Vermögensteuer

Die hohe Kunst der Vermögensbesteuerung

Die Vermögensteuer ist in Deutschland nicht sonderlich beliebt – und wird regelmäßig zum politischen Rohrkrepierer. Allerdings ließen sich die allermeisten Ziele der Vermögensteuer auch mit höheren Ertragsteuern und einer angemessenen Erbschaftsteuer erreichen. Ein Beitrag von Stefan Bach.

Steuerhinterziehung bei Kapitalerträgen und Vermögen war früher ein Breitensport der besseren Stände. Foto: James Creegan via Flickr (CC BY 2.0)

Wenn die Unvermögensteuer kommen würde – die fürchte ich.“ So lästerte das Satireblatt Simplicissimus über Reichsfinanzminister Matthias Erzberger, als der ab Sommer 1919 ein Gesetz nach dem anderen durch die Weimarer Nationalversammlung peitschte – und damit die einzige wirklich grundlegende Steuer- und Finanzreform durchsetzte, die es in Deutschland jemals gegeben hat.

Nach gescheiterten Anläufen mit Vermögensabgaben wurde ab 1923 die Vermögensteuer eingeführt, die sich bis 1996 im deutschen Steuersystem hielt. In den goldenen Wirtschaftswunderzeiten der 1950er und 1960er Jahre erzielte sie knapp zwei Prozent des Steueraufkommens. Umgerechnet auf die heutige Zeit entspräche das einem Aufkommen von etwa 15 Milliarden Euro pro Jahr. Zusammen mit den Lastenausgleichsabgaben waren es zeitweise sogar deutlich mehr als fünf Prozent, das wären heute 40 Milliarden Euro.

Im Zuge von Globalisierung, internationalem Steuerwettbewerb und neoliberalen Reformen kamen „Reichensteuern“ zunehmend unter Druck

Danach ging‘s bergab. Im Zuge von Globalisierung, internationalem Steuerwettbewerb und neoliberalen Reformen kamen „Reichensteuern“ zunehmend unter Druck. Die Einkommensteuer-Spitzensätze wurden gesenkt, Unternehmens- und Kapitaleinkommen aus der „synthetischen“ und progressiven Besteuerung der persönlichen Einkommen herausgelöst und niedriger belastet („duale Einkommensteuer“). Zudem schafften die meisten OECD-Länder persönliche Vermögensteuern ersatzlos ab. Und auch die Erbschaftsteuer wurde vielerorts gestrichen oder zumindest entschärft.

Renaissance der „Reichenbesteuerung“

Zugleich ist die Einkommens- und Vermögensverteilung in den meisten Ländern spürbar ungleicher geworden, vor allem im oberen Bereich. In Deutschland ist die Einkommenskonzentration bis 2005 deutlich gestiegen und hat sich seitdem trotz guter Konjunktur und Beschäftigung nicht wieder zurückgebildet. Von den niedrigen Zinsen und der Vermögenpreisinflation profitieren vor allem die Wohlhabenden und Superreichen, deren Vermögen zumeist aus Immobilien und Unternehmensbeteiligungen bestehen und die sich günstig refinanzieren können.

Vor diesem Hintergrund gibt es eine Renaissance der „Reichenbesteuerung“. In einigen Ländern wurden die Spitzensteuersätze wieder angehoben und Vermögensteuern erhöht oder wiederbelebt, etwa in Frankreich und Spanien. Auch in Deutschland stehen diese Themen auf der politischen Agenda – naheliegenderweise getragen von den rot-rot-grünen Parteien.

Als Steuern auf hohe Vermögen kommen infrage: die laufende Vermögensteuer auf den aktuellen Vermögensbestand sowie die Erbschaftsteuer auf unentgeltliche Vermögensübertragungen. Für außerordentliche Finanzierungszwecke gibt es noch die einmalige Vermögensabgabe. Höhere persönliche Freibeträge sollen die Vermögen der Mittelschichten und unteren Oberschichten freistellen. Bei den Vorschlägen zur Wiedererhebung der Vermögensteuer sind persönliche Freibeträge von mindestens einer Million Euro vorgesehen, bei Ehepaaren das Doppelte. Das stellt die meisten Familienheime auch in Großstädten vermögensteuerfrei. Nur an oberbayerischen Seen wird es knapp.

Vermögenserfassung und -bewertung möglich, aber nicht einfach

Erstes Problem: Die Vermögen müssen breit erfasst und mit ihren Marktwerten ermittelt werden. Das war früher die Achillesferse der Vermögensbesteuerung. Die Einheitsbewertung, die ja dazu dienen sollte, für alle vermögensbezogenen Steuern geeignete Werte zu liefern, floppte – vor allem bei der Immobilienbewertung. Noch heute werden bei der Grundsteuer Werte von 1964 verwendet, im Osten sogar von 1935. Das Bundesverfassungsgericht wird dieses Treiben wohl demnächst endlich beenden.

