Statistik

Falsche Jubelmeldungen zu Hartz-IV-Zahlen

Verschiedenen Medienberichten zufolge ist die Zahl der Dauer-Hartz-IV-Bezieher im letzten Jahr um fast 8% gesunken – was aber leider nicht stimmt. Tatsächlich hatte die Bild-Zeitung eine Revision der Statistik falsch interpretiert, was von anderen Medien ungeprüft übernommen wurde.

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Eine journalistische Grundregel lautet: Man sollte a) Statistiken nicht ungeprüft abschreiben und b) erst Recht nicht dann, wenn die Primärquelle die Bild-Zeitung ist. Genau das ist aber zuletzt mal wieder geschehen. „Weniger Menschen beziehen dauerhaft Hartz IV“ meldete beispielsweise Spiegel Online unter Berufung auf das Boulevardblatt (die Meldung ist inzwischen korrigiert).

Auch der Deutschlandfunk verbreitete die frohe Botschaft und lieferte sogar eine Begründung: „Demnach gab es Ende 2015 knapp 2,6 Millionen Menschen, die diese Leistung schon länger als vier Jahre erhalten. Das sind fast acht Prozent weniger als ein Jahr zuvor. Ein Sprecher der Bundesagentur für Arbeit sagte dem Deutschlandfunk, ein Grund für diese Entwicklung sei die gute wirtschaftliche Lage. Es gebe mehr Stellen, davon profitierten auch Langzeitarbeitslose.“

Das hört sich gut an – ist aber leider falsch, wie das auf die Auswertung von Arbeitsmarktdaten spezialisierte Portal O-Ton Arbeitsmarkt aufzeigt. Demnach beruht dieser vermeintliche Rückgang lediglich auf einer Umstellung in der Statistik. Dabei zeigt sich, dass die Bild-Zeitung unterschiedliche Personengruppen in der Hartz-IV-Statistik, nämlich Regelleistungsbezieher im Dezember 2015 (2.572.134 Personen) und Leistungsberechtigte im Dezember 2014 (2.792.787 Personen) miteinander verglichen hat – was schlichtweg falsch ist. Denn Regelleistungsberechtigte sind nur eine Teilgruppe der Leistungsberechtigten und daher natürlich insgesamt weniger Personen.

Hintergrund der offensichtlichen Verwirrung in der Bild-Redaktion ist eine Revision in der Hartz-IV-Statistik: Wie berichtet erfasst die Bundesagentur für Arbeit seit April 2016 Personengruppen in Hartz-IV-Hauhalten differenzierter. Die Daten vor der Revision und nach der Revision sind daher nicht mehr miteinander vergleichbar – was die Bild-Redaktion aber getan hat, indem sie die Daten der alten, unrevidierten Statistik vom Dezember 2014 an denen aus der neuen, revidierten Statistik vom Dezember 2015 gemessen hat.

Inzwischen hat die Bundesagentur für Arbeit auch die tatsächlich vergleichbaren Werte für den Dezember 2014 veröffentlicht. Demzufolge gab es nur einen minimalen Rückgang um 0,8% bei den Personen, die schon seit vier Jahren oder länger auf Hartz-IV-Leistungen angewiesen sind – und keinesfalls um rund 8%, wie die Bild-Zeitung und andere berichteten. Somit sollte man auch bei guten Nachrichten weiter dem Lebensmotto folgen: Glaub ich erst mal nicht.

 

Zum Autor:

Stefan Sell ist Professor für Volkswirtschaftslehre, Sozialpolitik und Sozialwissenschaften an der Hochschule Koblenz und Direktor des Instituts für Sozialpolitik und Arbeitsmarktforschung (ISAM). Außerdem betreibt Sell das Portal Aktuelle Sozialpolitik, auf dem dieser Beitrag zuerst erschienen ist.