Mit der Bundestagswahl sollte nicht nur ein Regierungswechsel, sondern ein Politikwechsel eingeleitet werden. Als die Wahlkämpfer das versprachen, konnten sie noch nicht wissen, welche Dimensionen dieser Politikwechsel annehmen würde. Nun diktiert nicht nur der Oligarch in Moskau, sondern auch der Deal-Maker im Weißen Haus das Geschehen.
In der „Zeitenwende 2.0“ müssen die Prioritäten neu gesetzt werden und neue Schulden (Sondervermögen) scheinen unumgänglich für die (äußere) Sicherheit einerseits und für die Infrastruktur andererseits. Die Größenordnung von ca. einer Billion Euro würde die bestehende Schuldenlast von 2.500 Milliarden Euro um 40% erhöhen. Damit sind Zins- und Tilgungszahlungen verbunden, die zukünftige Haushalte vorbelasten und parlamentarische Entscheidungsspielräume einschränken.
Nur wenn das BIP wächst, kann dieser Effekt (teilweise) kompensiert werden, laufen Schuldenquote und Tragfähigkeit nicht aus dem Ruder. Bei Null-Wachstum oder gar einer Schrumpfung (Degrowth) würde sich eine dramatische Zuspitzung ergeben. Aus der Verschuldungsorgie ergibt sich daher ein weiterer Grund, warum die anhaltende Wachstumsschwäche unbedingt überwunden werden muss.
Aber was wird unter diesen geopolitischen Bedingungen und der dadurch erzwungenen Priorisierung von Sicherheit und Wachstum aus dem Klimaschutz und anderen ökologischen Zielen? Sowohl in Deutschland als auch auf europäischer Ebene gibt es bereits zahlreiche Ansätze und Versuche, Klimaschutz zurückzudrängen, z.B. um die Auto-Industrie zu entlasten. Die im Rahmen des Pakets vorgesehenen zusätzlichen acht Milliarden Euro pro Jahr bzw. 100 Milliarden über zwölf Jahre sind nicht Nichts, aber sicherlich nicht genug, um die notwendigen Anstrengungen gegen den Klimawandel voranzutreiben. Unzweifelhaft kommen auf den Klimaschutz schwere Zeiten zu.
Ein Ausweg könnte sich auftun, wenn die neue Regierung erfolgreich ist, und das Wachstum zurückkehrt, genauer: Wenn die schuldenfinanzierten Staatsausgaben (plus angekündigter „Strukturreformen“) nicht nur die Rezession überwinden, sondern den langfristigen Wachstumstrend nach oben korrigieren. Gehen wir an dieser Stelle einmal davon aus, dass die CDU ihr Versprechen erfüllen kann und das Wachstum auf 2% pro Jahr gegenüber einem „business-as-usual“-Szenario von unter 1% gesteigert werden kann. Dann stellt sich die Frage: Wie wirkt die Restauration der Wachstumsperspektive auf den Klimaschutz? Könnten von der Rückkehr höherer Wachstumsraten auch positive Effekte auf den Klimaschutz (bzw. Umweltschutz allgemein) ausgehen?
Das klingt zunächst etwas kontraintuitiv. Denn kurzfristig (ceteris paribus) führt eine höhere Produktion zu höheren Umweltbelastungen. In der längerfristigen Perspektive könnten von mehr Wachstum aber gesellschaftliche und technologische Impulse (Innovationen) ausgehen, die per saldo die Reduzierung von Umweltbelastungen beschleunigen. Im Folgenden soll untersucht werden, unter welchen Bedingungen eine „wachstumsorientierte Klimapolitik“ Erfolg haben könnte, d.h. mit einer höheren Wachstumsrate des BIP die CO2-Emissionen schneller gesenkt werden könnten.
Wachstum als Treiber des Klimaschutzes?
Ausgangspunkt der Analyse ist eine Komponentenzerlegung der CO2-Emissionen. Diese ergibt, wovon die Veränderung der CO2-Emissionen abhängig ist, nämlich von der Veränderung des BIP bzw. des Produktionsvolumens: Je höher die Wachstumsrate, desto schneller steigen die CO2-Emissionen. Im Spezialfall eines Nullwachstums hängt die Dekarbonisierungsrate nur davon ab, wie sich die CO2-Intensität entwickelt. Der (wirtschafts-)politisch interessanteste Fall ist der einer sinkenden CO2-Intensität und insbesondere der Fall, dass die CO2-Intensität (deutlich) schneller sinkt als das BIP wächst. Dann wird der wachstumsbedingte Anstieg der CO2-Emissionen überkompensiert – trotz Wachstum sinken die CO2-Emissionen („absolute Entkoppelung“).
