Analyse

Wie ein makroökonomisches Modell die Spaltung der Eurozone befördert

Die fiskalpolitischen Empfehlungen der EU-Kommission basieren stark auf einem fehlerbehafteten Modell, das Boom-Krise-Zyklen und die Desintegration der Eurozone verschärft – und ein Musterbeispiel dafür ist, dass makroökonomische Modelle und Theorien ganz konkrete Auswirkungen auf das Leben von Millionen von Menschen haben. Dabei wäre die nötige Generalüberholung auch politisch durchaus machbar. Eine Analyse von Philipp Heimberger und Jakob Kapeller.

Foto: Pixabay

Es ist absolut erfreulich, dass offenbar endlich Licht am Ende des Konjunkturtunnels im Euroraum zu erkennen ist. Diese guten Nachrichten sollten aber nicht den Blick auf weiterhin drängende ökonomische Probleme verstellen: Der Prozess der Desintegration der Eurozone – zwischen Kernländern wie Deutschland, Österreich und Belgien auf der einen und den südlichen Peripherieländern Griechenland, Portugal, Spanien und Italien auf der anderen Seite – bleibt ungeachtet der kurzfristigen Konjunkturentwicklung ein ungelöstes Problem. Diesem müssen sich die EntscheidungsträgerInnen widmen, wenn die gemeinsame Währung Bestand haben soll.

So ist die reale Wirtschaftsleistung in Deutschland, dem wirtschaftlich stärksten und politisch mächtigsten Land Europas, von 1999 bis 2016 um 24,1% gestiegen. Deutschland steht damit in einem starken Kontrast zu den strauchelnden Peripherieländern, die ökonomisch sukzessive weiter zurückfallen: Das reale BIP Italiens, der drittgrößten europäischen Volkswirtschaft, war 2016 nur 4,6% höher als im Jahr 1999. Portugal wuchs lediglich 8,2%, während die griechische Wirtschaft aufgrund der tiefen Krise seit 2010 völlig stagnierte.

Obwohl das Niveau des BIP pro Kopf als zentraler Indikator für den Entwicklungsstand einer Volkswirtschaft im Süden Europas zum Zeitpunkt der Einführung des Euro deutlich niedriger war als in Deutschland, haben die betreffenden Länder – Italien, Spanien, Portugal und Griechenland – in den letzten 15 Jahren weiter an Boden verloren. Und während Deutschlands Arbeitslosenquote historische Tiefststände erreicht hat, ist die Arbeitslosigkeit in der Peripherie weiterhin deutlich höher als vor der Krise.

Wirtschaftsleistung, Entwicklungsniveau und Arbeitslosenquote in ausgewählten Eurozonenländern

Quellen: AMECO (Stand: 11.5. 2017), eigene Berechnungen

Es lässt sich also festhalten, dass die südliche Eurozonen-Peripherie zwei „verlorene Jahrzehnte“ hinter sich hat – das politische Versprechen, dass die Einführung des Euro zu einem Zusammenwachsen der beitretenden Länder (Konvergenz) führen werde, ist durch die Realität einer sich beschleunigenden Polarisierung widerlegt worden.

Europäische Fiskalpolitik befördert wirtschaftliche Desintegration

Aber wie ist es dazu gekommen? Unsere aktuelle Forschung zeigt, dass das Problem der Polarisierung zwischen Kern- und Peripherieländern seit der Gründung des Euro durch eine kontraproduktive europäische Fiskalpolitik verschärft worden ist. Eine wichtige Rolle hat dabei ein makroökonomisches Modell der Europäischen Kommission gespielt, das zur Einschätzung der Budgetdefizite und fiskalischen Anstrengungen der Mitgliedstaaten verwendet wird.

Dieses Modell kommt zunächst sehr technisch und abstrakt daher, hat aber ganz reale und sehr negative Auswirkungen auf die Entwicklung der europäischen Wirtschaft und somit auch der Lebensstandards gehabt – und wird es auch weiterhin haben, wenn es nicht grundlegend überarbeitet wird. Wie wir gleich zeigen werden, führt dieses Modell dazu, dass der Stabilitäts- und Wachstumspakt ein ökonomisches Auseinanderwachsen zwischen „Gewinnerländern“ (Kern) und „Verliererländern“ (Peripherie) befördert.

Kostenpflichtiger Inhalt

Bitte melden Sie sich an, um weiterzulesen

Noch kein Abo?