Welche Rolle hat die deutsche Lohnzurückhaltung bei der Entstehung der Eurokrise gespielt? Um diese Frage ist in der letzten Woche ein Disput zwischen dem niederländischen Volkswirt Servaars Storm auf der einen und dem deutschen Wirtschaftsweisen Peter Bofinger sowie dem britischen Ökonomen Simon Wren-Lewis auf der anderen Seite entstanden.
Wie berichtet ging die Debatte auf ein Papier Storms zurück, in dem dieser Bofingers und Wren-Lewis` Positionen scharf angreift. Storm ist der Auffassung, dass die deutsche Lohnzurückhaltung eine gewisse Rolle gespielt hat – aber eine andere, als es Bofinger und Wren-Lewis postulieren.
So seien die deutschen Lohnstückkosten im Verhältnis zu denen der anderen Eurostaaten zwar gesunken, dies sei aber nicht auf eine aktive Lohnzurückhaltung zurückzuführen, sondern vielmehr auf einen massiven Anstieg der deutschen Produktivität. „Es war die deutsche Ingenieurskunst, nicht die nominale Lohnzurückhaltung, die die Lohnstückkosten gesenkt hat.“ Das Gerede, dass Deutschland seine europäischen Nachbarn bewusst unterboten habe, gehe an der Sache vorbei, so Storm.
„Friendly Fire“
Inzwischen ist die Diskussion in die 2. Runde gegangen. In einem am Mittwoch auf der Webseite des Institute for New Economic Thinking (INET) erschienen Beitrag nimmt Bofinger ausführlich zu Storms Papier Stellung, woraufhin dieser mit einer eigenen Antwort reagiert. Diese Vorgehensweise hatten die beiden Ökonomen vorher abgesprochen. Am Wochenende legte dann Wren-Lewis in seinem Blog eine eigene Erklärung nach.
Bofingers und Wren-Lewis` Argumente entsprechen größtenteils denen, die wir in unserem Artikel aus der Vorwoche bereits zitiert hatten: Storm werfe ihm Dinge vor, die er selbst gar nicht vertrete, etwa dass er nicht die Rolle der Finanzmärkte berücksichtige sondern sich ausschließlich auf die Realwirtschaft fokussiere, so Bofinger.
Bofinger versucht, einige von Storms zentralen Thesen anhand von drei Charts zu widerlegen (die Charts haben wir weiter unten in einer Fotostrecke zusammengefasst). Erstens sei es ziemlich eindeutig, dass es die von Storm angefochtene deutsche Lohnzurückhaltung doch gegeben habe (Chart 1). Zweitens sei der von Storm unterstellte massive Anstieg der deutschen Produktivität anhand der Daten nicht erkennbar (Chart 2). Und drittens mache es keinen Unterschied, ob man die Lohnstückkosten nun pro Person oder pro Stunde betrachte (Chart 3).
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Genau an diesen Punkten setzt Storm in seiner Erwiderung an. Wenn man sich die Charts anschaue, müsse man natürlich zu dem Schluss kommen, dass Bofinger Recht habe, so Storm. Allerdings zeichne Bofinger beim Vergleich von Lohn- und Produktivitätsentwicklungen zwischen verschiedenen Ländern aufgrund seiner Berechnungsmethoden ein verzerrtes Bild.
So könne die Arbeitsproduktivität durch die Anzahl der Beschäftigten definiert werden (was Bofinger tue) oder – wie er, Storm, es mache – durch die Zahl der geleisteten Arbeitsstunden. Daraus ergäben sich durchaus erhebliche Unterschiede:
Deutsche Arbeitsproduktivität relativ zum Rest der Eurozone (1999-2007): pro Beschäftigtem vs. pro Arbeitsstunde
Der durchschnittliche deutsche Beschäftigte arbeitete laut Storm 200 Stunden pro Jahr weniger als seine Kollegen in der Eurozone, sei dabei aber deutlich produktiver. Deutschland sei demnach das einzige Land, in dem die Zahl der absolut geleisteten Arbeitsstunden pro Beschäftigtem zwischen 1999 und 2007 rückläufig war. Daher bleibe er bei seinem Standpunkt, nach dem der deutsche Exporterfolg nicht hauptsächlich auf die deutsche Lohnzurückhaltung gegenüber den anderen Eurostaaten zurückzuführen sei.
Wie schon berichtet, ist die Debatte zwischen den Parteien keinesfalls fundamentaler Natur: Alle drei sind sich grundsätzlich einig, dass die bisherige Eurokrisenpolitik – vor allem die Strategie der sogenannten „Internen Abwertung“ – ein ziemliches Desaster war. So hat Bofinger seine Antwort auf Storm auch mit der Überschrift „Friendly Fire“ tituliert.
Hat der Euro eine Zukunft?
Ohnehin könnte die Debatte für den ein oder anderen etwas sehr technisch anmuten. Allerdings geht es in letzter Konsequenz um die Frage: Gibt es für die Eurozone eine Zukunft oder nicht?
Denn der wohl wichtigste Unterschied zwischen den beiden Lagern sind die Schlussfolgerungen, die sie aus ihren Analysen ziehen. Bofinger und Wren-Lewis tendieren, wenn auch nicht ausdrücklich, zu der Position, dass die Eurozone als Ganzes durchaus erhalten bleiben kann – zumindest unter der Bedingung, dass es über höhere Löhne und Inflationsraten in Deutschland zu einer Behebung der durch die Lohnzurückhaltung entstandenen Ungleichgewichte kommt. „Es ist für Deutschland an der Zeit, etwas weniger zu exportieren und die Vorteile davon zu genießen“, schreibt Wren-Lewis.
Bofinger fordert seit langem grundlegende institutionelle und strukturelle Reformen für die Eurozone. Damit sind allerdings nicht solche „Strukturreformen“ gemeint, wie sie etwa Bundesbank-Präsident Jens Weidmann postuliert. Vielmehr spricht sich Bofinger für gemeinsame europäische Konjunkturprogramme aus und steht Ideen wie Eurobonds und einem europäischen Finanzminister grundsätzlich aufgeschlossen gegenüber.
Storm ist da wesentlich pessimistischer. Die Eurozone leide unter einem „Dualismus“ zwischen einem auf Hochtechnologie spezialisierten Kern und einer auf Produkte mit geringem Technologieniveau ausgerichteten Peripherie. Da diese Unterschiede eben nicht hauptsächlich auf die preisliche Wettbewerbsfähigkeit zurückzuführen wären, hält Storm Lohnanpassungen – egal ob in Deutschland oder in der Peripherie – nicht für ausreichend. Es sei höchste Zeit, andere Lösungen zu entwickeln. „Ich fürchte, dafür ist es fast schon zu spät“, so Storm.
(Coverbild: Doha Stadium Plus Qatar via Flickr, CC BY 2.0)