„Dummensteuereffekt“: Der clevere und gut beratene Steuerpflichtige kann seine Belastung deutlich reduzieren, der Unbedarfte zahlt

Immerhin gelang es dank der Intervention des Bundesverfassungsgerichts, bei der Erbschaftsteuer ab 2009 die Bewertung von Immobilien und Unternehmen auf branchenübliche Standards zu heben. Das scheint nicht so schlecht zu funktionieren. Der Aufwand hält sich in Grenzen, wenn man die Vermögensteuern auf die reichsten 0,5 Prozent der Bevölkerung und weniger begrenzt. Aber für viele Immobilien oder für kleine und mittlere Unternehmen gibt es keine geeigneten Vergleichswerte. Die dann bemühten Bewertungsverfahren sind notgedrungen subjektiv und intransparent. Das macht sie streitanfällig und teuer – zwei Gutachter, vier Meinungen. Hier ist ein gewisser „Dummensteuereffekt“ kaum zu vermeiden: Der clevere und gut beratene Steuerpflichtige kann seine Belastung deutlich reduzieren, der Unbedarfte zahlt.

Zweites Problem: „Kapital ist ein scheues Reh“ hieß es in den neoliberalen Nullerjahren in jeder zweiten Talkshow. Steuerhinterziehung bei Kapitalerträgen und Vermögen war früher ein Breitensport der besseren Stände. Die Banken legten eine bemerkenswerte kriminelle Energie an den Tag, dabei zu assistieren oder den Fiskus bei Dividendengeschäften um zweistellige Milliardenbeträge zu behumsen. Durch internationale Koordination der Besteuerungssysteme und Zusammenarbeit der Finanzbehörden wird inzwischen den gröbsten Exzessen Einhalt geboten. Bei den Unternehmen sind die Gestaltungsmöglichkeiten aber weiterhin hoch, und auf Dauer können sie ihre Investitionen an ausländische Standorte verlagern.

Rot-grüner Rohrkrepierer

Drittes und grundsätzliches Problem: Die Vermögensteuer ist die hässliche Schwester der Kapitaleinkommensbesteuerung. Denn anders als die einmalige Vermögensabgabe oder die Erbschaftsteuer will sie nicht in die Vermögenssubstanz eingreifen, sondern sich „nur“ an den Vermögenserträgen beteiligen. Dabei wird sie aber unabhängig von den Ertragsschwankungen erhoben – als „Soll-Ertragsteuer“. Ein Vermögensteuersatz von einem Prozent, wie er bei den letzten Vorschlägen im Umfeld von SPD und Grünen meist aufgerufen wurde, erhöht in Zeiten von niedrigen Renditen die implizite Ertragsteuerbelastung kräftig.

Selbst wenn Niedrigzinsen und Vermögenpreisinflation in den kommenden Jahren wieder abebben – mit Renditen über vier Prozent tun sich derzeit auch die Vermögensverwalter der Superreichen schwer, ohne allzu hohe Risiken einzugehen. Dann entspricht eine laufende Vermögensteuer von einem Prozent einer zusätzlichen Kapitalertragsteuer von 25 Prozent. Bei den Unternehmen sind die Eigenkapitalkosten und Renditen höher, aber eine zusätzliche Gewinnsteuerbelastung von zehn Prozent und mehr ist hier schnell erreicht. Die gefühlte Belastung ist noch höher, denn die Vermögensteuer fällt auch in Verlustphasen an und erhöht damit die Liquiditäts- und Risikokosten. Auch die Vermögensteuer-Anhänger bei SPD und Grünen schlagen ja nicht ernsthaft vor, die Gewinnsteuerbelastung der Unternehmen auf 40 Prozent anzuheben oder die Abgeltungsteuer auf 50 Prozent.

Dilemma der Vermögensteuer: Sie trifft nicht nur Großgrundbesitzer oder couponschneidende Finanzkapitalisten, sondern vor allem die „guten“ Realkapitalisten

Letztlich entsteht bei der Vermögensteuer das gleiche Dilemma wie bei der Erbschaftsteuer auf Unternehmensübertragungen: Sie trifft nicht nur Großgrundbesitzer oder couponschneidende Finanzkapitalisten, sondern vor allem die „guten“ Realkapitalisten: größere Mittelständler und Familienunternehmen sowie die „hidden champions“. Die gelten als Rückgrat der deutschen Wirtschaft, stärken den Wettbewerb mit den Großunternehmen, schaffen Arbeitsplätze in der Fläche und kümmern sich zumeist um ihre Leute und ihre Region. Banken und Finanzmärkte halten sie möglichst aus ihren Unternehmen heraus und finanzieren die Investitionen über Eigenkapital. Das macht die Unternehmen krisenfest, fällt ihnen aber bei den Vermögensteuern auf die Füße. Daher empfinden viele gestandene Mittelständler die laufende Vermögensteuer oder die Erbschaftsteuer als persönliche Kränkung.

