Parlamentswahlen

Sind die Niederlande der nächste Dominostein, den die Populisten umkippen?

Robustes Wachstum, niedrige Arbeitslosigkeit: Von außen betrachtet steht die niederländische Wirtschaft ziemlich gut da. Allerdings verbergen die soliden Makro-Indikatoren eine weniger sonnige Realität, die Populisten wie Geert Wilders Auftrieb gibt. Droht den Niederlanden deshalb bei den Wahlen am 15. März ein Rechtsruck, der die gesamte EU bedrohen könnte? Eine Analyse von Servaas Storm.

Der Binnenhof in Den Haag ist der Sitz des niederländischen Parlaments. Foto: Pixabay.

Ende April werden die Franzosen einen Nachfolger von Präsident François Hollande bestimmen, ehe sich im September Bundeskanzlerin Angela Merkel um eine vierte Amtszeit bewirbt. Aber bereits am 15. März werden die niederländischen Wähler ein neues Parlament wählen. Genauso wie die französischen und deutschen Wahlen ist auch der niederländische Urnengang für den Rest von Europa von großer Bedeutung – denn in der Vergangenheit waren die niederländischen Wähler ein gutes Barometer für die Stimmung in Europa: 2005 rebellierten sie gegen die EU-Verfassung, im letzten Jahr lehnten sie das Assoziierungsabkommen zwischen der EU und der Ukraine in einem Referendum ab.

In diesem Jahr gibt es in den Niederlanden eine starke Anti-„politics as usual“-Stimmung, die das Land durch einen Rechtsrutsch auf jenen Anti-Establishment-Pfad bringen könnte, den der Brexit und Donald Trump markiert haben. Hollands populistischer Aufstand wird von Geert Wilders` Freiheitspartei (PVV) angeführt, die gegen den Islam polemisiert, den Euro abschaffen, die Eurozone auflösen und in der gesamten EU wieder Grenzkontrollen einführen will.

Die PVV ist eine Partei mit nur einem Mitglied: Wilders bestimmt das Programm und die Positionen im Alleingang, er wählt die Namen auf den Wahllisten persönlich aus. Das Parteiprogramm passt auf ein einziges Blatt Papier und konzentriert sich größtenteils darauf, die Einwanderung zu stoppen, gegen die „Islamisierung Europas“ anzukämpfen und die Niederländer von der Herrschaft der Brüsseler Bürokratie und der in Frankfurt angesiedelten Europäischen Zentralbank zu befreien. Die PVV führt die Umfragen schon seit Monaten an und wird höchstwahrscheinlich der große Sieger der Wahlen sein – was Wilders zum ersten Kandidaten für die Bildung einer (Koalitions)-Regierung macht.

Zweifelsohne hat Wilders von den gleichen Faktoren profitiert, die auch anderswo populistische Bewegungen stark gemacht haben: der Unfähigkeit, die Eurokrise zu lösen; wachsenden Sorgen vor der „Masseneinwanderung“, einer „gescheiterten“ Integrationspolitik und der „Flüchtlingskrise“; Terrorattacken; und dem Versagen der Mitte-Links-Parteien, ihren traditionellen Wählerschichten die Ergebnisse zu liefern, nach denen sie verlangen, also vor allem eine anständige und sichere Beschäftigung.

Diese populistische Welle und die „Revolte“ gegen das Establishment erscheinen auf den ersten Blick ziemlich überraschend: Denn die Niederlande sind eine Volkswirtschaft, die gemessen an den üblichen makroökonomischen Indikatoren und angesichts der schweren Krise in anderen Eurostaaten von außen betrachtet ziemlich gut dasteht:

