Die Europäische Zentralbank hat die geldpolitischen Weichen fürs nächste Jahr gestellt. Unser Tapering-Monitor zeigt, welche Entwicklungen es 2018 zu beachten gilt.
Aufwärtskorrekturen bei den hauseigenen Wachstums- und Inflationsprognosen, aber keine Veränderung der Leitzinsen oder weitere Modifikationen am QE-Programm: Erwartungsgemäß war die gestrige Sitzung der Europäischen Zentralbank (EZB) eine der unspektakuläreren Art – kein Wunder, hatte die Zentralbank die Weichen für den geldpolitischen Kurs des nächsten Jahres doch bereits Ende Oktober gestellt.
Damals hatte die EZB beschlossen, im Rahmen ihres QE-Programms ab Januar 2018 Anleihen im Wert von monatlich nur noch 30 Milliarden Euro zu kaufen. Der Dezember wird also der letzte Monat sein, in dem sie Papiere im Volumen von 60 Milliarden Euro kauft. Die EZB behält sich jedoch vor die Ankäufe zu verlängern oder zu erhöhen, wenn sich die Inflationserwartungen nicht im Einklang mit ihrem Mandat verhalten, was Präsident Mario Draghi auch auf der gestrigen Sitzung ein weiteres Mal betonte.
In unserem „Tapering-Monitor“ werfen wir regelmäßig einen Blick auf die wichtigsten Indikatoren, anhand derer sich die Auswirkungen dieser Anpassung des QE-Programms auf verschiedene volkswirtschaftliche Bereiche nachvollziehen lassen (eine Diskussion des Tapering-Begriffs finden Sie hier). Insgesamt berücksichtigen wir dabei acht Indikatoren wie etwa die konkrete Ausgestaltung der EZB-Käufe, die Inflationserwartungen, die Entwicklung der Zinsen und des Kreditvolumens.
Seit der Oktober-Sitzung und dem Start unseres Monitors haben sich die betrachteten Indikatoren bisher kaum verändert, was ebenfalls keine größere Überraschung darstellt – so hat die EZB schließlich noch gar nicht begonnen, ihre Käufe zu drosseln. Zudem sollte man nicht vergessen, dass die Pläne der Zentralbank für 2018 weiterhin eine sehr expansive Geldpolitik bedeuten, die lediglich etwas weniger expansiv sein wird als noch 2017.
Auch sind für einige der betrachteten Indikatoren wie beispielsweise die Kreditkonditionen noch gar keine Daten für die Zeit nach der Ankündigung verfügbar. Am bemerkenswertesten ist bisher noch, dass die Zinsen für Staatsanleihen der Eurostaaten über den Verlauf der gesamten Zinskurve seit Ende Oktober weiter gesunken sind. Gleichzeitig sind sowohl die umfrage- wie auch die marktbasierten Inflationserwartungen etwas gestiegen, wenn auch nur im Promille-Bereich.
Interessant ist auch die Entwicklung auf den Aktienmärkten. Alle von uns betrachteten Indizes (mit Ausnahme des spanischen IBEX 35, Stichwort Katalonien) hatten sich bis zur Tapering-Ankündigung vom 26. Oktober sehr positiv entwickelt. Seit diesem Datum haben sich die diese Indizes von zwischenzeitlichen Schwankungen abgesehen praktisch nicht mehr verändert. Ob sich das Datum als Trendwende herausstellt, werden die kommenden Monate zeigen, wobei es natürlich immer schwierig ist, Aktienmarktentwicklungen auf ein einziges konkretes Ergebnis zurückzuführen.
Hier die Übersicht aller bisher von uns berücksichtigten Indikatoren. Wenn Sie auf einen Indikator klicken, öffnet sich ein Fenster mit den dazugehörigen Charts und Erklärungen, warum wir das Verfolgen dieses Indikators für wichtig erachten.
QE-Käufe & EZB-Bilanz
Inflation
Kreditvergabe
Zinsen
Arbeitsmarkt
Wechselkurse
Profitabilität der Banken
Aktienmärkte
Zu den Autoren:
Lukas Nüse ist Student an der Hertie School of Governance in Berlin und hat zuvor Volkswirtschaftslehre an der Universität Bonn studiert. Außerdem hat er u.a. bei der Bertelsmann-Stiftung in Brüssel, im Bundesfinanzministerium sowie im Bundesministerium für Arbeit und Soziales gearbeitet.
Die EZB bezeichnet die Anpassung ihres Programms selbst als „rescaling“. Damit umschifft die Zentralbank den Begriff „Tapering“. Dieses Wort bezeichnet im finanztechnischen Sinne die Reduzierung eines Anleihekaufprogramms durch eine Zentralbank. Das prominenteste Beispiel für eine solche Politik stammt aus dem Mai 2013. Damals deutete Ben Bernanke, der damalige Chef der US-Notenbank Federal Reserve, vor dem US-Kongress an, dass die Fed ihr QE-Programm in absehbarer Zeit zurückfahren könnte.
