Außenhandel

Über welche Länder die deutsche Exportwirtschaft die Russland-Sanktionen umgeht

Die deutschen Exporte nach Russland sind seit Kriegsbeginn drastisch eingebrochen. Allerdings gibt es gleichzeitig eine auffällige Anstiege bei den Ausfuhren in ehemalige Sowjetrepubliken.

Seit dem Angriff Russlands auf die Ukraine im Jahre 2022 gibt es aufgrund diverser Sanktionspakete umfangreiche Veränderungen in den Handelsbeziehungen Deutschlands mit der Russischen Föderation. Diese betreffen allen voran Energiegüter auf der Importseite.

In diesem Beitrag soll es hingegen um einen Aspekt der Handelsbeziehungen gehen, der meist weniger im öffentlichen Fokus steht: das deutsche Exportgeschäft mit Russland. Zunächst werden knapp die wichtigsten Veränderungen dafür dargelegt, bevor mit Hilfe der bis einschließlich 2024 vorliegenden Handelsdaten Indikationen für eine Umgehung der Sanktionen durch einige der ehemaligen Sowjetrepubliken und Anrainerstaaten Russlands oder durch weiterhin enge politische und wirtschaftliche Partner analysiert werden. Denn es liegt nahe, dass diese Länder quasi als Zwischenhändler fungieren, indem sie sanktionierte Waren aus Deutschland importieren und weiter nach Russland exportieren.

Deutsche Exporte nach Russland: Nur noch bei 30% des Volumens von 2019 bzw. 2021

Das deutsche Exportvolumen nach Russland ist seit Kriegsbeginn um rund 70% bzw. 19 Milliarden Euro auf nur noch 7,6 Milliarden Euro eingebrochen. Damit belegte Russland 2024 nur noch Rang 36 unter den Exportdestinationen der deutschen Wirtschaft.

In der folgenden Abbildung wird deutlich, dass sich die Exportgewichte der einzelnen Gütergruppen merklich verändert haben. Machten im Jahre 2019 noch die beiden bedeutendsten Exportgüter Maschinen und Kraftwagen und Kraftwagenteile mit einem gewissen Abstand allein fast 40% der Ausfuhren nach Russland aus, ist der Anteil von Kraftwagen und Kraftwagenteilen aufgrund der Sanktionen auf nur noch 0,5% gesunken. Auch der Anteil von Maschinen ist deutlich zurückgegangen (auf 11,9%). Die mit einem Anteil von immerhin 30,6% mit Abstand wichtigste Gütergruppe waren zuletzt pharmazeutische und ähnliche Erzeugnisse.

Diese Verschiebungen in den Anteilen spiegeln sich wider in den prozentualen Veränderungen der Exporte in den einzelnen Gütergruppen. Bis auf zwei von 31 Gütergruppen sind die deutschen Ausfuhren aufgrund der Sanktionen zum Teil sehr stark zurückgegangen: In den fünf vormals wichtigsten Exportbranchen sind zwischen 2019 und 2024 Rückgänge von 84,4% (-4,9 Milliarden Euro) im Maschinenbau zu verzeichnen, von gut 99% (-4,3 Milliarden Euro) für Kraftwagen und Kraftwagenteile, von 88,6% (-1,8 Milliarden Euro) für Datenverarbeitungsgeräte / elektrische und optische Erzeugnisse und von 61,9% (-1,7 Milliarden Euro) in der Chemieindustrie. Aber auch Pharmaprodukte, die 2024 die bedeutendste Warengruppe im Exportgeschäft mit Russland waren, erlitten seit 2019 einen Rückgang um mehr als 7% (-0,2 Milliarden Euro).

Exportgewichte haben sich zwischen 2019 und 2024 stark verschoben

Anteil der Warengruppen an den gesamtdeutschen Exporten nach Russland, Angaben in %. Quelle: Eigene Darstellung, Daten von Destatis.

Nur in den Bereichen forstwirtschaftliche Erzeugnisse (+56%) und insbesondere Tabak (+465%) konnten starke Zuwächse verbucht werden. Allerdings ist hierbei zu berücksichtigen, dass das Exportvolumen dort trotz des starken Wachstums immer noch sehr überschaubar ist.

Auffälligkeiten im deutschen Exportgeschäft mit einigen wenigen Ländern

Die Frage ist nun, ob diese starken Verschiebungen durch eine Umlenkung der Handelsströme über andere Länder zumindest ein Stück weit ausgeglichen wurden. Der Fokus liegt auf Ländern, bei denen eindeutige Auffälligkeiten in den deutschen Exporten seit dem Ausbruch des Ukraine-Russland-Kriegs vorliegen. Beim Blick auf Abbildung 2 fällt auf, dass seit Kriegsbeginn im Jahre 2022 die deutschen Exporte insbesondere in vier Länder nach oben geschossen sind: Kirgisistan, Armenien, Georgien und Kasachstan. Es ist zu beachten, dass die Entwicklung für Kirgisistan auf der rechten vertikalen Achse abzulesen ist und mit einer anderen Skalierung versehen ist.

