Klimawandel

Wir brauchen „Green Growth“ statt „Degrowth“

Deutlich erfolgsversprechender als der Degrowth-Ansatz ist es, den Fokus auf Innovationen und Investitionen gegen den Klimawandel und für die Nachhaltigkeitsziele zu richten. Dafür brauchen wir – nicht als Ziel, aber als Folge – Wachstum.

Bild: Iva via Unsplash

Der Kampf gegen den Klimawandel gleicht einem Wettlauf gegen die Uhr. Spätestens 2050, so sind sich die Industrienationen einig, muss der CO2-Ausstoß netto auf null gesenkt sein. China will bis 2060 folgen. Die Realität sieht noch anders aus: Zwar mag sich der Zuwachs beim globalen Gesamtausstoß über die letzten Jahre tendenziell abgeflacht haben, aber – sieht man von der Pandemie bedingten Sonderentwicklung 2020 ab – Zuwachs bleibt Zuwachs.

Einer der in der Diskussion befindlichen Lösungsansätze zur Verhinderung des Klimawandels heißt „Degrowth“. Dieser Ansatz sieht seine Begründung in der Begrenztheit der Ressourcen und wurde bereits 1972 vom Club of Rome manifestiert. Nach mehreren Aktualisierungen erschien 2016 „Reinventing prosperity“ mit der Grundaussage: „Ein Prozent (Wachstum) ist genug.“ Dabei ging es auch darum, das Wachstum der Weltbevölkerung als einen der wichtigsten Treiber für den Ressourcenverbrauch zu drosseln und ins Negative zu verkehren. Gedanken, die an Thomas Robert Malthus und seinen Aufsatz „The Principle of Population“ aus dem Jahre 1798 erinnern.

Der Begriff „Degrowth“ selbst stammt ebenfalls aus dem Jahr 1972 und geht auf den Sozialphilosoph André Gorz zurück, der das ursprüngliche Wort – „décroissance” – aus dem Französischen schöpfte. 2008 wurde auf einer Degrowth-Konferenz dann der englische Begriff in die Debatte eingebracht. Abgeleitet aus der französischen Wortschöpfung weist er mit dem Präfix „dé“ darauf hin, dass es um das Gegenteil von Wachstum, also um negatives Wachstum geht.

Kein Wachstum ist auch keine Lösung

Die Idee mag angesichts der notwenigen Begrenzung des Klimawandels verlocken klingen, hat aber erhebliche Schwachstellen. Wachstum ist kein Selbstzweck, aber kein Wachstum ist auch keine Lösung, und das aus mindestens zwei Gründen:

  1. Degrowth müsste ein globaler Ansatz sein.
  2. Die Menschheit hat einen Anspruch auf ein menschenwürdiges Leben – und das ist bei weitem noch nicht überall erfüllt.

Null- oder sogar Negativwachstum müsste ein global durchgeführter Ansatz sein, das wird z.B. auch bei den CO2-Emissionen deutlich. Nur ein kleinerer Teil (ca. 12%) kommt aus der EU, ca. 2% kommen aus Deutschland, ein größerer, aber im Trend abnehmender Teil aus den USA. Auch Japan steuert verhältnismäßig wenig bei, während der Anteil Chinas und der aufstrebenden Staaten über die letzten Jahrzehnte deutlich zugenommen hat:

Jährliche CO2-Emissionen anteilig nach Regionen

Quelle: : Edgar, Carbon Monitor für 2020, AllianzGI Global Global Capital Markets & Thematic Research

Wie wahrscheinlich ist es, dass in diesem Kontext negatives Wachstum die neue Maxime werden könnte?

Nicht zuletzt die Nachhaltigkeitsziele der Vereinten Nationen erinnern uns daran, dass der Kampf gegen Hunger und Armut weitergeführt werden muss. Hier ist zwar schon viel erreicht worden, wie es sich z.B. beim Anteil der weltweit in absoluter Armut lebenden Menschen zeigt, aber wir sind noch nicht am Ziel. Gleichzeitig wächst die Weltbevölkerung weiter, und das vor allem in den ärmeren Regionen. Die Vereinten Nationen schätzen, dass die Bevölkerung Afrikas bis zum Jahr 2100 um 3 Milliarden auf dann 4,3 Milliarden Menschen wachsen wird. Dabei spricht die WHO schon jetzt von den „forgotten 3 billion“ – den vergessenen drei Milliarden Menschen, die auch heute noch nicht über saubere Energie im Haushalt verfügen, sondern an offenen Feuern und unzulänglichen Öfen kochen – mit allen Implikationen für die Gesundheit bis hin zum frühen Tod.

