Analyse

Wäre Helicopter Money überhaupt praktisch umsetzbar?

Logistische Probleme, ungeklärte Verteilungsfragen, juristische Hindernisse: Welche Schwierigkeiten die EZB überwinden müsste, um tatsächlich Geld direkt an die Bürger der Eurozone überweisen zu können.

In der Eurozone gibt es noch einige Brände zu löschen. Foto: U.S. Department of Agriculture via Flickr (CC BY 2.0)

Ein paar Sätze von Mario Draghi auf der Pressekonferenz nach der letzten EZB-Sitzung haben den ohnehin schon intensiven Spekulationen über das sogenannte „Helicopter Money“ (das direkte Verteilen von Geld an private Haushalte und/oder Staaten) weitere Nahrung verliehen. Er halte das Konzept für „sehr interessant“, hatte Draghi auf Nachfrage gesagt. Daraus leiteten vor allem Beobachter aus den Reihen der Die-EZB-wird-uns-alle-ruinieren-Paranoia-Fraktion die These ab, dass Draghi schon den nächsten „Tabubruch“ plane (dass Draghi im selben Atemzug erwähnte, der EZB-Rat habe sich noch nicht einmal ansatzweise mit diesem Konzept befasst, blieb leider häufig unerwähnt).

Aber tun wir einfach mal so, dass es im EZB-Rat tatsächlich irgendwann eine Mehrheit für „QE for the People“ geben sollte: Wäre es dann überhaupt praktisch umsetzbar?

Logistik

Das erste Problem: Wie soll das Geld der EZB überhaupt bei den Bürgern ankommen? Anders als die Geschäftsbanken haben Bürger ja kein Konto bei der EZB. Natürlich könnte die Zentralbank ihre Mitarbeiter ausschwärmen und das Geld in Bar verteilen lassen – das wäre aber angesichts der gut 340 Millionen Menschen, die in der Eurozone leben, eine kaum zu bewältigende Aufgabe, die durch die wohl bevorstehende Abschaffung des 500-Euro-Scheins auch nicht leichter werden dürfte.

Die Verteilerrolle müsste also der Staat übernehmen. Helicopter Money wurde in der Vergangenheit noch in keinem Land tatsächlich ausprobiert. Allerdings gab es in den USA und in der Schweiz bereits staatliche Geldverteilungsaktionen, die als Vorlage dienen könnten.

2001 und 2008 hatte die US-Regierung Steuer-Schecks an private Haushalte ausgegeben. Dafür wurden die Steuernummern herangezogen. In der Eurozone gibt es aber kein einheitliches Steuernummern-System. Außerdem besteht die Gefahr von Dopplungen, wenn beispielsweise ein EU-Bürger zwei Steuernummern hat, weil er nicht in seinem Heimatland arbeitet. Das gleiche Problem würde bei einer Verteilung anhand der Krankenkassendaten auftreten, wie es etwa in der Schweiz bei der Rückverteilung der CO2-Abgabe gemacht wurde, weil es in der Eurozone höchst unterschiedliche Versicherungssysteme gibt.

Verteilungsgerechtigkeit

Eine Verteilung auf Basis des Wählerverzeichnisses, wie es etwa Oxford-Ökonom John Muellbauer vorgeschlagen hat, würde daran scheitern, dass nicht alle Erwachsenen darin registriert sind (laut Muellbauers Schätzungen sind es 90%). Aus Gerechtigkeitsgründen müsste außerdem gewährleistet werden, dass alle Bürger ihr Geld exakt zum gleichen Zeitpunkt bekommen. Schließlich schwankt der reale Geldwert aufgrund der sich verändernden Inflationsrate: Wenn ich mein Geld beispielsweise einen Monat vor oder nach allen anderen bekomme, kann ich damit möglicherweise mehr bzw. weniger kaufen, als andere EU-Bürger.

Das gilt auch für die Höhe der Zuteilung. Schließlich hat ein Euro beispielsweise in Lettland eine höhere Kaufkraft als in Deutschland (und in Berlin eine höhere als in München), weil sich die Lebenshaltungskosten unterscheiden.

Rechtliche Probleme

Nehmen wir einmal an, diese logistischen Hürden könnten bewältigt werden und die EZB findet auch ein akzeptables Konzept für die Verteilungsgerechtigkeit (oder ignoriert diesen Punkt einfach). Wie sieht es mit den rechtlichen Hürden aus?

Beim Helicopter Money gibt es einen gewaltigen Unterschied zu allen anderen Maßnahmen, die die EZB bisher getroffen hat: Helicopter Money wird nicht verliehen, sondern verschenkt. Es ist auch keine reine Geldpolitik mehr, sondern reicht weit in die Fiskalpolitik hinein. Für die Bilanz der EZB heißt das, dass die Ausweitung der Passivseite nicht auf der Aktivseite ausgeglichen wird. Das ist beim QE-Programm nicht der Fall, wo die Zentralbank im Gegenzug für die Ausweitung ihrer Passivseite auf der Aktivseite einen Vermögenswert (die Staatsanleihe) verbuchen kann.

