Die zweitägige und mit viel Politprominenz aus Deutschland und Afrika ausgestattete G20-Afrikakonferenz tagte Anfang dieser Woche in Berlin. Kernstück der Konferenz war die Verabschiedung des „Compact with Africa“ der G20, der für mehr Privatinvestitionen nach Afrika sorgen soll. Im Mittelpunkt stehen dabei eine Reihe von Finanzierungsinstrumenten, die privates Kapital hebeln oder zur Risikoabsicherung beitragen. Die Idee klingt gut, ist aber nicht neu. Und: Sie verharmlost die potenziellen Nebenwirkungen und Barrieren, die einer privaten Kofinanzierung gerade dort entgegenstehen, wo in Zukunft der größte Migrationsdruck zu befürchten ist: in Afrikas Sahelzone.
Mit der Betonung von Pensionsfonds und Lebensversicherern als Geldquelle für afrikanische Infrastruktur wird der Karren vor das Pferd gespannt. Denn institutionelle Investoren verabschieden sich nicht leicht aus der prudentiellen Komfortzone hochliquider Staatsanleihen mit AAA-Rating. Besonders nicht, wenn – wie in den meisten afrikanischen Staaten – Eigentumsrechte porös, zur Gegenfinanzierung benötigte lokale Finanzmärkte illiquide und Projektrisiken in wesentlichen Bereichen zu hoch sind.
Die Blaupause für den Compact kam vom Internationalen Währungsfonds, der Weltbank und, zumindest durfte sie unterschreiben, auch von der Afrikanischen Entwicklungsbank. Das deutsche Bundesfinanzministerium hat sein ganzes Gewicht, auch das des Ministers, hinter diese Blaupause geworfen. Ludger Schuknecht, der seine Karriere im Währungsfonds startete und heute Chefökonom des BMF ist, hatte die Federführung. Es mag sich vielleicht etwas bösartig anhören, aber: Angesichts des starken Engagements Schuknechts ist es wenig überraschend, dass der Compact unter schwerer ideologischer Schlagseite leidet. Denn die oft fatale Privatisierung der öffentlichen Daseinsvorsorge und die Bilanzverkürzung des Staates sind bekanntermaßen zwei wichtige Leitlinien der Politik der „Schwarzen Null“, die gerade von Schuknecht oftmals ideologisch begründet wird.
Die ideologische Schieflage des Compact macht sich an folgenden Punkten fest:
- Der makroökonomische Rahmen ist vom neoliberalen Washington-Konsensus geprägt, den man bereits lange überwunden glaubte: Fiskaldisziplin, Kapitalverkehrsöffnung, Privatisierung und Deregulierung. Da ist kein Platz für differenzierte Empfehlungen, welche die spezifischen Besonderheiten Afrikas berücksichtigen. Ob Schwellenland oder konfliktgeprägtes Armutshaus, Rohstoffausfuhrland oder –Einfuhrland; Küsten- oder Binnenstaat; West- oder Ostafrika; überschuldet oder nicht: Es werden keine Unterschiede gemacht – man stelle sich einmal vor, wie ernst die Europäer ein Papier nehmen würden, dass für Griechenland, Deutschland und Italien exakt die gleichen Empfehlungen ausspricht. Sehr bemerkenswert ist auch, dass der IWF diese Vorschläge offenbar mitträgt, obwohl der Währungsfonds vor nicht allzu langer Zeit einige dieser Rezepte selbst als „oversold“ bezeichnet hat.
- Der Compact ist geprägt vom angelsächsischen Finanzmodell, dessen Achse die direkten Wertpapiermärkte sind, also Anleihen und Aktien. Dieser Ansatz ignoriert einige der „best practices“, die die Entwicklungspolitik in den letzten Jahren hervorgebracht hat: So finanzierten etwa Ostasien und Kontinentaleuropa ihr erfolgreiches Entwicklungsmodell durch zurückbehaltene Unternehmensgewinne, durch Unternehmenskredite der Geschäftsbanken und für öffentliche Investitionen verwandte Steuern und Zwangsabgaben. Davon keine Spur im Compact – ein Skandal.
- Die Entwicklungsrolle des öffentlichen Sektors wird weitgehend ignoriert; das Heil soll von den privaten Financiers kommen. Die Bedeutung nationaler Entwicklungsbanken wie etwa die Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW) gerade für den Mittelstand, staatlicher Pensionskassen in Südostasien für den Wohnungsbau und ruraler Kreditgenossenschaften zur Bekämpfung ländlicher Armut finden keine Erwähnung. Auch das ist ein Skandal.
Am deutschen Wesen soll die Welt nicht genesen – aber im Afrikakontext hätte es etwas Gelegenheit dazu gegeben. Statt (denk)faul die Bretton-Woods-Institutionen um einen Hintergrundtext zu bitten, wären auch deutsche Vorbilder für das afrikanische Entwicklungsproblem hilfreich gewesen: Wo liest man von Adolf Damaschke (Bodenreform), wo von Friedrich-Wilhelm Raiffeisen (Kreditgenossenschaften) und wo von Friedrich List (proaktive Industrieförderung)? Nicht im unter der Federführung des BMF von Wolfgang Schäuble vorgelegten „Compact with Africa“.
Zum Auftakt der deutschen G20-Präsidentschaft konnte man durchaus den Eindruck haben, dass diese der Entwicklung des afrikanischen Kontinents eine größere und damit angemessene Rolle zugestehen würde, was die Chance auf wirklich nachhaltige Fortschritte in den ärmsten Ländern der Welt gebotten hätte. Zur Halbzeit der deutschen G20-Präsidentschaft muss man leider zumindest mit Blick auf Afrika bilanzieren: Diese Chance wurde vertan.
Zum Autor:
Helmut Reisen war bis 2012 Forschungsdirektor am Development Centre der OECD in Paris. Seitdem betreibt er die unabhängige entwicklungspolitische Beratungsfirma ShiftingWealth Consulting und den Blog Weltneuvermessung.