blick auf Schwellen- und Entwicklungsländer zum Einsatz kam, aber auch die europäische Politik in den kommenden Jahren noch verstärkt beschäftigen dürfte: Das Konzept der fiskalischen Dominanz (englisch: fiscal dominance).

Als fiskalische Dominanz versteht man einen Zustand, in dem die Zentralbank eines Landes ihr Inflationsziel vernachlässigt, um die öffentlichen Finanzen zu retten – die Geldpolitik wird der Fiskalpolitik untergeordnet. Man könnte auch sagen: Die Geldpolitik sichert die Solvenz der öffentlichen Finanzen. Oder noch drastischer: Die Gelpolitik verhindert die Staatspleite.

Das Problem an einem Zustand der fiskalischen Dominanz liegt darin, dass die Geldpolitik ab einem gewissen Grad so sehr auf die Haushaltspolitik angewiesen ist, dass sie keine eigenständigen Entscheidungen mehr treffen kann – ihre Unabhängigkeit würde zwar formal noch bestehen, wäre aber de facto aufgehoben.

Diese Debatte wird von Ökonomen quer durch die verschiedenen Konfessionen geführt. So kamen kürzlich bei einer DGB-Diskussionsveranstaltung Ludger Schuknecht, Chefökonom des Bundesfinanzministeriums und erklärter Kritiker der momentanen Geldpolitik, und DIW-Präsident Marcel Fratzscher, ein Befürworter der EZB-Politik, übereinstimmend zu dem Ergebnis, dass die EZB momentan tatsächlich durch die Fiskalpolitik der einzelnen Mitgliedsstaaten getrieben wird.

Begründet wird diese Einschätzung von beiden mit den hohen Schuldenständen in der Eurozone. Diese beschränken die Nationalstaaten in der Möglichkeit, die Wirtschaft durch eine expansive Ausgabenpolitik zu stimulieren. Folglich obliegt diese schwere Aufgabe einzig und allein der EZB, die auf Grund ihres Mandats in der jetzigen Situation gezwungen ist, eine expansive Geldpolitik zu fahren – ungeachtet der möglichen Risiken z. B. für die Finanzmarktstabilität, die damit einhergehen können.

Im Folgenden werden wir versuchen, diesen etwas abstrakten Begriff der fiskalischen Dominanz mit Leben zu füllen. Es gibt zwei Wirkungskanäle, über die man die Existenz von fiskalischer Dominanz feststellen kann: Der erste Kanal ist der sogenannte seignorage channel. Seigniorage bezeichnet den Gewinn, den die Notenbank an ihre Anteilseigner ausschüttet. Im Fall der Eurozone sind das die 19 Eurostaaten. Der zweite Wirkungskanal ist der sogenannte interest rate channel, zu Deutsch: Zins-Kanal.

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