  • Das Wirtschaftswachstum hat sich 2015 und 2016 bei ungefähr 2% stabilisiert, für 2017 wird eine ähnliche Rate prognostiziert.
  • Die Lebensstandards sind (im Durchschnitt betrachtet) hoch.
  • Die offizielle Arbeitslosenquote ist auf 5,4% gesunken.
  • Die Inflation ist niedrig.
  • Das Land fährt weiterhin einen hohen Exportüberschuss (9% des BIP) ein.
  • Der wirtschaftliche Aufschwung ist so robust, dass die niederländische Zentralbank einige der wenigen Notenbanken weltweit ist, die höhere Löhne fordert (in den heimischen Dienstleistungssektoren, die vor der globalen Konkurrenz geschützt sind, und die 46% der niederländischen Angestellten beschäftigen).
  • Zwar sind die Schulden des Privatsektors relativ hoch, allerdings besitzen die Niederländer auch hohe Ersparnisse in ihrem (kapitalbasierten) Rentensystem, das als robust genug angesehen wird, um eine alternde Bevölkerung auszuhalten.
  • Das staatliche Haushaltsdefizit ist unter Kontrolle (es beträgt weniger als 1% des BIP), die Staatsschuldenquote ist auf 63% gesunken und zu bewältigen, auch weil sich der niederländische Staat auf den Anleihemärkten fast für 0% verschulden kann.

Während sich die niederländische Wirtschaft also stabilisiert hat, scheint sich die niederländische Politik zu destabilisieren: Niemals zuvor war der Ausgang einer Wahl so schwierig zu prognostizieren wie an diesem 15. März, wenn 12,6 Millionen Wähler die Zusammensetzung des neuen Unterhauses bestimmen werden. Werden die Niederlande, ein Gründungsmitglied der EU, der nächste Dominostein sein, der von den populistischen und Euro-skeptischen Bewegungen umgestoßen wird – und so eine Aufspaltung der gesamten EU einleiten?

Die holländische Misere

Um die politischen Veränderungen zu verstehen, muss man einige strukturelle Besonderheiten des politischen Systems der Niederlande berücksichtigen. Zunächst ist das politische Spektrum in eine große Zahl von Parteien fragmentiert bzw. gespalten. Das 2012 gewählte Parlament beinhaltet elf Parteien, und etwa 28 Parteien werden Kandidaten für die 2017er Wahlen aufstellen. Diese Fragmentierung hat dazu geführt, dass niederländische Regierungen immer Koalitionsregierungen sind, die auf der parlamentarischen Unterstützung von zwei und oftmals drei oder sogar mehr Parteien beruhen – denn in den Niederlanden gibt es anderes als in Deutschland keine 5%-Hürde, sodass schon etwa 0,7% der Stimmen ausreichen, um eines der 150 Abgeordnetenmandate zu erhalten.

Die aktuelle Regierung besteht aus der konservativen Volkspartei (VVD) mit Ministerpräsident Mark Rutte an der Spitze und der Arbeiterpartei (PvdA). Die Koalition war möglich geworden, nachdem die Christlich Demokratische Partei (CDA) 2012 implodiert war, die eigentlich das traditionelle Zentrum des niederländischen Parteiengefüges dargestellt hatte.

Der Koalition gelang es, die Wirtschaft durch die Krisenjahre zu steuern und ihre vierjährige Legislaturperiode durchzuhalten. Sie stand für eine Austeritätspolitik, eine Liberalisierung der Handelspolitik (in Form von TTIP und Ceta) und deregulierte den Arbeitsmarkt.

Die niederländische Wirtschaft konnte sich vor allem dank Deutschlands ökonomischer Stärke und der anhaltenden Malaise in Südeuropa erholen

Die niederländische Wirtschaftsleistung schrumpfte 2012 und 2013 wegen der Austerität, aber begann in den folgenden Jahren wieder zu wachsen, als die negativen Effekte der Sparmaßnahmen durch die Wachstumsimpulse aus Deutschland und einem für deutsch-niederländische Verhältnisse deutlich unterbewerteten Eurokurs mehr als kompensiert wurden. Der Druck auf den Staatshaushalt wurde durch die steigende Nachfrage nach angeblich „super-sicheren“ niederländischen Staatsanleihen massiv gesenkt, da in Folge der Eurokrise Bonds mit Kupons nahe null begeben werden konnten – die makroökonomische Erholung gab es dank Deutschlands ökonomischer Stärke und der anhaltenden Malaise in Südeuropa also praktisch frei Haus.