Die Familienunternehmen beziehungsweise die Unternehmerfamilien haben enormen Einfluss auf die Politik – mit dem Recht zum Immediatvortrag bei Kanzlerin und Landesfürsten. Im rot-grünen Lager werden die Vermögensteuerpläne gerne von den eigenen Landespolitikern aus den wirtschaftlich erfolgreichen Regionen torpediert. Und die Gewerkschaften arbeiten lieber mit alteingesessenen Unternehmern zusammen als mit Firmen, die von Finanzinvestoren aus der Ferne gesteuert werden – genannt „Heuschrecken“.

Auch in den Mittelschichten und niederen Ständen löst das Thema keine große Mobilisierungswirkung aus. Eher ist man dort verängstigt, selbst zu den Betroffenen zu gehören. „Das Geld ist doch schon versteuert“ heißt es außerdem. Und: „Der Staat hat genug Geld, er soll mehr sparen.“ Daher wird die Vermögensteuer, die für ihre Anhänger im rot-grünen Lager einen hohen Symbolwert hat, regelmäßig zum politischen Rohrkrepierer, wenn es ernst wird.

Hybride Modelle zur Integration von Ertrags- und Vermögensbesteuerung bei Großvermögen

Die allermeisten Ziele der Vermögensteuer lassen sich auch mit höheren Ertragsteuern und einer angemessenen Erbschaftsteuer erreichen. Moderate Erhöhungen der Spitzensteuersätze, der Unternehmen- und Kapitaleinkommensteuersätze sowie der Abbau von Steuervergünstigungen für Gewinn- und Vermietungseinkünfte könnten jährliche Mehreinnahmen in Größenordnungen von zehn bis 15 Milliarden Euro erzielen, ohne dem Wirtschaftsstandort Deutschland nennenswert zu schaden. Auch das Erbschaftsteueraufkommen ließe sich mehr als verdoppeln, wenn die überzogenen Vergünstigungen für hohe Unternehmensvermögen auf ein angemessenes Niveau zurückgeführt, sonstige Steuervergünstigungen beschnitten und die Mehrfachnutzung der persönlichen Freibeträge durch Schenkungen beschränkt würden.

Bedenkenswert sind hybride Modelle einer Integration von Elementen der Vermögensbesteuerung in die Ertragsbesteuerung. Superreiche halten ihre Vermögen gerne in „Family-Offices“, Stiftungen oder Holdinggesellschaften. Dort thesaurieren sie ihre Erträge, die oft nur schwer zu ermitteln sind und kaum von der progressiven Einkommensteuer erfasst werden. Hier kann es einfacher sein, Vermögen statt Periodeneinkommen zu besteuern, sofern für die Vermögen Marktwerte oder belastbare Unternehmensbewertungen zur Verfügung stehen. Dazu könnte man einen Mindestertrag des Vermögens ansetzten oder die Vermögensteuer auf die Ertrags- und Einkommensteuern anrechnen. Insoweit würde die Vermögensteuer als Mindeststeuer fungieren.

Das könnte Besteuerungslücken schließen, etwa beim Nutzungswert von hochwertigem selbstgenutzten Wohneigentum oder Luxusgütern („imputed rent“), bei steuerfreien Veräußerungsgewinnen von Immobilien oder bei Steuergestaltungen. Denkbar wäre es zudem, die bestehende Kapitaleinkommensbesteuerung durch eine Sollertragsbesteuerung zu ersetzen, indem man eine kalkulatorische Verzinsung des Vermögenswerts bei der Einkommensteuer ansetzt. Die Niederlande praktizieren das bei Immobilien und Unternehmensbeteiligungen.

Dies entspricht dem alten Konzept der Kontroll- und Ergänzungsfunktion der Vermögensbesteuerung bei sehr wohlhabenden Steuerpflichtigen. Die 1895 in Preußen eingeführte „Ergänzungssteuer„, die später Vorbild für die landesweite Vermögensteuer war, brachte diese Idee schon in ihrem Namen zum Ausdruck.

Back to the roots – die hohe Kunst der Vermögensbesteuerung besteht darin, es zu machen, ohne es zu tun.

 

Zum Autor:

Stefan Bach ist Steuerexperte am DIW Berlin und Autor des Sachbuchs „Unsere Steuern: Wer zahlt? Wie viel? Wofür?“. Auf Twitter: @SBachTax

Hinweis:

Dieser Beitrag ist zuvor auch in der Zeitschrift DER BETRIEB und im Portal Ökonomenstimme erschienen.