Vollgeld-Debatte

Das Kreditgeld ist nicht das Problem

Die Vollgeld-Initiative will das Kreditgeld abschaffen, um die Spekulation an den Finanzmärkten einzudämmen. Allerdings müsste dafür das Geldsystem selbst gar nicht grundlegend reformiert werden – die Politik sollte vielmehr die Anreizbedingungen ändern und sich nicht länger von einer „marktreligiösen“ Theorie verleiten lassen.

Kampagnentagung der Schweizer Vollgeld-Initiative. Foto: Vollgeld Initiative via Flickr (CC BY 2.0)

In unserem heutigen Geldsystem schaffen Banken durch Kreditvergabe „aus dem Nichts“ Giralgeld (auch Buchgeld oder Kreditgeld genannt). Dabei bekommt der Kreditnehmer zusätzliches Geld auf sein Konto, die Bank eine zusätzliche Forderung. Im Gegensatz zum vom Staat garantierten Bargeld stellt das Giralgeld lediglich eine Forderung gegenüber einer Bank dar. Dieses System gilt vielen Menschen als eine der Hauptursachen für die globale Finanz- und Wirtschaftskrise von 2008/09. So will unter anderem die Vollgeld-Initiative erreichen, dass nicht mehr die Banken das elektronische Giralgeld erzeugen, sondern nur noch die Zentralbank.

Anfang Juli haben wir im Makronom eine Analyse von Stephan Schulmeister zum Vollgeld-System veröffentlicht. Schulmeister kommt darin zu dem Schluss, dass das Vollgeld „ein gut gemeintes Fiasko“ produzieren würde. In einer ebenfalls im Makronom erschienenen Replik hat Reinhold Harringer, Mitglied des Initiativkomitees der Schweizerischen Vollgeld-Initiative, das Konzept gegen diese Kritik verteidigt. Mit dem folgenden Beitrag antwortet wiederum Schulmeister auf Harringers Replik.

 

In meinen Einwänden gegen ein Vollgeldsystem stelle ich nicht in Abrede, dass die Kreditgeldschöpfung der Geschäftsbanken Finanzspekulation und Krisen fördern kann, wenn die Anreizbedingungen im ökonomischen Gesamtsystem Finanzspekulationen attraktiver erscheinen lässt als Realinvestitionen. Um dies zu ändern, muss ich die Anreizbedingungen ändern, nicht aber das Vehikel „Kreditgeld“ – denn dieses kann sowohl für „gute“ Zwecke (realwirtschaftliche Aktivitäten) verwendet werden wie auch für „schlechte“ („Finanzalchemie“).

Es gilt also abzuwägen: Abschaffung des Kreditgelds oder Änderungen der Anreizbedingungen zwecks (Rück)Verlagerung des Gewinnstrebens von der Finanz- zur Realwirtschaft.

Meine Hauptargumente werden von Harringers Replik nicht berührt:

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Schaffe ich das Kreditgeld ab, so können zwar Banken (vielleicht) weniger spekulieren, doch gehen gleichzeitig die enormen Vorteile eines Kreditgeldsystems verloren. Diese bestehen darin, dass es – unter realkapitalistischen Anreizbedingungen – flexibel und dezentral Kreditgeld dort schafft, wo es gebraucht wird. Eine Zentralbank kann diese Funktion nicht erfüllen. Wie soll beispielsweise die EZB in einem so großen Währungsraum wie der Eurozone das Vollgeld zielgenau dorthin lenken, wo es gebraucht wird (indirekt über die „Geldgeschenke“ an Euro-Staaten oder direkt an Banken)? Wie soll sie kontrollieren, ob es tatsächlich für Unternehmenskredite verwendet wird?

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In der elektronisch funktionierenden Finanzwelt können Geld und Kredit bzw. „financial assets“ generell weniger voneinander getrennt werden als je zuvor. Genau das erhofft sich aber das Vollgeldsystem. Konkretes Beispiel: Die wichtigsten Instrumente zur kurzfristigen Interbank-Finanzierung sind schon jetzt die „Repos“ („repurchasing agreements“). Sie sind faktisch Kreditgeld, juristisch aber als Kauf von Wertpapieren mit Rückkaufsvereinbarung konstruiert. Konkret: Bank A verkauft an Bank B Staatsanleihen im Wert von 1 Mrd. Euro mit der Verpflichtung, sie in 24 Stunden zurückzukaufen. Effekt: Bank A bekommt einen „overnight credit“ von 1 Mrd. Euro. Derlei wird durch ein Vollgeldsystem nicht berührt.

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Dahinter steckt das Problem, dass Geld, Kredit und alle „financial assets“ etwas sehr Essentielles gemeinsam haben: Sie repräsentieren genau quantifizierte monetäre Werte (ihr Gemeinsames besteht also nicht nur darin, dass sie mit gleichem Maßstab gemessen werden wie „die Länge von Straßen oder die Höhe von Bäumen“, wie Harringer schreibt).

Das Grundproblem ist also eigentlich trivial: Vollgeld bekämpft nicht spezifisch die Finanzspekulation, sondern schafft eines ihrer Vehikel, das Kreditgeld, ab und damit zugleich das Vehikel für eine zielgenaue Finanzierung realwirtschaftlicher Aktivitäten. Wird durch Änderung der Anreizbedingungen Finanzspekulation spezifisch bekämpft (und zwar nicht nur jene der Banken, sondern auch der Unternehmen und Haushalte), so kann das Vehikel Kreditgeld seinen spezifischen Nutzen entfalten: „Aus dem Nichts“ wird Geld geschaffen, das die Schaffung eines „realen Etwas“ ermöglicht.

Nicht „die Märkte“ haben die Politik unterworfen, sondern die Politik hat sich in einem langen Prozess der Selbst-Entmündigung „den Märkten“ unterworfen

Wäre das Kreditgeld das eigentliche Problem, so hätten wir nicht zwischen 1950 und 1970 Prosperität erleben dürfen. Auch damals schöpften die Banken Geld „aus dem Nichts“ – aber zu nützlichen Zwecken, weil selbst-referentielle Geldvermehrung durch Spekulation (weitgehend) unterbunden wurde. Das lässt sich auch heute machen, und zwar leichter als die meisten glauben. Nicht „die Märkte“ haben die Politik unterworfen, sondern die Politik hat sich in einem langen Prozess der Selbst-Entmündigung „den Märkten“ unterworfen – verleitet von einer „marktreligiösen“ Theorie.

 

Zum Autor:

Stephan Schulmeister ist Wirtschaftsforscher und Universitätslektor in Wien.

 

Hinweise:

Stephans Schulmeisters ersten Beitrag „Das Vollgeldsystem – ein gut gemeintes Fiasko“ finden Sie hier. Dieser Beitrag basierte auf dem WIFO-Working Paper „Das „Vollgeldsystem“ – Notwendige Reform oder gefährliches Allheilmittel?“.

Die Replik der Schweizer Vollgeld-Initiative können Sie hier nachlesen.

Update:

Eine weitere Antwort der Vollgeld-Initiative finden Sie in den Kommentaren unter diesem Beitrag.