Um die populistischen Ressentiments in der niederländischen Wählerschaft nachvollziehen zu können, muss man allerdings berücksichtigen, dass die soliden offiziellen Makro-Indikatoren eine komplexere und weniger sonnige Realität verbergen: Die restriktive Haushaltspolitik hat es zwar geschafft, das Haushaltsdefizit zu senken – aber dies geschah mittels einer Unterversorgung des Gesundheitswesens, der Altenpflege und des Bildungssektors. Die Behindertenunterstützung wurde gekürzt, die öffentlichen Ausgaben für Forschung & Entwicklung wurden zurückgefahren.  Die Investitionen in das öffentliche Transportwesen, in den Ausbau der erneuerbaren Energien und in den (sozialen) Wohnungsbau waren unzureichend.

Diese Ergebnisse stehen in direktem Konflikt mit traditionell sozialdemokratischen Werten, da sie das tägliche Leben für die Mehrheit der Bevölkerung schwieriger, kostspieliger und unsicherer machten – auch wenn diese Probleme in den Makro-Indikatoren nicht unmittelbar sichtbar werden.

Ein sogar noch größerer Faktor ist die Arbeitslosigkeit. Die offizielle niederländische Arbeitslosenquote lag im Dezember bei 5,4% der Erwerbsbevölkerung. Aber diese Zahl beinhaltet weder die unterbeschäftigten Angestellten, die in Teilzeit oder oftmals selbstständig tätig sind und eigentlich mehr arbeiten wollen, noch die sogenannten „entmutigten Arbeiter“, die ihre Jobsuche aufgegeben haben. Würde man diese Menschen berücksichtigen, läge die Arbeitslosenquote laut kürzlich veröffentlichten Berechnungen der niederländischen Zentralbank bei 16% der Erwerbsbevölkerung – also dreimal so hoch wie die „offizielle“ Arbeitslosenquote.

Die Tatsache, dass etwa einer von sechs potenziellen Erwerbstätigen keinen Job hat oder weniger als gewünscht arbeiten kann, ist nur ein weiteres Beispiel für die Austeritäts-induzierte Schwäche der niederländischen Volkswirtschaft, die im öffentlichen Diskurs oftmals nicht präsent ist. Außerdem verdecken die Makro-Indikatoren, dass die Unsicherheit über den eigenen Arbeitsplatz in letzter Zeit deutlich angestiegen ist: Der Anteil der Beschäftigten mit einem „sicheren Job“ ist von 56,8% im Jahr 2008 auf 30,5% im Jahr 2014 gefallen.

Die gestiegene Jobunsicherheit korreliert mit einem erhöhten Auftreten von Depressionen und einer stärkeren Nutzung von Antidepressiva und Medikamenten

Mehr als einer von fünf Beschäftigten arbeitet in einer befristeten Anstellung, und rund 17% der niederländischen Beschäftigten sind selbstständig und müssen für sich selbst sorgen. Die gestiegene Jobunsicherheit korreliert mit einem erhöhten Auftreten von Depressionen und einer gestiegenen Nutzung von Antidepressiva und Medikamenten. So ist es nicht verwunderlich, dass die niederländischen Wähler, auch jene aus der Mittelschicht, sich die größten Sorgen um ihre finanzielle Lage, Jobaussichten und wirtschaftlichen Perspektiven machen.

Die Kombination dieser Ängste mit der austeritätsbedingten Knappheit schafft einen fruchtbaren Boden für anti-elitäre rechte Schuldzuweisungen, die die Verantwortung „den Anderen“ (in diesem Fall: den Migranten der zweiten Generation aus Marokko, und seit kurzem auch Flüchtlingen) geben, und gleichzeitig einen Gedanken des nationalen Interesses und der nationalen Identität heraufbeschwören (größtenteils ausgedrückt in der Forderung, „Souveränität“ von der Brüsseler EU-Hegemonie zurückzugewinnen). Die Arbeiterpartei, die man als niederländisches Gegenstück zur deutschen SPD und zur britischen Labour-Partei (vor Jeremy Corbyns Amtsantritt) verstehen kann, ist offensichtlich darin eingeschlossen, da sie als Teil von Ruttes Koalitionsregierung eine Mitverantwortung für die belastenden Folgen der Austeritätspolitik hat.