Entwicklung der deutschen Exporte nach Armenien, Georgien, Kasachstan und Kirgisistan zwischen 2019 und 2024

Indexstände, Exportwerte 2019 = 100. Quelle: Eigene Darstellung. Daten von Destatis.

Dabei ist die Frage zu beantworten, ob die dynamische deutsche Exportentwicklung in diese Länder ausreichend ist, um den Exporteinbruch im Russlandgeschäft kompensieren zu können. Zwar sind die deutschen Exporte in die vier oben genannten Länder zwischen 2019 und 2024 um insgesamt rund 3 Milliarden Euro gestiegen. Doch selbst wenn dies – im unwahrscheinlichen Fall – ausschließlich auf die Umgehung von Russland-Sanktionen zurückzuführen wäre, könnten damit rechnerisch nur gut 15% der deutschen Exportverluste im Geschäft mit Russland (rund 19 Milliarden Euro zwischen 2019 und 2024) ausgeglichen werden. Die Hälfte dieses dynamischen Exportanstiegs in Höhe von insgesamt 3 Milliarden Euro kam aus Kasachstan, gefolgt von Georgien und Kirgisistan mit jeweils rund 0,6 Milliarden Euro sowie aus Armenien mit gut 0,2 Milliarden Euro.

Im nächsten Schritt sollen die Entwicklungen der deutschen Exporte mit Armenien, Georgien, Kasachstan und Kirgisistan näher beleuchtet werden, wobei auch auf die signifikantesten Bewegungen in den einzelnen Gütergruppen eingegangen wird. Ein besonderer Fokus liegt auf den fünf „Top-Exportgütern“, also jenen Warengruppen, die für den deutschen Export nach Russland im Jahre 2019 am bedeutendsten waren: Maschinen, Kraftwagen- und Kraftwagenteile, Chemie, Pharma und Datenverarbeitungsgeräte, elektrische und optische Erzeugnisse. Aufgrund der Besonderheiten der Pharmabranche und wegen der kaum vorhandenen Sanktionen in diesem Sektor werden die Entwicklungen für Pharma nicht weiter analysiert.

Überblick über die Top-Exportbranchen

Quelle: Eigene Darstellung.

Bei einem detaillierten Blick auf die wichtigsten Branchen ohne Pharma bestätigt sich das eingangs erwähnte Bild für die gesamte Exportentwicklung. Die in Tabelle 1 aufgeführten Branchen sind mit einem Exportzuwachs von 2,2 Milliarden Euro zwischen 2019 und 2024 für fast 75% Wachstums des gesamten Exports mit Ziel der vier untersuchten Länder verantwortlich.

Selbst wenn die Exportzuwächse in den vier näher betrachteten Ländern ausschließlich auf die Umgehung von Russland-Sanktionen zurückzuführen wären, könnten damit die Exportverluste aus dem Geschäft mit Russland nur teilweise kompensiert werden. Legt man die Daten aus Tabelle 1 zugrunde, ergäben sich rein hypothetisch Kompensationen für die Exportverluste im Bereich Kraftwagen und Kraftwagenteile von gut 25%, für Chemie von rund 12%, für Datenverarbeitungsgeräte/elektrische und optische Erzeugnisse von 11% und für Maschinen von gut 14%.

Doch diese Aussagen sind mit großer Vorsicht zu betrachten. Dies ändert aber nichts an den klaren Indikationen, dass über die vier näher analysierten Länder Russland-Sanktionen umgangen werden.

Fazit

Unter dem Strich bleibt aber festzuhalten, dass die Russland-Sanktionen wirken und nur zum Teil über ehemalige Sowjetrepubliken umgangen werden. Eine politische Möglichkeit der EU wäre es sicherlich, im Stile der USA Sekundärsanktionen gegen die auffälligen ehemaligen Sowjetrepubliken zu verhängen. Doch dies widerspricht bislang den politischen Gepflogenheiten der EU und birgt große wirtschaftliche und politische Risiken. Zum einen würde dies die ökonomische Situation in den ehemaligen Sowjetrepubliken belasten und damit die Exportaussichten für die EU-Länder. Zum anderen könnte dies die politische Stimmung in den ehemaligen Sowjetrepubliken gegen die EU richten.

 

Zum Autor:

Mario Jung ist Professor für Volkswirtschaftslehre an der Hochschule Kaiserslautern.