Analyse

Was passiert, wenn China eine harte Landung erlebt?

Die jüngsten Tumulte am chinesischen Aktienmarkt haben die Ängste vor einem abrupten Absturz der zweigrößten Volkswirtschaft der Welt noch weiter geschürt. Aber wie würde China eigentlich auf eine harte Landung reagieren? Ein Szenario.

Droht Chinas Wirtschaft eine harte Landung? Foto: Pixabay

Die plötzlichen und heftigen Zusammenbrüche der chinesischen Börsen – zweimal im letzten Jahr und erneut in diesem Monat, sind nicht notwendigerweise ein Vorbote für ein sich weiter verlangsamendes Wirtschaftswachstum. Aber das Vertrauen der Investoren, das Rückgrat einer gesunden Volkswirtschaft, ist in China und auch im Rest der Welt erheblich durcheinandergerüttelt worden.

Während Chinas Führung damit zu kämpfen hat, marktbasierte Reformen einzuführen, kann eine ernste ökonomische Krise, die soziale Verwerfungen verursacht, nicht ausgeschlossen werden. Aber was würde in diesem Fall passieren?

Wachstumsraten des chinesischen Bruttoinlandprodukts (real, in %). Quellen: Bis 2014: IWF WEO-Datenbank, 2015: Chinesische Statistikbehörde (NBSC).

Unter den aktuellen Bedingungen haben Chinas Politiker nur wenige geld- oder fiskalpolitische Karten, die sie spielen können. Die chinesische Zentralbank (People´s Bank of China, PBoC) hat die Zinsen bereits mehrfach gesenkt, die Reserveanforderungen an die Banken reduziert und eine Abwertung der Währung zugelassen. Ein großes Konjunkturprogramm hat China 2008 und 2009 vor der globalen Rezession geschützt, aber es kann nicht so einfach wiederholt werden, ohne den bestehenden Berg von faulen Krediten zu erhöhen und Pekings Bemühungen zu durchkreuzen, den Anteil der Investitionen an der Wirtschaftsleistung zu reduzieren.

 „Money talks“, und China hat nach wie vor eine Menge Geld

Chinas künftige Politik gegenüber anderen Ländern und den internationalen Institutionen würde davon abhängen, wie viel Druckmittel das Land noch hat und wie groß seine Reputation ist. „Money talks“, und China hat nach wie vor eine Menge davon – trotz des Abfalls von rund einer halben Billion US-Dollar bei seinen Währungsreserven zum Ende des letzten Jahres. Trotz der Krise würden Chinas Handels- und Investitionspartner weiterhin für eine tiefere ökonomische Zusammenarbeit werben.

Dennoch würde eine harte Landung für Alarm sorgen und die Schmerzen verschlimmern, die einige Volkswirtschaften, deren Wohlstand von den Exporten in eine boomende chinesische Wirtschaft abhängt, bereits jetzt fühlen. Australien, Japan und die asiatischen Entwicklungsländer sind alle gefährdet. Einige könnten in Währungsabwertungen auf Kosten ihrer Nachbarn ihr Heil suchen. Die USA würden ebenfalls Verluste erleiden, aber ihre relative Macht würde steigen, wenn die US-Wirtschaft in der Lage wäre, den Abschwung in China abzuschütteln.

Chinas Großmachtstatus hängt stark von seiner hohen Wachstumsrate ab

Eine heftige und länger anhaltende chinesische Wirtschaftskrise würde Chinas Einfluss im Ausland deutlich verringern. Chinas Großmachtstatus hängt stark von seiner hohen Wachstumsrate ab. Obwohl das Gerede von einem „Beijing Consensus“ unangebracht war, hatten doch zumindest einige Elemente des chinesischen Wirtschaftsmodels in einigen Entwicklungsländern nicht unerheblichen Einfluss auf Politiker und Intellektuelle. Dieses Model wäre dann nicht mehr so attraktiv, wie es einst war.

Eine harte Landung würde auch die Wahrscheinlichkeit reduzieren, dass China neue Führungsrollen beim IWF und in multilateralen Entwicklungsinstitutionen übernehmen könnte, die noch über die ohnehin schon gewichtigen Positionen hinausgingen, die das Land bereits einnimmt. Die Regierung in Peking würde weiterhin die Werbetrommel für ihre eigenen Fördermechanismen rühren, allen voran für die Asiatische Investitionsbank (AIB).

Harte Landung als Reformbeschleuniger?

