Verteidigungsausgaben

Zeit für eine Koalition der Schuldner?

Die NATO-Staaten wollen ihre Verteidigungsausgaben massiv steigern – doch Steuererhöhungen, Kürzungen bei den Sozialausgaben oder neue Schulden drohen zum politischen Minenfeld zu werden. Mit einer kollektiven Initiative könnte der Spagat gelingen.

Vor einigen Wochen haben sich die NATO-Staaten darauf geeinigt, erheblich mehr in ihre Verteidigung und Sicherheit zu investieren. Sie wissen jedoch nicht, wie sie das ehrgeizige Ziel erreichen sollen, die Militärausgaben bis 2035 auf 3,5% des BIP zu erhöhen und durch weitere Sicherheitsausgaben auf insgesamt 5% zu steigern. Die drei Finanzierungsoptionen liegen auf der Hand und sind gleichzeitig eine große Herausforderung: Steuererhöhungen, Kürzung anderer öffentlicher Ausgaben oder Erhöhung der öffentlichen Kreditaufnahme. Die Koalition der Willigen ist in der Praxis eine Koalition der Eingeschränkten.

Denn gleichzeitig stehen die meisten dieser Länder bereits vor großen finanzpolitischen Herausforderungen, einschließlich der Verpflichtung, mehr für den Klimawandel auszugeben und dem demografischen Wandel Rechnung zu tragen. Von den 23 EU-Mitgliedern in der NATO überschreitet mehr als die Hälfte den EU-Schuldenrichtwert von 60% des BIP, ebenso wie Großbritannien, Kanada und die USA. In vier der größten NATO-Mitglieder, einschließlich der USA, übersteigt die Staatsverschuldung derzeit 100% des BIP. Von den Ländern mit einem großen Militär haben nur die Türkei und Polen einen größeren fiskalpolitischen „Spielraum”.

Sofern das Wachstum nicht entgegen den derzeitigen Prognosen deutlich ansteigt, könnten die Ausgaben für Verteidigung und Sicherheit, insbesondere in Europa, politisch schwierige Entscheidungen über die Kürzung von Gesundheits- und Sozialausgaben erfordern. Eine Teillösung wären bessere Programme zur Förderung von Arbeit, die die Beschäftigungsquote und damit die Steuerbasis erhöhen. In vielen Ländern müssen jedoch zusätzliche Mittel generiert werden, um Haushaltskrisen zu vermeiden.

Eine Koalition der Schuldner?

Eine glaubwürdige Antwort wäre eine kollektive Schuldenaufnahme, bei der die gesamten zusätzlichen Mittel für höhere Verteidigungs- und Sicherheitsausgaben verwendet würden: eineKoalition der Schuldner“ (coalition of the borrowing). Die Argumente für diese Form der Schuldenfinanzierung für die Verteidigung sind überzeugend. Die Bedrohung des Friedens birgt enorme Risiken von Chaos und Unordnung, so dass eine Investition in die Verringerung des künftigen Kriegsrisikos die beste Versicherungspolice sein könnte.

Im Großen und Ganzen gibt es dafür drei Möglichkeiten, die alle rasch vereinbart und umgesetzt werden könnten. Die erste wäre eine gemeinsame „NATO-Anleihe“ für die Verteidigung. Es gäbe heikle Fragen zu klären, nämlich die nach einem potenziellen Garantiegeber (die NATO, mit oder ohne direkte Verpflichtung der USA bzw. EU?), wobei allerdings kaum zu erwarten ist, dass die Garantien in Anspruch genommen werden. Auch stellt sich die Frage, wie die Anleihen in den nationalen Systemen verbucht werden sollen.

Die EU reagierte erfolgreich auf die Pandemie, indem sie Kredite aufnahm, um ihr 800 Milliarden Euro schweres „Next Generation EU”-Programm zu finanzieren, für das die Mitgliedstaaten gemeinsam über den EU-Haushalt bürgen. Ein weiteres EU-Beispiel war die (ebenfalls erfolgreiche) „SURE“-Initiative mit einem Volumen von 100 Milliarden Euro im Jahr 2020, die es den Staaten ermöglichte, bei der EU-Kommission Kredite aufzunehmen, um Kurzarbeiterprogramme zu finanzieren.

Solche Darlehen sind als „Back-to-Back” bekannt, weil die Kommission einen Kredit aufnimmt und ihn dann an den jeweiligen Mitgliedstaat weiterverleiht, so dass dieser von den günstigen Kreditkonditionen der Kommission profitieren kann. Dies funktioniert, weil die EU von den Rating-Agenturen mit einem sicheren „AAA”-Rating bewertet wird. Der Mitgliedstaat haftet für die Rückzahlung an die Kommission und dann wieder an die Finanzmärkte, wobei der EU-Haushalt für die (unwahrscheinliche) Eventualverbindlichkeit eines Zahlungsausfalls bürgt.

