Am vergangenen Freitag hat die Europäische Bankenaufsicht (EBA) die Ergebnisse ihres neuesten Stresstests veröffentlicht. Geprüft wurden die Bilanzen von 51 europäischen Großbanken, die zusammen etwa zwei Drittel der gesamten europäischen Bankaktiva ausmachen.
Ein Banken-Stresstest ist eine extrem komplexe Angelegenheit, bei der unheimlich viele Faktoren berücksichtigt werden müssen – angefangen von der Zahl der zu prüfenden Geldhäuser, über die zu analysierenden Bilanzpunkte bis hin zur Abschätzung der Folgen, die ein solcher Test haben kann.
Wenig überraschend haben die Ergebnisse sehr unterschiedliche Reaktionen ausgelöst. Einige Beobachter kritisieren die Ergebnisse als politische motivierte Beruhigungspille, die über den desaströsen Zustand des europäischen Bankensektors hinwegtäuschen soll. Andere wiederum interpretieren den Stresstest als Ausdruck einer erhöhten Widerstandsfähigkeit der Geldhäuser.
Tatsächlich ist es aufgrund der Komplexität der Übung sehr schwer, ein eindeutiges Urteil zu fällen – daher hier eine Übersicht der Argumente, die für oder gegen das von den Aufsichtsbehörden gewählte Test-Design sprechen.
Wurden die Banken wirklich angemessen gestresst?
Im Zentrum des Tests stand die Frage, ob die Eigenkapitalquoten der Banken ausreichend wären, um eine erneute Krise zu überstehen. Dafür wurde im Stress-Szenario unter anderem ein Rückgang des Bruttoinlandsprodukts in der Eurozone in 2016 um 1,2% und um 1,3% in 2017 unterstellt. Zudem wurden neben einem Crash des Immobilienmarktes auch die Rechtsrisiken berücksichtigt, die viele Banken belasten.
„Echte Krisen sehen anders aus: Beim letzten Crash im Jahr 2008 sank die deutsche Wirtschaftsleistung hinterher um 5 Prozent“, schreibt Ulrike Herrmann in der taz. Eine ZEW-Studie kommt zu dem Schluss, dass ein 40-prozentiger Einbruch der weltweiten Aktienmärkte in den nächsten sechs Monaten bei den europäischen Banken Fehlbeträge in Höhe von bis zu 882 Milliarden Euro verursachen würde – also wesentlich mehr, als es die Ergebnisse des Tests naheliegen.
Die Annahme des BIP-Rückgang ist durchaus „stressig“: Selbst in der Krisenjahren 2012 und 2013 brach das Eurozone-BIP nur um weniger als 1% pro Jahr ein. Und eine globale Finanzkrise wie 2008/09 ist halt auch deswegen „historisch“, weil sie glücklicherweise so selten vorkommt. Man erwartet von der Feuerwehr schließlich auch nicht, dass sie ständig genug Mittel bereit hält, um einen Meteoriteneinschlag zu bewältigen. Auch der in der ZEW-Studie unterstellte 40%-Einbruch am Aktienmarkt wäre so ein Extremereignis: Gemessen am MSCI World Index, der die Entwicklung größten weltweiten Aktienindizes widerspiegelt, gab es einen solchen Einbruch in den letzten zehn Jahren nur ein einziges Mal: nämlich während der Finanzkrise von 2008/09.
Außerdem hat die EBA abseits der übergeordneten Szenarien für die einzelnen Banken länderspezifische Annahmen zugrunde gelegt. So wurde beispielsweise ein Einbruch der irischen Wirtschaftsleistung angenommen, der deutlich über dem Durchschnitt der anderen Länder lag. Pro: Es ist absolut sinnvoll, länderspezifische Annahmen zu treffen, schließlich fällt ein Abschwung nicht in jedem Land gleich aus. Contra: Diese Annahmen basieren auf den mehrere Jahre alten Daten – es ist keinesfalls gesagt, dass sich diese Annahmen im Falle einer erneuten Krise wiederholen. Somit werden einzelne Länder bzw. deren Banken nur aufgrund der historischen Erfahrung schlechter bzw. besser behandelt.
