Konjunkturzyklen treten seit fast 200 Jahren in allen marktwirtschaftlich organisierten Volkswirtschaften auf. Seit dieser Zeit versuchen Ökonomen zu ergründen, was hinter den Schwankungen der privaten Wirtschaftsleistung steckt – und ob und wie sich Konjunkturkrisen und die damit verbundenen Jobverluste abfedern lassen. Erklärungsversuche reichen von Marktversagen bis hin zu massenpsychologischen Phänomenen, die die Menschen mal mehr ausgeben lassen, mal eher weniger.
Ideologische Motive waren und sind selten von diesen Erklärungsversuchen zu trennen. Sollte der Staat eingreifen, um die marktwirtschaftliche Ordnung zu stützen? Oder reichen die Selbstheilungskräfte des Marktes aus, damit eine Volkswirtschaft von allein (oder höchstens durch minimale Eingriffe des Staates) wieder ins Gleichgewicht findet? Für einige durch Marx geprägte Zeitgenossen naht sogar immer wieder der Untergang des Kapitalismus, sobald eine Rezession ausbricht.
Kein Konjunkturbeobachter wird sich vermutlich gänzlich von seiner ideologischen Einstellung lösen können, selbst dann nicht, wenn er oder sie sich hinter den kompliziertesten Mathemodellen versteckt. Im Blog The State of Swing der Schweizer Zeitung „Finanz und Wirtschaft“ und von „Makronom“ versuchen wir, etwas Licht in den Dschungel aus Interessen und Fakten zu bringen, die sich doch selten sauber voneinander trennen lassen.
Die Grundidee von The State of Swing lehnt sich an die zahlreichen Fußball-Taktikblogs an: Es geht nicht darum, jede kleinste Einzelheit des Geschehens auf dem Platz zu beleuchten – es geht uns um den roten Faden. So wie die Taktikvorgaben des Trainers im Fußball ein Spiel entscheidend prägen, wollen wir die entscheidenden Bewegungen in den Volkswirtschaften nachzeichnen – also die Swings, die über Aufschwung oder Abschwung, über Aufstieg oder Abstieg einer Volkswirtschaft entscheiden.
Kapitalimpuls, Profitimpuls, Kreditimpuls
Dabei liegt das Augenmerk oftmals auf drei für die konjunkturelle Entwicklung wesentlichen Impulsen, die weiter unten genauer erklärt werden: dem Kapitalimpuls, dem Profitimpuls und dem Kreditimpuls. Mittlerweile sind die Statistiken der meisten Länder zumindest in Europa und Nordamerika so gut, dass wir diese drei Impulse sehr genau und nah am aktuellen Rand entlang nachvollziehen können. Die folgende Übersicht zeigt die Daten für 18 Länder bzw. Wirtschaftsräume – sie ist also eine Art Taktiktafel der Konjunkturanalyse:
Was genau aber sagen uns diese drei Impulse? Gehen wir sie der Reihe nach durch.
Kapitalimpuls
Wir wissen, dass die Ausgaben eines Landes für Kapitalgüter (Maschinen, Anlagen, Geräte, Patente, Wirtschaftsgebäude etc.) oft die entscheidende Rolle dafür spielen, ob eine Volkswirtschaft floriert oder nicht. Deswegen wollen wir diese Investitionsausgaben als Kapitalimpuls darstellen.
So beginnt ein Aufschwung meistens damit, dass die Unternehmen ihre Ausgaben für Neuinvestitionen schneller ausweiten und dabei auch ihren bestehenden Kapitalstock durch neue Geräte usw. modernisieren. Investieren die Unternehmen in neuen Kapitalstock, bauen sie dabei auch regelmäßig neue Jobs auf, was wiederum garantiert, dass die private Konsumnachfrage zulegt. Schließlich bedeuten mehr Arbeitsplätze auch mehr Konsumenten, die dann all die Güter und Dienstleistungen kaufen, die von den Unternehmen produziert werden.
Damit kommen wir zur ersten wichtigen Frage, die wir immer wieder stellen können: Weiten die Unternehmen ihre Investitionen im Aufschwung so kräftig aus, dass diese schneller wachsen als ihr gesamtes Einkommen? Dies lässt sich ganz einfach beobachten, indem wir uns das Verhältnis der Neuinvestitionen zum Nettoeinkommen (Nettowertschöpfung) anschauen. Steigt diese Investitionsquote, wollen wir dieses Phänomen einen positiven Kapitalimpuls nennen.
Lenken wir den Blick auf die gesamte Volkswirtschaft, werden wir oft feststellen, dass der Rest der Einkommensgrössen im Verhältnis zum Bruttoinlandprodukt sinkt, wenn die Investitionsquote steigt: Das sind dann vor allem die Konsumausgaben oder die Staatsausgaben. Da dies eine mathematisch-logische Entwicklung ist (alle Quotenänderungen ergeben immer null), reicht es für den schnellen Überblick also, sich auf die Investitionsquote der Unternehmen zu konzentrieren und zu schauen, ob sie einen positiven Kapitalimpuls signalisiert.
Beobachten wir aber über den Verlauf eines Aufschwungs einen steigenden Anteil der Investitionen und einen sinkenden Anteil der Konsumausgaben, dürfen sich alle diejenigen Konjunkturforscher und Ökonomen bestätigt fühlen, die im relativen Zurückbleiben des Konsums die eigentliche Ursache für jede Rezession ausmachen.
