Der Tod Fidel Castros hat mich an eine Idee erinnert, die mich schon seit einiger Zeit beschäftigt: Es wurden tausende historische Bücher über den Kommunismus geschrieben, und ebenso viele Rechtfertigungen und Kritiken. Aber wir haben kein Konzept dafür, welchen Platz der Kommunismus in der menschlichen Geschichte eingenommen hat – ob beispielsweise das Zeitalter des Kolonialismus ohne den Kommunismus jemals zu Ende gegangen wäre, ob der Kommunismus dafür gesorgt hat, die Ungleichheit im Kapitalismus etwas geringer zu halten, ob er die soziale Mobilität erhöht hat, ob er in Asien den Übergang von der Agrar- zur Industriegesellschaften beschleunigt hat, und so weiter und so fort.
Wir werden wohl noch eine Weile lang nicht in der Lage sein, den Kommunismus zu bewerten. Wahrscheinlich so lange, bis die Leidenschaften, die er geweckt hat, erloschen sind, wie Diego Castaneda meint.
Fidel Castros Tod bietet sich dafür als Wegmarke an, weil er der letzte wahrhaft kanonische kommunistische Revolutionär war: der Anführer einer Revolution, die die vorherige Ordnung umgeworfen, Eigentum nationalisiert und mittels eines Ein-Parteien-Staates regiert hat. Wir können mit einiger Sicherheit sagen, dass es im 21. Jahrhundert keinen kommunistischen Revolutionär mehr im Stile der Revolutionäre geben wird, die im 20. Jahrhunderts so häufig anzutreffen waren (Lenin, Trotzky, Stalin, Mao, Liu Shaoqi, Tito, Fidel). Die Ideen von nationalisiertem Eigentum und Zentralplanung sind tot. Auf eine sehr symmetrische Art und Weise ist Utopias Aufstieg zur Macht, der im November 1917 im eisigen Petrograd begann, mit dem Tod ihres letzten echten physischen Verfechters im November 2016 in einem weit entfernten Karibikstaat zu Ende gegangen.
Lassen Sie mich dazu einige grob vereinfachte Ideen durchgehen (vielleicht werde ich sie eines Tages in Buchform weiter ausführen).
Was war der Kommunismus?
Er war die erste säkulare Weltreligion. Sein Appell war wahrhaft global, sowohl geografisch als auch klassenmäßig: Er zog die Söhne und Töchter der Reichen genauso an wie die der Armen, er war für Chinesen und Inder genauso attraktiv wie für Franzosen oder Russen. Wie das Christentum und der Islam verlangte auch der Kommunismus von seinen Anhängern Selbstaufopferung und Selbstverleugnung. Wie das Christentum hatte der Kommunismus einen Propheten, der von den meisten seiner Anhänger verlassen starb, und dessen staatsfeindliche Werke von Außenstehenden verbreitet wurden, die die Nachrichtenwege nutzten, die jener Hegemon bereitgestellt hatte, den sie zu unterminieren und zu zerstören versuchten.
Anders als der Kapitalismus war der Kommunismus zu tiefst ideologisch. Während die kapitalistische Ideologie sehr locker (und oftmals formbar und pragmatisch) ist, war die kommunistische Ideologie unflexibel. Das System nahm wie das Christentum und der Islam seine Ideologie sehr ernst. Aber dies führte zu vielen Splittergruppen, dogmatischen Disputen, Konflikten und Morden – was ebenfalls eine Parallele zu den transzendentalen Religionen darstellte.
Zwar war der Kommunismus in ideologischer Hinsicht eine auf Ökonomie basierende Bewegung, dessen Ziel die Schaffung einer klassenlosen Gesellschaft war. Dennoch sind seine Besonderheiten insbesondere aus einem engen ökonomischen Blickwinkel nur schwer zu verstehen. Er kombinierte eine extreme Konzentration politischer Macht mit großer ökonomischer Gleichheit: Moderne Ökonomen wie Acemoglu und Robinson können nicht das nicht verstehen, da beides nicht in ihr Schema passt – tatsächlich können dies die meisten Menschen nicht verstehen, weil sie glauben, dass jedwede politische Macht ein wirtschaftliches Ziel haben muss.