Es wurde zwar untersucht, wie sich eine mögliche Zinserhöhung in den USA und eine höhere Finanzmarkt-Volatilität auswirken würden. Ausgeblendet wurde allerdings, wie widerstandsfähig die Banken gegenüber der Niedrigzinspolitik der EZB sind – was definitiv die spannendere Frage wäre. „Das ist so, als wenn man die Wirkung einer Hundepfeife auf einen Gehörlosen messen würde“, kommentiert der Macro Man-Blog. Gerade in Deutschland drückt die lockere Geldpolitik schließlich auf die Gewinnmargen der Banken. Bundesbank und Bafin planen bereits, eine eigene Befragung der Banken zu dieser Problematik durchzuführen.
Sind die Ergebnisse überhaupt aussagekräftig?
Der Test ist aufgrund seiner begrenzten Stichprobe nur bedingt aussagekräftig für den Gesamtzustand des europäischen Bankensektors. Denn anders als 2014 wurden von der EBA nur 51 statt wie damals 124 Banken untersucht. So waren keine zyprischen, griechischen und portugiesischen Banken beim aktuellen Stresstest dabei – obwohl doch gerade diese Länder sehr stark mit notleidenden Krediten zu kämpfen haben.
Die EZB hat aber parallel noch 56 weitere Banken überprüft, die Ergebnisse sollen allerdings nicht veröffentlicht werden (wobei diese mangelnde Transparenz natürlich auch als Contra-Punkt aufgelistet werden könnte).
Der Stresstest ignoriert die Systemrisiken, die durch einzelne Banken ausgelöst werden können. So hat der IWF beispielsweise kürzlich die Deutsche Bank als das größte Bankensystemrisiko der Welt benannt: Eine mögliche Pleite einer der geprüften Großbanken würde aufgrund der Verflechtungen auch andere Banken in die Tiefe ziehen.
Systemische Schockwellen sind nie prognostizierbar – schon gar nicht für einzelne Institute. So ändern sich die Geschäftsbeziehungen etwa über die Kreditvergabe am Interbankenmarkt in rasanter Geschwindigkeit. Außerdem beruhte der Test auf einer „statischen Bilanzannahme“: Aktiva und Passiva der Banken, die während des dreijährigen Zeithorizonts fällig werden, werden durch identische Aktiva und Passiva ersetzt. Viele Banken argumentierten jedoch, dass sie im Krisenfall natürlich ihre Bilanzen entsprechend verändern würden und das Stress-Szenario somit eigentlich viel zu hart war, da es den Banken jede Reaktionsfähigkeit abspricht.
Sind die Ergebnisse frei von politischer Einflussnahme?
„Der Test wird weniger ein Abbild der Lage sein – sondern ein politisches Instrument“, schrieb die Welt schon, bevor die Ergebnisse überhaupt bekannt waren. Damit ist gemeint, dass die Ergebnisse des Stresstests wichtig für die etwaige Staatshilfen bei einer Bankenrettung sind. „Nur, wenn eine Bank im Basisszenario des Stresstests solvent ist, sind staatliche Rekapitalisierungsmaßnahmen ohne umfassende Haftung der Gläubiger möglich“, schreibt dazu Sven Giegold, Finanzexperte der Grünen.
Nach der Finanzkrise war es ein beliebter und zunächst plausibel klingender Slogan, dass nie wieder eine Bank mit Steuergeldern gerettet werden soll. Allerdings kann es unter Umständen durchaus richtig sein, genau dies zu tun. So hätten sich rund um den Globus wohl viele Menschen gefreut, wenn die Lehman Brothers-Pleite verhindert worden wäre – und sie überhaupt weiter hätten Steuern zahlen dürfen und nicht auf Jobsuche hätten gehen müssen. Außerdem ist es ebenfalls sinnvoll, eigentlich solvente Institute zu stützen oder (vorrübergehend) zu verstaatlichen, wenn diese nur durch eine – möglicherweise überzogene – Marktpanik in Bedrängnis geraten sind. Selbst die Rettung von nicht-geschäftsfähigen Banken kann durchaus legitim und muss nicht zum Nachteil des Steuerzahlers sein, wenn so – siehe Ansteckungseffekte – größere Katastrophen verhindert werden.
