Seit Ausbruch der Finanzkrise 2007 sind Schattenbanken ein fester Begriff im globalen Finanzsystem. Klar ist, dass der Sektor weiterhin wächst und eine zunehmend gewichtige Rolle im globalen Finanzsystem einnimmt. Doch was sind Schattenbanken eigentlich genau? Wie funktionieren sie, warum sind sie in den Fokus gerückt und welche Gefahren sind mit ihnen verbunden?
Was sind Schattenbanken?
Die Verwirrung fängt schon mit dem Begriff an: Schattenbanken sind weder illegale Organisationen der Schattenwirtschaft, noch sind sie Banken.
Begründet wurde der Begriff 2007 vom US-Ökonomen Paul McCulley in einer Rede beim jährlichen Financial Symposium in Jackson Hole. McCulley bezeichnete mit dem Begriff die Emittenten hypothekenbesicherter Wertpapiere (Mortgage-Backed Securities, MBS), die entscheidenden Anteil an der Entstehung der amerikanischen Hypothekenblase und damit der Finanzkrise von 2008 hatten. Die Bezeichnung blieb seitdem dieselbe, allerdings hat sich die Definition des Sektors seither über diese Emittenten hinaus geweitet. Was sind Schattenbanken also heute?
Laut Bundesbank versteht man unter Schattenbanken
„diejenigen Akteure und Aktivitäten auf den Finanzmärkten […], die bankähnliche Funktionen (insbesondere im Kreditvergabeprozess) wahrnehmen, aber keine Banken sind und somit nicht der Regulierung für Kreditinstitute unterliegen.“
Der Begriff umfasst also verschiedene Akteure und Aktivitäten, z. B. Geldmarktfonds, Hedgefonds, Kreditversicherungen oder auch Verbriefungsinstrumente. Der springende Punkt ist: Schattenbanken unterliegen nicht derselben Regulierung wie Banken, da sie im Gegensatz zu diesen keine Geldschöpfung betreiben und auch keinen Zugang zu Zentralbankreserven haben. Daher muss eine Schattenbank Mittel, die sie verleiht, im Gegensatz zu einer Bank auch tatsächlich besitzen, bzw. müssen die Mittel von Anlegern bereitgestellt werden. Diese Mittel der Anleger unterliegen dabei nicht analog zu Bankdepots der Einlagensicherung.
Kurzgefasst entsprechen Schattenbanken also dem, was im Volksmund – fälschlicherweise – als Bank gilt: Firmen, die Gelder einsammeln und diese dann verleihen oder investieren. Aber im Gegensatz zu echten Banken
- können Schattenbanken kein Geld schöpfen,
- können sich Schattenbanken kein Geld von Zentralbanken leihen und
- sind Konten und Depots bei Schattenbanken nicht durch Einlageversicherungen abgesichert.
Wie wichtig sind Schattenbanken?
Das globale Finanzsystem lässt sich zu nahezu gleichen Teilen in Banken und Nichtbanken aufteilen (siehe Grafik). Nichtbanken lassen sich wiederum aufgliedern in Versicherer, Altersvorsorgeeinrichtungen, sowie einen großen Rest, der unter dem Sammelbegriff „Andere Finanzintermediäre“ fungiert, wozu auch Schattenbanken zählen.*
Die genaue Größe des Schattenbankensektors hängt davon ab, welche von zwei Definitionen verwendet wird. Der Finanzstabilitätsrat (FSB), von dem die Daten der obigen Grafik stammen, benutzt zum einen eine weit gefasste Definition, unter die alle Finanzintermediäre fallen, die weder Banken, noch Versicherungsgesellschaften, noch Altersvorsorgeeinrichtungen sind. Die zweite Definition des FSB umfasst dagegen nur Firmen, von denen laut Finanzstabilitätsrat ein Risiko für die Finanzstabilität ausgehen kann.
Unter beiden Definitionen ist der Schattenbankensektor bedeutend: Unter die erste Definition fallen Firmen, die Finanzwerte im Umfang von 99 Billionen US-Dollar verwalten – das entspricht knapp 30% aller globalen Finanzwerte. Selbst unter der engeren zweiten Definition verwalten Schattenbanken immer noch 45 Billionen US Dollar oder gut 13% aller globalen Finanzwerte.
