In Deutschland sind die Mieten und Kaufpreise in den letzten Jahren rapide gestiegen, besonders in den Städten. Hohe Wohnungskosten gelten als eines der drängendsten politischen Probleme unserer Zeit. Dies betrifft längst nicht mehr nur die Metropolen wie Berlin, Hamburg und München, sondern auch viele kleinere Großstädte sowie kleinere Städte in Ballungsräumen. Doch was treibt eigentlich diese große Nachfrage nach Wohnraum in Städten? Zusammen mit meinen Koautoren Fabian Bald (Viadrina), Duncan Roth (IAB) und Tobias Seidel (Universität Duisburg-Essen) bin ich dieser Frage in einem aktuellen Diskussionspapier der Berlin School of Economics nachgegangen.
Produktivitätsvorteile und entsprechend höhere Löhne wurden bereits seit Alfred Marshalls bahnbrechender Arbeit von 1890 als mögliche Treiber der Urbanisierung identifiziert. Es gibt zahlreiche Belege dafür, dass die Produktivität in Städten höher ist, was sie zu attraktiven Arbeitsorten macht. Städte können jedoch auch als Wohnorte aufgrund urbaner Annehmlichkeiten ansprechend sein, etwa durch eine vielfältige Gastronomie, ein reichhaltiges Kulturangebot oder eine lebendige Kunstszene. Im Gegensatz dazu bieten ländliche Regionen Vorteile wie eine hohe Umweltqualität (saubere Luft) oder natürliche Annehmlichkeiten (Wälder und Seen).
Ökonomen bezeichnen die Gesamtwirkung all dieser Annehmlichkeiten auf die Attraktivität eines Standorts als Lebensqualität. Während es eine umfangreiche ökonomische Literatur zur Messung der Lebensqualität gibt, wissen wir wenig darüber, ob sie in Städten höher ist als in ländlichen Gebieten. Der wissenschaftliche Nachweis, dass Städte ein besonders hohe Lebensqualität aufweisen, was die steigenden Immobilienpreise erklären könnte, steht noch aus. In unserer Studie argumentieren wir, dass das Fehlen eines solchen Nachweises auf Messfehler zurückzuführen sein könnte.
Die Wohnortentscheidungen der Menschen messen
Empirisch ist es schwierig, Lebensqualität zu messen, da viele Einflussfaktoren – etwa die ästhetische Qualität der gebauten Umgebung oder das Flair eines angesagten Stadtviertels – schwer zu beobachten oder zu quantifizieren sind. Daher nutzen Ökonomen räumliche Gleichgewichtsmodelle, um aus beobachtbaren Löhnen und Lebenshaltungskosten die nicht direkt messbare Lebensqualität abzuleiten.
Das klassische Modell unterstellt, dass alle Güter (außer Wohnraum) problemlos handelbar sind, alle Arbeitnehmer identische Präferenzen haben und durch Umzüge keine Kosten entstehen. Unter diesen Annahmen passen sich durch das Zusammenspiel von Angebot und Nachfrage die Löhne und Immobilienpreise so an, dass eine höhere regionale Lebensqualität durch einen proportional niedrigeren Reallohn ausgeglichen wird.
Ein Hauptmanko dieses Ansatzes ist jedoch, dass er unterschiedliche räumliche Friktionen nicht berücksichtigt, also Einschränkungen für den Handel mit Gütern oder für die Mobilität von Personen. Wenn Handelshemmnisse bestehen, unterscheiden sich die Preise für nicht-wohnungsbezogene Güter zwischen Orten aus anderen Gründen als der Lebensqualität. Noch wichtiger ist jedoch, dass Mobilitätshemmnisse wie individuelle Standortpräferenzen oder soziale Bindungen durch Familie und Freunde verhindern, dass kleine Lohnunterschiede große Wanderungsbewegungen auslösen.
Unsere Analyse zeigt, dass räumliche Gleichgewichtsmodelle, die solche Friktionen berücksichtigen, Messfehler reduzieren. Theoretisch ist es so, dass der Unterschied in der Lebensqualität zwischen verschiedenen Standorten im klassischen Modell tendenziell unterschätzt wird. Der Umfang dieses Messfehlers ist in großen Städten am ausgeprägtesten. Diese Ergebnisse sind äußerst robust, also nicht von bestimmten Parameterwerten abhängig, was darauf hindeutet, dass sie in vielen Ländern weltweit Gültigkeit besitzen.
Eine Lebensqualitätsrangliste deutscher Städte
Um die erste theoriegestützte Lebensqualitätsrangliste unter Berücksichtigung räumlicher Friktionen zu erstellen, wenden wir unser Modell auf umfangreiche deutsche Daten (Immoscout24, Bundesagentur für Arbeit und Statistisches Bundesamt) an. Diese Anwendung zeigt, dass unser Ansatz zu einer größeren Variation in der Lebensqualität zwischen den Regionen führt und die Ranglisten im Vergleich zur klassischen Methode erheblich verändert.
