Wo sich die Wirtschaftsweisen unterscheiden – Teil 1: Geldpolitik
Der größte Mehrwert der Jahresgutachten des Sachverständigenrates besteht darin, dass seine Mitglieder in wesentlichen Fragen nicht einer Meinung sind und so eine gute Übersicht der verschiedenen wirtschaftspolitischen Debatten-Fronten geben. In einer Beitragsserie stellen wir die konkurrierenden Argumente der Wirtschaftsweisen gegenüber.
Der Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung (SVR) hat sicher schon bessere Zeiten erlebt. Die Jahresgutachten der sogenannten „Wirtschaftsweisen“ erhalten zwar immer noch eine gewisse mediale Aufmerksamkeit, aber insbesondere innerhalb der deutschen Ökonomenszene ist es um die Reputation des SVR nicht gerade gut bestellt, wie auch bei der Veröffentlichung des aktuellen Jahresgutachtens in dieser Woche zu beobachten war.
Das liegt zum einen daran, dass die Wirtschaftsweisen nicht gerade zu den treffsichersten Prognostikern gehören. Wie etwa eine Auswertung des Ökonomen Thomas Fricke zeigt, belegt der Sachverständigenrat in der „ewigen Rangliste“ der Konjunkturprognostiker lediglich den 47. Platz – es gibt also nur wenig Grund dafür, den Folgeabschätzungen des Rates mehr Glauben zu schenken als denen anderer Forschungsinstitute. Vor allem aber gab es in den letzten Jahren erhebliche Kritik an der Arbeitsweise und Wissenschaftlichkeit des Sachverständigenrates – insbesondere an dessen Mehrheit, den eher angebotsorientieren Ökonomen Christoph Schmidt, Lars Feld, Isabel Schnabel und Volker Wieland (zu den schärfsten Kritikern der SVR-Mehrheit gehört der Journalist und Volkswirt Norbert Häring, auf dessen Blog sich ein breites Dossier dazu findet).
Für das Image des Sachverständigenrates offenbar ebenfalls nicht förderlich sind die Diskussionen, die sich die Wirtschaftsweisen untereinander liefern. Diese resultieren in der Regel aus den Kontrapunkten, die der fünfte Wirtschaftsweise Peter Bofinger immer wieder setzt. Bofinger steht einer stärkeren Präsenz des Staates in der Wirtschaftspolitik weitaus weniger skeptisch gegenüber und als seine Kollegen hat in den letzteren Jahren zahlreiche Minderheitsvoten verfasst, in denen er der Auffassung der SVR-Mehrheit widerspricht, wobei ihm gelegentlich unterstellt wird, er würde dies nur tun, um seiner Nominierung durch die Gewerkschaften gerecht zu werden. Als die vier Mehrheitsweisen und Peter Bofinger zuletzt in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung eine Debatte um die Rolle des Staates in der Industriepolitik führten, wurde dies medial häufig als handfester Streit und Beleg für das schlechte Klima innerhalb des SVR interpretiert.
Der Wert des Sachverständigenrates liegt in den Meinungsverschiedenheiten
Nun lässt sich in Deutschland eine gewisse Tendenz ausmachen, fachliche Meinungsverschiedenheiten sehr schnell mit Streit gleichzusetzen – dabei besteht der größte Mehrwert der SVR-Gutachten genau darin, dass seine Mitglieder in wesentlichen Fragen eben nicht einer Meinung sind. So kann man das aktuelle Jahresgutachten auch als eine nützliche Skizzierung der Fronten lesen, die es in den wirtschaftspolitischen Debatten gibt.
Im Makronom wollen wir daher in einer kleinen Serie diese gegensätzlichen Positionen auf den verschiedenen Themengebieten in einem Pro & Contra-Format gegenüberstellen. Geplant ist zudem, die Argumente nicht auf die Mitglieder des Sachverständigenrates beschränkt zu lassen, sondern nach und nach durch die von anderen Personen und Instituten zu ergänzen (einige weitere Anmerkungen zur Darstellungsform finden Sie hier).
Den Serienauftakt macht der folgende Beitrag, bei dem es um die Argumente zur Geldpolitik geht.
Die aufgelisteten Argumente entsprechen nicht immer wortwörtlich den im Jahresgutachten veröffentlichten Passagen, sondern sind teilweise auch Interpretationen bzw. Zuspitzungen, um die Verständlichkeit und Lesbarkeit zu erhöhen. Beispiel: Mit Blick auf die Geldpolitik schreibt die Mehrheit des Sachverständigenrates, dass die EZB nach Beendigung der QE-Programme „abhängig von der Inflations- und Wachstumsentwicklung die Leitzinsen anpassen“ sollte. Das Verb „anpassen“ impliziert sowohl eine Zinserhöhung als auch eine -Senkung. Angesichts der sich aus dem Kontext ergebenden klaren Präferenz der SVR-Mehrheit für eine straffere Geldpolitik wurde im Text „anpassen“ durch „erhöhen“ ersetzt.