Der Einfluss von Schattenbanken lässt sich durch ein Beispiel weiter verdeutlichen. BlackRock – die größte Schattenbank der Welt – ist zwischen 2007 und 2017 von 1,4 Billionen US-Dollar an verwaltetem Vermögen auf 6,3 Billionen US-Dollar angewachsen. Das entspricht ungefähr dem 1,8-fachen des deutschen Bruttoinlandsprodukts. BlackRock ist inzwischen auch das größte Finanzunternehmen der Welt, gefolgt vom Vermögensverwalter Vanguard. Die größte Bank der Welt, die Industrial and Commercial Bank of China (ICBC), liegt mit einer Bilanzsumme von ca. 3,5 Billionen US-Dollar deutlich abgeschlagen auf Platz 3.
Durch die Vielzahl und das Volumen der verwalteten Anlagen hat BlackRock auch ein enormes politisches Gewicht: Beispielsweise ist die Schattenbank bei einem Drittel der DAX-Unternehmen der größte Einzelaktionär. Weltweit ist BlackRock Großaktionär von tausenden Unternehmen, bei denen die Firma Aufsichtsratssitze besetzen und die Unternehmensstrategie maßgeblich mitbestimmen kann.
Der Aufstieg der Schattenbanken durch den Abstieg der Banken
Der Aufstieg der Schattenbanken hat seinen Ursprung vor allem in den Jahren um die Finanzkrise ab 2007 und der daraus resultierenden stärkeren Regulierung von Banken. Doch eine erste Blüte, die erhebliche Konsequenzen hatte, trieben Schattenbanken bereits vor der Krise: Insbesondere in den USA spielten sie eine gewichtige Rolle in der stetig wachsenden Hypothekenblase.
Durch eigene Zweckgesellschaften, wie z. B. Verbriefungsvehikel, konnten Banken die sogenannten subprime-Kredite aus ihren Bilanzen streichen, wodurch eine immer lockerere Kreditvergabe möglich war. Nach einem signifikanten Preisfall im Immobiliensektor stellte sich jedoch heraus, dass die zugrunde liegenden Sicherheiten (Immobilien) überbewertet gewesen waren – plötzlich saßen die Zweckgesellschaften auf einem Haufen fauler Kredite. Die daraus entstandenen Verluste trafen wiederum die Bilanzen der betroffenen Banken, die die Solvenz ihrer Verbriefungsvehikel garantierten, mit aller Härte. Refinanzierungsschwierigkeiten dieser Institute ebneten letztendlich den Weg zur Finanzkrise ab 2007.
Gleichzeitig wurde klar, dass der fälschlicherweise für relativ stark reguliert und sicher befundene Bankensektor sich zum Teil der regulatorischen Aufsicht entzogen hatte bzw. dass Risiken hier falsch bewertet wurden. Dies hatte dazu geführt, dass auch die Eigenkapitalquoten für Banken nicht ausreichend bemessen waren, um die massiven Verluste aufzufangen. Infolgedessen verschärfte man die regulatorischen Vorgaben, insbesondere zu Eigenkapitalquoten und der Risikogewichtung einzelner Papiere.
Wegen den dadurch steigenden Regulierungskosten, insbesondere für risikoreichere Anlagen, sowie generelle Konsolidierung und gefallene Erträge, zogen sich Banken nach der Finanzkrise mehr und mehr aus eben diesen risikoreicheren Geschäften zurück. Schattenbanken konnten diese Lücke schließen, weil sie eben bei weitem nicht so stark reguliert waren. Im Jahr 2013 – neuere Daten gibt es bisher nicht – wurden in den USA laut IWF bereits die Hälfte aller Kredite von Schattenbanken vergeben, in Europa war es immerhin gut ein Drittel. Zudem gibt es klare Hinweise darauf, dass das QE-Programm der EZB die Schattenbanken weiter ins Zentrum der europäischen Finanzmärkte katapultiert hat.