Und im Prinzip ist das, was die EZB im Oktober verkündet hat, nichts Anderes: Die Zentralbank reduziert ein weiteres Mal ihr monatliches Kaufvolumen, was man eben als Tapering bezeichnen kann.
Allerdings bestand ein Unterschied zwischen den US-amerikanischen QE-Programmen und dem der EZB darin, dass die Fed von Anfang an darauf verzichtet hat, einen Endtermin für ihre Käufe anzukündigen. Es war also ein Open-End-QE-Programm und Bernankes Botschaft im Mai 2013 war, dass er es langsam auslaufen lassen könnte. In diesem Sinne hat die EZB also keine klassische Reduzierung, sondern vielmehr eine Verlängerung ihres Programms beschlossen.
Wir sind bei der Benennung dieser Maßnahme etwas unentschlossen, und vor allem ziemlich leidenschaftslos – letztlich ist die konkrete Bezeichnung etwas für geldpolitische Semantiker. Für unseren Monitor verwenden wir die Tapering-Bezeichnung, weil sie schlicht und ergreifend plakativer als „rescaling“ oder „Tapering ultralight“ ist.
QE-Käufe und EZB-Bilanz
Die Bezeichnung QE-Programm (Quantitative Easing) ist nicht die offizielle Bezeichnung des Programms der EZB, sondern bezeichnet lediglich eine geldpolitische Methode, bei der die Zentralbank Schuldtitel kauft, um das Niveau der Marktzinsen nach unten zu drücken. Das QE-Programm heißt im offiziellen EZB-Sprachgebrauch Programm zum Ankauf von Vermögenswerten (Asset Purchase Programme, APP) und wurde Anfang 2015 beschlossen. Das APP bestand zunächst aus drei Einzelprogrammen zum Ankauf
gedeckter Schuldverschreibungen (CBPP 3, Start Oktober 2014),
forderungsbesicherter Wertpapiere (ABSPP, Start November 2014) und
von Wertpapieren des öffentlichen Sektors (PSPP, Start März 2015).
Im Juni 2016 kam das Programm zum Ankauf von Wertpapieren des Unternehmenssektors (CSPP) hinzu.
Eine genauere Beschreibung der einzelnen Programme finden Sie am Ende dieses Beitrags.
Die EZB hat für die einzelnen Programme keine konkreten Kaufvolumina, sondern lediglich monatliche Zielmarken für das gesamte APP festgelegt.
März 2015 bis März 2016: 60 Milliarden Euro
April 2016 bis März 2017: 80 Milliarden Euro
April 2017 bis Dezember 2017: 60 Milliarden Euro
Januar 2018 bis September 2018: 30 Milliarden Euro
Was kauft die EZB genau?
Der Blick auf die pro Monat aufgekauften Wertpapiere zeigt, dass die EZB durchaus die Zusammensetzung ihrer Käufe variiert hat und im Rahmen der einzelnen Programme unterschiedlich aktiv war. Auch lag das monatliche Kaufvolumen nicht immer präzise bei den angekündigten 60 bzw. 80 Milliarden Euro – allerdings hat die EZB während der jeweiligen Phasen im Durchschnitt doch ziemlich exakt das angekündigte Volumen gekauft.
Die unterschiedliche Gewichtung der Unterprogramme wird im folgenden Chart noch etwas deutlicher. Dieser zeigt, wie hoch der Anteil der jeweiligen Programme während der einzelnen Monate seit Start des APP im März 2015 war. Daraus wird ersichtlich, dass die EZB den Anteil der gekauften Staatsanleihen zuletzt wieder etwas reduziert hat (von in der Spitze über 90% auf zuletzt etwa 80%).
Worauf es zu achten gilt: Konkrete Umsetzung und Reinvestitionen fälliger Anleihen
In den kommenden Monaten gilt es also vor allem zu beobachten, wie die EZB die angekündigte Reduzierung ihres Aufkaufvolumens konkret umsetzt, weil sich dies auf die betroffenen Marktsegmente unterschiedlich auswirken wird. So hat die EZB wie oben gezeigt seit Start ihrer Aufkaufprogramme demonstriert, dass sie in der Lage und gewillt ist, die angekündigten Kaufvolumina auch tatsächlich umzusetzen. Das heißt, dass die gesamten APP-Bestände in ihrer Bilanz ungefähr dem im folgenden Chart skizzierten Verlauf (rote gestrichelte Linie) folgen und Ende September 2018 ein Gesamtvolumen von ca. 2,6 Billionen Euro erreichen dürften – die Frage ist eben lediglich, durch welche Wertpapiere die große weiße Lücke im Chart konkret gefüllt wird.
