Replik

Plurale Ökonomik ist sowohl Kritik als auch gelebte Praxis

Es ist erfreulich, wenn die etablierte VWL die Erfolge der Bewegung für mehr Pluralität in der Volkswirtschaftslehre anerkennt und sich grundsätzlich offen für Neues zeigt. Allerdings kommt diese angebliche Offenheit vielerorts nicht über Lippenbekenntnissen hinaus – um bestehende Ungleichgewichte abzuschaffen, müssen an den Hochschulen institutionelle Veränderungen stattfinden. Eine Replik von Birte Strunk vom Netzwerk Plurale Ökonomik.

„Der Mainstream“ ist kein Feindbild per se, sondern ein Teil der pluralen Ökonomik. Foto: Pixabay

Seit einigen Jahren gibt es an deutschen Universitäten eine größer werdende Bewegung, die sich für mehr Pluralität in der Volkswirtschaftslehre einsetzt. An der Spitze dieser Bewegung steht das Netzwerk Plurale Ökonomik.

Anfang August haben wir im Makronom einen Beitrag von Johannes Becker veröffentlicht, in dem dieser davor warnt, dass die Plurale Ökonomik ihre bisherigen Erfolge aufs Spiel setze. Hier nun eine Replik von Birte Strunk, die diesen Beitrag gemeinsam mit anderen Mitgliedern des Netzwerks Plurale Ökonomik verfasst hat.

 

Wie kann man sie nicht mögen? Etablierte VWL-Professor*innen, die wie Johannes Becker die Erfolge der Pluralen Ökonomik loben und sich Sorgen um unsere Zukunftsperspektiven machen. Wir freuen uns, dass Forderungen unserer Bewegung „gut nachvollziehbar“, „sympathisch“ und „absolut plausibel“ sind, sowie über die von Becker beschriebene Offenheit gegenüber unserer Bewegung.

Allerdings beobachten wir auch, dass diese Offenheit und Bereitschaft zum Austausch seitens der etablierten Professor*innen bisher vielerorts noch ein Lippenbekenntnis bleibt und sich oft nicht in ernsthafter Unterstützung niederschlägt. Was die Umsetzung einer Pluralen Ökonomik an deutschen Hochschulen betrifft, wäre ohne die Aktiven des Netzwerks Plurale Ökonomik wohl kaum viel passiert. Entgegen Johannes Beckers Vorstellung verbringen wir nämlich keinesfalls den lieben langen Tag damit, über den bösen Mainstream zu lamentieren, Predigern einfacher Wahrheiten zu huldigen oder Forscher*innen feinsäuberlich in Kategorien einzusortieren.

Im Gegenteil: Unsere Zeit und Energie fließen vor allem in die inhaltliche Auseinandersetzung mit Wirtschaft und Gesellschaft. Plurale Ökonomik wird also in der Bewegung nicht nur gefordert, sondern auch gelebt. Seminare (z.B. in Münster und Hamburg), Ringvorlesungen (z.B. in Köln, Tübingen oder Halle/Saale), Workshops (z.B. in Berlin), Tagungen und Sommerschulen wie die einwöchige Sommerakademie „Exploring Economics“ werden von Aktiven des Netzwerks Plurale Ökonomik selbst organisiert und ehrenamtlich gestemmt. In diesen selbst geschaffenen Foren findet ein tatsächlicher Austausch zwischen vielfältigen und interdisziplinären Forschungsprogrammen auf Augenhöhe statt.

Wir wenden uns gegen alle „ideologisch verbohrten Betonköpfe“ – auch gegen heterodoxe

Pluralismus bedeutet für uns dabei nicht die einseitige Betrachtung heterodoxer Perspektiven, sondern die multiparadigmatische Einbeziehung geeigneter Denkschulen nach dem Motto „fit for purpose“. Um es noch einmal ganz deutlich zu sagen: Wir wenden uns gegen alle „ideologisch verbohrten Betonköpfe“ – auch gegen heterodoxe. Somit ist auch „der Mainstream“ kein Feindbild per se, sondern ein Teil der pluralen Ökonomik. Ein Beispiel: Auf unserer Online-Lernplattform „Exploring Economics“ wird das zum Mainstream gehörende neoklassische Paradigma  weder verschwiegen noch dämonisiert, sondern als eine unter insgesamt zehn dort dargestellten Denkschulen beleuchtet. Was wir wollen und wie das funktionieren kann, ist also klar, die Frage ist jedoch: Wollen Ökonomieprofessor*innen wirklich etwas ändern?

Darth Vader oder Chewbacca?