Die EU tut dies mit ihrer Initiative Security Action for Europe (SAFE) zur Unterstützung der Beschaffung von Verteidigungsgütern erneut. Die im Mai dieses Jahres ins Leben gerufene SAFE-Initiative ermöglicht es der Kommission, Kredite in Höhe von bis zu 150 Milliarden Euro aufzunehmen, die in Form von langfristigen Darlehen für die gemeinsame Beschaffung von Verteidigungsgütern an die Mitgliedstaaten verteilt werden. Die Fazilität steht auch den EFTA-Ländern und jenen Ländern offen, mit denen die EU eine Sicherheits- und Verteidigungspartnerschaft unterhält. Dazu zählt inzwischen auch Großbritannien.

Ein paneuropäischer Verteidigungsfonds wäre finanziell weniger herausfordernd als die Next Generation EU-Initiative, da letztere eine Mischung aus Zuschüssen (die später aus dem EU-Haushalt zurückgezahlt werden müssen) und Darlehen darstellt, die von den Mitgliedstaaten über die Kommission zurückgezahlt werden. Der große Vorteil der Darlehenskomponente bestand jedoch darin, dass die fiskalisch schwächeren Mitgliedstaaten Kredite zu wesentlich günstigeren Zinssätzen aufnehmen konnten.

Kollektives Handeln

Zweitens könnte ein Europäischer Verteidigungsmechanismus (European Defence Mechanism, EDM) eingerichtet werden, um die Beschaffung von Verteidigungsgütern zu unterstützen, wie es die Forscher von Bruegel befürworten. Sie schlagen vor, dass die teilnehmenden Länder Anteilseigner und Garanten sind. Dies entspräche dem Prinzip des Europäischen Stabilitätsmechanismus (ESM), der 2012 durch einen zwischenstaatlichen Vertrag außerhalb der EU-Rechtsordnung eingerichtet wurde und makroökonomische Unterstützung für Länder bietet, die sich in einer Liquiditätskrise befinden. Ein EDM könnte sich auch auf Großbritannien, Kanada und die Türkei erstrecken.

Wenn eine kollektive Reaktion nicht möglich ist, wäre die dritte Option eine jährliche nationale Anleiheemission in jedem Land in Höhe von z. B. 1% des BIP. Bei gleichzeitiger Umsetzung in jedem Land (außerhalb seiner derzeitigen Haushaltsregeln) könnte dieser Ansatz die Anfälligkeit für den Druck des Anleihemarktes begrenzen.

Polen, das mit 4% bereits die höchsten Verteidigungsausgaben aller NATO-Mitglieder aufweist (die drei baltischen Staaten folgen auf den nächsten Plätzen), nutzt einen außerbudgetären Fonds zur Unterstützung der Streitkräfte, der von der staatlichen Nationalen Entwicklungsbank verwaltet wird. Deutschland hat nicht nur seine strenge Schuldenbremse gelockert, sondern auch auf einen Sonderfonds – das Sondervermögen Bundeswehr – zurückgegriffen. Im Falle Großbritanniens könnten die Lehren aus dem Krieg von 1914-18 durch die Ausgabe von Kriegsanleihen und die Aufforderung an patriotische Bürger, einen Beitrag zu leisten, neu gelernt werden.

Natürlich gäbe es noch viele Details zu regeln. Eine Herausforderung für die EU-NATO-Mitglieder besteht beispielsweise darin, die höheren Verteidigungsausgaben mit ihren nationalen Haushaltsvorschriften und, insbesondere für die Mitglieder der Eurozone, mit den parallelen EU-Vorschriften in Einklang zu bringen. Anfang Juli hat der EU-Ministerrat jedoch den Anträgen von 15 Mitgliedstaaten zugestimmt, zusätzliche Kredite von bis zu 1,5% des BIP aufnehmen zu dürfen, sofern diese ausschließlich für die Verteidigung bestimmt sind. Zu den 15 Ländern gehört auch Deutschland, einst Europas größter finanzpolitischer Falke. Der EDM-Vorschlag von Bruegel legt im Übrigen als Reaktion auf Bedenken, dass Länder nationale Verteidigungsunternehmen bevorzugen könnten, was zu Ineffizienzen führen würde, auch dar, wie der Mechanismus offene Beschaffungsverfahren sicherstellen könnte.

Es sind jedoch die Grundsätze, auf die es ankommt. Kollektives Handeln hat sich in der Vergangenheit bewährt und war von vornherein ein Merkmal der Reaktion auf die globale Finanzkrise 2008. Hätte ein Land allein gehandelt, wäre es Gefahr gelaufen, von den Märkten als Ausreißer bestraft zu werden. Es hat damals bei der Rekapitalisierung von Banken funktioniert, und es ist genau die Antwort, die wir jetzt brauchen, um einen Krieg zu verhindern, indem wir uns auf einen Krieg vorbereiten, ohne die sozialen Verträge Europas zu brechen oder eine Haushaltskrise auszulösen. Könnte eine Koalition der Schuldner die Lösung sein?

 

Zum Autor:

Iain Begg ist Professorial Research Fellow am Europäischen Institut der London School of Economics and Political Science. Seine Forschungsschwerpunkte sind die politische Ökonomie der europäischen Integration und die wirtschaftspolitische Steuerung der EU.

Hinweis:

Dieser Beitrag ist zuerst in englischer Sprache im EUROPP-Blog erschienen.