Was prognostizieren die Wahlumfragen?

Wie erwähnt ist das politische Spektrum in den Niederlanden sehr zersplittert. Es lassen sich aber drei Grundströmungen herausarbeiten: ein rechtes (bzw. konservatives) Spektrum, Zentristen und Linke. Das macht es einfacher, die zu erwartenden Veränderungen zu prognostizieren und deren Bedeutung zu erläutern.

Für die folgenden Berechnungen wurden jene elf Parteien berücksichtigt, die seit der Wahl von 2012 im Parlament vertreten sind – aber ich muss darauf hinweisen, dass insgesamt 28 Parteien, von denen einige erstmals antreten, Kandidaten für die Wahl aufstellen. Die nicht aufgelisteten Parteien sind unter „nicht kategorisiert“ zusammengefasst. Hier nun die Prognosen für die einzelnen Parteien und für die drei Grundströmungen:

Hinweis: die prognostizierten Wahlergebnisse wurden aus dem einfachen Durchschnitt von fünf Meinungsumfragen ermittelt: TNS Nipo (Datum: 1. Februar), Ipsos Synovate (2. Februar), I&O Research (2. Februar), EenVandaag (30. Januar) und Maurice de Hond (5. Februar). Die ausführlichen Berechnungen und weitere Erläuterungen zur Methodik finden Sie hier.

Laut diesen Berechnungen wird das konservative bzw. rechte Lager leicht schrumpfen (von 39,3 auf 38%). Mit anderen Worten: Die Umfragen prognostizieren unterm Strich keinen Rechtsrutsch, auch wenn die Stärke der PVV auf den ersten Blick etwas Anderes suggeriert. Allerdings überdeckt die aggregierte Betrachtung die Tatsache, dass die Zustimmung für die VVD von Ministerpräsident Rutte zurückgehen dürfte (von 29 auf 18%), während Wilders´ PVV ihre Werte fast verdoppeln könnte (von 10 auf 20%, bzw. von 15 auf 30 Sitze).

Diese Verschiebungen deuten auf eine Neuordnung innerhalb der Rechten hin – und sie erklären auch, warum Ministerpräsident Rutte seine Position in der Einwanderungsfrage verschärft hat. Inzwischen fordert er, dass sich Immigranten in den Niederlanden „normal verhalten oder das Land verlassen“ sollten. Aber Wilders´ Einfluss geht noch darüber hinaus: auch PvdA-Chef Lodewijk Asscher ruft inzwischen nach einer strikteren Regelung der Einwanderung, einer Verteidigung der niederländischen „Identität“ und einem „progressiven Patriotismus“. Ich muss betonen, dass nicht alle Wähler, die der VVD den Rücken kehren, notwendigerweise zu Wilders abwandern. Ein erheblicher Teil von ihnen wird nun wahrscheinlich für die Christdemokraten (CDA) oder die liberale D66 stimmen.

Die niederländische Linke wird kleiner, fragmentierter und nicht in der Position sein, um die Austeritätspolitik zu attackieren

Ein zweiter Trend sind die strukturellen Verluste, die das linke Spektrum wohl wird hinnehmen müssen – den Umfragen zufolge werden die vier Parteien von addiert 39,3% auf 29,3% schrumpfen. Der Hauptgrund ist die historische einzigartige Implosion der PvdA: 2012 errang sie noch 25,3% der Stimmen, jetzt dürften es etwa 8% werden. Die von der Arbeiterpartei aufgerissene Lücke wird auch nicht durch eine stärkere Sozialistische Partei geschlossen werden (die man als das Gegenstück zur deutschen Linkspartei verstehen kann): Die SP wird wohl ebenfalls eher Stimmen verlieren. Der einzige große Gewinner innerhalb des linken Spektrums dürften die Grünen (genannt GroenLinks) werden, die von 4 auf 10% wachsen könnten. Insgesamt wird die niederländische Linke aber kleiner, fragmentierter und nicht in der Position sein, um die Austeritätspolitik attackieren zu können – geschweige denn sie zu beenden.

