Wir sollten uns von der Schlacht der Statistiker nicht vom Wesentlichen ablenken lassen
Zahlen einer amerikanischen Statistikbehörde stärken die argumentative Position der EU im Konflikt mit Donald Trump. Allerdings sollten sich die Europäer darauf nicht ausruhen, zumal ihre eigenen Daten eine andere Geschichte erzählen. Insbesondere der deutsche Überschuss ist alles andere als ein statistischer Mythos – sondern ein handfestes Problem, das es zu lösen gilt. Ein Beitrag von Jens Südekum.
Die Leistungsbilanzen sind wieder da! Im letzten Jahr wurde in der Wirtschaftspresse und auf den Podien der Republik über kaum ein Thema so leidenschaftlich geschrieben und gestritten wie über den notorischen deutschen Exportüberschuss und das eklatante amerikanische Defizit. Kurzzeitig wurde es mal stiller um die globalen Ungleichgewichte. Aber jetzt sind die Leistungsbilanzsalden wieder da, wo sie hingehören: auf den vorderen Plätzen der Berichterstattung.
Kein Wunder, denn Donald Trump macht Ernst. Für ihn ist das amerikanische Handelsdefizit ein Graus. Er sieht es als eklatanten Misserfolg an, dass andere Länder mehr in den USA verkaufen als andersherum. Das sei unfair und der miserablen Handelspolitik seiner Vorgänger geschuldet. Doch damit sei jetzt endgültig Schluss! Donald Trump rückt den Überschussländern mit Strafzöllen auf den Pelz, denn sie nutzen – in seiner verqueren Lesart – Amerika aus. Je größer der bilaterale Überschuss, den ein Land gegenüber den USA ausweist, desto größer die Gefahr, in den Strudel der neuen amerikanischen Handelspolitik zu geraten, die sich bequemerweise „bedrohte nationale Sicherheit“ als Begründung ausgedacht hat, um sich von vorneherein einem geordneten Verfahren bei der Welthandelsorganisation (WTO) zu entziehen. Auf die WTO gibt Trump sowieso nichts.
China steht ganz oben auf Trumps schwarzer Liste. Das ist nicht verwunderlich. Denn von den insgesamt 466 Milliarden Dollar, die die USA im Jahr 2017 als gesamtes Leistungsbilanzdefizit ausgewiesen haben, kommen rund drei Viertel (350 Milliarden) aus dem Reich der Mitte. China überschwemmt die USA mit Warenexporten. Aber es geht kaum etwas in die andere Richtung, auch keine Dienstleistungen oder Direktinvestitionen. Trumps Reaktion: mehrere Listen, auf denen inzwischen mehr als 1.500 Produkte stehen, für die China künftig Importzölle beim Eintritt in den amerikanischen Markt zahlen muss.
Seitdem schrillen auch in Europa die Alarmglocken. Denn bei den Güterexporten folgt die Europäische Union mit einem Überschuss von 153 Milliarden Dollar in Trumps Sünderkartei auf Platz zwei. Deutschland trägt mit 65 Milliarden Dollar den größten Teil dazu bei. In Berlin ist man daher besonders nervös. Zölle auf Stahl- und Aluminiumimporte kann man vielleicht noch verkraften, denn diese Märkte sind klein. Aber den Mitgliedern der Bundesregierung steht die Angst ins Gesicht geschrieben, dass Trump ans Eingemachte geht und Einfuhrzölle für Autos oder gar für alle Güter verhängt. Wie die amerikanische Wirtschaft dann weiter existieren soll, ist die eine Frage. Aber das deutsche Jobwunder hängt nun einmal am Export – und wenn ein echter Handelskrieg ausbricht, dann kann es auch hierzulande sehr ungemütlich werden.
Die bilaterale Leistungsbilanz
In diese Gemengelage schlug ein kürzlich erschienener Econpol-Report wie eine Bombe ein. Darin haben die ifo-Forscher Gabriel Felbermayr und Martin Braml Daten des Bureau of Economic Analysis (BEA), einer amerikanischen Statistikbehörde, ausgegraben. Diese Daten existierten schon lange, aber sie flogen immer ein bisschen unter dem Radar.
