Kommentar

Griechenland-Gläubiger geben Wahlkampfhilfe für Wolfgang Schäuble frei

Griechenland bekommt von seinen öffentlichen Gläubigern frisches Geld, um damit vor allem seine öffentlichen Gläubiger bezahlen zu dürfen. Der große Sieger ist einmal mehr Wolfgang Schäuble: dem deutschen Finanzminister ist es tatsächlich gelungen, sein Griechenland-Problem über die Bundestagswahl hinaus aufzuschieben.

Foto: Bankenverband via Flickr (CC BY 2.0)

Gestern Abend hat die Eurogruppe die Freigabe einer weiteren Tranche aus dem laufenden Hilfsprogramm für Griechenland bewilligt. Sollte auch das ESM-Direktorium der Auszahlung zustimmen (aus Spanien kommt derzeit noch Widerstand), wäre ein griechischer Staatsbankrott zumindest für die nächsten Monate abgewendet.

Der Einigung waren monatelange Verhandlungen vorausgegangen. Beim Blick auf die konkreten Beschlüsse von gestern Abend stellt sich aber die Frage: Warum hat das so lange gedauert? Denn wirklich etwas beschlossen, was über den längst feststehenden Minimalkonsens hinausgeht, hat die Eurogruppe nicht. Hier die einzelnen Punkte:

  • Griechenland erhält insgesamt 8,5 Milliarden Euro. Laut ESM-Chef Klaus Regling sollen 7,7 Milliarden Anfang Juli ausbezahlt werden. Hiervon ist der allergrößte Teil für die Rückzahlung von Schulden an die Europäischen Zentralbank (ca. 3,9 Milliarden), den IWF (0,3 Milliarden) und an private Anleihegläubiger (2,1 Milliarden) vorgesehen. Zudem sollen Zahlungsrückständen des Staates beglichen werden. Die restlichen 0,8 Milliarden sollen dann im Herbst ausgezahlt werden und ebenfalls der Begleichung von Zahlungsrückständen dienen. Heißt: Griechenland erhält von seinen öffentlichen Gläubigern Gelder, die das Land dann zu einem großen Teil verwenden muss, um seine öffentlichen Gläubiger auszubezahlen.
  • Der IWF ist nach wie vor finanziell nicht an Bord. IWF-Chefin Christine Lagarde will dem IMF-Exekutivdirektorium zwar die grundsätzliche Genehmigung eines gut einjährigen „Beistandsabkommens“ für Griechenland empfehlen. Aber: Die Beteiligung soll lediglich zwei Milliarden US-Dollar betragen, was angesichts des Gesamtvolumens des aktuell laufenden dritten Programms (86 Milliarden Euro) höchstens ein (finanziell unsinniges) Trinkgeld ist. Und vor allem: Auszahlungen soll es laut Lagarde erst geben, wenn die von den Europäern in Aussicht gestellten Schuldenerleichterungen „vollständig identifiziert“ seien. Womit mit wir beim nächsten Punkt wären:
  • Es gibt weiterhin keinerlei verbindliche Zusagen für Schuldenerleichterungen. Die Eurogruppe hatte bereits im Mai 2016 in Aussicht gestellt, dass Griechenland nach einem erfolgreichen Abschluss des Programms im Sommer 2018 „nötigenfalls“ weitere mittelfristige Schuldenerleichterungen gewährt werden könnten. Diese Formulierung findet sich auch in der gestrigen Erklärung und wurde lediglich durch einen weiteren Vorschlag erweitert: So könnten auch die gewichteten durchschnittlichen Laufzeiten europäischer Hilfskredite aus dem zweiten Hilfsprogramm sowie die Stundung von Zinsen und Rückzahlungen „um 0 bis 15 Jahre“ verlängert werden.
  • Die Ziele für den griechischen Primärüberschuss bleiben unverändert. Die Gläubiger verlangen weiterhin, dass dieser bis zum Jahr 2022 bei 3,5% der Wirtschaftsleistung liegen soll. Danach sollen es bis zum Jahr 2060 2% sein, was historisch einmalig und in diesem Ausmaß zudem kontraproduktiv wäre: Ein Primärüberschuss bedeutet, dass ein Land unter Ausklammerung des Schuldendienstes weniger ausgibt als es z. B. durch Steuern einnimmt. Der Überschuss steht dann für die Begleichung der Staatsschulden zur Verfügung. Da im griechischen Fall die staatlichen Verbindlichkeiten zum allergrößten Teil gegenüber öffentlichen Gläubigern aus dem Ausland bestehen, wird der griechischen Wirtschaft also jahrzehntelang über den Staatshaushalt Geld entzogen – nicht gerade das, was die Wirtschaft eines ökonomisch depressiven Landes braucht.