Die dritte Entwicklung dürfte aus einem gestärkten Zentrum bestehen, dessen Parteien ihre Stimmanteile von 21,3 auf etwa 31% steigern werden können. Die Erholung der einstmals viel größeren Christdemokraten steht noch am Anfang, und die liberale D66-Partei wird einen etwas stärkeren Zuspruch erhalten. Beide Parteien unterstützen die EU und den Euro. Ein weiterer Gewinner wird wohl die etwas euroskeptischere Partei 50Plus sein: eine Partei, die sich explizit an Rentner und Menschen über 50 Jahre wendet.

Es sieht nicht so aus, als wenn sich die Niederländer von der EU abwenden würden

Allerdings spiegelt die voraussichtliche Stärkung des Zentrums und der Grünen auch eine Stärkung der Pro-EU-Stimmung in der niederländischen Wählerschaft wider, die in etwa so groß ist, wie das Wachstum der EU-feindlichen Stimmung, die Wilders´ hohe Umfragewerte markieren. Summa summarum sieht es also nicht so aus, als wenn sich die Niederländer von der EU abwenden würden – immer vorausgesetzt, die Umfragen stimmen.

Was für Folgen werden diese Veränderungen haben?

Die Umfragewerte deuten in jedem Fall darauf hin, dass das politische Spektrum künftig noch fragmentierter sein wird. Wilders` PVV dürfte die stärkste Partei werden, aber „nur“ mit 21 bis 23% der Wählerstimmen. Ein Grund dafür ist, dass Wilders´ Beliebtheit innerhalb der Rechten zu internen Kämpfen geführt hat, die einige neue rechtspopulistische Initiativen hervorbrachten. Deren Wachstum geht aber ausschließlich auf Kosten der PVV.

Man sollte auch berücksichtigen, dass die Bandbreite von 20 bis 24% der Stimmen in etwa dem Anteil gleicht, den die Rechtspopulisten in anderen europäischen Ländern haben: Wilders´ Vorgänger Pim Fortuyn erhielt 17% bei der Wahl von 2002, während Marine Le Pen im Vorfeld der französischen Präsidentschaftswahl momentan auf Umfragewerte von etwa 25% kommt. Der maximale Stimmanteil der österreichischen FPÖ betrug 26,9% (1999), die jüngsten Umfragewerte liegen etwa bei 21%.

Es ist eher unwahrscheinlich, dass Wilders diese Schwelle übertreffen kann. Seine Ein-Mitglieds-Partei kann aus eigener Kraft keine Regierung formen – und da alle anderen Parteien eine Koalition mit ihm ausgeschlossen haben, wird er somit nicht regieren können. Allerdings hätte ein erster Platz für Wilders in einem breiteren europäischen Kontext durchaus Bedeutung, da er in Frankreich Le Pens Kampagne stärken und von der deutschen AfD als ein weiteres Misstrauensvotum gegen die Flüchtlingspolitik von Kanzlerin Merkel interpretiert werden könnte. Hierin liegt das wahre Risiko.

Die Linke ist in einer tiefen Krise und, mangels glaubwürdiger Alternativen, im Grunde irrelevant. Als einzige Partei innerhalb des linken Spektrums könnten die Grünen (GL) Stimmen hinzugewinnen, die wiederum wirtschaftspolitisch eher in Richtung „New Labour“ tendieren. Es besteht so zumindest das Risiko, dass die Desillusionierung mit den linken Parteien traditionelle Wähler der PvdA oder der Sozialistischen Partei in Richtung PVV treibt, da ihre Stimmen ansonsten ziemlich sicher verloren sind.