Der Ärger in der Heimat würde die chinesische Regierung auch dazu verleiten, ihre „One Belt, One Road“-Initiative noch eindringlicher als zuvor voranzutreiben. Großangelegte, von China finanzierte Infrastrukturprojekte werden typischerweise von chinesischen anstatt von lokalen Arbeitern ausgeführt. Als die globale Rezession von 2008/09 Chinas Überseemärkte in Mitleidenschaft gezogen hatte, verloren schätzungsweise 20 Millionen Wanderarbeiter ihre Jobs. Der normale Chinese kümmert sich vielleicht nicht um die Wachstumsraten des Bruttoinlandprodukts – aber der Verlust des Arbeitsplatzes hat verheerende persönliche Folgen und wirkt entsprechend politisch destabilisierend. Daher könnten große internationale Projekte vorangetrieben werden, um die Zahl der arbeitslosen Chinesen zu reduzieren, aber im Gegenzug könnten Hilfszahlungen für Infrastrukturprojekte zurückgefahren werden.

Wenn sich die chinesische Führung dazu entscheiden sollte, dem transpazifischen Freihandelsabkommen (Trans-Pacific Partnership, TPP) beizutreten, würde die in diesem Szenario unterstellte Schwäche der chinesischen Wirtschaft den Einfluss Pekings reduzieren. Aber chinesische Ökonomen und Reformer würden einen TPP-Beitritt immer noch unterstützen, weil dieser die Regierung dazu zwingen würde, das Reformtempo zu erhöhen. Chinas Reformer könnten die hohen TPP-Standards als Ausrede dafür benutzen, unangenehme Reformen durchzusetzen, genauso wie Japan den Druck von außen dazu nutzte, um die Reformen der 80er und 90er Jahre zu rechtfertigen.

Eine mögliche Reaktion auf wachsende soziale Spannungen könnte eine nationalistische Kampagne sein

Eine mögliche chinesische Reaktion auf wachsende soziale Spannungen könnte eine Kampagne sein, um nationalistische Ressentiments zu schüren, zum Beispiel in der Taiwan-Frage oder im Konflikt um die Inseln im Südchinesischen Meer. Weniger beunruhigend wäre es, wenn China weiterhin seine Politik der „rivalisierenden Regionalität“ verfolgt, die in indirektem Wettbewerb mit dem Vorgehen Japans, Südkoreas, der USA, Indien und Russlands steht. Chinas Unterstützung für von der ASEAN-Gruppe angeführte Initiativen dürfte jedoch konstant bleiben.

Ein Vorteil könnte allerdings sein, dass die ökonomische Notlage der letzte Baustein für einen erfolgreichen Abschluss der seit langer Zeit laufenden, immer wieder unterbrochenen Verhandlungen zwischen China, Japan und Südkorea über den Abschluss eines Freihandelsabkommens sein dürfte. Das trilaterale Investitionsabkommen von 2012, Gipfeltreffen wie das von 2015 und das jüngste Abkommen zwischen Japan und Südkorea, offiziell das „Sexsklavinnen“-Problem beizulegen, sind Schritte in die richte Richtung gewesen.

Wenige Silberstreifen am Horizont

Weil eine harte Landung Chinas auch die südkoreanische und japanische Volkswirtschaft mit herunterziehen würde, dürften deren politische Führung ein Freihandelsabkommen auch gegen heimische Widerstände unterstützen. Die Opposition wiederum würde wohl versuchen, nationalistische Stimmungen anzuheizen, die China beschuldigen, die eigene Arbeitslosigkeit in andere Länder zu exportieren.

Wenn man nach einem Silberstreif am Horizont sucht, dann wäre es wohl folgender: Chinas harte Landung würde das Tempo der Umweltverschmutzung reduzieren und den Schwarzhandel verringern. Aber schrumpfende Märkte, politische Instabilität, nationalistisches Flaggenschwenken und ein weit verbreitetes menschliches Leid würden die gesamte Asien-Pazifik-Region destabilisieren und Schockwellen quer durch die Welt senden. Wenn China eine harte Landung erlebt, wird es Jahre brauchen, um die zugrundeliegenden strukturellen Ursachen zu korrigieren und Chinas wirtschaftliche Reputation wiederherzustellen.


Zur Autorin:

Ellen L. Frost arbeitet als Beraterin im Washingtoner Büro des East West Centers.

Hinweis:

Dieser Artikel wurde zuerst vom East Asia Forums (EAF) auf englisch veröffentlicht. Das EAF ist eine Plattform für Analyse und Forschung zu Politik, Wirtschaft, Unternehmen, Recht, Sicherheit, internationalen Beziehungen und zu gesellschaftlichen Fragen, mit einem Fokus auf die Asien-Pazifik-Region (mehr erfahren). Dieser Beitrag wurde von der Makronom-Redaktion ins Deutsche übersetzt und mit Zustimmung des East Asia Forums veröffentlicht. Der im Text enthaltene Chart wurde ebenfalls von der Makronom-Redaktion erstellt.