Denn anders als beim Anleihenkauf erwirbt die EZB im Gegenzug kein Asset, sondern der Bürger erhält Geld ohne Gegenleistung, wodurch die EZB einen Bilanzverlust erleidet, der ausgeglichen werden muss.

Zwar ist es für eine Zentralbank möglich, mit negativem Eigenkapital zu operieren, etwa indem sie das fehlende Geld selber schöpft. Jedoch wäre dieses Loch in der Bilanz schon ziemlich groß: Sagen wir, jeder Eurozonen-Bürger erhält Helicopter Money in Höhe von 1.000 Euro. Das wären dann bei knapp 340 Millionen Bürgern 340 Milliarden Euro – selbst für Zentralbank-Verhältnisse eine gewaltige Summe.

Sollte die EZB diesen Schritt nicht gehen wollen, gäbe es noch drei andere mögliche Varianten, um die Bilanz auszugleichen. Bei jeder dieser Varianten spielt der Staat eine zentrale Rolle:

1

Die EZB schüttet so lange keine Gewinne an die Eurostaaten aus, bis das Loch in ihrer Bilanz geschlossen ist. Das könnte allerdings ziemlich lange dauern, wenn man die oben erwähnte Größenordnung von 340 Milliarden Euro zugrunde legt. Die nationalen Zentralbanken haben im letzten Jahr etwa 14 Milliarden Euro an Gewinnen gemacht. Auf dieser Basis würde es mehr als 20 Jahre dauern, bis das Loch gestopft wäre.

Außerdem würde es den Sinn von Helicopter Money konterkarieren. Denn die Staaten würden so über ihre eigenen Haushalte das den Bürgern geschenkte Geld gegenfinanzieren. Das könnten die Finanzminister dann auch gleich selbst erledigen, indem sie beispielsweise die Steuern senken – was sie eben nicht wollen oder aufgrund der europäischen Fiskalregeln nicht dürfen.

2

Die EZB gibt den Staaten das zu verteilende Geld sofort. Das könnte beispielsweise über direkte Kredite oder den Aufkauf von Staatsanleihen am Primärmarkt funktionieren. Somit würde in der EZB-Bilanz kein Loch entstehen, weil die Ausweitung der Passivseite durch Assets gedeckt wäre. Problem: Dieses Verfahren verstößt eindeutig gegen das Verbot der Staatsfinanzierung. Nötig wäre eine Änderung der EU-Verträge.

3

Die EZB gibt den Staaten das zu verteilende Geld sofort, allerdings durch die Hintertür. Die Eurostaaten könnten Staatsanleihen mit unendlicher Laufzeit und einem Kupon von 0% ausgeben. Diese Nullkuponanleihen würden dann das Loch auf der Aktivseite der EZB-Bilanz buchhalterisch korrekt schließen, ohne dass den Staaten dadurch finanzielle Nachteile entstünden – schließlich müssten sie ihre Anleihen nie wirklich bedienen und auch keine Zinsen für sie zahlen.

Das gleiche Verfahren könnte auch über sogenannte „Münzspenden“ angewendet werden: Anders als bei Banknoten, die von der EZB ausgegeben werden, haben die Eurostaaten das Recht, Geldmünzen herzustellen. So könnte Deutschland etwa eine Münze mit einem hohen Nominalwert – nennen wir sie mal den „Weidmann-Groschen“ – ausgeben und an die EZB spenden. Der Weidmann-Groschen würde dann wie jedes andere Asset auch auf der Aktivseite auftauchen und die Bilanzlücke schließen.

Aber auch diese Variante ist rechtlich maximal wacklig und dürfte nicht ausreichend sein, um das Verbot der monetären Staatsfinanzierung tatsächlich zu umgehen. „Denn entscheidend ist der direkte Transfer zwischen Staat und Notenbank. Es ist eher irrelevant, ob die Staatsanleihe durch Kauf der Zentralbank direkt vom Staat oder durch „Schaffung eines Vermögenswertes“ durch den Staat auf der Bilanz der Notenbank landet“, meint etwa die Commerzbank.

 

Helicopter Money wäre also in jedem Fall eine Entscheidung, die die EZB vielleicht eigenständig treffen könnte, die aber erst mit Unterstützung der Politik praktisch umgesetzt werden müsste, in erster Linie über die Aufhebung des Verbots der monetären Staatsfinanzierung – und dass dieser Wille nicht sonderlich ausgeprägt ist, haben die letzten Jahre eindrucksvoll gezeigt. Die Hubschrauber werden also auf absehbare Zeit keine Starterlaubnis bekommen.

 

Hinweis:

Teile dieses Beitrags basieren auf Analysen aus dem Research verschiedener Banken und Forschungsinstitute, darunter insbesondere Publikationen der Commerzbank und der Danske Bank, sowie des Flossbach von Storch Research Institute. Eine kompakte Zusammenfassung der Helicopter Money-Debatte findet sich auf der Homepage des Thinktanks Bruegel.