Auch wurden die Passagen teilweise sprachlich aufeinander abgestimmt, um ihnen einen stärkeren Dialogcharakter zu geben.
Die Mehrheitsmeinung von Christoph Schmidt, Lars Feld, Isabel Schnabel und Volker Wieland wurde der Einfachheit halber schlicht als „Sachverständigenrat“ gekennzeichnet.
Neben dem aktuellen Jahresgutachten wurden noch weitere Beiträge für die Darstellung der Argumentationen ausgewertet:
Lars Feld, Christoph Schmidt, Isabel Schnabel & Volker Wieland: Vertraut dem Markt!, Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung, 20.8.17
Die Bezeichnung QE-Programm (Quantitative Easing) ist nicht die offizielle Bezeichnung des Programms der EZB, sondern bezeichnet lediglich eine geldpolitische Methode, bei der die Zentralbank Schuldtitel kauft, um das Niveau der Marktzinsen nach unten zu drücken. Das QE-Programm heißt im offiziellen EZB-Sprachgebrauch Programm zum Ankauf von Vermögenswerten (Asset Purchase Programme, APP) und wurde Anfang 2015 beschlossen. Das APP bestand zunächst aus drei Einzelprogrammen zum Ankauf
gedeckter Schuldverschreibungen (CBPP 3, Start Oktober 2014),
forderungsbesicherter Wertpapiere (ABSPP, Start November 2014) und
von Wertpapieren des öffentlichen Sektors (PSPP, Start März 2015).
Im Juni 2016 kam das Programm zum Ankauf von Wertpapieren des Unternehmenssektors (CSPP) hinzu.
Eine genauere Beschreibung der einzelnen Programme finden Sie am Ende dieses Beitrags.
Die EZB hat für die einzelnen Programme keine konkreten Kaufvolumina, sondern lediglich monatliche Zielmarken für das gesamte APP festgelegt.
März 2015 bis März 2016: 60 Milliarden Euro
April 2016 bis März 2017: 80 Milliarden Euro
April 2017 bis Dezember 2017: 60 Milliarden Euro
Januar 2018 bis September 2018: 30 Milliarden Euro
Was kauft die EZB genau?
Der Blick auf die pro Monat aufgekauften Wertpapiere zeigt, dass die EZB durchaus die Zusammensetzung ihrer Käufe variiert hat und im Rahmen der einzelnen Programme unterschiedlich aktiv war. Auch lag das monatliche Kaufvolumen nicht immer präzise bei den angekündigten 60 bzw. 80 Milliarden Euro – allerdings hat die EZB während der jeweiligen Phasen im Durchschnitt doch ziemlich exakt das angekündigte Volumen gekauft.
Die unterschiedliche Gewichtung der Unterprogramme wird im folgenden Chart noch etwas deutlicher. Dieser zeigt, wie hoch der Anteil der jeweiligen Programme während der einzelnen Monate seit Start des APP im März 2015 war. Daraus wird ersichtlich, dass die EZB den Anteil der gekauften Staatsanleihen zuletzt wieder etwas reduziert hat (von in der Spitze über 90% auf zuletzt etwa 80%).
Worauf es zu achten gilt: Konkrete Umsetzung und Reinvestitionen fälliger Anleihen
In den kommenden Monaten gilt es also vor allem zu beobachten, wie die EZB die angekündigte Reduzierung ihres Aufkaufvolumens konkret umsetzt, weil sich dies auf die betroffenen Marktsegmente unterschiedlich auswirken wird. So hat die EZB wie oben gezeigt seit Start ihrer Aufkaufprogramme demonstriert, dass sie in der Lage und gewillt ist, die angekündigten Kaufvolumina auch tatsächlich umzusetzen. Das heißt, dass die gesamten APP-Bestände in ihrer Bilanz ungefähr dem im folgenden Chart skizzierten Verlauf (rote gestrichelte Linie) folgen und Ende September 2018 ein Gesamtvolumen von ca. 2,6 Billionen Euro erreichen dürften – die Frage ist eben lediglich, durch welche Wertpapiere die große weiße Lücke im Chart konkret gefüllt wird.