Profitimpuls
Auf der anderen Seite sind es auch die Investitionen in den Kapitalstock, die die Produktivität der Unternehmen verbessern. So können die Unternehmen am effektivsten ihren Gewinn steigern, während sie fortlaufend neue Beschäftigte einstellen und die Löhne erhöhen. Deswegen sind die operativen Gewinne der zweite wichtige Impuls, den wir hier beobachten wollen. Schliesslich sind die Gewinnmargen das wichtigste Signal, das darüber entscheidet, ob sich weitere Investitionen lohnen.
Wir wollen hier aber die operativen Gewinne nicht ins Verhältnis zum Umsatz setzen, sondern wie schon vorher beim Kapitalimpuls zum Einkommen der Unternehmen (also Gewinn- und Lohnsumme). Nicht überraschen sollte es uns also, wenn die operativen Gewinne im Aufschwung schneller wachsen als die Lohnsumme und damit natürlich auch das gesamte Einkommen. Ablesen können wir das an der Quote der Profite gemessen am Nettoeinkommen (Nettowertschöpfung), die im Aufschwung steigt und damit einen positiven Impuls liefert.
Zu beachten ist allerdings, dass die operativen Gewinne immer nur die Gewinnsumme messen können, die sich aus der Produktion an einem Standort ergibt – wenn die Unternehmen also ihre Produktion auf den inländischen oder den ausländischen Märkten verkaufen. Was hier nicht mit eingeht, sind Finanzergebnisse, die aus Anlagen in Aktien oder Anleihen oder aus ausländischen Direktinvestitionen resultieren. Der Profitimpuls gibt damit zwar den entscheidenden Trend einer Volkswirtschaft wieder, jedoch sollten wir im Hinterkopf behalten, dass gerade Großkonzerne eine reale Gewinnflaute in einer Volkswirtschaft auch durch gute Entwicklungen am Finanzmarkt oder an Auslandsstandorten ausgleichen können.
Kreditimpuls
Eng verflochten mit dem Kapital- und dem Profitimpuls ist der Kreditimpuls. Denn wenn schon die Investitionen und die Profite schneller wachsen als das Einkommen, muss es einen Mechanismus geben, der den Kapitalaufbau über die laufenden Einkommen hinaushebt. Und das kann durch einbehaltene Gewinne geschehen, die Ersparnis eines Landes oder aus dem Neukreditgeschäft, bei dem die Banken neues Geld schaffen. Deswegen beobachten wir das Verhältnis der Nettokreditflüsse der Unternehmen zu ihrer Nettowertschöpfung. Steigt es, haben wir wieder einen positiven Kreditimpuls.
Ein roter Faden für die Konjunkturentwicklung
Der Kapitalimpuls, der Profitimpuls und der Kreditimpuls können uns also dabei helfen, den roten Faden der Konjunkturentwicklung zu erfassen. Eine Rezession zum Beispiel ist sehr oft dadurch charakterisiert, dass der Kapitalimpuls negativ wird. Das heißt nichts anderes, als dass die Neuinvestitionen schrumpfen, oder wenn sie noch wachsen, dann auf jeden Fall langsamer als das Einkommen. Alle drei Impulse müssen aber nicht unbedingt immer im Gleichlauf zusammenhängen. Mal dreht der eine früher ins Positive, mal läutet der andere den Abschwung oder den Aufschwung ein.
Und natürlich können die drei Impulse eine detailliertere Analyse der zahlreichen volkswirtschaftlichen Größen oder der Bewegungen auf den Finanzmärkten nicht ersetzen. Gleichwohl kristallisieren sich all diese Entwicklungen wie in einem Brennglas in den drei Impulsen. Daher sind sie auch die Grundlage unserer Taktiktafel der Konjunkturanalyse. Sie liefern allerdings umso klarere Signale, je grösser die Wirtschaftsräume sind, die wir hier beobachten.
Vor einem sollte man sich aber noch hüten: So gilt zwar der Zusammenhang, dass fast jede Rezession mit einem negativen Kapitalimpuls einhergeht. Doch es gibt hier keine Automatismen. Denn manchmal erfasst eine Investitionsflaute nur einen kleinen Teil einer Volkswirtschaft, der sich aber umso heftiger in den Makrozahlen spiegelt – wie zuletzt ab 2015 in den USA, als es vor allem die Schieferöl- und -gasbranche traf.
Bleibt der Rest der Wirtschaft aber stabil und baut weiter Jobs auf, laufen die Geschäfte an den Auslandstandorten immer noch gut, muss eine sinkende Investitionsquote oder Gewinnquote nicht unbedingt in eine Rezession führen. Doch dies scheinen tatsächlich nur Ausnahmen zu sein. Wird der Kapitalimpuls negativ, oder sieht es so aus, als könnte er bald drehen, kann er uns in der Regel als Warnsignal für eine nahende Wirtschaftskrise dienen. Gleichwohl müssen wir uns auch immer die konkrete Entwicklung anschauen, wie sie sich in den üblichen Wachstumsraten im Detail abzeichnet.
Zum Autor:
André Kühnlenz ist Redakteur bei der Finanz und Wirtschaft. Außerdem bloggt er auf weitwinkelsubjektiv.com. Auf Twitter: @keineWunder
Hinweis:
Dieser Beitrag ist ebenfalls im The State of Swing-Blog der Finanz und Wirtschaft erschienen. In Kooperation mit der FuW veröffentlichen wir die Blog-Beiträge auch im Makronom.