Grundsteuerreform

WAM statt WUM

Bund und Länder haben sich auf die Eckpunkte einer Reform der Grundsteuer verständigt. Was ist von dem Kompromiss zu halten? Eine Analyse von Stefan Bach und Claus Michelsen.

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Die Zeit drängt bei der Grundsteuerreform. Nach dem Verdikt des Bundesverfassungsgerichts muss bis Ende des Jahres eine Neuregelung stehen, die sich innerhalb von fünf Jahren umsetzen lässt. Die Reichweite der Reform ist gigantisch: 35 Millionen Immobilien sind bundesweit neu zu veranlagen. Ende letzter Woche ist nun Bewegung in den zähen Verhandlungsprozess gekommen: Bund und Länder haben sich auf die Eckpunkte einer Grundsteuerreform verständigt.

Eigentlich ist es ein Treppenwitz, dass jetzt mit dem „wertabhängigen Modell“ (WAM) ein Relaunch der alten Einheitsbewertung aus dem Hut gezaubert wurde – denn die schwierigen Bewertungsverfahren waren der Grund dafür, dass die 1964er Einheitsbewertung floppte. Die Verfahren zogen sich bis zu zehn Jahre hin, taugten aber trotzdem nichts. Angesichts der allgemeinen Frustration wurde die Neubewertung in den folgenden Jahrzehnten auf den Sankt-Nimmerleins-Tag verschoben.

Damals war die Grundstücksbewertung noch Teil der Vermögensbesteuerung und wurde auch für Vermögensteuer und Erbschaftsteuer verwendet. Erstere gibt es heute nicht mehr, und für Letztere gibt es gesonderte Verfahren. Daher kann man den Anspruch einer verkehrswertnahen Bewertung aufgeben. Für die Kommunalbesteuerung geht es schlicht darum, an den Grundstücken anzuknüpfen. Ob dabei Flächen oder Werte maßgeblich sind, ist eine sekundäre Frage. Und angesichts des moderaten Aufkommens – im Durchschnitt 200 Euro je Wohnung – lohnen sich keine teuren Veranlagungen. Eine halbwegs vernünftige Immobilienbewertung, die den Verhältnissen des Einzelfalls Rechnung trägt, kostet schnell 1.000 Euro und mehr.

Das spricht grundsätzlich für ein einfaches Verfahren – das Flächenmodell oder wertunabhängige Modell (WUM): Dabei nimmt man schlicht die Grundstücksfläche und die Gebäudefläche und fasst sie mit Gewichtungsfaktoren zusammen. Der Haken dabei: Die topsanierte Villa im Nobelviertel wird genauso hoch besteuert wie das abgewohnte Eigenheim am Stadtrand neben der Großwohnsiedlung – obwohl sie drei- bis viermal so viel wert ist. Das wird kaum akzeptiert, auch wenn sich der kommunale Aufwand für die beiden Immobilien nicht in dieser Größenordnung unterscheidet.

Der Ökonomen liebste Steuer: die Bodenwertsteuer

Die Ökonomen lieben die Bodenwertsteuer, die aus der kommunalfinanzpolitischen Perspektive klare Vorteile hat: Die Kommune partizipiert an der Entwicklung der Bodenwerte, die maßgeblich durch öffentliche Leistungen (Infrastruktur, Bildungseinrichtungen etc.) beeinflusst werden. Ferner fördert sie wichtige städtebauliche Ziele und belastet die Grundstückspekulation, denn unbebaute oder untergenutzte Grundstücke werden genauso hoch besteuert wie bebaute. Investoren, die mit ihren Grundstücken etwas Sinnvolleres als die Rasenzucht anfangen wollen, werden nicht „bestraft“, Umnutzungen und Nachverdichtungen nicht belastet, das Brachliegenlassen von Flächen wird dagegen teurer. Langfristig belastet die Bodenwertsteuer die Bodenrente – und die kann man nach der Theorie abschöpfen, ohne dass damit Leistungsanreize verringert werden.