Weiter begünstigt wurde das Wachstum des Schattenbanksektors durch einen steten Zufluss liquider Mittel. Anleger setzten aufgrund der in der Krise niedrig gehaltenen Leitzinsen zunehmend auf alternative Anlagearten. Ein Teil des Schattenbanksektors profitierte hiervon besonders: der Investmentfondssektor. Mit Ausnahme der Geldmarktfonds, die in der Krise in Schieflage gerieten und im Anschluss umfassender reguliert wurden, wuchsen alle anderen Arten von Investmentfonds (Hedgefonds, Immobilienfonds, Andere Investmentfonds) zusammen genommen um mehr als 80%.
Die Funktion von Schattenbanken
Dieses Wachstum, das sich vor allem im Investmentfondssektor vollzog, bringt uns zum nächsten Punkt: der Funktion von Schattenbanken. Schattenbanken und insbesondere Investmentfonds bieten Investoren und Anlegern neue und alternative Anlagemöglichkeiten. So ermöglichen sie bei höherer Risikobereitschaft auch entsprechend höhere Zinsen als z. B. ein Festgeldkonto der örtlichen Bank, insbesondere in der derzeitigen Niedrigzinsphase. Doch auch risikoscheueren Anlegern bietet sich die Möglichkeit, durch Indexfonds, die einen bestimmten Aktienindex möglichst genau abbilden, mittelfristig höhere Renditen bei im Vergleich zu Einzelaktien deutlich geringerem Risiko und niedrigen Kosten zu erwirtschaften.
Wie zuvor beschrieben übernahmen Schattenbanken nach der Finanzkrise zudem einen Teil des Geschäfts der Banken, insbesondere in der Kreditvergabe. Durch die generell zögerlichere Vergabe von Krediten und den Rückzug der Banken aus riskanteren, aber potenziell Ertrag bringenden Anlagen, gab es auch hierfür eine rege Nachfrage. Schattenbanken bieten Unternehmen und Haushalten also neue Finanzierungsmöglichkeiten. Damit einhergehend erhöhen sie den Wettbewerb am Finanzmarkt, insbesondere in der zuvor von klassischen Banken dominierten Kreditvergabe, was theoretisch zu mehr Effizienz führt.
Jedoch ergeben sich aus der Kreditvergabe der Schattenbanken nicht nur realwirtschaftliche Investitionen – nicht jeder von Schattenbanken vergebene Kredit unterstützt z. B. eine Unternehmensgründung oder -expansion, woraus wiederum Arbeitsplätze oder Produktivitätsgewinne entstehen. Auch in der (legalen) Steueroptimierung internationaler Konzerne spielen Schattenbanken bzw. firmeneigene Finanzierungseinrichtungen (in der Grafik unter captive financial institutions verortet) eine tragende Rolle: Mit Sitz in einem Niedrigsteuer-Land vergeben diese Einrichtungen (hochverzinste) Kredite innerhalb ihres Konzerns und mindern so die zu versteuernden Gewinne der kreditnehmenden Tochtergesellschaften in anderen Ländern.
Obgleich legal, ist diese Funktion von Schattenbanken von zweifelhaftem gesellschaftlichen Nutzen. Wie die obige Grafik zeigt, wuchs diese Art von Schattenbanken seit der Krise ebenfalls stark (um mehr als 50% zwischen 2007 und 2016). Durch die breite Definition des Begriffes der captive financial institutions kann allerdings nicht präzise nachvollzogen werden, welches Volumen die Steueroptimierungsmaschinen in diesem Teilsektor tatsächlich ausmachen.
Außerdem sei nochmals auf die bereits eingangs beschriebene Art der Schattenbanken verwiesen, die in der Finanzkrise eine prominente Rolle spielten: Verbriefungsvehikel (in der Grafik unter structured finance vehicles verortet). Verbriefungsvehikel fassen verschiedene Vermögenswerte (z. B. Hypotheken) anhand verschiedener Charakteristika (Laufzeit, Ausfallrisiko) zusammen, um daraus wiederum eine Art von Anleihe an Investoren zu verkaufen. Auch hier ist der gesellschaftliche Nutzen nicht eindeutig.
