Entwicklungspolitik

Der kooperative Multilateralismus hat immer noch eine Chance

Aufgrund der momentanen Politik der US-Regierung wird bezweifelt, ob die globale Gipfeldiplomatie im Rahmen der G7 oder G20 noch irgendeinen Wert hat. Dabei sollte man aber nicht übersehen, dass die kontinuierliche Zusammenarbeit zwischen den Regierungen trotz des schwierigen Umfelds immer noch Ergebnisse produzieren kann, die die globale Kooperation in die richtige Richtung weiterentwickeln. Ein Kommentar von Peter Wolff.

Foto: Pingnews.com via Flickr (CC BY-SA 2.0)

Nach dem G7-Gipfel in Kanada wird bezweifelt, ob die globale Gipfeldiplomatie, sei es nun im Rahmen der G7 oder der G20, noch irgendeinen Wert haben kann oder lieber ausrangiert werden sollte – zumindest solange, wie der kooperative Multilateralismus von den USA, der größten Wirtschafts- und Militärmacht, als nutzlos betrachtet wird. Kann man unter diesen Vorzeichen irgendwelche substanziellen Fortschritte vom nächsten G20-Gipfel in Argentinien im November oder vom nächsten G7-Treffen 2019 in Frankreich erwarten?

Der Fokus auf diese Gipfel ignoriert, dass die G7- und G20-Prozesse weit mehr sind als die alljährlichen Stelldichein der Staats- und Regierungschefs. Für die Medien, und somit für die Öffentlichkeit, produzieren sie leicht zu konsumierende Statements und Bilder. Allerdings ist es vor allem die kontinuierliche Zusammenarbeit zwischen den Regierungen – und den internationalen Institutionen, die von den nationalen Regierungen mandatiert werden –, die Ergebnisse erreichen kann. Diese mögen oft von „technischer“ Natur sein, sind aber trotzdem nützlich für die Weiterentwicklung der globalen Kooperation, wenn auch in einem langsameren Tempo und auf eine weniger umfassende Weise, als dies in einem politisch förderlicheren Umfeld der Fall wäre.

Mehr Kapital für nachhaltige Entwicklung

Dafür gab es kürzlich ein Beispiel, das medial weitestgehend unerwähnt blieb: Im April einigten sich die 188 Anteilseigner der Weltbank-Gruppe auf eine Kapitalerhöhung von 13 Milliarden US-Dollar, die es der Weltbank und ihrem privaten Ableger IFC ermöglichen wird, ihre Kreditvergabe von 59 Milliarden im letzten Jahr auf bis zu 100 Milliarden im Jahr 2030 zu erhöhen. Zur Überraschung vieler stimmten auch die USA dieser Kapitalerhöhung zu, obwohl sich das Weiße Haus zuvor sehr kritisch über die internationalen Finanzinstitutionen im Allgemeinen und eine Kapitalerhöhung im Speziellen geäußert hatte. Doch offenbar hat hier die knapp zweijährige technische Arbeit in zahllosen Arbeitsgruppen, Gouverneurs- und Boardsitzungen dahingehend Früchte getragen, als dass sie auch den größten Anteilseigner von der Notwendigkeit überzeugt hat, mehr Kapital für die Finanzierung von nachhaltiger Entwicklung bereitzustellen und bewährte multilaterale Institutionen zu beauftragen, für diese Finanzierung zu sorgen.

Der Prozess hin zu Kapitalerhöhungen für die multilateralen Entwicklungsbanken (MDBs) wurde von der G7 und insbesondere der G20 ausgelöst, als es offensichtlich wurde, dass weder der öffentliche Sektor noch die Geschäftsbanken in der Lage und willens sein würden, die notwendige langfristige Finanzierung bereitzustellen, die vor allem in den Entwicklungsländern für das Erreichen der Nachhaltigkeitsziele gebraucht wird. Nur durch eine Kombination aus öffentlicher Finanzierung, die von den Entwicklungsbanken bereitgestellt wird, und von Geschäftsbanken bereitgestellter privater Finanzierung würde das notwendige Kapital mobilisiert werden können.

Die Vereinbarung zur Kapitalerhöhung für die Weltbank war ein hart erkämpfter Kompromiss, der am Ende zahlreiche Gewinner und keine offensichtlichen Verlierer hervorgebracht hat: China erhält leichte Zugewinne bei seinen Stimmrechten. Die Vereinbarung wird die chinesischen Anteile an der Weltbank von 4,68% auf 6,01% erhöhen, während die der USA geringfügig von 16,89% auf 16,77% sinken – Washington wird also seine Vetomacht über die Entscheidungen von IBRD und IFC behalten. China bleibt nach den USA und Japan (7,20%) und vor Deutschland (4,27%) der drittgrößte Anteilseigner.