Diesen Menschen Zugang zu einer sauberen Energieversorgung zu verschaffen, wäre nicht nur ein wichtiger Schritt für die Gesundheit, sondern auch ein Beitrag gegen die Luftverschmutzung und erhöhte Energieeffizienz – mit entsprechend verringertem Kohlendioxidausstieg. Rein ökonomisch betrachtet wären dies Investitionen, die zum Wachstum beitragen. Wertschöpfung eben.

Wer kein Wachstum will, muss Umverteilung wollen

Der zweite wichtige Grund, der gegen den Degrowth-Ansatz spricht, ist eine Gerechtigkeitsfrage: Eine Angleichung der globalen Lebensverhältnisse ist in einem Nullwachstumsszenario nur durch Umverteilung von den reichen auf die armen Nationen denkbar. Wie schwierig, ja unmöglich dies ist, verdeutlicht Branko Milanovic, einer der wohl profiliertesten Forschern zum Thema Ungleichheit. Er kommt zu dem Ergebnis, dass wenn das Wirtschaftswachstum der Welt auf dem aktuellen Niveau eingefroren würde, entweder 10-15% der Weltbevölkerung in absoluter Armut verbleiben und ca. die Hälfte bei kaufkraftbereinigten sieben US-Dollar am Tag leben müssten – oder es müsste zu massiven Umverteilungen kommen, was schlicht nicht möglich ist (und wohl auch kaum jemand im Westen ernsthaft will).

In Kaufkraft gemessen, so zeigt Milanovic, verfügen die Menschen im globalen Durchschnitt über 16 US-Dollar pro Tag. Aber nur 14% der in westlichen Ländern lebenden Menschen liegen unter diesem Durchschnitt. Folglich müssten also 86% dieses Bevölkerungsteils überzeugt werden, von ihrem Lebensstandard, der auch z.B. Zugang zu Gesundheitsleistungen und die Finanzierung von innerer Sicherheit und Altersvorsorge umfasst, abzugeben. Wohlgemerkt: Die Armut würde dadurch nicht abgeschafft werden, sie würde nur nivelliert. Dabei wäre diese Umverteilung nur ein einmaliger Schritt. Die Folgen für das weitere Wachstum wären kaum abschätzbar, da nach dieser Erfahrung niemand mehr einen Anreiz hätte über den globalen Durchschnitt beim täglichen Einkommen zu kommen – ja im Sinne des Degrowth auch gar nicht mehr haben soll. Eine solch radikale Umverteilung lässt den Kuchen nicht größer, sondern kleiner werden. Bleibt zu erwähnen, dass sich dieses Gedankenmodell auf die heute lebenden knapp 8 Milliarden Menschen bezieht, und nicht auf die bis 2100 erwarteten 11 Milliarden.

Man kann auch „grün“ wachsen

Deutlich erfolgsversprechender als der Degrowth-Ansatz ist es, den wirtschaftspolitischen Fokus auf Innovationen und Investitionen gegen den Klimawandel und für die Nachhaltigkeitsziele zu richten. Investitionen, die den Wandel zum nachhaltigen Wirtschaften ermöglichen. Innovationen, damit sich das Wachstum vom Ressourcenverbrauch immer weiter entkoppelt – ein Phänomen, das weltweit im Übrigen schon lange zu beobachten ist, und das sich auch in Deutschland zeigt. So hat sich in unserem Land das Bruttoinlandsprodukt seit 1960 ver-3,7-facht, während die CO2-Emissionen um knapp 14% gesunken sind. Die CO2-Intensität ist auf weniger als ein Viertel zurückgegangen, d.h. je Einheit Bruttoinlandsprodukt wird weniger als ein Viertel dessen an Kohlendioxid ausgestoßen, was noch 1960 in die Umwelt gelangte:

Bruttoinlandsprodukt, CO2-Emissionen und CO2-Intensität in Deutschland seit 1960

1960 = 100. Quelle: Our World in Data, Worldbank. Stand: April 2021

Wenn es aber um Innovationen und Investitionen geht, sowie um weniger Armut und folglich mehr Konsum, dann brauchen wir – nicht als Ziel, aber als Folge – Wachstum. Wir brauchen Green Growth statt Degrowth.

 

Zum Autor:

Hans-Jörg Naumer ist Leiter der Abteilung Capital Markets & Thematic Research bei Allianz Global Investors. Auf Twitter: @NaumerOekonom