Sicher ist, dass solche Transformationen von Vermögenswerten ein nicht unerhebliches Risiko bergen können, das sie mitunter verschleiern, da meist nicht oder nur schwer nachzuvollziehen ist, wie riskant die ursprüngliche Anlage war bzw. ob sie ausreichend besichert ist – 2007 lässt grüßen. Dieser Sektor ist seit der Finanzkrise stark geschrumpft, was zum einen der schärferen Regulierung geschuldet ist, zum anderen dem Rufverlust, den sie durch ihre Rolle in der Finanzkrise erfahren haben.
Jedoch gibt es Bestrebungen, den Verbriefungsmarkt wieder aufleben zu lassen, so z. B. in der Entwicklungszusammenarbeit. Die African Development Bank (AfDB) lancierte hier zuletzt eine Art Pilotprojekt: „Room2run“, den ersten Verbriefungsmarkt in der multilateralen Entwicklungszusammenarbeit. Für ein Paket von ungefähr 50 Krediten über insgesamt 1 Milliarde US-Dollar sichern Investoren mögliche Kreditverluste ab und erhalten im Gegenzug eine „niedrige, zweistellige“ Rendite. In der Bilanz der AfDB sinkt somit die Summe risikoreicherer Anlagen, wodurch sie mehr Kredite ohne Erhöhung des Kernkapitals vergeben kann. Zukünftig erhofft man sich durch dieses Modell, Entwicklungsprojekte für private und institutionelle Investoren attraktiver zu machen und so die Kreditvergabe vor Ort anzukurbeln. Kritiker fürchten allerdings Parallelen zur opaken Verbriefungspraktik vor der Finanzkrise.
Schattenbanken erfüllen also sowohl nützliche Funktionen, insbesondere das Zusammenbringen von risikoaffinen Investoren mit finanzierungsbedürftigen Projekten und Unternehmen, als auch gesellschaftlich zweifelhaftere Zwecke, wie das Verschieben von Gewinnen in Niedrigsteuerjurisdiktionen oder das Verschleiern von Risiko- und Besicherungsstrukturen.
Wie gefährlich sind Schattenbanken?
Auch wegen der letztgenannten Funktionen ist es eine wichtige Frage, wie gefährlich Schattenbanken für das Finanzsystem sind. Eine Risikoanalyse des Sektors gestaltet sich allerdings nicht zuletzt aufgrund des breit definierten Sammelbegriffs schwierig: Einzelne Ausprägungen von Schattenbanken nehmen sehr unterschiedliche Funktionen im Finanzsystem wahr, ihre Geschäftsbereiche unterscheiden sich zum Teil substanziell.
Hierin ist bereits das erste Risiko zu sehen: Die Heterogenität des Sektors sorgt dafür, dass eine einheitliche Risikobewertung notwendigerweise wie ein schlecht geschnittener Anzug wirkt – zu optimistisch an manchen Stellen, zu pessimistisch an anderen. Auf sektoraler Ebene sind Risiken intransparent und schwer greifbar.
Doch auch eine Risikobewertung, die auf der Ausdifferenzierung verschiedener Risikokomponenten basiert, ist nicht unbedingt erfolgsversprechender. Durch typischerweise lange Intermediationsketten, den Einsatz (kurzfristiger) Fremdfinanzierung, sowie die Wiederverwendung von Sicherheiten entstehen komplexe Gebilde. Isoliert betrachtet mag das Risiko eines einzelnen Instituts – oder eines Teils des Schattenbanksystems – moderat erscheinen, doch durch seine Einbettung in ein insgesamt komplexes, schwer zu überblickendes Gesamtsystem kann das tatsächliche Risiko erheblich höher sein. Diese Erkenntnis ist nicht neu. Trotzdem ist es schwierig, diese Vernetzungen nachzuvollziehen und aus ihnen resultierende systemische Risiken akkurat einzuschätzen – womit man wieder bei der anfänglichen Schwierigkeit des nicht greifbaren, opaken Risikos ist.
