Erbschaftsteuer

Vom Schwert der Demokratie zum hölzernen Kochlöffel

Die Erbschaftsteuer wurde einst geschaffen, um die Demokratie zu schützen. Doch in ihrer gegenwärtigen Form privilegiert sie Vermögende – und führt das Leistungsprinzip ad absurdum. Ein Beitrag von Martyna B. Linartas.

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Unsere Gesellschaft befindet sich inmitten eines tiefgreifenden Transformationsprozesses. Im Zentrum: die Wirtschaft und die Suche nach Wegen zur Nachhaltigkeit. Die nächsten Jahre werden entscheiden, ob uns dieser Wandel by disaster passiert – oder by design gelingt.

Die Debattenreihe Economists for Future (#econ4future) widmet sich den damit verbundenen ökonomischen Herausforderungen und diskutiert mögliche Lösungsansätze. Die Beiträge analysieren Engführungen in den Wirtschaftswissenschaften und Leerstellen der aktuellen Wirtschaftspolitik. Zugleich werden Orientierungspunkte für ein zukunftsfähiges Wirtschaften aufgezeigt und Impulse für eine plurale Ökonomik diskutiert, in der sich angemessen mit sozial-ökologischen Notwendigkeiten auseinandergesetzt wird.

Die Kooperation zwischen Economists for Future e.V. und Makronom startete mit der ersten Ausgabe 2019. Seitdem ist jährlich eine neue Reihe mit wechselnden Themenschwerpunkten erschienen. Die mittlerweile sechste Staffel beleuchtet nun Aspekte rund um das Thema Überfluss. Hier finden Sie alle Beiträge, die bisher im Rahmen der Serie erschienen sind.

Als Matthias Erzberger als Reichsminister der Finanzen im Jahr 1919 der Demokratie Taufpate stand, galt seine besondere Aufmerksamkeit einer Steuer, die heute in Verruf geraten ist: der Erbschaftsteuer.

Man mag es kaum glauben, aber sie war die erste, an die er ran wollte. Der glühende Katholik wurde nicht müde zu betonen, warum er dies tat. Nicht etwa, um die Steuereinnahmen zu erhöhen. Auch ging es ihm nicht in erster Linie darum, die hohen Reparationskosten einzutreiben, die nach der Kapitulation des Ersten Weltkriegs seitens der Siegermächte verlangt wurden. Erzberger ging es darum, Gerechtigkeit walten zu lassen, die Ungleichheit zu senken; vor allem aber musste die Erbschaftsteuer gestärkt werden, um die Demokratie als neue Gesellschaftsform überhaupt zu ermöglichen. Denn ohne eine hohe und progressive Steuer auf Erbschaften würde die Weimarer Republik in Windeseile wieder zu dem verkommen, was sie gerade abzustreifen suchte: eine feudale Gesellschaft. Das ist der Grund, warum die Erbschaftsteuer unter Erzberger, je nach Steuerklasse und Höhe der Erbschaft oder Schenkung, bis zu 90% betrug – und das bereits auf Vermögen im sechsstelligen Bereich (nach heutigem Wert).

Gute 100 Jahre später wird die Erbschaftsteuer nicht als das scharfe Schwert der Demokratie verstanden. Weder in Politik noch Gesellschaft hat sie einen guten Ruf, die meisten Narrative fallen entsprechend aus: Die Erbschaftsteuer sei ein Risiko für Arbeitsplätze, für den Wirtschaftsstandort Deutschland, für mittelständische Familienunternehmen, eine unfaire Doppelbesteuerung und nicht zuletzt würde sie Omas Häuschen gefährden.

All diese Erzählungen bilden das Repertoire an Narrativen der Gegner:innen einer Stärkung der Erbschaftsteuer. Diese Gegner:innen, an ihrer Spitze der Lobbyverband Stiftung Familienunternehmen, sind nicht nur mächtig. Sie waren bei der letzten Erbschaftsteuerreform 2014 bis 2016 diskursiv beinahe im Alleingang unterwegs. Zu Zeiten der Debatte über die Erbschaftsteuer und wie diese zu reformieren sei, war dieses Repertoire – man kann es wohl sagen – hegemonial. Andere Narrative, die diesem widersprachen, drangen kaum durch.

Es verwundert daher nicht, dass die Reform der Erbschaftsteuer nicht in einer Stärkung, sondern in einer weiteren Schwächung mündete. Der Grund für die Reform entsprang nicht der Motivation seitens der Politik; sie folgte dem Auftrag, den das Bundesverfassungsgericht Ende 2014 an die Politik richtete. Die Erbschaftsteuer wurde als in Teilen verfassungswidrig erklärt. Angeführte Gründe gab es zwei. Der erste Grund, den alle Richter:innen in Karlsruhe teilten, bestand in der überprivilegierten Behandlung von Betriebsvermögen gegenüber anderen Formen von Vermögen (Art. 3 Grundgesetz).