Es ist erfreulich, wenn von uns organisierte Veranstaltungen Unterstützung seitens der Professor*innen finden. Und tatsächlich gibt Johannes Becker selbst ein positives Beispiel ab, da er dazu bereit war, im kommenden Wintersemester gemeinsam mit einer unserer Netzwerkgruppen zwei Seminare zu veranstalten.

Leider ist Johannes Becker in dieser Hinsicht aber alles andere als ein repräsentativer Professor – an vielen Fakultäten ist das Lehrpersonal unseren Themen- oder Veranstaltungsvorschlägen bei weitem nicht so wohlgesonnen. Und zufrieden sein können wir erst, wenn Fächer wie Wissenschaftstheorie oder Dogmengeschichte keine Add-ons in der Freizeit sind, die auf die Initiative von Studierenden zurückgehen, sondern Teil des regulären Curriculums werden. Wie beispielsweise die ECONPlus-Studie gezeigt hat, ist dies im Großteil deutscher VWL-Hörsäle aber bis heute nicht der Fall. Das kann studentische Initiative allerdings nicht allein schaffen, sondern Professor*innen sind aktiv gefragt.

Um bestehende Ungleichgewichte abzuschaffen, müssen an den Hochschulen institutionelle Veränderungen stattfinden. Wer wie Becker also will, dass wir „wirklich etwas verändern“, muss der bekundeten Bereitschaft auch Taten folgen lassen. Das heißt konkret: Es braucht Lehrstühle, Promotionsstellen für den Nachwuchs und finanzielle Unterstützung für Veranstaltungen, die über Synthesen zwischen Denkschulen, ihre Komplementaritäten und Unterschiede diskutieren und den Raum für inhaltliche Debatten öffnen.

Mittels eines kreativen Vergleichs hat uns Johannes Becker aufgefordert, uns zwischen Kooperation („Joschka Fischer“) und Fundamentalopposition („Jutta Dittfurth“) zu entscheiden. Natürlich lässt dies nicht für alle Mitglieder unserer Bewegung sagen – aber wer unsere Arbeit in der Praxis verfolgt, dem sollte klar sein, dass sich die Plurale Ökonomik in der Breite längst für die (kritische, aber lösungsorientierte) Kooperation entschieden, bereits etwas verändert hat und alles andere als fundamental-oppositionell agiert.

Und jetzt wäre ein passender Moment für etablierte Professor*innen, nicht nur über Plurale Ökonomik zu sprechen – und diese dabei vorzugsweise auf Extremaussagen zu reduzieren –, sondern sich zu beteiligen. Auch die etablierte VWL muss sich entscheiden: Will sie eine vielfältige Ökonomik mitgestalten oder zu den Konservativen gehören, welche die Veränderung erst mitbekommt, nachdem sie schon passiert ist? Analog zu Beckers Fischer-Dittfurth-Vergleich: Die Etablierten haben die Wahl, ob sie Darth Vader (unflexibel, steif und destruktiv) oder Chewbacca (haarig, aber freundlich und hilfsbereit) sein wollen.

Möge der Dialog beginnen

Nur zu gerne wären wir bereits zur nächsten Phase der inhaltlichen Arbeit und des konstruktiven Dialoges übergegangen. Doch in der Vergangenheit mussten wir feststellen, dass das Interesse an konstruktivem Dialog von Seiten der Ökonom*Innen beispielsweise des Vereins für Socialpolitik (VfS) – der größten und wohl mächtigsten deutschen Ökonomenvereinigung – überaus verhalten ausfiel. Im November 2015 haben wir mit mehreren Partnern die größte Tagung zur Neugestaltung und Pluralisierung ökonomischer Curricula und Lehrbücher im deutschsprachigen Raum organisiert. Unserem weit verbreiteten Aufruf sind entgegen der vielzitierten Offenheit jedoch kaum Mitglieder des Vereins für Socialpolitik gefolgt.

Wir würden uns aber freuen, wenn die Dialogbereitschaft in der Zwischenzeit gewachsen sein sollte. Wie wäre es also mit einer gemeinsamen Tagung 2018, in der wir diskutieren, welche neuen Herangehensweisen für wirtschaftswissenschaftliche Forschung möglich und notwendig sind, und was verschiedene Perspektiven – themenbezogen – voneinander lernen können? Dies könnte auch ein interessantes Projekt für den neuen VfS-Nachwuchsbeauftragen Roland Strausz sein. Wir wären dabei.

 

Zur Autorin:

Birte Strunk hat in Maastricht und London Liberal Arts and Sciences studiert. Momentan unterrichtet sie am University College Maastricht, unter anderem in den Fächern Wissenschaftstheorie und Geschichte. Seit letztem Jahr ist sie im Vorstand des Netzwerks Plurale Ökonomik aktiv.