Ein Beispiel für diesen Mechanismus sind die aus der Finanzkrise bekannten Verbriefungsvehikel, die Hypotheken in scheinbar sichere und von Ratingagenturen erstklassig bewertete Finanzprodukte wandelten. Durch diese Transformation entstand ein komplexes Produkt, dessen tatsächliches Risiko nur schwer zu beziffern war und erst zu Tage trat, als die ersten Hypotheken ausfielen und nach und nach Verluste der Verbriefungsvehikel wieder in den Bilanzen der Banken auftauchten. Auch hiesige Landesbanken oder Kommunen, die auftragsmäßig eine risikoaverse Investitionsstrategie verfolgten, hatten, da die wahre Risikostruktur schwer zu erkennen war (und vielleicht auch nicht erkannt werden wollte), in diese Papiere investiert und so in unbewusst hohem Maße spekuliert, was ihnen und den Steuerzahlern in der Krise hohe Verluste bescherte.
Diese systematische Unterschätzung des (systemischen) Risikos im Schattenbanksektor, sowohl durch Marktteilnehmer, als auch durch Aufseher, war maßgeblich verantwortlich für die Schwere der Finanzkrise vor zehn Jahren. Es ist daher essenziell, einen ähnlichen Fehler nicht noch einmal zu begehen – auch vor dem Hintergrund, dass als Folge der Krise vornehmlich die Regulierung und Überwachung der Banken verschärft wurde. Zwar wurden auch Teile des Schattenbanksektors stärker reguliert (z. B. Verbriefungsvehikel), jedoch handelt es sich hier wie im oben gezeigt um einen relativ kleinen Teil des globalen Schattenbanksektors. Weitaus mehr Gewicht haben Investmentfonds, die derzeit ungefähr die Hälfte des Volumens des Sektors bilden, und die seit der Krise starkes Wachstum verzeichnen. Diese allerdings blieben bisher von (schärferer) Regulierung und Überwachung verschont.
Investmentfonds und das „Run-Risiko“
Was sind also die Risiken des Investmentfondssektors, bzw. die voraussehbaren Auswirkungen einer Krise in diesem Sektor? Erinnern wir uns: für Schattenbanken gibt es keine Einlagensicherung. Eine Fondspleite würde für die Investoren also den Verlust ihres Geldes bedeuten. Investoren haben daher den Anreiz, bei Krisenanzeichen ihre Fondsanteile zurückzugeben, womit sie der Fonds zu entsprechender Frist und entsprechendem Kurs ausbezahlen muss.
Sollte sich eine Vielzahl von Investoren gleichzeitig zur Rückgabe ihrer Anteile entscheiden, kann ein sogenannter „Run“ entstehen. Da Fonds typischerweise wenig liquide Mittel vorhalten, kann dies schnell zu Liquiditätsengpässen führen – denn Schattenbanken haben anderes als klassische Banken eben keinen Zugang zu Zentralbankliquidität, um diesen Engpass zu überbrücken.
Den Fonds bliebe in einer solchen Situation also nichts anderes übrig, als Wertpapiere aus ihrem Portfolio zu verkaufen, um die abtrünnigen Investoren auszubezahlen. Ein solcher „Fire Sale“ senkt den Preis dieser Assets, was zu einem Flächenbrand führen und auch andere Fonds in Abwärtsspiralen aus Preisverfall und Anteilsrückgaben versetzen kann.
Einen solchen Run erlebten in der Finanzkrise insbesondere Geldmarktfonds und Immobilienfonds. In den USA entschied sich die Federal Reserve 2008 dazu, 50 Milliarden US-Dollar in Garantien für potenzielle Verluste der Geldmarktfonds bereitzustellen, um so aufkommende Fire Sales abzuwenden, deren Auswirkungen auch andere Investmentfonds oder Banken bedroht hätten. Nach der Krise wurden Geldmarktfonds schärfer reguliert, insbesondere was deren Liquiditätsanforderungen angeht, worunter die Profitabilität und somit Beliebtheit des Sektors gelitten hat.
