Alternativen zum BIP gesucht

Wie können wir den Zustand eines Landes messen?

Der jüngste World Happiness Report zeigt mal wieder: Das BIP ist nicht wirklich geeignet, um den Zustand eines Landes darzustellen. Anstatt sich auf reine Kosten-Nutzen-Analysen zu beschränken, sollte die moderne Ökonomie ihr Spektrum auch auf subjektive Indikatoren ausdehnen.

Foto: George Bremer via Flickr (CC BY 2.0)

Dänemark hat laut der jüngsten Ausgabe des World Happiness Report seinen Platz als zufriedenstes Land der Welt zurückerobert. Die Schweiz, Island, Norwegen und Finnland folgen dicht dahinter, während Benin, Afghanistan, Togo, Syrien und Burundi am Ende des Rankings landen.

Die Länder, die auf Basis des Bruttoinlandsprodukts (BIP) – dem sonst üblichen Messwert für den Zustand eines Landes – eigentlich die ersten Plätze belegen müssten, schneiden wesentlich schlechter ab. Die USA landen auf Platz 13, Großbritannien auf 23 und China auf 83. Das zeigt, dass das BIP mitnichten ein überzeugender Maßstab für das Wohlbefinden ist. Tatsächlich zeigt der Happiness-Report auf, dass es eine starke Korrelation zwischen Ungleichheit und Unzufriedenheit gibt.

Die Ansammlung der Nordischen Staaten an der Spitze des Rankings legt nahe, dass es offenbar ähnliche politische Strategien und möglicherweise auch geografische und strukturelle Faktoren gibt, auf die es ankommt. In diesen Ländern sind die Steuern hoch und werden dazu verwendet, relativ gleiche Gesellschaften zu schaffen, in denen die soziale Mobilität und die Einkommenssicherheit wesentlich ausgeprägter sind. Außerdem haben sie ziemlich homogene Gesellschaften: Es gibt Belege dafür, dass Menschen es in vielen Situationen vorziehen, mit ihresgleichen zu verkehren.

Währenddessen liegen am Schluss des Rankings eine Vielzahl von Ländern, die weniger homogen und entweder von Kriegen erschüttert oder bettelarm sind. Für das Schlusslicht Burundi gilt sogar beides.

Die Höhe des Einkommens als Maßstab für Lebensqualität ist weitem nicht der Weisheit letzter Schluss

Die Länder an beiden Enden der Skala erinnern uns daran, warum es wichtig ist, das Wohlbefinden eines Landes zu messen. Die Höhe des Einkommens ist in Sachen Lebensqualität bei weitem nicht der Weisheit letzter Schluss. Als Konsequenz aus dieser Erkenntnis wird die Forschung zum menschlichen Wohlbefinden immer weiter ausgedehnt.

Zum Teil reflektiert dies die wachsende Verfügbarkeit von Daten, die das Messen subjektiver Glücksindikatoren erlauben. Aber es zeigt auch eine Unzufriedenheit mit der modernen Ökonomie, in der Moral und Ethik auf der Rückbank sitzen und bürokratische Kosten-Nutzen-Analysen die Norm sind.

Wann ist ein Mensch glücklich?

Der World Happiness Report verwendet für sein Ranking einen Mix aus BIP, sozialer Unterstützung (definiert als die Verfügbarkeit von Menschen, auf die man sich in schwierigen Zeiten verlassen kann), Lebenserwartung, der Freiheit, sein Leben selbst zu bestimmen, Freigiebigkeit (gemessen anhand von Spenden) und der Korruptionswahrnehmung. Dieser Mix aus subjektiven und objektiven Indikatoren ist sehr sinnvoll.

