Interview

„Die Bürger brauchen die Ökonomik für ihre Wahlentscheidung“

Ein Gespräch mit dem Ökonomieprofessor Rüdiger Bachmann über die Defizite der deutschen Wirtschaftspresse, die Bringschuld von Ökonomen sowie die praktische und gesellschaftliche Relevanz ökonomischer Forschung.

Rüdiger Bachmann ist Stepan Family Associate Professor am Department of Economics an der University of Notre Dame. Mit Makronom-Herausgeber Philipp Stachelsky sprach Bachmann über die Defizite der deutschen Wirtschaftspresse, die Bringschuld von Ökonomen sowie die praktische und gesellschaftliche Relevanz ökonomischer Forschung.

Herr Bachmann, in den letzten Monaten haben Sie auf Twitter immer wieder einzelne Wirtschaftsjournalisten und auch den deutschen Wirtschaftsjournalismus als solchen lautstark kritisiert. Was stört Sie konkret?

Rüdiger Bachmann: Zwei Dinge. Erstens, und das ist der kleinere Teil: Ich würde mir wünschen, dass adäquater und breiter über die Wirtschaftswissenschaft berichtet wird, so wie das etwa bei den Naturwissenschaften, Geisteswissenschaften oder anderen Sozialwissenschaften teilweise schon der Fall ist. Das Handelsblatt hat das früher mal gemacht, aber momentan trägt die FAZ diese Last praktisch allein. Sie macht das zwar ganz gut, aber ist natürlich auch selektiv: progressivere Sachen sieht man in der FAZ eher weniger. Insofern wäre es ganz gut, wenn das medial deutlich breiter gestreut wäre, und beispielsweise wie jüngst die Zeit ihren begrenzten Platz nicht wirtschaftswissenschaftlichen Randphänomenen wie MMT zur Verfügung stellt, nur weil das gerade en vogue ist.

Mein zweiter Kritikpunkt, und das ist der wesentlich größere und da spreche ich jetzt nicht nur pro domo für die Wirtschaftswissenschaften: Ich finde, dass bei großen gesellschaftlichen Fragen viel mehr berücksichtigt und darüber berichtet werden sollte, was eigentlich die Wissenschaft dazu sagt. Ich habe viel zu oft nicht das Gefühl, in deutschen Tageszeitungen wirklich gut und auf Basis von wissenschaftlichen Erkenntnissen über Themen wie die Flüchtlingskrise oder die Probleme auf dem Wohnungsmarkt informiert zu werden. Ich sage das natürlich mit der Einschränkung, dass ich im Ausland lebe und vielleicht nicht alles mitbekomme. Für den Online-Bereich und das, was Journalisten selbst auf Twitter bewerben, gilt es aber auf jeden Fall schon einmal. Außerdem höre ich das von deutschen Kollegen auch immer wieder.

„Es soll mir bitte niemand damit ankommen, in der Ökonomik würde nicht genug Relevantes publiziert, um eine ausführlichere Berichterstattung zu rechtfertigen“

Meistens werden die üblichen Verdächtigen angefragt und aufeinander losgelassen, um irgendwelche kontroversen Meinungspole auszuleuchten. Das ist aber nicht repräsentativ für die große Masse an Wissenschaftlern, die deutlich differenzierter zwischen diesen Polen agiert. Und dann hat man zudem noch den Eindruck, dass die großen Zeitungen streng entlang ihrer wirtschaftspolitischen Leitlinien berichten, auf deren Basis dann Kommentare und Berichte verfasst werden. Das ist natürlich legitim, aber auch extrem langweilig. Und das ärgert mich, weil die Wissenschaften tatsächlich auf einem viel höheren Niveau diskutieren, und zwar auch oft quer zu den üblichen politischen Lagern, wie man ja beispielsweise auf Twitter beobachten kann.

Gehen wir die Punkte der Reihe nach durch. Zur Wissenschaftsberichterstattung: Alleine 2017 sind über 20.000 Aufsätze in ökonomischen Fachzeitschriften veröffentlich worden. Wie soll man da als Journalist den Überblick behalten?

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