Der zweite Grund wurde von drei Bundesverfassungsrichter:innen durch ein Sondervotum angeführt und stellte ein Novum in der Rechtsprechung der Erbschaftsteuer dar. Erstmals wurde auf das Sozialstaatsprinzip laut Artikel 20 des Grundgesetzes verwiesen, um die Gerechtigkeitsdimension sichtbar zu machen: „Die Erbschaftsteuer dient nicht nur der Erzielung von Steuereinnahmen, sondern ist zugleich ein Instrument des Sozialstaats, um zu verhindern, dass Reichtum in der Folge der Generationen in den Händen weniger kumuliert.“

Als die Richter:innen das Urteil fällten, bezogen sie sich dabei auf die hohe Vermögensungleichheit in Deutschland. Es sei ein Missstand, dass die reichsten 10% der Bevölkerung ganze 60% des Vermögens besitzen würden. Eine ganz schön große Schere zwischen den Wohlhabenden und dem Rest. Bereits damals war Deutschland in punkto Vermögen eine der ungleichsten Demokratien der Welt, auf einem Level etwa mit Ländern wie Mexiko. Und Stand heute? Ist die Schere nochmals größer geworden: Nach den zuverlässigsten Berechnungen, die es zur Fragen der Vermögensverteilung gibt, verfügt das reichste Dezil nicht über 60, sondern über 67% allen Vermögens. Titelte der Spiegel 2018 noch, dass die reichsten 45 Familien so viel Vermögen besitzen wie die gesamte ärmere Hälfte der Bevölkerung, sind es heute nur noch zwei Familien, die sogar mehr Vermögen besitzen, als die ärmeren 42 Millionen Menschen hierzulande. Ein Skandal – der sich weiter zuspitzt.

Arbeitest Du noch – oder erbst Du schon?

Eine schwache Erbschaftsteuer trägt in großem Maße zu eben diesem Phänomen bei. Bei der Analyse der extremen Vermögensungleichheit in Deutschland gilt es, nach zwei Komponenten zu differenzieren: Das Vermögen, das man im Laufe des eigenen Lebens erwirtschaftet, plus jenes Vermögen, das einem durch Erbschaften und Schenkungen in den Schoß fällt.

Das Verhältnis dieser beiden Faktoren sagt viel darüber aus, wie bedeutend Einkommen (und das Ersparte hieraus) im Verhältnis zu Erbschaften in einer Gesellschaft sind. Wäre Deutschland eine sogenannte Leistungsgesellschaft, in der es mehr darauf ankommt, was man im Laufe des Lebens erarbeitet, in der sich Arbeit auch wirklich lohnt, wäre dieser Anteil größer. In Leistungsgesellschaften sind eigens aufgebaute Vermögen bedeutender als Erbschaften.

Eine Erbengesellschaft hingegen ist eine Gesellschaft, die sich durch einen hohen Anteil von Erbschaften und eine hohe Persistenz des Vermögens im Kreise der Familie auszeichnet. Lag der Anteil von Erbschaften und Schenkungen am Gesamtvermögen in Deutschland in den 1970er Jahren noch bei nur knapp über 20%, sind es heute bereits über 50% – Tendenz steigend. Mit Blick auf Vermögen (und damit einhergehend auf Lebenschancen, Sicherheit, Immobilien und Macht), kommt es also zunehmend darauf an, in welche Familie man geboren wird.

Erbschaften sind an sich nicht problematisch – wären sie mehr oder minder gleich verteilt. Doch dem ist nicht so. Die reichsten 10% der Bevölkerung erhalten etwa die Hälfte aller Erbschaften. Nur die oberen 25 bis 30% bekommen nennenswerte Vermögen von 100.000 Euro oder mehr. Die ärmere Hälfte erbt nichts oder sogar Schulden (die sie zum Glück ausschlagen kann).

Hinzu kommt, dass sich in Fragen von Erbschaften das sogenannte Matthäus-Prinzip aus der Bibel bewahrheitet: „Denn wer hat, dem wird gegeben.“ In aller Regel erhalten diejenigen eine satte Summe, die ohnehin höhere Einkommen erzielen und bereits eigene Vermögen aufgebaut haben. Denn neben dem monetären Vermögen, gibt es das soziale und kulturelle Kapital: Wurde einem in der Kindheit oft vorgelesen, erhielt man Nachhilfe, ging man in Museen, darf man dank der Beziehungen der Eltern auf ein gutes Praktikum und Hilfestellung bei Bewerbungsgesprächen hoffen? Diese Formen des kulturellen und sozialen Kapitals machen – mit Pierre Bourdieu gesprochen – den „feinen Unterschied“. Kinder wohlhabender Eltern sind also doppelt bevorteilt: Ihre sozio-ökonomische Herkunft positioniert sie im Laufe des Lebens bereits vor Kindern aus ärmeren Haushalten – und zusätzlich erhalten sie auch noch höhere Erbschaften und Schenkungen.