Nicht zuletzt ist die Grundsteuer auch im Sinne der fiskalischen Äquivalenz eine gute Steuer. Dort, wo öffentliche Leistungen erbracht werden, wird die Last der Finanzierung größer, die mit der Bodenwertsteuer internalisiert wird. Bisher ist es ein „free lunch“, wenn eine öffentliche Infrastruktur eingerichtet wird. Eine größere Budgethoheit von Bürgerinnen und Bürgern stärkt auch kommunale Demokratieprozesse – dazu gibt es einige empirische Evidenz.

Allerdings ist auch die Bodenwertsteuer in der Steuerpolitik nur schwer zu vermitteln. Insbesondere bei Eigenheimen in Großstädten liegen die Bodenrichtwerte in sehr guten Lagen mitunter um ein Vielfaches höher als in Randlagen. Klassisch sind hier „Oma ihr klein Häuschen“ mit großem Grundstück in Top-Lage oder auch die junge Familie, die sich für ein entsprechendes Eigenheim bis unter die Halskrause verschuldet hat. Die Leistungsfähigkeit der Steuerpflichtigen ist bei der Bodenwertsteuer nicht hinreichend berücksichtigt, wird häufig kritisiert. Und auch bei Mietern können die Unterschiede zwischen den Ortslagen erheblich sein, auch wenn sie wegen des geringeren Grundstücksanteils bei Geschosswohnungsbauten weniger stark durchschlagen. Gerade in der SPD stört man sich zudem daran, dass der Wert des Gebäudes keine Rolle spielen soll. Vielen Genossen stößt es auf, dass kleine Häuschen und mondäne Stadtvillen gleichbehandelt werden sollen.

Das WAM-Modell

Das Ende letzter Woche modifizierte WAM-Modell bemüht sich um einen Kompromiss zwischen den unterschiedlichen Herausforderungen und Anforderungen. Es berücksichtigt die lokalen Wertunterschiede, dimmt gravierende Differenzen aber deutlich herunter. Da nur noch kommunale Durchschnittmieten verwendet werden sollen, müssen die Mieterträge nicht individuell bei den Steuerpflichtigen erhoben werden. Liegen die Nettomieten deutlich unter den Durchschnittsmieten, können auch tatsächlich gezahlte Mieten herangezogen werden. Im Rahmen des vereinfachten Ertragswertverfahrens schlagen die Lageunterschiede über die Bodenrichtwerte nur wenig auf den Gesamtwert durch. Verbleibende Bewertungsdifferenzen können durch breiter zonierte Bodenrichtwerte weiter gemildert werden. Zudem soll das Gebäudealter Berücksichtigung finden: Ob eine Unterteilung in zwei Altersklassen – vor und nach 1948 – allerdings zu mehr Gerechtigkeit führt, sei dahingestellt. Alles in allem bleibt nicht mehr viel von den lokalen Wertunterschieden übrig.

Natürlich müssen für das Kompromissmodell neben den Grundstücksflächen auch die Gebäudeflächen erhoben werden, die bisher nicht in den Datenbanken der Behörden erfasst sind. Aber das ist eine einmalige Investition, die in den nächsten Jahren zu schaffen sein sollte – zumal das auch für das wertunabhängige Modell erforderlich wäre. Schwierig bleibt es aber bei Objekten mit betrieblichen Nutzungen oder reinen Geschäftsgrundstücken. Hier ist ein stark vereinfachtes Sachwertverfahren geplant, das mit acht Angaben auskommen soll. Aber auch in diesen Fällen muss sich die Wirtschaft fragen, ob ein reines Flächenmodell sinnvoll ist. Das entlastet zwar die guten Handels- und Dienstleistungsflächen in den Zentren, kann aber viele Industriebetriebe, Bauunternehmen oder Logistiker mit großen, aber nicht sonderlich wertvollen Grundstücken und Gebäuden kräftig belasten.