Immobilienfonds und Blasenbildung
Im Gegensatz dazu erholten sich Immobilienfonds nach erlebten Runs in der Krise vollauf. Der Sektor wächst stark, weltweit konnten Immobilienfonds ihr Volumen seit der Finanzkrise mehr als verdoppeln. Durch die anhaltende Niedrigzinsphase und wieder steigende Immobilienpreise bieten sich Investoren hier lukrative Gewinne. Jedoch geht das Wachstum und die Preisentwicklung im Immobiliensektor mittlerweile so weit, dass manche Beobachter bereits vom Aufbau einer neuen Preisblase sprechen.
Hier zeigt sich das Gegenstück zu Run- und Fire Sale-Risiken: Statt unter Wert werden Wertpapiere und andere Anlagen – wie z. B. Immobilien – über Wert gehandelt, eine Blasenbildung ist die Folge. Auch hier spielen vermutlich Schattenbanken eine Rolle, wenn auch eher „unfreiwillig“: Da sowohl institutionelle Anleger als auch private Investoren durch niedrige Leitzinsen nach Renditen in anderen Anlageformen suchen, wenden sie sich Investmentfonds zu. Dies bescherte den Fonds seit der Finanzkrise anhaltende Kapitalzuflüsse – also Gelder, die wiederum von den Fonds investiert werden müssen. Dies steigert die Nachfrage nach Wertpapieren, Immobilien oder anderen bei den Fonds beliebten Anlageklassen, was auch deren Preise steigen lässt. Wie signifikant dieser Effekt ist und ob sich wirklich Preisblasen bilden, ist schwer zu quantifizieren oder zu verifizieren und lässt sich daher nur mutmaßen.
Indexfonds und ETFs
In diesem Kontext tauchen auch die bei Investoren äußerst beliebten passiven Anlageinstrumente wie Indexfonds und ETFs (exchange traded funds) auf. Sie bilden im Gegensatz zu aktiv gemanagten Fonds, die eine Portfolioauswahl treffen, einen gewissen Aktien- oder Rentenindex möglichst genau ab, wie z. B. den DAX, S&P 500 oder MSCI World.
Der Markt für ETFs ist seit der Finanzkrise regelrecht explodiert: Das verwaltete Volumen in den USA und Europa stieg von 691,1 Milliarden US Dollar (2008) auf 4,3 Billionen US Dollar (2018). Durch diesen Anstieg stehen Papiere, die in einem der jeweils abgebildeten Indizes gehandelt werden, unter besonderem positiven Preisdruck, ohne dass dies notwendigerweise mit realwirtschaftlichen Verbesserungen einhergeht. Auch hier ist der Preiseffekt allerdings schwer zu beziffern bzw. zu isolieren. Zumindest deuten Vergleiche mit der Preisentwicklung von nicht in den Hauptaktienindizes gehandelten, vergleichbaren Papieren auf eine Überhitzung hin.
Fazit
Abschließend lässt sich sagen, dass sich der Schattenbankensektor seit der Finanzkrise stark verändert hat und weiter wandelt. Während vorherige Risiken mittlerweile besser reguliert sind, haben sich an anderer Stelle, insbesondere im Investmentfondssektor, potenzielle neue Risiken oder zumindest neue Fragestellungen ergeben. Diese Problematik ist auch hochrangigen Akteuren bewusst. So forderte beispielsweise EZB-Präsident Mario Draghi kürzlich, dass es hier dringend neuer Überwachungsinstrumente bedarf. Dass wir auch zehn Jahre nach der Finanzkrise das Schattenbanksystem weiterhin nicht vollends verstehen, trägt jedenfalls nicht zur allgemeinen Beruhigung bei.
Zum Autor:
Maximilian Ludwig studiert im Master Economics an der Eberhard Karls Universität Tübingen. Sein Fokus liegt auf Wirtschafts- und Finanzkrisen sowie deren Ursachen. Derzeit interessiert er sich besonders für Risiken aus dem Schattenbanksystem.
Hinweis:
Dieser Beitrag basiert auf einer Serie, die zuerst auf der Homepage des Dezernat Zukunft erschienen ist. Das Dezernat Zukunft ist eine überparteiliche Vereinigung, die Geld-, Finanz-, und Wirtschaftspolitik verständlich erklären will.