Der Kommunismus unterstützte und erreichte soziale Mobilität, aber diese Mobilität hatte oftmals einen Preis: Arbeiter flohen aus ihren schlecht bezahlten und harten Jobs, um als Bürokraten mehr zu verdienen – und um diejenigen herumzukommandieren, denen diese „Flucht“ nicht gelungen war. Somit schuf der Kommunismus etwas, was einer Klassengesellschaft sehr ähnlich war, obwohl er doch versprochen hatte, die Klassen abzuschaffen. In seiner degeneriertesten Form schuf er Monarchien, wie etwa in Nordkorea und in gewisser Hinsicht auch in China (wo es Prinzlinge gibt).
Warum ist der Kommunismus gescheitert?
Sehr allgemein formuliert deswegen, weil er im Gegensatz zu zwei starken menschlichen Neigungen stand: frei zu sein (darin, seine Meinung zu äußern und zu tun, was man will) und Eigentum zu besitzen. Beides sind Sehnsüchte, die durch die Aufklärung geschaffen oder ratifiziert worden sind. In der prä-modernen Vergangenheit nahm die Mehrheit der Menschen politische Unterdrückung und das Nichtvorhandensein eigenen Eigentums als gegeben hin. Aber der Kommunismus war keine Bewegung des Mittelalters, sondern der Moderne, ein waschechter Erbe der Aufklärung.
Weil der Kommunismus eine säkulare Religion war, versprach er den Menschen, die zugesagten Produkte bereits im Diesseits zu liefern – ein Versprechen, dass sehr störanfällig für empirische Beobachtungen ist. Diese Produkte bestanden darin, dass Arbeit frei von Repressionen der Eigentümer sein würde (ein Versprechen, das teilweise eingehalten wurde) und in wirtschaftlichem Reichtum (was überhaupt nicht eingehalten wurde).
Der Kommunismus versagte auch zunehmend darin, wirtschaftliche Fortschritte zu liefern, vor allem deswegen, weil sich die Art des technologischen Fortschritts veränderte: weg von einer größtenteils zentralisierten Netzwerk-Industrie hin zu stärker dezentralisierten Innovationen. Der Kommunismus schaffte es praktisch auf keinem Gebiet, so innovativ zu sein, wie es für die erfolgreiche Duldung durch die Konsumenten notwendig gewesen wäre. Er baute Panzer, aber keine Kugelschreiber. Er baute Raumschiffe, aber produzierte kein Klopapier.
Wird der Kommunismus zurückkehren?
Wir können uns nicht sicher sein, aber heutzutage scheinen die Chancen für ein Comeback von nicht-privatem Eigentum und einer zentralen Koordination ökonomischer Aktivitäten doch eher gegen null zu gehen. Der Kapitalismus – definiert als der private Besitz von Kapital, Lohnarbeit und dezentralisierter Koordination – ist zum ersten Mal in der menschlichen Geschichte das einzige Wirtschaftssystem, das überall auf der Erde existiert. Dabei kann es sich um Monopol-Kapitalismus, Staats-Kapitalismus oder Wettbewerbs-Kapitalismus handeln – aber das Prinzip privaten Eigentums wird in China genauso akzeptiert wie in den USA.
Allerdings werden einige Ideen des Kommunismus, inklusive der religiösen Komponenten, immer wieder Gruppen von Menschen ansprechen: sein Egalitarismus, sein Internationalismus und die Erwartung von Selbstaufopferung gehören genauso zum menschlichen Wesen wie die Impulse, die der Kommunismus zu unterdrücken versucht hat (das Verlangen nach Freiheit und Eigentum). Daher wird er beständig Anhänger unter denen finden, die der Meinung sind, dass die Gier und der profitsüchtige Geist, die unvermeidlich zum Kapitalismus dazu gehören, widerwärtig sind. Aber aus einer heutigen Perspektive scheinen diese Gruppen dazu verdammt zu sein, auf ewig am Rand der Gesellschaft zu stehen, ihre eigenen Communities zu gründen und Abhandlungen zu verfassen, die kaum jemand liest. Also ziemlich genau dort, wo sie auch in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts standen.
Zum Autor:
Branko Milanovic ist Professor an der City University of New York und gilt als einer der weltweit renommiertesten Forscher auf dem Gebiet der Einkommensverteilung. Milanovic war lange Zeit leitender Ökonom in der Forschungsabteilung der Weltbank. Er ist Autor zahlreicher Bücher und von mehr als 40 Studien zum Thema Ungleichheit und Armut. Außerdem betreibt er den Blog Global Inequality, wo dieser Beitrag zuerst erschienen ist.