Die Bezeichnung QE-Programm (Quantitative Easing) ist nicht die offizielle Bezeichnung des Programms der EZB, sondern bezeichnet lediglich eine geldpolitische Methode, bei der die Zentralbank Schuldtitel kauft, um das Niveau der Marktzinsen nach unten zu drücken. Das QE-Programm heißt im offiziellen EZB-Sprachgebrauch Programm zum Ankauf von Vermögenswerten (Asset Purchase Programme, APP) und wurde Anfang 2015 beschlossen. Das APP bestand zunächst aus drei Einzelprogrammen zum Ankauf
gedeckter Schuldverschreibungen (CBPP 3, Start Oktober 2014),
forderungsbesicherter Wertpapiere (ABSPP, Start November 2014) und
von Wertpapieren des öffentlichen Sektors (PSPP, Start März 2015).
Im Juni 2016 kam das Programm zum Ankauf von Wertpapieren des Unternehmenssektors (CSPP) hinzu.
Eine genauere Beschreibung der einzelnen Programme finden Sie am Ende dieses Beitrags.
Die EZB hat für die einzelnen Programme keine konkreten Kaufvolumina, sondern lediglich monatliche Zielmarken für das gesamte APP festgelegt.
März 2015 bis März 2016: 60 Milliarden Euro
April 2016 bis März 2017: 80 Milliarden Euro
April 2017 bis Dezember 2017: 60 Milliarden Euro
Januar 2018 bis September 2018: 30 Milliarden Euro
Was kauft die EZB genau?
Der Blick auf die pro Monat aufgekauften Wertpapiere zeigt, dass die EZB durchaus die Zusammensetzung ihrer Käufe variiert hat und im Rahmen der einzelnen Programme unterschiedlich aktiv war. Auch lag das monatliche Kaufvolumen nicht immer präzise bei den angekündigten 60 bzw. 80 Milliarden Euro – allerdings hat die EZB während der jeweiligen Phasen im Durchschnitt doch ziemlich exakt das angekündigte Volumen gekauft.
Die unterschiedliche Gewichtung der Unterprogramme wird im folgenden Chart noch etwas deutlicher. Dieser zeigt, wie hoch der Anteil der jeweiligen Programme während der einzelnen Monate seit Start des APP im März 2015 war. Daraus wird ersichtlich, dass die EZB den Anteil der gekauften Staatsanleihen zuletzt wieder etwas reduziert hat (von in der Spitze über 90% auf zuletzt etwa 80%).
Worauf es zu achten gilt: Konkrete Umsetzung und Reinvestitionen fälliger Anleihen
In den kommenden Monaten gilt es also vor allem zu beobachten, wie die EZB die angekündigte Reduzierung ihres Aufkaufvolumens konkret umsetzt, weil sich dies auf die betroffenen Marktsegmente unterschiedlich auswirken wird. So hat die EZB wie oben gezeigt seit Start ihrer Aufkaufprogramme demonstriert, dass sie in der Lage und gewillt ist, die angekündigten Kaufvolumina auch tatsächlich umzusetzen. Das heißt, dass die gesamten APP-Bestände in ihrer Bilanz ungefähr dem im folgenden Chart skizzierten Verlauf (rote gestrichelte Linie) folgen und Ende September 2018 ein Gesamtvolumen von ca. 2,6 Billionen Euro erreichen dürften – die Frage ist eben lediglich, durch welche Wertpapiere die große weiße Lücke im Chart konkret gefüllt wird.
Es muss auch berücksichtigt werden, dass das APP noch lange über sein eigentliches Ende hinaus Wirkung entfalten wird. So hat die EZB bereits im Dezember 2015 angekündigt, die Einkünfte aus bis zur Fälligkeit gehaltenen Anleihen wieder zu reinvestieren und dieses Versprechen auf der Oktober-Ratssitzung noch einmal erneuert und präzisiert. Sollte also beispielsweise eine deutsche Staatsanleihe 2019 fällig und die EZB vom deutschen Staat ausbezahlt werden, wird sie – Stand heute – dieses Geld für den erneuten Erwerb einer (deutschen) Staatsanleihe nutzen. Ihre Bestände an Staatsanleihen werden sich somit nicht zwangsläufig verringern und ihre Präsenz auf den Märkten auch nicht sehr viel kleiner werden – sie schafft nur kein neues Geld, um Staatsanleihen zu erwerben.