Es muss auch berücksichtigt werden, dass das APP noch lange über sein eigentliches Ende hinaus Wirkung entfalten wird. So hat die EZB bereits im Dezember 2015 angekündigt, die Einkünfte aus bis zur Fälligkeit gehaltenen Anleihen wieder zu reinvestieren und dieses Versprechen auf der Oktober-Ratssitzung noch einmal erneuert und präzisiert. Sollte also beispielsweise eine deutsche Staatsanleihe 2019 fällig und die EZB vom deutschen Staat ausbezahlt werden, wird sie – Stand heute – dieses Geld für den erneuten Erwerb einer (deutschen) Staatsanleihe nutzen. Ihre Bestände an Staatsanleihen werden sich somit nicht zwangsläufig verringern und ihre Präsenz auf den Märkten auch nicht sehr viel kleiner werden – sie schafft nur kein neues Geld, um Staatsanleihen zu erwerben.
QE-Käufe nach Ländern
Die EZB hat beim Start des PSPP (also des Staatsanleihen-Programms) angekündigt, dass sich das Kaufvolumen am Kapitalschlüssel der beteiligten Länder orientieren soll. Jedoch ist die EZB von diesem Ziel deutlich abgewichen: Sie hat mehr Staatsanleihen der großen Eurostaaten gekauft, als dies eigentlich nach dem Kapitalschlüssel angemessen gewesen wäre. So machen beispielsweise deutsche Staatsanleihen mittlerweile knapp 27% des aufgekauften Staatsanleihen-Portfolios aus, obwohl der deutsche Kapitalschlüssel nur bei knapp 18% liegt.
Diese „Bevorzugung“ der großen Staaten könnte unter anderem darauf zurückzuführen sein, dass es bei den kleineren Ländern schlicht nicht genug Anleihen gibt, damit die EZB ihr angepeiltes Kaufvolumen erreichen kann. Es wird sich zeigen, ob die EZB somit ihr Kaufverhalten ändern wird, wenn sie nur noch eine kleinere Summe an Staatsanleihen aufkaufen muss.
Bilanzsumme
Die im Rahmen des QE-Programms getätigten Käufe machen inzwischen fast die Hälfte der insgesamt knapp 4,4 Billionen Euro großen EZB-Bilanz aus. Wenn die EZB die Summe der monatlichen Anleihekäufe ab Januar senkt, ist in der kurzen Frist zu erwarten ist, dass sich die EZB-Bilanz zunächst etwas langsamer ausweiten wird. Um die tatsächliche expansive Wirkung der Geldpolitik zu beurteilen ist es aber auch notwendig zu beobachten, wie sich die übrigen Posten der Bilanz verändern, was aus heutiger Sicht aber nicht abschätzbar ist.
Glossar: Die Programme im Detail
Das erste Programm zum Ankauf gedeckter Schuldverschreibungen (Covered Bond Purchase Programme, CBPP) wurde bereits 2009 von der EZB beschlossen, um nach der Finanzkrise den Markt für diese Papiere (z. B. Pfandbriefe) zu stabilisieren und Refinanzierungsproblemen der Banken entgegenzuwirken. Innerhalb eines Jahres wurden Wertpapiere im Gesamtvolumen von 60 Milliarden Euro angekauft. Ein zweites CBPP mit folgte dann von November 2011 bis Oktober 2012. Das aktuell laufende dritte CBPP wurde im Oktober 2014 verabschiedet.
Das Programm zum Ankauf forderungsbesicherter Wertpapiere (Asset Backed Securities Purchase Programme, ABSPP) wurde im September 2014 in Verbindung mit dem Programm zum Ankauf gedeckter Schuldverschreibungen (CBPP 3) beschlossen. Dabei werden ABS-Papiere am Primär- und Sekundärmarkt aufgekauft.
Im Rahmen des Programms zum Ankauf von Wertpapieren des öffentlichen Sektors (Public Sector Purchase Programme, PSPP) werden seit März 2015 Wertpapiere des öffentlichen Sektors wie Staatsanleihen sowie Schuldtitel europäischer Institutionen und Agenturen gekauft. Für die Ankäufe im Rahmen des PSPP gibt es detaillierte Regeln. So dürfen Staatsanleihen beispielsweise wegen des Verbots der monetären Staatsfinanzierung nur am Sekundärmarkt erworben werden. Es dürfen nur Papiere mit einer Laufzeit von mehr als einem Jahr aufgekauft werden. Zudem will die EZB nicht mehr als 33% aller auf den Sekundärmärkten befindlichen Papiere aufkaufen.
Mit dem Programm zum Ankauf von Wertpapieren des Unternehmenssektors (Corporate Sector Purchase Programme, CSPP) werden seit Juni 2016 auch Anleihen von Unternehmen in der Eurozone erworben. Ausgeschlossen sind Kreditinstitute und Unternehmen, deren Anleihen von den Ratingagenturen nicht mindestens als „Investment Grade“ bewertet werden. Die Anleihen müssen Laufzeiten zwischen sechs Monaten und 30 Jahren haben und können sowohl am Primärmarkt als auch am Sekundärmarkt gekauft werden.