Hinter der sinkenden CO2-Intensität steht die Steigerung der Energie-Effizienz (Energieverbrauch pro BIP-Einheit) und die Substitution von fossilen durch CO2-freie (erneuerbare) Energieträger. Entscheidend kommt es auf die Richtung des technischen Fortschritts an, die durch Preissignale und F&E-Förderung beeinflussbar ist; eine zentrale Rolle spielt auch das Marktvolumen und die damit verbundenen Skaleneffekte (Kostendegression).
Eine einfache Hypothese geht vom Zusammenhang zwischen der CO2-Intensität und der Wachstumsrate des BIP aus. Die CO2-Intensität ist dabei eine Funktion der Wachstumsrate und einem Bündel anderer Bestimmungsfaktoren. Wenn das BIP (schneller) wächst, dann sinkt c.p. die CO2-Intensität (schneller). Es wird also erwartet, dass mehr Wachstumsdynamik positive Spillover-Effekte hat und auf vielen, nicht im Detail nachweisbaren Wirkungskanälen, auch die Energie-Effizienz und die Faktor-Substitution stimuliert – als ein „automatisches“ Nebenprodukt des Wachstumsprozesses.
Wenn dieser Zusammenhang gilt, verschwindet der Zielkonflikt und Wachstum wird vom Klimasünder zum Klimaschützer. Dieses Versöhnungs-Narrativ einer „wachstumsorientierten Klimapolitik“ ist grundsätzlich möglich. Die Erfolgsaussichten hängen aber von einigen Bedingungen ab, die nicht leicht zu erfüllen sind:
Die BIP-Wachstumsrate müsste steuerbar sein, d.h. es gibt (Instrumente für) eine wirksame Wachstumspolitik. Die Überwindung der Wachstumsschwäche ist gewollt und gelingt.
Eine höhere Wachstumsrate hat eine positive Wirkung auf die (Senkung der) CO2-Intensität, insbesondere über die (CO2-sparende) Richtung des technischen Fortschritts.
Diese Wirkung ist so stark, dass sie den Wachstumseffekt überkompensiert.
Die Wirkung auf die CO2-Intensität muss synchron mit dem zusätzlichen BIP-Wachstum kommen; Timelags würden (temporär) zu höheren CO2-Emissionen führen.
Die negativen Nebenwirkungen einer höheren Wachstumsrate auf andere (ökologische, sozio-ökonomische) Ziele sind vernachlässigbar.
Mit den höheren Einkommen nimmt die Präferenz und Akzeptanz für Klimaschutz tatsächlich zu, was die Durchsetzung von wirksamen wirtschaftspolitischen Maßnahmen erleichtert.
Wenn der kausale Zusammenhang besteht, signifikant ist und sich die Prozessdynamik innerhalb politisch relevanter Zeiträume vollzieht, kann Klimaschutz nicht nur unabhängig vom Wachstum (Entkoppelung), sondern Wachstum auch ein Instrument auch zur Erreichung von Klimaschutzzielen (Reduktionszielen) sein. Ansonsten, also ohne den Nachweis der Erfüllung dieser Bedingungen, gilt: Wachstum ist keine (zuverlässige, sichere) Lösung. Höheres Wachstum verbunden mit der bloßen Hoffnung auf einen später einsetzenden Innovationsschub ist Hoch-Risiko. Im ungünstigsten Fall ergibt sich ein (ökologisches) Weiter-So mit erhöhtem (Wachstums-)Tempo. Spezifische Klimaschutzpolitik bleibt daher weiterhin unverzichtbar.
„Kein Wachstum“ (Degrowth) wäre demnach nicht zwingend ein Beitrag zur schnelleren Reduktion der CO2-Emissionen. Daran anknüpfend zu beachten bzw. zu untersuchen ist die These: Wenn die Wirtschaft nicht wächst, lahmt auch der Klimaschutz; wenn sie schrumpft, hat das sogar negative Wirkungen auf die Entwicklung der CO2-Intensität und kommt die Dekarbonisierung insgesamt langsamer voran. Auch im Degrowth-Fall müsste spezifische Klimapolitik fortgesetzt werden, die Anreize für Energie-Effizienz und Substitution setzt und zusätzlich eine Suffizienzpolitik etabliert werden, die das Weniger in allen Bedarfsfeldern (Wohnen, Mobilität, Ernährung etc.) ermöglicht.