Die USA hatten darauf gedrängt, die Kreditvergabe der Weltbank an China zu verringern. Die Vereinbarung sieht nun eine Erhöhung der Kreditzinsen für die Mittelvergabe an Entwicklungsländer mit Higher-Income-Status vor, wozu auch China zählt. Es bleibt abzuwarten, ob diese Zinserhöhung es für China unattraktiver macht, sich Geld von der Weltbank zu leihen. Zudem wird die Bank ihre Gehaltsstruktur für Führungspositionen überprüfen und interne Reformen zur Effizienzsteigerung vornehmen.

Die Europäer, unter ihnen auch Deutschland, konnten erreichen, dass ein höherer Anteil der Kreditvergabe für die Bewältigung globaler Herausforderungen wie vor allem des Klimawandels (plus 95 Milliarden US-Dollar bis 2030), für Krisenprävention und -Reaktion sowie für Konflikt- und fragile Staaten ausgegeben wird. Dies beinhaltet auch eine Fortsetzung der Kreditvergabe an Middle-Income-Länder, die im Kontext des Kampfes gegen den Klimawandel besonders relevant sind.

Alles in allem handelt es sich also um ein ausgewogenes Paket, das für alle Anteilseigner etwas beinhaltet, was sie als Erfolg verbuchen können – und genau das ist es, worum es beim kooperativen Multilateralismus geht.

Ein systemweiter Ansatz für die Entwicklungsfinanzierung

Abgesehen von diesem Einzelfall stellt sich jedoch weiterhin die Frage, welche Rolle die internationalen Finanzinstitutionen künftig in einem sich verändernden globalen Umfeld spielen werden. Können sie ein Grundpfeiler des kooperativen Multilateralismus bleiben – sogar dann, wenn andere globale Economic Governance-Regime wie etwa die Welthandelsorganisation WTO unter schwerem Druck stehen?

Die G20 hat einer sogenannten „Eminent Persons Group“ unter Führung des Vizepremiers von Singapur – das kein G20-Staat ist – den Auftrag erteilt, bis Oktober 2018 Antworten auf diese Frage zu liefern. In einem im März veröffentlichten Zwischenbericht sprach sich die Gruppe für einen systemweiten Ansatz für die Governance der Finanzinstitutionen und eine größere politische Kohärenz bei deren Anteilseignern aus. Dabei geht es nicht nur um die multilateralen, sondern auch um die nationalen Entwicklungsbanken wie etwa die China Development Bank oder die deutsche KfW sowie um die staatlichen Exportfinanzierungs-Institutionen.

Alle diese öffentlichen Kreditinstitutionen sind Schlüsselspieler im internationalen Finanzwesen. Sie stellten ein Vielfaches der Kreditvergabe der MDBs bereit, sind in den gleichen Märkten und Sektoren aktiv und nutzen öffentliche Subventionen, um den Gläubigern die Kreditaufnahme schmackhaft zu machen. Ein systemweiter Ansatz würde laut der Eminent Persons Group bedeuten, dass sie ähnlichen Kreditvergabestandards folgen, um „einen Wettbewerb zu vermeiden, der auf Gebieten, in denen es kein klares Marktversagen gibt, die Standards senkt oder für öffentliche Kredite Subventionen verwendet“.

Es ist entscheidend, die Kohärenz des entwicklungspolitischen Finanzsystems zu stärken, auch weil die private Langfrist-Finanzierung für nachhaltige Entwicklung wohl nicht die angestrebte Größenordnung erreichen wird. Es gibt zwar ein paar gute Beispiele, wie etwa die Kofinanzierungsabkommen der IFC mit institutionellen Investoren. Allerdings bleiben die meisten dieser Beispiele bislang in der Pilotphase stecken, weshalb die öffentliche Entwicklungsfinanzierung weiter ausgebaut werden muss – und je stärker sie auf breit akzeptierten Standards basiert, desto weniger öffentliche Gelder werden verschwendet werden. Ein Satz aus dem Kommuniqué des G7-Gipfels von Charlevoix lautet: „Wir unterstützen den Aufbau eines Sets von Grundprinzipien für die Entwicklungsfinanzierung.“ Dem Weißen Haus wird dieser Satz sicherlich keinen Tweet Wert sein – aber er ist es definitiv Wert, weiterverfolgt zu werden.

 

Zum Autor:

Peter Wolff ist Abteilungsleiter für Weltwirtschaft und Entwicklungsfinanzierung am German Development Institute / Deutsches Institut für Entwicklungspolitik (DIE), auf dessen Homepage dieser Beitrag zuerst in englischer Sprache erschienen ist.