Mythos Arbeitsplätze

Es gibt allerdings auch einen zweiten, dem Matthäus-Prinzip ähnlichen Effekt: „Denn wer hat, dem wird weniger genommen.“ An dieser Stelle wird es nun richtig problematisch. Denn eigentlich ist die Erbschaftsteuer progressiv angelegt – wer mehr erbt, sollte mehr Steuern zahlen. Doch tatsächlich zahlen die Erb:innen der größten Vermögen kaum bis gar nichts – ganz im Unterschied zur Mittelschicht. Und hier schließt sich nun der Kreis nach Karlsruhe: Denn dies liegt vor allem an den Betriebsvermögen, die privilegiert behandelt werden. Diese Privilegierung ist recht jung. Erst Ende der 1990er Jahre wurde sie langsam, aber stetig im Zuge der neoliberalen Steuerreformen ein-, und im Verlauf der Jahre immer weiter ausgebaut.

Betriebsvermögen sind eine bestimmte Form von Vermögen, die alle Wirtschaftsgüter umfassen, die der oder dem Inhaber:in eines gewerblichen Betriebs gehören und gesetzlich anders behandelt werden als andere Formen von Vermögen, wie etwa Aktien, Geldvermögen oder Immobilien. Diese Andersbehandlung ist in mehrfacher Hinsicht kritisch zu sehen und – nach meinem Dafürhalten – verfassungswidrig. Denn die Betriebsvermögen sind extrem ungleich verteilt. Die reichsten 1,5% der Deutschen (also alle Millionärinnen und Milliardäre im Land) verfügen über mehr als 86% des gesamten Betriebsvermögens. Betriebsvermögen sind der wichtigste Faktor für die Erklärung der extremen Vermögensungleichheit in Deutschland (auf Platz zwei folgen Immobilien). Das bedeutet im logischen Umkehrschluss: Wer Betriebsvermögen privilegiert, privilegiert vor allem die reichsten Deutschen.

Und das tut die Politik. Laut Subventionsbericht der Bundesregierung geht die größte aller Subventionen nicht etwa an Kinder in Armut, wird zur Sanierung maroder Schulen genutzt oder an die Bauern im Lande weitergereicht. Nein, das größte aller Steuergeschenke geht an die reichsten Firmenerb:innen. Was wie ein schlechter Witz klingt, ist Realität. Seit 2009 kosten uns die Privilegien für Überreiche über 84 Milliarden Euro, wie aus der Erbschaftsteueruhr der Friedrich-Ebert-Stiftung hervorgeht. Diese gibt an, wie hoch die indirekte Steuersubvention ist. Und diese Uhr tickt, rasend schnell. Jeden Tag werden es Millionen Euro mehr.

Der Grund für die Sonderbehandlung von Betriebsvermögen beruht vor allem auf der Erzählung, dass ohne diese Privilegierung Arbeitsplätze gefährdet wären. Doch diese Behauptung hält keiner empirischen Überprüfung stand. Sei es der Wissenschaftliche Beirat beim Bundesministerium der Finanzen oder zahlreiche Fallstudien aus dem OECD-Raum: Sie alle legen nahe, dass dieses Narrativ des Arbeitsverlustes nicht mehr als ein Mythos ist.

Erbschaften spielen eine immer größere Rolle in Fragen der Vermögensungleichheit. Gleichzeitig werden sie kaum besteuert und die reichsten Erb:innen der größten Familiendynastien erhalten auch noch die größten Steuergeschenke. Matthias Erzberger würde sich im Grabe umdrehen, wenn er wüsste, dass aus dem Schwert der Demokratie, der Steuer, die dem feudalen System den Todesstoß verpassen sollte, nun ein hölzerner Kochlöffel geworden ist. Die Lobby des großen Geldes hat es geschafft, dass die Politik ihnen ein Süppchen nach altem Rezept kocht. Die wichtigste Zutat für gute Aussichten auf ein Vermögen? Es ist und bleibt, ganz nach feudalem Geschmack, die Familie.

 

Zur Autorin:

Martyna Berenika Linartas ist Politikwissenschaftlerin, lehrt an der Freien Universität Berlin, an der Hochschule für Gesellschaftsgestaltung in Koblenz und arbeitet als Postdoc zum Thema (Re-)Produktion von Vermögen in Deutschland (finanziert durch die Volkswagenstiftung). 2022 hat sie die Wissensplattform ungleichheit.info mitgegründet, leitet diese seitdem und ist Teil der Inequality Steering Group der Denkfabrik Forum New Economy sowie Mitglied der Werteakademie. Im Frühjahr 2025 erscheint ihr Buch „Unverdiente Ungleichheit. Wie der Weg aus der Erbengesellschaft gelingen kann“ (Rowohlt).