Es muss auch berücksichtigt werden, dass das APP noch lange über sein eigentliches Ende hinaus Wirkung entfalten wird. So hat die EZB bereits im Dezember 2015 angekündigt, die Einkünfte aus bis zur Fälligkeit gehaltenen Anleihen wieder zu reinvestieren und dieses Versprechen auf der Oktober-Ratssitzung noch einmal erneuert und präzisiert. Sollte also beispielsweise eine deutsche Staatsanleihe 2019 fällig und die EZB vom deutschen Staat ausbezahlt werden, wird sie – Stand heute – dieses Geld für den erneuten Erwerb einer (deutschen) Staatsanleihe nutzen. Ihre Bestände an Staatsanleihen werden sich somit nicht zwangsläufig verringern und ihre Präsenz auf den Märkten auch nicht sehr viel kleiner werden – sie schafft nur kein neues Geld, um Staatsanleihen zu erwerben.
QE-Käufe nach Ländern
Die EZB hat beim Start des PSPP (also des Staatsanleihen-Programms) angekündigt, dass sich das Kaufvolumen am Kapitalschlüssel der beteiligten Länder orientieren soll. Jedoch ist die EZB von diesem Ziel deutlich abgewichen: Sie hat mehr Staatsanleihen der großen Eurostaaten gekauft, als dies eigentlich nach dem Kapitalschlüssel angemessen gewesen wäre. So machen beispielsweise deutsche Staatsanleihen mittlerweile knapp 27% des aufgekauften Staatsanleihen-Portfolios aus, obwohl der deutsche Kapitalschlüssel nur bei knapp 18% liegt.
Diese „Bevorzugung“ der großen Staaten könnte unter anderem darauf zurückzuführen sein, dass es bei den kleineren Ländern schlicht nicht genug Anleihen gibt, damit die EZB ihr angepeiltes Kaufvolumen erreichen kann. Es wird sich zeigen, ob die EZB somit ihr Kaufverhalten ändern wird, wenn sie nur noch eine kleinere Summe an Staatsanleihen aufkaufen muss.
Bilanzsumme
Die im Rahmen des QE-Programms getätigten Käufe machen inzwischen fast die Hälfte der insgesamt knapp 4,4 Billionen Euro großen EZB-Bilanz aus. Wenn die EZB die Summe der monatlichen Anleihekäufe ab Januar senkt, ist in der kurzen Frist zu erwarten ist, dass sich die EZB-Bilanz zunächst etwas langsamer ausweiten wird. Um die tatsächliche expansive Wirkung der Geldpolitik zu beurteilen ist es aber auch notwendig zu beobachten, wie sich die übrigen Posten der Bilanz verändern, was aus heutiger Sicht aber nicht abschätzbar ist.
Glossar: Die Programme im Detail
Das erste Programm zum Ankauf gedeckter Schuldverschreibungen (Covered Bond Purchase Programme, CBPP) wurde bereits 2009 von der EZB beschlossen, um nach der Finanzkrise den Markt für diese Papiere (z. B. Pfandbriefe) zu stabilisieren und Refinanzierungsproblemen der Banken entgegenzuwirken. Innerhalb eines Jahres wurden Wertpapiere im Gesamtvolumen von 60 Milliarden Euro angekauft. Ein zweites CBPP mit folgte dann von November 2011 bis Oktober 2012. Das aktuell laufende dritte CBPP wurde im Oktober 2014 verabschiedet.
Das Programm zum Ankauf forderungsbesicherter Wertpapiere (Asset Backed Securities Purchase Programme, ABSPP) wurde im September 2014 in Verbindung mit dem Programm zum Ankauf gedeckter Schuldverschreibungen (CBPP 3) beschlossen. Dabei werden ABS-Papiere am Primär- und Sekundärmarkt aufgekauft.
Im Rahmen des Programms zum Ankauf von Wertpapieren des öffentlichen Sektors (Public Sector Purchase Programme, PSPP) werden seit März 2015 Wertpapiere des öffentlichen Sektors wie Staatsanleihen sowie Schuldtitel europäischer Institutionen und Agenturen gekauft. Für die Ankäufe im Rahmen des PSPP gibt es detaillierte Regeln. So dürfen Staatsanleihen beispielsweise wegen des Verbots der monetären Staatsfinanzierung nur am Sekundärmarkt erworben werden. Es dürfen nur Papiere mit einer Laufzeit von mehr als einem Jahr aufgekauft werden. Zudem will die EZB nicht mehr als 33% aller auf den Sekundärmärkten befindlichen Papiere aufkaufen.
Mit dem Programm zum Ankauf von Wertpapieren des Unternehmenssektors (Corporate Sector Purchase Programme, CSPP) werden seit Juni 2016 auch Anleihen von Unternehmen in der Eurozone erworben. Ausgeschlossen sind Kreditinstitute und Unternehmen, deren Anleihen von den Ratingagenturen nicht mindestens als „Investment Grade“ bewertet werden. Die Anleihen müssen Laufzeiten zwischen sechs Monaten und 30 Jahren haben und können sowohl am Primärmarkt als auch am Sekundärmarkt gekauft werden.