QE-Käufe nach Ländern
Die EZB hat beim Start des PSPP (also des Staatsanleihen-Programms) angekündigt, dass sich das Kaufvolumen am Kapitalschlüssel der beteiligten Länder orientieren soll. Jedoch ist die EZB von diesem Ziel deutlich abgewichen: Sie hat mehr Staatsanleihen der großen Eurostaaten gekauft, als dies eigentlich nach dem Kapitalschlüssel angemessen gewesen wäre. So machen beispielsweise deutsche Staatsanleihen mittlerweile knapp 27% des aufgekauften Staatsanleihen-Portfolios aus, obwohl der deutsche Kapitalschlüssel nur bei knapp 18% liegt.
Diese „Bevorzugung“ der großen Staaten könnte unter anderem darauf zurückzuführen sein, dass es bei den kleineren Ländern schlicht nicht genug Anleihen gibt, damit die EZB ihr angepeiltes Kaufvolumen erreichen kann. Es wird sich zeigen, ob die EZB somit ihr Kaufverhalten ändern wird, wenn sie nur noch eine kleinere Summe an Staatsanleihen aufkaufen muss.
Bilanzsumme
Die im Rahmen des QE-Programms getätigten Käufe machen inzwischen fast die Hälfte der insgesamt knapp 4,4 Billionen Euro großen EZB-Bilanz aus. Wenn die EZB die Summe der monatlichen Anleihekäufe ab Januar senkt, ist in der kurzen Frist zu erwarten ist, dass sich die EZB-Bilanz zunächst etwas langsamer ausweiten wird. Um die tatsächliche expansive Wirkung der Geldpolitik zu beurteilen ist es aber auch notwendig zu beobachten, wie sich die übrigen Posten der Bilanz verändern, was aus heutiger Sicht aber nicht abschätzbar ist.
Glossar: Die Programme im Detail
Das erste Programm zum Ankauf gedeckter Schuldverschreibungen (Covered Bond Purchase Programme, CBPP) wurde bereits 2009 von der EZB beschlossen, um nach der Finanzkrise den Markt für diese Papiere (z. B. Pfandbriefe) zu stabilisieren und Refinanzierungsproblemen der Banken entgegenzuwirken. Innerhalb eines Jahres wurden Wertpapiere im Gesamtvolumen von 60 Milliarden Euro angekauft. Ein zweites CBPP mit folgte dann von November 2011 bis Oktober 2012. Das aktuell laufende dritte CBPP wurde im Oktober 2014 verabschiedet.
Das Programm zum Ankauf forderungsbesicherter Wertpapiere (Asset Backed Securities Purchase Programme, ABSPP) wurde im September 2014 in Verbindung mit dem Programm zum Ankauf gedeckter Schuldverschreibungen (CBPP 3) beschlossen. Dabei werden ABS-Papiere am Primär- und Sekundärmarkt aufgekauft.
Im Rahmen des Programms zum Ankauf von Wertpapieren des öffentlichen Sektors (Public Sector Purchase Programme, PSPP) werden seit März 2015 Wertpapiere des öffentlichen Sektors wie Staatsanleihen sowie Schuldtitel europäischer Institutionen und Agenturen gekauft. Für die Ankäufe im Rahmen des PSPP gibt es detaillierte Regeln. So dürfen Staatsanleihen beispielsweise wegen des Verbots der monetären Staatsfinanzierung nur am Sekundärmarkt erworben werden. Es dürfen nur Papiere mit einer Laufzeit von mehr als einem Jahr aufgekauft werden. Zudem will die EZB nicht mehr als 33% aller auf den Sekundärmärkten befindlichen Papiere aufkaufen.
Mit dem Programm zum Ankauf von Wertpapieren des Unternehmenssektors (Corporate Sector Purchase Programme, CSPP) werden seit Juni 2016 auch Anleihen von Unternehmen in der Eurozone erworben. Ausgeschlossen sind Kreditinstitute und Unternehmen, deren Anleihen von den Ratingagenturen nicht mindestens als „Investment Grade“ bewertet werden. Die Anleihen müssen Laufzeiten zwischen sechs Monaten und 30 Jahren haben und können sowohl am Primärmarkt als auch am Sekundärmarkt gekauft werden.