Die Arbeit meines Teams bestand darin, die Entwicklung eines Frameworks für verschiedene Indikatoren von Lebensqualität zu entwickeln, um Fortschritte bewerten zu können. Wir verwenden einen theoretischen Ansatz, der ursprünglich von Nobelpreisträger Amartya Sen entwickelt und durch Ansätze der politischen Philosophin Martha Nussbaum ergänzt wurde. Das hilft uns dabei, über Lebensqualität nicht nur aufgrund von objektiven Leistungen, sondern vielmehr anhand von subjektiveren Qualitäten wie persönlicher Freude oder individuellen Möglichkeiten nachzudenken.

Genauso wie wir uns die Ressourcen anschauen, auf die Menschen zurückgreifen können, prüfen wir auch ihre Fähigkeiten, diese Ressourcen in Dinge zu verwandeln, die sie für wichtig halten. Indem wir Datensätze erstellen, die sich auf diese Konzepte konzentrieren, können wir sehen, was Menschen zuhause, bei der Arbeit oder in ihrem Sozialleben tun können. Auch können wir ihre physische Umwelt und die ihnen zur Verfügung stehenden Dienstleistungen betrachten.

Zu vergleichen was unterschiedlicher Länder Wert schätzen, kann sehr aufschlussreich sein. So haben wir beispielsweise herausgefunden, dass es für Amerikaner wichtiger ist, Hilfe von der Polizei zu bekommen als für Menschen in Großbritannien, wohingegen es einen erheblichen Unterschied in die andere Richtung gibt, wenn es um den Zugang zur Gesundheitsversorgung geht. Aber diese Dinge haben für unterschiedliche Menschen in unterschiedlichen Ländern unterschiedliche Bedeutungen – daher ist es notwendig, einen Weg zu finden, sie zu vergleichen.

Sowohl in den USA als auch in Großbritannien ist die Möglichkeit, seinen Müll beseitigen zu können, ein wichtiger Einflussfaktor für die Zufriedenheit. Das sah erst nach einem kuriosen Ergebnis aus, bis wir verstanden hatten, dass es vergleichsweise einfach ist, die für Missstände verantwortlichen Politiker zu identifizieren. In Italien, wo es bedeutend schwieriger für Menschen ist, ihren Müll loszuwerden, könnten die wesentlich kürzeren Amtsperioden es auch erheblich schwieriger machen, lokale Politiker zur Rechenschaft zu ziehen.

Es ist natürlich alles andere als einfach, diese subjektiven Indikatoren in ein übergeordnetes Framework für Glück und Fortschritt zu integrieren. Wie vergleicht und gewichtet man die Qualität sozialer Beziehungen damit, wie oft der Müll abgeholt wird? Hinsichtlich des eigenen Wohlbefindens spielt nun einmal beides eine Rolle.

Die Wahrheit ist, dass es jede Menge Dinge gibt, die das Leben gut oder eben nicht gut machen. In meinem neuesten Buch „Happiness Explained“ zeige ich, wie der von Sen entwickelte Ansatz einen Rahmen für das Verstehen all dieser Themen liefert. Die Lebensqualität jedes Einzelnen hängt von Faktoren wie Fairness, Autonomie, Gemeinschaft und Engagement ab, obwohl die Details natürlich sehr vom Alter und der jeweiligen Kultur abhängen. Was allerdings deutlich wird, ist, dass sich dieses „FACE“-Prinzip (fairness, autonomy, community, engagement) durch das ganze Leben zieht.

Der aktualisierte World Happiness Report spiegelt viele dieser Themen wider und es ist großartig zu sehen, dass es in der akademischen Welt auf diesem Gebiet viel Annäherung gibt, während auch Schulen, Regierungen und NGOs beginnen, sich dieser Agenda auf neuartige und bedeutsame Weise anzuschließen.

 

Zum Autor:

Paul Anand ist Wirtschaftsprofessor an der Open University.

logo-236a9b01d01787a0eef2df88cf6f14cdba325af3c72f8c696681e057c0163981

Dieser Artikel wurde zuerst von The Conversation auf englisch veröffentlicht und von der Makronom-Redaktion unter Zustimmung von The Conversation ins Deutsche übersetzt.The Conversation