Außenhandel

Die Leistungsbilanz-Überschüsse sind für Deutschland ein Verlustgeschäft

Manche Ökonomen meinen, dass man aus dem Abgleich von kumulierten Leistungsbilanzüberschüssen und dem deutschen Nettoauslandsvermögen keine Rückschlüsse darüber ziehen sollte, ob die Überschüsse Deutschland zum Nachteil gereichen. Allerdings sind die Argumente nicht sehr überzeugend.

Hat Deutschland sein Geld im Ausland versenkt? Foto: Pixabay

Ursachen und Konsequenzen von bedeutenden Leistungsbilanzsalden sind seit vielen Jahren ein kontrovers diskutiertes Thema. In einem Beitrag für den Wirtschaftswunder-Blog hatte ich dargelegt, dass Deutschland mehrere hundert Milliarden Euro letztlich verschenkt hat, weil die deutsche Nettoauslandsposition – also das Nettovermögen der deutschen Volkswirtschaft – kleiner ist als die Summe der kumulierten Leistungsbilanzüberschüsse. Diese Erkenntnis ist deswegen wichtig, weil sie zeigt, dass die Export- bzw. Leistungsbilanzüberschüsse Deutschland eben nicht zum Vorteil gereichen oder etwas Gutes wären, wie oftmals behauptet wird. Auch in dem Makronom-Projekt zum deutschen Außenhandel wurden die Berechnungen aufgegriffen.

Allerdings ist meine Argumentation keinesfalls unangefochten. So steht beispielsweise ein Beitrag von Matthias Busse und Daniel Gros (vermeintlich) im Widerspruch zu meiner Position. Busse und Gros erklären die Differenz zwischen der rechnerisch über die Leistungsbilanzüberschüsse ermittelten und der amtlich ausgewiesenen Nettoauslandsposition letztlich als virtuell, als eher theoretisches Konstrukt. Demnach resultiere diese Differenz vor allem daraus, dass die Stromgröße Leistungsbilanzsaldo und die Bestandsgröße Nettoauslandsposition von zwei unterschiedlichen Quellen ermittelt und beide zudem ungenau gemessen werden.

Nun sind sowohl Leistungsbilanz als auch Nettoauslandsposition recht klar definiert, so dass zwischen kumulierter Stromgröße und Bestandsgröße im Optimalfall keine signifikante Differenz auftritt. Dieser Optimalfall tritt in der Realität natürlich eher selten auf, in der volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung sind Restgrößen in Milliardenhöhe durchaus normal. Bis etwa 2001 ist die Differenz zwischen kumuliertem Leistungsbilanzüberschuss und Nettoauslandsposition für Deutschland aber klein und wächst erst seitdem massiv an. Ähnlich verhält es sich bei den USA, erst ab ca. 2003 werden die Unterschiede zwischen beiden Werten deutlich. Die auch von der Bundesbank vertretene These, die Differenz über zwei Datenquellen bzw. über Messungenauigkeiten zu erklären, greift somit nicht.

Ebenso wenig taugt der Verweis von Busse und Gros auf andere Länder als Gegenargument. Niemand behauptet, nur in Deutschland gäbe es diese Differenz. In meinem Wirtschaftswunder-Beitrag habe ich selbst die USA als Beispiel für eine Volkswirtschaft angeführt, wo die Differenz positiv ist, d.h. die Nettoauslandsposition ist nicht so stark negativ wie der kumulierte Leistungsbilanzüberschuss.

Es wäre auch überraschend, wenn derart gewaltige Differenzen nur mit Messungenauigkeiten erklärt werden könnten. Tatsächlich wissen wir, dass bei der Betrachtung des Auslandsvermögens auch Wertänderungen und Wechselkursschwankungen eine Rolle spielen. Die US-Statistik weist explizit aus, wieviel Milliarden US-Dollar Veränderung auf eine Nettobestandsänderung, auf Preisänderungen, auf Bewertungsänderungen und auf Wechselkurseffekte zurückzuführen sind. Dort spiegelt sich der Wechselkurs sogar sehr deutlich in der Nettoauslandsposition wider: Die starke Abwertung des handelsgewichteten US-Dollars zwischen 2001 und 2008 hat zunächst dazu geführt, dass die Nettoauslandsposition stabiler blieb als es das kumulierte Leistungsbilanzdefizit nahelegen würde – und die Aufwertung seit 2001 hat dann umgekehrt bewirkt, dass sich die Nettoauslandsposition deutlich schneller verschlechterte als die kumulierten Leistungsbilanzüberschüsse erwarten ließen.

In Deutschland wiederum laufen beide Größen vor allem zwischen 2006 und 2011 auseinander – also in der Zeit, zu der massive Abschreibungen auf immobilienbezogene Anlagen in den USA, Spanien, Irland etc. notwendig waren. Die Verluste, die in den Bankbilanzen zu sehen waren, spiegeln sich also auch in den volkswirtschaftlichen Bilanzen wider.

Busse und Gros kommen dann aber vor allem zu einer kuriosen Schlussfolgerung: Sie teilen das Nettovermögenseinkommen durch die Nettoauslandsposition und stellen dann fest, dass dies deutlich positiv ist. Bei einer geradezu gigantisch positiven Nettoauslandsposition wäre es auch mehr als überraschend, wenn dies nicht so wäre.

Ferner stellen sie fest, dass die deutschen Auslandsinvestitionen mehr Rendite erbracht haben als ausländische Investitionen in Deutschland. Auch dies ist korrekt und angesichts einer teilweise negativen Verzinsung von Bundesanleihen und auch von deutschen Unternehmensanleihen von nur knapp über 0% auch so zu erwarten. Daraus kann aber gerade nicht der Schluss gezogen werden, dass deutsche Investoren die Gelder einfach gut angelegt haben, dass es letztlich also keine Verluste auf das Auslandsvermögen gab, sondern durchweg hohe Renditen, wie Busse und Gros nahelegen („One could thus conclude that German savers are actually doing better than their foreign peers“). Die Messmethodik von Busse und Gros lässt nur keinen anderen Schluss zu.

Ein merkwürdiger Sparplan

Um es etwas plakativ zu formulieren: Dies ist so, als würde man jeden Monat in einen Aktiensparplan einzahlen und bei der Renditebetrachtung die Kursänderung außen vorlassen und nur die Dividenden als Rendite betrachten. Wer Monat für Monat hohe Beträge anspart, also im Falle Deutschlands einen hohen Leistungsbilanzüberschuss aufweist, wird darauf selbstverständlich eine positive Verzinsung erhalten. Nur unter Einbeziehung der Vermögensänderung kann aber die tatsächliche Gesamtrendite ermittelt werden – und genau dies unterlassen Busse und Gros.

Man könnte also durchaus argumentieren, dass ihre Untersuchung im Prinzip gar nicht im Widerspruch zu meiner Position steht, sondern eher eine Ergänzung darstellt, durch die meine Ergebnisse in ihrer Kernaussage nicht tangiert werden. Es bleibt dabei: Das deutsche Nettoauslandsvermögen ist kleiner, als es aufgrund der Leistungsbilanzüberschüsse eigentlich sein müsste – Deutschland gehört zu den großen Verlierern und zwar nicht trotz, sondern wegen der gigantischen Überschüsse der letzten Jahre.

 

Zum Autor:

Fabian Fritzsche arbeitet als Analyst in der Research-Abteilung des Vermögensverwalters Collineo.