Wilders bietet wie oben bereits erwähnt einfache, schlichte Lösungen, etwa „die Kontrolle aus Brüssel zurückzuholen“, „Souveränität zurückzuerlangen“ und „traditionelle Werte und Identitäten zu schützen“, wobei die Grundlage für seine Popularität im Wesentlichen vertretbare und nachvollziehbare ökonomische und soziale Ängste sind. Außerdem besteht die Möglichkeit, dass einige Wähler ihre Stimme gar nicht abgeben. Das würde der PVV helfen, da davon auszugehen ist, dass deren „wütende“ Wähler eine hohe Wahlbeteiligung aufweisen werden.

Eine Pattsituation ist wahrscheinlich

Das Wahlergebnis dürfe eine Pattsituation hervorbringen: Wilders wird sich zum Sieger erklären und den Anspruch auf die Regierungsbildung erheben (was gängiger parlamentarischer Brauch ist). Aber das wird ihm nicht gelingen, da ihn keine andere Partei unterstützen wird. Zwar glauben 75% der niederländischen Wähler, dass Ministerpräsident Rutte von seinem Versprechen, nicht mit Wilders zu koalieren, abrücken wird – aber es scheint nicht in Ruttes Interesse zu sein, seine Partei als Juniorpartner in eine Regierung unter Ministerpräsident Wilders zu führen. Und selbst wenn doch, bräuchten PVV und VVD ziemlich sicher noch einen dritten oder gar vierten Koalitionspartner, was das Gelingen dieses Unterfangens noch unrealistischer macht.

Es ist sehr unklar, was danach passieren wird. Die PvdA wird sich wohl zurückhalten, weil sie sich in einer existenziellen Krise und nicht in einer Handlungsposition befindet. Ruttes konservative VDD wird Stimmen verlieren, dürfte aber die zweitstärkste Partei hinter der PVV werden. Am wahrscheinlichsten ist, dass die VDD versuchen wird, eine neue Koalition zu formen, am ehesten mit der CDA, D66 und den Grünen, die wohl alle Stimmen hinzugewinnen werden. Aber auch eine solche Vier-Parteien-Koalition dürfte auf eine fünfte Partei angewiesen sein (in Frage kämen die „50+“-Partei sowie die kleine Christliche Union oder die PvdA).

Wenn das Wahlergebnis auch nur ansatzweise die Umfragen widerspiegelt, wird es lange dauern, eine solche Mitte-Rechts-Regierung zu formen – und sie dürfte auch nicht stabil sein und lange halten. Voraussehbar ist, dass Wilders dies als unfair bezeichnen wird, weil eine Koalition ohne PVV nicht „den Willen des Volkes“ repräsentiere.

Die makroökonomische Politik der Niederlande wird auch weiterhin im Austeritätsmodus bleiben

Zwei Dinge werden sich allerdings nicht ändern: Die makroökonomische Politik der Niederlande wird auch weiterhin im Austeritätsmodus bleiben – und die künstliche Jobknappheit und den ungleichen Zugang zum Gesundheits- und Bildungssystem sowie die Probleme im Wohnungssektor verlängern und verschärfen. Das wird weiteren Nährboden für eine rechte, anti-elitäre und gegen den Euro ausgerichtete Sündenbock-Politik a la Wilders bieten.

Und zum Schluss noch ein Disclaimer: Diese Analysen basieren auf den weiter oben gezeigten Umfragewerten – die sich natürlich als falsch herausstellen können. Erinnern Sie sich nur an den Brexit und die amerikanischen Präsidentschaftswahlen.

 

Zum Autor:

Servaas Storm ist Senior Lecturer für Volkswirtschaftslehre an der Delft University of Technology.

Hinweis:

Dieser Beitrag ist zuerst in englischer Sprache auf der Homepage des Institute for New Economic Thinking (INET) erschienen und wurde von der Makronom-Redaktion mit Zustimmung des Autors und INET ins Deutsche übersetzt.