Fall-Beispiel Deutschland
Im deutschen Klimaschutzgesetz (KSG) ist festgelegt, dass bis 2045 Klimaneutralität erreicht werden soll, d.h. die CO2-Emissionen auf eine „Restmenge“ von 50 Millionen t reduziert werden sollen. Von 1.250 Millionen t im Referenzjahr 1990 ausgehend, ist in Deutschland bereits eine Reduzierung auf 674 Millionen t (2023) gelungen. Wenn man vereinfachend und optimistisch annimmt, dass 2025 die Reduzierung auf 600 Millionen t gelingt, so ergeben sich folgende Reduktionsraten:
- Die tatsächliche Reduktionsrate von 1990-2025 (von 1.250 auf 600) liegt bei ca. 2% p.a.
- Die notwendige Reduktionsrate von 2025-2045 (von 600 auf die „Restmenge“ 50) beträgt ca. 12 % p.a.
Wenn der 2%-Trend fortgesetzt würde, ergäbe sich 2045 eine Zielabweichung von 350 Millionen t. Es stellt sich damit die Frage: Ist eine Reduktionsrate von 12% p.a. (ab sofort) erreichbar?
Hoffnung machen die Jahre 2020 und 2023 mit Reduktionsraten von 8% bzw. 10%. Allerdings waren diese ökologischen Erfolgsjahre mit signifikanten Steigerungen der Energiepreise und einer Rezession verbunden. Aus den sozio-ökonomischen Belastungen sind system-gefährdende politische Friktionen entstanden – also kein zukunftsfähiger Pfad.
Für 2025/26 würde eine Reduktionsrate um 12% eine Reduzierung von 72 Millionen t bedeuten. Das wäre nur denkbar, wenn sich die Wirtschaftskrise fortsetzt und verschärft. Tatsächlich erreicht wurde 2024 eine Reduktion um 23 Mio. t (3,4%). Eine dauerhafte Anhebung der Reduktionsrate vom 2%-Niveau auf eine Größenordnung von 12% p.a. erscheint unerreichbar – dafür gibt es kein (sozialverträgliches) Konzept. Das Entkoppelungs-Green-Growth-Narrativ versagt im Hinblick auf die Dimension der Herausforderung.
Selbst bei (moderatem) Degrowth von z.B. 1% p.a. (ca. 20% bis 2045), wäre ein gewaltiger Rückgang der CO2-Intensität um mehr als 10% jährlich erforderlich. Dass dies als Nebeneffekt einer erfolgreichen Wachstumspolitik mit einer höheren Wachstumsrate gelingen könnte, erscheint äußerst unwahrscheinlich. Es werden daher signifikante Lücken verbleiben.
Perspektiven Beyond Growth
Wenn beide dargestellte Optionen – vereinfacht: mehr Effizienz (Technologie) und Suffizienz (weniger Konsum, weniger Produktion) – nicht ausreichen bzw. geringe Durchsetzungschancen haben, gewinnt eine Option an Einfluss, die auf CO2-Abscheidung und Deponierung setzt: Carbon Capture and Storage (CCS) und Direct Air Capture (DAC). CCS wird international und auch in Deutschland vorbereitet und umgesetzt. Mit DAC sollen längerfristig negative Emissionen erzielt und „Overshoot“ kompensiert werden. Mit dem CCS-DAC-Pfad würden hohe Risiken (Deponien, Pipelines) und Kosten in Kauf genommen, d.h. eine Lastverschiebung in die Zukunft erfolgen.
Auch ohne diesen Irrweg werden für die reichen Länder, die ihr Klimabudget überziehen, hohe Kosten entstehen. Deutschland wird – nicht nur innerhalb der EU – hohe Kompensationszahlungen leisten müssen und braucht auch deshalb eine robuste Wirtschaft und eine resiliente Gesellschaft. Im Transformationsprozess wäre dafür (schwaches) Wachstum hinnehmbar, wenn damit die Entstehung einer Abwärtsspirale verhindert werden kann („slower by design“, Peter A. Victor). Zu erwarten ist aber, dass Degrowth die Bürger*innen erreichen wird, sie weniger Brutto-Einkommen und „weniger Netto vom Brutto“ haben werden. Vordringlich ist daher die Korrektur der (wachstumsfixierten) Zukunftserwartungen. Auch mit viel Geld (Schulden) kann der Staat den Tsunami der Veränderungen und der Erdüberlastung nicht von den Bürger*innen fernhalten. Sicherheit in der Zeitenwende 2.0 hat einen hohen Preis.
Zum Autor:
Rudi Kurz war bis 2017 Professor für Volkswirtschaftslehre an der Hochschule Pforzheim. Zu seinen Forschungsschwerpunkten zählen Innovation, Wirtschaftswachstum, Umweltökonomie und Nachhaltige Entwicklung. Aktuell ist er Sprecher des BUND-Arbeitskreises Wirtschaft und Finanzen.