Ein wichtiger Vorteil des Kompromissmodells ist auch, dass eine aufwändige Grundgesetzänderung vermieden werden könnte. Denn nach einer Änderung bei der konkurrierenden Gesetzgebung gibt es noch Bestandsschutz für die bestehenden Regelungen einschließlich deren Anpassung, nicht aber für grundlegende Neuregelungen wie das wertunabhängige Modell oder die Bodenwertsteuer.

Wie geht es weiter?

Die Frage für die nächsten Wochen ist, ob der Kompromiss trägt. In Union, FDP und der Wirtschaft sehen viele die Chance, mit der Wertkomponente auch die Drohkulisse der Vermögensteuer wegzubekommen. Ferner fürchtet man einen laufenden Anstieg der Grundsteuerbelastungen, da die regelmäßig aktualisierten Bodenrichtwerte und Mieten das Grundsteueraufkommen automatisch mit der Wirtschaft mitwachsen lassen und nicht laufend die Hebesätze angehoben werden müssen. Vielfach wird über einen „Mietenturbo“ geklagt, denn derzeit ist die Grundsteuer in der Nebenkostenabrechnung umlagefähig.

Gerade die Bayern stehen seit jeher an vorderster Front, wenn es darum geht, eine effektivere Besteuerung von Immobilien sowie der Schönen und Reichen im Lande zu verhindern

Auch der bayerische Ministerpräsident Markus Söder signalisierte umgehend, dass der Kompromiss für ihn noch nicht spruchreif ist. Gerade die Bayern stehen seit jeher an vorderster Front, wenn es darum geht, eine effektivere Besteuerung von Immobilien sowie der Schönen und Reichen im Lande zu verhindern – nicht zuletzt, weil sie befürchten, dass sie im Finanzausgleich noch mehr an die armen Brüder und Schwestern im Norden und Osten der Republik zahlen müssen. Hierfür lassen sich aber pragmatische „Grandfathering“-Regelungen finden, indem man die bestehenden Umverteilungsreglungen über einen gewissen Zeitraum einfriert und erst längerfristig die veränderte Steuerkraft berücksichtigt. Ähnliches wäre auch für den kommunalen Finanzausgleich in den Flächenländern sinnvoll, um den einzelnen Kommunen die aufkommensneutrale Anpassung der Hebesätze zu erleichtern.

Generell wäre es sinnvoll, den Ländern oder Kommunen mehr Gestaltungsmöglichkeiten bei der Bemessungsgrundlage zu erlauben, etwa indem die Messzahlen nach Grundstücksarten differenziert oder auch Bodenwert- und Grundstückskomponente unterschiedlich gewichtet werden können. In der derzeitigen Ausgestaltung des Kompromisses wird eine große Chance vergeben, eine Reform mit entsprechenden Gestaltungsmöglichkeiten für die Landes- und Kommunalpolitik zu ergänzen.

Wenn alle Stricke reißen und die Reform scheitert, fällt die Grundsteuer an die Länder – die Einheitlichkeit der Rechtsordnung und der Wirtschaftsbedingungen würde aufgegeben. Dann kann jedes Land sein eigenes Ding machen. Und es kommen übrigens auch programmatische Aussagen der Landesverfassungen zum Tragen, die bisher kaum jemand kennt, geschweige denn ernst nimmt.

So liest man in Art. 161 Abs. 2 der Verfassung des Freistaates Bayern:

Steigerungen des Bodenwertes, die ohne besonderen Arbeits- oder Kapitalaufwand des Eigentümers entstehen, sind für die Allgemeinheit nutzbar zu machen.

Hört, hört!

 

Zu den Autoren:

Stefan Bach ist Steuerexperte am DIW Berlin und Autor des Sachbuchs „Unsere Steuern: Wer zahlt? Wie viel? Wofür?“. Auf Twitter: @SBachTax

Claus Michelsen ist Leiter der Leiter Abteilung Konjunkturpolitik am DIW Berlin. Auf Twitter: @ClausMichelsen