Ein Vergleich zwischen unserem Ansatz und dem klassischen Modell für das Jahr 2015 zeigt beispielsweise, dass Hamburg vor München als Stadt mit der höchsten Lebensqualität rangiert. Frankfurt steigt um einen Platz auf Rang vier, Düsseldorf verbessert sich um sieben Plätze von Platz zwölf auf Platz fünf, und Chemnitz klettert um 62 Plätze auf Rang 39. Dagegen fallen Lörrach und Waldshut um jeweils 50 Plätze auf die Ränge 86 bzw. 107 zurück. Unverändert bleiben lediglich Berlin (3.), Würzburg (25.) und Celle (122.).
Im Durchschnitt beträgt die absolute Rangveränderung 17 Plätze. In den letzten Jahren wechselten München und Hamburg mehrfach die Spitzenpositionen: 2007 lag München auf Platz eins, 2011 Hamburg, 2015 wieder Hamburg und 2019 erneut München. Gleichzeitig holt Berlin kontinuierlich auf: Es stieg von Platz vier im Jahr 2011 auf Platz drei im Jahr 2015 und rückt näher an München und Hamburg heran. Ein interaktives Webtool, in dem Nutzer die Lebensqualitätsranglisten im Zeitverlauf für beliebige deutsche Städtepaare erkunden können, ist hier verfügbar.
Unsere Lebensqualitätsmaß zeigt weiterhin, dass Menschen gerne in größeren Städten leben. Im Durchschnitt ist eine Verdoppelung der Bevölkerungszahl einer Region mit einem Anstieg der Lebensqualität um 20 Prozent verbunden. Zum Vergleich: Die gleiche Vergrößerung einer Region führt nur zu einem Anstieg der Löhne um höchstens 5 Prozent (beide Veränderungen sind deskriptiv und nicht kausal). Die linke Grafik in Abbildung 1 zeigt unser neues Maß für Lebensqualität (QSM) nach deutschen Regionen und verdeutlicht, dass die höchste Lebensqualität in großen Stadtregionen wie Berlin, Hamburg und München zu finden ist. Die rechte Grafik illustriert, dass die Standardmethode (RR) im Vergleich zu unserem neuen Maß die Lebensqualität in diesen Regionen unterschätzt.
Abbildung 1: Vergleich von Lebensqualitätsmaßen in Deutschland
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Städte attraktiv gestalten
Unsere Ergebnisse legen nahe, dass Lebensqualität ein wesentlich wichtigerer Faktor für die lokale wirtschaftliche Entwicklung ist als bisher angenommen. Die Entscheidung, wo Menschen leben, wird nicht nur durch Löhne und Wohnkosten bestimmt, sondern auch stark von anderen Standortfaktoren beeinflusst.
Dies hat weitreichende Implikationen für die Politik. Natürlich sind Bemühungen, wirtschaftlich schwache Regionen produktiver zu machen, weiterhin wichtig. Aber ebenso entscheidend ist es, eine hohe Lebensqualität zu gewährleisten, um Talente anzuziehen. Strategien hierfür könnten Investitionen in kulturelle und Freizeitangebote, die Reduzierung von Umweltverschmutzung und Kriminalität oder die Verbesserung der städtischen Infrastruktur umfassen.
Als praktischen Beitrag zur angewandten Forschung stellen wir ein frei zugängliches GitHub-Toolkit bereit, das unser neues Maß für Lebensqualität berechnet. Da unser vollständig theoriegestütztes Maß für Lebensqualität datenintensiv ist, bieten wir auch eine vereinfachte Version auf Basis von Bevölkerungsstatistiken an, die dennoch den Messfehler im Vergleich zur klassischen Methode erheblich reduziert. Dieses Tool soll politischen Entscheidungsträgern helfen, Regionen mit objektiv niedriger Lebensqualität zu identifizieren. So lässt sich ein besseres Verständnis für die Faktoren entwickeln, die Lebensqualität und damit auch wirtschaftliche Entwicklung, fördern.
Zu den Autoren:
Gabriel M. Ahlfeldt ist Professor für Ökonometrie and der Humboldt Universität zu Berlin, Gastprofessor an der London School of Economics, Mitglied der Berlin School of Economics und Herausgeber der Fachzeitschrift Regional Science and Urban Economics.
Fabian Bald ist Juniorprofessor für Regional- und Stadtökonomie an der Europa Universität Viadrina und assoziiertes Mitglied der Berlin School of Economics.
Duncan Roth ist Leiter der Nachwuchsforschungsgruppe Berufe und Erwerbsverläufe am Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung.
Tobias Seidel ist Professor für Volkswirtschaftslehre an der Universität Duisburg-Essen.