Wird der Test die Banken auf Vordermann bringen und die Finanzstabilität erhöhen?
Anders als bei früheren Tests gab es bei der aktuellen Ausgabe keine Durchfaller – auf die Vorgabe einer zu erreichenden Eigenkapital-Zielquote wurde verzichtet. Die Ergebnisse bleiben somit ohne direkte Konsequenzen für die Banken. Außerdem könnten die Ergebnisse zu falschen Rückschlüssen führen: Auch Banken, die im Test gut abschnitten, können ein schlechtes Geschäftsmodell haben (und umgekehrt). Die Ergebnisse könnten also den immer noch enorm hohen Reparaturbedarf im Bankensektor verschleiern.
Die EZB wird in den nächsten Wochen und Monaten entscheiden, ob sie einzelne Banken zu Maßnahmen auffordern wird. Die Ergebnisse sollen in den sogenannten Supervisory Review and Evaluation Process (SREP) der EZB einfließen. Das bedeutet, dass die Notenbank als oberster Aufseher entscheiden wird, welche Schlussfolgerungen aus den Ergebnissen zu ziehen sind und eine Bank beispielsweise ihre Dividende kürzen oder eine Kapitalerhöhung vornehmen muss. Dieses individualisierte Verfahren ist schon aufgrund der länderspezifischen Annahmen, die dem Test zugrunde lagen, sinnvoll.
Dieses Verfahren ist extrem kompliziert und intransparent. Die EZB hat so die Möglichkeit, einige Banken gegenüber anderen zu bevorzugen. Außerdem wird der bereits bestehende Konflikt zwischen Aufsicht und Geldpolitik, die beide unter dem Dach der EZB angesiedelt sind, noch weiter verschärft: So könnte etwa die Aufsicht Maßnahmen erwägen, die nicht im Sinne der Geldpolitik wären (oder umgekehrt).
Erstens kann es durchaus sinnvoll sein, dass Geldpolitik und Aufsicht nicht gegeneinander, sondern Hand in Hand arbeiten und Kompromisse finden. Schließlich sind Finanzstabilität und die beispielsweise durch die Leitzinsen geschaffenen geldpolitischen Rahmenbedingungen nicht zwangsläufig Gegensätze. Zweitens haben einige unter Druck stehende Banken bereits vor dem Stresstest reagiert: So haben die italienische Banco Popolare, die spanische Banco Popular und die österreichische Erste Bank unmittelbar vor Veröffentlichung der Ergebnisse Kapital am Markt aufgenommen. Auch die Monte dei Paschi di Siena (MPS) hat eine Lösung für eine Rekapitalisierung gefunden – also genau jene Bank, die im Zentrum der aktuellen italienischen Bankenkrise steht. Somit liegt die (positive) Wirkung des Stresstests nicht allein in seinen veröffentlichten Ergebnissen, sondern auch in dem Handlungsdruck, der durch sie ausgelöst wurde.
Unser heutiges Bankensystem lebt in erheblichem Maße von Vertrauen. Wenn die Märkte oder Kunden an die Solidität einer Bank glauben, sind sie bereit, ihr Geld zu leihen. Wenn sie dieses Vertrauen nicht haben, könnte die Bank Liquiditätsprobleme bekommen. Der Test kann also die Stabilität des Sektors (zumindest kurzfristig) dadurch erhöhen, dass die Marktteilnehmer glauben, dass er es tut. Außerdem liefern die riesigen Datenpakete, die zu den einzelnen Banken veröffentlicht wurden, fachkundigen Analysten eine neue Entscheidungsgrundlage, die dabei helfen kann, besser informierte Investitionsentscheidungen zu treffen.
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