Zusammengefasst heißt das: Griechenland erhält gerade einmal genug Geld, um kurzfristig einen Staatsbankrott zu vermeiden. Dafür muss sich das Land auch weiterhin den Auflagen der Gläubiger beugen. Im Gegenzug erhält Griechenland außer den bereits bekannten vagen Andeutungen auf einen möglichen Schuldenerlass: nichts.

Schäuble hat gewonnen und Lagarde nicht verloren

Die nun gestern abgeschlossene jüngste Verhandlungsrunde war seit fast einem Jahr in erster Linie ein Duell zwischen Wolfgang Schäuble und Christine Lagarde bzw. dem IWF. Schäuble wollte den Währungsfonds aus innenpolitischen Gründen an Bord haben, weil er den Abweichlern in der eigenen Partei die Zustimmung zum laufenden Programm nur unter dieser Bedingung abringen konnte. Der IWF wollte sich ohne Schuldenerleichterungen für Griechenland jedoch nicht finanziell an dem Programm beteiligen, weil nun einmal kein Kreditgeber gerne sein Geld einem Kreditnehmer gibt, den er für überschuldet hält.

Überraschend ist jedoch, wie dieses Duell ausgegangen ist: Schäuble hat gewonnen und Lagarde nicht verloren. Die IWF-Chefin musste – in bester Eurogruppen-Tradition – lediglich eine unverbindliche Absichtserklärung in höchstens symbolischer Höhe abgeben.

Und Schäuble ist seinem Primärziel sehr nahe gekommen, die vom IWF verlangte Entscheidung über Schuldenerleichterungen über den Bundestagswahltermin hinaus aufzuschieben. Die Absichtserklärung des IWF dürfte wohl ausreichend sein, um dem Bundestag die Freigabe der Tranche abzuringen. Die Entscheidung darüber wird der Haushaltsausschuss wahrscheinlich am nächsten Mittwoch fällen. Immerhin liegt es noch im Bereich des Möglichen, dass der Ausschuss die Entscheidung auch im Bundestagsplenum debattieren lassen wird.

Hit & Hope

Der große Verlierer dieses Kompromisses ist – Überraschung – Griechenland und seine Regierung. Ministerpräsident Alexis Tsipras dürfte innenpolitisch noch stärker unter Druck geraten, weil seine Regierung erneut nicht die Schuldenerleichterungen bekam, mittels derer sie die in den eigenen Reihen so umstrittenen Reformen durchgeboxt hat. Die Unsicherheit im Land bleibt weiterhin hoch, weil die bestehenden Konflikte keinesfalls gelöst worden sind – die nächste Tranche muss bestimmt kommen. Die Entwicklung auf dem griechischen Arbeitsmarkt zeigte zuletzt immerhin in die richtige Richtung, die Arbeitslosigkeit liegt mit über 22% aber nach wie vor im Bereich „humane Katastrophe“ und wird dies ohne einen – derzeit nicht erkennbaren – wirtschaftspolitischen Kurswechsel auch noch über Jahre hinweg tun.

Vor allem aber ist weiterhin völlig unklar, wie es mit Griechenland nach dem Ende des laufenden Programms ab dem Sommer 2018 weitergehen soll. Erklärtes Ziel der Gläubiger ist es, dass Griechenland dann wieder an die Kapitalmärkte zurückkehrt, sich also von privaten Investoren das nötige Geld für die Refinanzierung seiner Schulden besorgen müsste. Das ist eine Politik nach dem Motto hit & hope: Es ist nicht nachvollziehbar, warum Griechenland zu halbwegs akzeptablen Konditionen wieder Geld auf den Märkten bekommen sollte, ohne dass zuvor die allgemein als nicht tragfähig eingestufte Schuldenlast durch den Verzicht der öffentlichen Gläubiger wiederhergestellt wurde, zumal die EZB griechische Staatsanleihen unter diesen Umständen wohl auch weiterhin nicht im Rahmen ihres QE-Programms erwerben wird.

Daher gilt auch nach der gestrigen Einigung: Die Eurogruppe muss sich bis zum Sommer 2018 zwischen zwei Möglichkeiten entscheiden. Sie kann Griechenland die bereits mehrfach in Aussicht gestellten Schuldenerleichterungen gewähren – oder sie kann bereits jetzt damit anfangen, ein viertes Rettungspaket zu planen, das früher oder später nötig sein wird.

Im Anschluss an die gestrige Eurogruppen-Sitzung sagte Wolfgang Schäuble: „Alles dient einem Zweck: Griechenland zu helfen, wettbewerbsfähig zu werden. (…) Insgesamt helfen die Maßnahmen Griechenland – niemandem sonst. Aber das ist im gemeinsamen Interesse.“ Tatsächlich aber hat sich gestern Abend nur eines verbessert, und zwar die politische Wettbewerbsfähigkeit Wolfgang Schäubles. Ob das auch im „gemeinsamen Interesse“ aller anderen Beteiligten ist, sei mal dahingestellt.